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Ukraine-Krieg | Schlacht um Pokrowsk: Darum wird so erbittert gekämpft


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Schlacht um Pokrowsk im Donbass
"Das mindert die Kampfkraft der Truppe deutlich"

InterviewVon Simon Cleven

22.12.2024 - 19:08 UhrLesedauer: 6 Min.
UKRAINE-CRISIS/DONETSK REGIONVergrößern des Bildes
Ukrainische Soldaten bei einer Übung in der Region Donezk: Russlands Truppen stehen kurz vor der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk. (Quelle: UKRAINIAN ARMED FORCES/reuters)
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Im Donbass bekämpfen sich Russland und die Ukrainer erbittert. Es gibt in der Schlacht um die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk wohl Zehntausende Verluste. Der Militärexperte Christian Mölling schätzt die Lage ein.

Awdijiwka, Bachmut, Mariupol: Der Ukraine-Krieg hat bereits viele blutige Kapitel geschrieben. Die Schlacht um die Stadt Pokrowsk in der Region Donezk könnte die hohen Verluste bei Soldaten und Material in den vorangegangenen Gefechten jedoch nochmals in den Schatten stellen. Und ein Ende der Kämpfe ist längst nicht in Sicht.

Der Militärexperte Christian Mölling erklärt im Interview mit t-online, warum ausgerechnet um diese Stadt dermaßen erbittert gekämpft wird. Außerdem analysiert Mölling die derzeit dringendsten Probleme der ukrainischen Truppen. Mit Blick auf die Debatte über europäische Sicherheitsgarantien für die Ukraine warnt der Experte vor einem großen Risiko bei der Entsendung von Truppen zur Absicherung eines möglichen Waffenstillstands.

Herr Mölling, die russischen Truppen stehen wenige Kilometer vor der Stadt Pokrowsk im Donbass, die bald fallen könnte. Wie bewerten Sie die Lage?

Christian Mölling: Die Schlacht um Pokrowsk ist wohl eine der verlustreichsten des Ukraine-Kriegs, insbesondere wenn man sich die Kampfpanzer und anderen Kampffahrzeuge, aber selbstverständlich auch die Verluste bei den Soldaten anschaut. Laut ukrainischen Angaben soll Russland in der diesjährigen Offensive Richtung Pokrowsk rund 150.000 Soldaten verloren haben. Diese sind entweder tot oder verwundet. Einige Quellen sprechen von rund 600 zerstörten Panzern und mehr als 1.400 anderen Fahrzeugen bzw. Artilleriesystemen. Unabhängig nachvollziehen kann man die Angaben aber nicht.

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(Quelle: teutopress GmbH/imago-images-bilder)

Zur Person

Christian Mölling (*1973) ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er ist Direktor des Programms "Europas Zukunft" der Bertelsmann-Stiftung. Zuvor war Mölling stellvertretender Leiter des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sein Schwerpunkt liegt auf der Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands und europäischer Länder, militärischen Fähigkeiten und der Rüstungsindustrie.

Und aufseiten der Ukrainer?

Da gibt es keine genauen Angaben. Die Verluste bei Pokrowsk sollen auf ukrainischer Seite etwa fünfmal niedriger liegen. Insgesamt sprach Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt von 43.000 gefallenen Soldaten und rund 370.000 Verletzten seit Beginn der russischen Vollinvasion im Februar 2022. Insgesamt sind die Angaben zu einzelnen Schlachten immer mit Vorsicht zu betrachten. Sie geben aber einen Fingerzeig.

Warum wird dermaßen erbittert um Pokrowsk gekämpft?

Die Stadt ist ein wichtiger logistischer Knotenpunkt für die Ukrainer. Von Pokrowsk aus werden viele Truppenteile an anderen Frontabschnitten versorgt. Zudem gilt die Stadt als westliches Tor zum Donbass. Ihre Eroberung würde den Russen also weitere Vorstöße ermöglichen. Außerdem ist der Zeitpunkt der Offensive entscheidend.

Was meinen Sie damit?

Weder Russland noch die Ukraine können derzeit sicher sein, was nach der Amtseinführung Donald Trumps am 20. Januar passiert. Er ist ein immenser Unsicherheitsfaktor. Beide Kriegsparteien versuchen daher, bis dahin dort möglichst große Gewinne zu erzielen, wo sie es für wichtig halten. Putin sieht eine Chance im Donbass, die Ukrainer scheinen sich auf Kursk zu konzentrieren.

Wie schnell könnte Pokrowsk tatsächlich fallen?

Das hängt derzeit vor allem davon ab, wie viele Reserven die Ukraine an die Front bringen kann. Aufgeben wird die Ukraine kaum. Dafür ist die Bedeutung der Stadt zu groß. Andererseits hat die Ukraine große Personalprobleme. Daher ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt fällt. Die Ukraine ist in einer wirklich schwierigen Lage. Russland ist im Donbass im Vorteil.

Woher kommen die ukrainischen Personalprobleme?

Einerseits hat das im Mai beschlossene Mobilisierungsgesetz nicht so gut funktioniert und es sind bisher nicht so viele neue Soldaten eingezogen worden wie erhofft. Andererseits ist die Ukraine eben eine Demokratie und das Ringen über das richtige Gesetz hat seine Zeit gedauert. Außerdem wurden viele ukrainische Soldaten in Europa oder den USA ausgebildet. Doch diese Länder haben nicht gleichzeitig dafür Sorge getragen, dass Waffensysteme auch in ausreichender Zahl in der Ukraine stehen. Die Ukrainer können vielleicht von der Mannstärke her eine Brigade aufstellen, haben aber die nötige Ausrüstung nicht. Das mindert die Kampfkraft der Truppe deutlich.

Jetzt machen auch die USA Druck auf Kiew, das Mindestalter für die Mobilisierung von 25 auf 18 Jahre abzusenken. Wie bewerten Sie das?

Für die Ukraine ist das eine gravierende Frage. Es geht um nicht weniger als den Fortbestand der Nation. Man würde die nächste Generation in den Krieg und womöglich in den Tod schicken. Das sind alles junge Menschen, die eigentlich die Zukunft des Landes verkörpern und es nach dem Krieg wieder aufbauen sollen. Das ist eine schwierige Entscheidung. Und ich denke, dass bisher aus gutem Grunde Nein dazu gesagt wird.


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Putin will mit alldem seine eigene Bevölkerung beschwichtigen und schafft einmal mehr einen Referenzpunkt auch in der deutschen Debatte.


Christian Mölling


Wenn Trump erst einmal wieder im Weißen Haus sitzt, könnte der Druck auf die Ukraine in allen Belangen steigen. Vor allem fordert Trump immer wieder Verhandlungen mit Russland. Was ist von ihm mit Blick auf den Krieg zu erwarten?

Trump und sein Team scheinen nach der Wahl im November etwas realistischer geworden zu sein. Seine Idee, binnen 24 Stunden nach seinem Amtsantritt Frieden zu bringen, hat man nicht mehr gehört. Dass Trump überhaupt so viel über die Ukraine redet, lässt vermuten, dass ihm das Thema zumindest wichtig ist. Zu einem Frieden gehört jedoch deutlich mehr als bloße Wahlkampfformeln.

Putin hat erst am vergangenen Donnerstag erneut behauptet, dass er angeblich für Kompromisse und Verhandlungen bereit sei.

Das scheinen mir nichts als Nebelkerzen. Gleichzeitig hat er Selenskyj die Legitimität als Verhandlungspartner abgesprochen. Putin will mit alldem seine eigene Bevölkerung beschwichtigen und schafft einmal mehr einen Referenzpunkt auch in der deutschen Debatte. Dabei bleiben seine Bedingungen die gleichen: Er will die ukrainische Armee abschaffen und in Kiew eine neue, russlandfreundliche Regierung einsetzen. Zudem spricht er den Ukrainern das Recht auf Überleben als Volk ab. Die Ukrainer wollen Frieden, aber nicht um den Preis ihrer Vernichtung oder ihrer Freiheit. Deshalb kämpfen sie weiter.

Video | Putin will verhandeln – und bietet USA "Raketenduell" an
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Quelle: reuters

Derzeit werden in Europa vor allem Sicherheitsgarantien für die Ukraine diskutiert. Frankreich scheint offen für die Entsendung von Truppen, Deutschland aber zögert. Wie könnten solche Garantien aussehen?

Es ist schwer, einen Weg zu definieren, der nicht in der Nato-Mitgliedschaft endet: Wenn europäische Staaten Truppen allein zur Absicherung eines Waffenstillstands in die Ukraine schicken, dann würde das ohne die Unterstützung der USA ein hohes Risiko für sie bedeuten. Sie müssten bereit sein, und auch glaubwürdig machen, dass sie bereit sind, in einen Krieg mit Russland einzusteigen, obwohl sie schwächer sind ohne die USA. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit sogar, dass Russland die Europäer testet, um ihre Schwäche vorzuführen und sie damit weiter zu spalten.

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Nur Verbände, die in der Lage sind, auf die volle Unterstützung der Nato und damit der USA zurückzugreifen, dürften Russland davon abhalten, einen Krieg zu riskieren, weil Russland ihn verlieren könnte. Deshalb und weil die Ukraine die kampferprobteste Armee Europas ist, wäre die Einbindung in die Nato ein Gewinn für alle – außer den Kreml.


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Putin steht nicht allein da. Das kommt in der Diskussion manchmal zu kurz.


Christian mölling


Das kommende Jahr könnte für den Krieg entscheidend sein: Russlands Wirtschaft scheint massiv angeschlagen, aber auch für die Ukraine gibt es viele Unwägbarkeiten. Welche Herausforderungen sehen Sie für 2025?

Dass Trump ein Unsicherheitsfaktor ist, habe ich bereits erwähnt. Was passiert, wenn die USA ihre Unterstützung einstellen? Außerdem müssen die Ukrainer besser ausgerüstet werden. Da sind jetzt vor allem die Europäer gefragt.

Mit Deutschland und Frankreich stecken aber derzeit zwei wichtige europäische Unterstützer in Regierungskrisen.

Trotzdem muss man sich hier einer Sache bewusst werden: Die Ukrainer kämpfen an der Front für die Sicherheit Europas. Schon allein deshalb sollte dafür Sorge getragen werden, dass Kiews Truppen durchhaltefähig sind. Und sie sollten durchhaltefähiger sein als die Russen. Darum geht es letztlich in diesem Abnutzungskrieg, so hart das auch klingen mag.

Und welche Herausforderungen sehen Sie für Russland?

Wirtschaftlich stehen dort die Zeichen offenbar auf langsamem Verfall. Wie dramatisch es bergab geht, kann ich nicht bewerten. Ich denke, dass es dabei vor allem darauf ankommen wird, ob China bereit ist, Russland unter die Arme zu greifen. Putin steht nicht allein da. Das kommt in der Diskussion manchmal zu kurz. Er hat mit China, dem Iran und Nordkorea eine Allianz an Unterstützern. Das macht Putin jedoch auch abhängig. Besonders Peking könnte irgendwann zu dem Schluss kommen, dass der Krieg zu teuer wird. Aber ein unkontrollierter Absturz Russlands dürfte nicht in Chinas Interesse sein. Was da passieren könnte, bleibt abzuwarten.

In Russland hat diese Woche die Tötung des Generals Igor Kirillow mitten in Moskau Aufsehen erregt. Er war Kommandeur der ABC-Abwehrtruppen der russischen Streitkräfte. Was bedeutet der Anschlag für den Krieg?

Der ukrainische Geheimdienst hat sich direkt dazu bekannt. Die Ukrainer zeigen damit, dass kein hochrangiger russischer Militär sich sicher fühlen kann, auch nicht fernab des Schlachtfelds. Ob Kirillow der Leiter eines geheimen Biowaffenprogramms war, bleibt Spekulation. Dann hätte man Moskau aber damit womöglich auch gezeigt, wie gut man über die Zuständigkeiten Bescheid weiß.

Herr Mölling, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Christian Mölling
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