Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Widerstand gegen Autokraten Amerikas Selbstverdummung

Nach der ersten Schockstarre regt sich Widerstand in den USA gegen Donald Trump. Autokraten, egal ob im Iran oder in Israel, sehen in Demonstranten aber nur Feinde, die eliminiert werden sollten.
Was geht in den USA unter Donald Trump vor sich? Wie nennt man dieses System, in dem der Präsident nach Lust und Laune, Belieben und Willkür sein Land umpflügt? Faschismus, na klar, sagt Timothy Snyder, der weltbekannte Historiker, der seine Professur in Yale, dem Himmelreich der Wissenschaften, gekündigt hat und nach Toronto umzieht, um dort in Kanada zu lehren.
Man könnte ausgiebig darüber diskutieren, ob Faschismus der richtige Begriff ist oder doch Paternalismus eher auf Trumps Gebaren zutrifft – wichtiger ist, dass eine Menge renommierter Wissenschaftler vieler Disziplinen neue Ufer suchen, ob in Kanada oder Singapur, in Deutschland oder den Niederlanden.
Früher war Amerika das Sehnsuchtsland ehrgeiziger Historiker, Biochemiker oder Astrophysiker. Jetzt fliehen sie in Scharen, weil es dem Präsidenten gefällt, die Universitäten zu gängeln und Projekte nicht länger zu fördern, die den Fortschritt nun eben anderswo erbringen müssen.
Hass wird weiter wachsen
Amerika war seit dem Amtsantritt Trumps am 20. Januar in Schockstarre verfallen. Am vorigen Samstag demonstrierten zum ersten Mal landesweit Millionen Menschen, die Donald Trump und Elon Musk für ein Verhängnis halten, für reiche Dilettanten, für illiberale Supersnobs, die davon träumen, so zu herrschen wie Wladimir Putin oder Xi Jinping.
Es ist gut, dass Menschen auf die Straße gehen. Es ist so gut wie sicher, dass Trump sie Terroristen oder Verrückte nennen wird. Die Wirkung wird sein, dass der Hass zwischen Trumpisten und Anti-Trumpisten wachsen wird. Nicht zufällig sagt Timothy Snyder, dass er einen Bürgerkrieg für möglich hält.
Mit seinem Freund-Feind-Denken findet der amerikanische Präsident einige Gleichgesinnte in anderen Ländern. Benjamin Netanjahu schert sich seit Jahren nicht um den Protest gegen seine Selbstherrlichkeit. Zuerst gingen die Menschen gegen seine Justizreform auf die Straße, dann gegen den Krieg in Gaza, dann gegen seine Ignoranz gegenüber den Geiseln in Händen der Hamas, jetzt wieder gegen den Versuch, den Rechtsstaat unter seine Knute zu bringen.
Wer sollte ihm Einhalt gebieten? Donald Trump liefert schwere Waffen und träumt von der Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza, um dort ein zweites Atlantic City zu bauen. Die letzte Außenministerin, die Kritik auch am Vorgehen Israels im Westjordanland übte, ist am Ende ihrer Amtszeit angelangt: Annalena Baerbock.
Autokratie beginnt beim Umbau des Staates
Autokratische Herrscher bauen heute zuerst den Rechtsstaat um. Gewaltenteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive ist aber das Kennzeichen von Demokratien. Wird sie aufgehoben, indem die Macht über das Recht gebietet, kommt die Demokratie nicht nur in Schieflage. Sie hört auf zu sein.
Recep Tayyip Erdoğan schwang sich schon vor Jahren zum Alleinherrscher auf. Als er im März seinen einzigen ernsthaften Gegner Ekrem İmamoğlu unter noch nicht einmal fadenscheinigen Vorwänden verhaften ließ, konnte man meinen, dass er diesmal zu weit gegangen ist. Die Demonstrationen erschienen machtvoll und für einen Moment flackerte Hoffnung auf Wandel auf. Wie es aussieht, ist dieser Moment wieder vorbei.
Der Iran kommt in den Sinn. Der Mut der Frauen, ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit zu gehen. Die Rufe nächtens von den Dächern. Derzeit aber herrscht Friedhofsruhe. Oder Georgien: Die Jungen wollen Anschluss an Europa finden, die Alten halten sich an Russland, das dieses Land schon im Jahr 2008 militärisch daran erinnerte, nicht zu weit zu gehen. Oder Serbien: Studierende und Regierungsgegner protestieren seit vielen Wochen gegen Inkompetenz und Korruption unter Präsident Aleksandar Vučić. Selbst in Gaza flackerte Protest gegen die Hamas auf.
Amerika will sein wie China
Autokraten leiden unter Selbstverdummung, weil sie sich nur mit Jasagern umgeben. Sei es durch überlanges Regieren, sei es durch verlorene Kriege oder durch andere schwerwiegende Fehler, scheitern sie irgendwann, das lehrt die Erfahrung. So war es vor einigen Jahrzehnten in Spanien und Portugal, so war es in Brasilien und Argentinien.
Die Absurdität von heute besteht darin, dass der Leuchtturm von Frieden und Freiheit, von Demokratie und Liberalität, der Amerika einmal war und vor allem sein wollte, zum Leuchtturm der Illiberalität und Antidemokratie zu werden scheint, der auch nach Europa ausstrahlt.
Es ist noch nicht lange her, dass wir darüber sinniert haben, in welchem Zeitraum sich das kapitalistische China wenigstens in einen Rechtsstaat verwandeln würde und sei es auch bei gelenkter Demokratie. Stattdessen verhärtet sich China auf dem Weg zur Supermacht als Ein-Parteien-Diktatur mit einem Langzeitherrscher. Die Ironie besteht darin, dass Donald Trump die Alleinherrscher in Russland und China beneidet und ihnen nacheifert. Deshalb wird China nicht wie Amerika, sondern Amerika will sein wie China.
Die freiheitlichen Strömungen, egal ob in der Türkei, in Georgien oder den USA, sind nicht stark genug, die Autokraten zu gefährden. Noch nicht. Dass sie nicht nachlassen, nicht resignieren, weiterhin auf die Straße gehen und allmählich an Schlagkraft gewinnen, ist die Hoffnung weltweit. In der Geschichte geht es irgendwann mal wieder bergauf, muss sich einreden, wer sich nicht entmutigen lassen will.
- Eigene Überlegungen