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Ergebnisse der Bundestagswahl 2025: Deutschland rückt nach rechts


Tagesanbruch
Das größte Versagen des scheidenden Kanzlers

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 24.02.2025 - 07:34 UhrLesedauer: 7 Min.
Olaf Scholz: Seine Partei hat eine historische Niederlage erlebt.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Seine Partei hat eine historische Niederlage erlebt. (Quelle: IMAGO/Eberhard Thonfeld/imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

das Ergebnis der Bundestagswahl ist ein politisches Beben. Nach Angela Merkels Mittekurs und dem Experiment der linksliberalen Ampelkoalition rückt das Land nach rechts: knapp 29 Prozent für die Union, die CDU-Chef Friedrich Merz deutlich konservativer positioniert hat als seine Amtsvorgänger. Und mehr als 20 Prozent für die rechtsextremistisch geprägte AfD, die vielerorts im Osten sogar stärkste Kraft wird.

Knapp die Hälfte der Wahlberechtigten wünscht sich eine andere Politik als bisher: Gegen dieses Votum ist kein Staat zu machen, wie auch immer die künftige Bundesregierung aussieht. Bei den Aufregerthemen Migration, Energie, Wirtschaft wird die nächste Koalition grundlegende Kurswechsel einschlagen müssen, will sie nicht Gefahr laufen, ähnlich zu enden wie die Ampel. Es mag schwierig sein, AfD-Wähler für die demokratischen Parteien zurückzugewinnen, unmöglich ist es nicht. Die höchste Wahlbeteiligung seit der Wiedervereinigung (fast 84 Prozent!) dokumentiert die Re-Politisierung der Bevölkerung. Das ist das beste Teilergebnis dieser Bundestagswahl.

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Fast alle anderen Resultate sind heikel. CDU und CSU können zwar als Wahlsieger die künftige Bundesregierung anführen, Friedrich Merz macht sich fürs Kanzleramt bereit. Bei aller Kritik, die an manchen seiner Positionen und Sätze zu üben ist: Wie er sich jahrelang in der CDU nach oben gearbeitet und aus der Union wieder eine profilstarke Truppe gemacht hat, nötigt Respekt ab. Doch ein strahlender Sieger ist er nicht, dafür ist das Ergebnis zu dünn. "Ein Triumph sieht anders aus", schreibt unser Politikchef Christoph Schwennicke.

Die Schwäche hat Folgen: Aus dem christlich-sozialen Flügel der CDU kommt Kritik am Kurs des Vorsitzenden, noch hinter vorgehaltener Hand, aber das muss nicht so bleiben. Zudem dürfte Markus Söder mit seinem starken CSU-Ergebnis im Rücken versuchen, Merz vor sich herzutreiben. Und dann ist auch noch auf die gedemütigte SPD als Koalitionspartnerin Rücksicht zu nehmen, da es ja für ein schwarz-rotes Bündnis reicht. Einfach wird das Regieren für Merz nicht.

Die AfD kann feiern. Sie hat ihr Ergebnis seit der letzten Bundestagswahl fast verdoppelt, im Osten führt kein Weg an ihr vorbei. In aufgewühlten Zeiten, angesichts zahlreicher Gewalttaten von Asylbewerbern und befeuert von russischer Propaganda in den Social-Media-Kanälen hat sich die Partei weiter radikalisiert – und hat Erfolg damit. Der extremistische Flügel um Björn Höcke gibt den Ton an, Parteichefin Alice Weidel tanzt nach seiner Pfeife. Das ist wohl das düsterste Ergebnis dieser Wahl: Dass so viele Menschen kein Problem darin sehen, die AfD trotz ihrer fremden- und EU-feindlichen, kremlfreundlichen Positionen zu wählen. Selbstbewusst macht Weidel nun Merz Avancen: "Unsere Hand ist ausgestreckt, um den Willen des Volkes umzusetzen." Doch der CDU-Chef hat eine Zusammenarbeit gestern Abend abermals kategorisch ausgeschlossen – und Weidel verfällt wieder in die AfD-Kampfrhetorik: "Wir werden die anderen jagen!" Mit solchen Leuten ist keine konstruktive Politik zu machen.

Die SPD holt das schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte. Der Absturz der Sozialdemokraten ist brutal – und vor allem einem Mann anzukreiden: Olaf Scholz wird von den Wählern mit einer Klatsche aus dem Amt getrieben; die große Mehrheit traut ihm nicht zu, das Land gut zu regieren. Scholz beteuert, seine neuerliche Kandidatur sei trotzdem richtig gewesen, aber damit dürfte er spätestens jetzt mutterseelenallein dastehen. Mit Boris Pistorius, dem populärsten deutschen Politiker, hätte die SPD sicher besser abgeschnitten. Dass Scholz ihn als Spitzenkandidaten verhindert hat, ist das größte Versagen des scheidenden Kanzlers.

Und die anderen Parteien? Die Grünen sind über ihre eigenen Fehler gestolpert, die Linke hat dank eines fulminanten Wahlkampfendspurts zugelegt, das BSW hatte sich von seiner Namenspatronin Sahra Wagenknecht mehr erhofft, die FDP wird für ihre destruktive Verweigerungspolitik bestraft – Parteichef Christian Lindner trat noch gestern Abend zurück. Allenfalls die Grünen konnten sich einige Stunden lang Hoffnung auf ein Plätzchen am Kabinettstisch machen, aber auch sie müssen aus ihren Schwächen lernen: der mangelnden Verankerung im ländlichen Raum, der ungeschickten Kampagnenführung, dem Hin und Her bei wichtigen Fragen. Unsere Reporter haben die wichtigsten Erkenntnisse zu allen Parteien hier zusammengefasst.

Der politische Rechtsruck wird Deutschland verändern. Zum Glück obliegt es der demokratischen Union, den Politikwechsel anzuführen, nicht der AfD. Friedrich Merz will ganz andere Schwerpunkte setzen als die Ampelregierung. Ob ihm das angesichts der schwierigen Kräfteverhältnisse gelingt, ist im besten Fall ungewiss, im schlechtesten unwahrscheinlich. Bleibt zu hoffen, dass er zwar einen neuen, aber auch einen besonnenen Kurs einschlägt. Polarisiert ist das Land schon genug.


Ohrenschmaus

Aus Frust Extremisten wählen? Ist kreuzdumm. Und die Stones haben den passenden Song dazu.


Drei Jahre Terror

Heute vor drei Jahren begann Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Seither hat Russlands Diktator so viele Menschen ins Verderben gestürzt wie wenige andere Zeitgenossen. Bis zu 100.000 ukrainische Soldaten sind gestorben, auf russischer Seite könnten es 220.000 sein. Die Verletztenzahlen sind noch höher. Mehr als 10.000 ukrainische Zivilisten verloren ihr Leben, darunter fast 700 Kinder. Rund 30.000 Zivilisten wurden verletzt. Fast 7 Millionen Ukrainer sind aus ihrem Heimatland geflohen, 1,2 Millionen nach Deutschland. Die Partnerländer haben der Ukraine 267 Milliarden Euro an Hilfsgeldern überwiesen; zusammengenommen ist der Anteil der europäischen Staaten sogar größer als der amerikanische.

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Die Widerstandskraft der Ukrainer hat Putin ebenso überrascht wie die Gegenwehr der westlichen Staaten: Die Sanktionen treffen die russische Wirtschaft; die diplomatische Blockade beraubt den Kreml internationalen Einflusses. Umso wilder schlägt das Moskauer Regime um sich, schickt Saboteure gegen europäische Firmen und Infrastruktur, stachelt Dschihadisten auf, diffamiert im Internet demokratische Regierungspolitiker und unterstützt Extremisten.

Der Krieg und die Sabotage haben Deutschland aus seinem Dornröschenschlaf geweckt. Die Energiekrise hat die Wirtschaft in die Krise gestürzt, extreme Parteien erstarken. Trotzdem steht die Bundesrepublik nach drei Jahren Krieg in Europa immer noch stabil da und sucht den Schulterschluss mit den EU-Partnern.

Nun jedoch wendet sich das Blatt. Der neue amerikanische Präsident plappert Putins Propaganda nach und erpresst Kiew wie ein Mafioso: Die Ukrainer sollen den Verlust von rund einem Fünftel ihres Staatsgebiets akzeptieren und überdies den Amerikanern Bodenschätze im vielfachen Gegenwert der US-Militärhilfe überschreiben. Donald Trump hat den Wertekonsens des Westens aufgekündigt, für ihn zählen nicht Rechtsstaatlichkeit und internationale Verträge, sondern nur das Recht des Stärkeren. Ende der Woche sollen sich seine Unterhändler mit russischen Diplomaten treffen und über das Schicksal der Ukraine verhandeln. In der heutigen Sitzung der Vereinten Nationen legt die US-Regierung einen Resolutionsentwurf vor, der laut Außenminister Marco Rubio "einen Weg zum Frieden ebnen" soll. Der Text enthält keinerlei Kritik an Moskau und keine Aussagen zur territorialen Integrität der Ukraine.

Trump macht Politik wie Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals versuchten nationalistische Staatschefs und imperialistische Geiferer, Europa nach ihrem Gutdünken aufzuteilen – und führten es in die Großkatastrophe des Ersten Weltkriegs. Keine 20 Jahre später begannen die Nazis ihren Vernichtungsfeldzug, der den Kontinent verwüstete.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber historische Entwicklungen können sich ähneln. Es ist sicher keine Übertreibung, wenn man sich angesichts der heutigen Weltlage große Sorgen macht. Schon immer waren Egoisten, Narzissten und Gewalttäter lauter als die friedliebende Mehrheit, aber nun übernehmen sie an immer mehr Schaltstellen die Macht. Entsetzt, aber auch kopflos starren die Europäer auf die Zerstörer Putin, Trump, Musk, Zuckerberg.

Das muss sich ändern. Wem an einem Leben in Frieden, Sicherheit und Wohlstand gelegen ist, sollte den Mund aufmachen und für seine Werte einstehen. Die Zeit ist vorbei, in der es genügte, alle paar Jahre zur Wahlurne zu schreiten und ansonsten missmutig auf der Wohnzimmercouch vor sich hinzugrummeln. Demokratie und Frieden haben etwas gemeinsam: Sie sterben, wenn sich zu wenige Leute für sie engagieren.


Zitat des Tages

"Die Ukrainer kämpfen nicht nur um ihr Territorium. Sie kämpfen für Demokratie, für Selbstbestimmung, für ein freies Europa – all die Werte, die auch für uns fundamental sind. Der Mut der Ukrainer verdient unsere tiefste Anerkennung. Frieden und Freiheit in Europa verlangen von uns, dass wir die Ukraine entschieden unterstützen. Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine – mit humanitärer Hilfe, mit Schutz für Geflüchtete, mit militärischer Unterstützung. Und wir werden nicht nachlassen, solange dieser völkerrechtswidrige Krieg andauert."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verspricht der Ukraine weitere Unterstützung.


Tête-à-Tête mit Trump

Den europäischen Wettlauf um die erste Audienz in Washington seit Trumps zweiter Amtsübernahme hat Emmanuel Macron für sich entschieden. Während die italienische Premierministerin Giorgia Meloni sich darauf beschränkte, per Videoschalte auf einer Konferenz amerikanischer Rechtskonservativer zu sprechen, und der britische Regierungschef Keir Starmer erst am Donnerstag in die USA fliegt, hat der französische Staatschef bereits heute sein Stelldichein mit dem US-Präsidenten.

Dass der Franzose nun die Rolle des Mittlers zwischen den Welten einnimmt, wirkt schlüssig. Nicht nur zelebrierte er mit Trump schon während dessen erster Amtszeit eine "Bromance" der virilen Gesten. Im vergangenen Dezember, als der Republikaner noch "President elect" war, lud Macron ihn auch zur Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame nach Paris ein – und brachte ihn dabei mit Wolodymyr Selenskyj zusammen. Er wolle Trump davon überzeugen, dass dessen strategische Interessen mit denen Europas übereinstimmen, hat Macron nun vor seiner Abreise verkündet. Man kann ihm nur Glück wünschen.


Sorge um den Papst

Seit mehr als einer Woche liegt Franziskus in einem Krankenhaus in Rom: Der Papst wird wegen einer Infektion der Atemwege und einer beidseitigen Lungenentzündung behandelt. Nun haben die Ärzte auch noch eine beginnende Niereninsuffizienz festgestellt. Katholiken in aller Welt bangen um das Oberhaupt ihrer Kirche.


Lesetipps

Wie reagieren die Amerikaner auf den Ausgang der Bundestagswahl? Unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns verrät es Ihnen.




Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat den Einzug in den Bundestag um 13.435 Stimmen verpasst. Nun stellt der erste Politiker die Rechtmäßigkeit der Wahl infrage. Meine Kollegen Christoph Cöln und Mauritius Kloft sind der Sache nachgegangen.


Zum Schluss

Deutschland hat gewählt.

Ich wünsche Ihnen einen engagierten Wochenbeginn.

Herzliche Grüße und bis morgen,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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