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Experte zu CDU-Migrationsplänen: "Gut gemeint ist nicht gut gemacht"


Streit über Migration und AfD
"Es wäre eine Katastrophe"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 21.02.2025 - 15:26 UhrLesedauer: 9 Min.
Alice Weidel: Sie traf J. D. Vance in München.Vergrößern des Bildes
AfD-Chefin Alice Weidel: Die Rechtspopulisten nutzen die Migrationsdebatte, um den Rechtsstaat anzugreifen. (Quelle: Marton Monus)
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Deutschland debattiert im Bundestagswahlkampf über die Regulierung von Migration und über eine Brandmauer zur AfD. Der Migrationsexperte Gerald Knaus warnt, dass die von CDU-Chef Merz vorgelegten Pläne scheitern würden.

Nach den Anschlägen von Aschaffenburg und München wird der Bundestagswahlkampf von einer Migrationsdebatte bestimmt. Fast alle Bundestagsparteien überbieten sich gegenseitig mit Vorschlägen, wie irreguläre Migration in Deutschland begrenzt werden soll. Damit hoffen die Parteien der politischen Mitte, die in Teilen rechtsextreme AfD schwächen zu können.

Aber geht diese Strategie auf? Schließlich wollten Union und FDP ein Zustrombegrenzungsgesetz mit Stimmen der AfD durch den Bundestag bringen und sie damit erstmals zum Mehrheitsmacher im deutschen Parlament machen.

Der Migrationsexperte Gerald Knaus skizziert im Interview Maßnahmen, mit denen irreguläre Migration in Europa wirkungsvoll gebremst werden kann. Dabei warnt er vor allem die Union und CDU-Chef Friedrich Merz vor Vorschlägen, die "sinnlos" und "gefährlich" sind. Denn diese könnten laut Knaus am Ende die AfD und andere Rechtspopulisten in Europa weiter stärken.

t-online: Herr Knaus, dieser Bundestagswahlkampf wird von einer Migrationsdebatte bestimmt. Wie prekär ist die Lage aktuell im Land?

Gerald Knaus: Deutschland erlebt eine historische Herausforderung. In den Jahren der Ampelkoalition seit 2021 gab es die größte Fluchtbewegung seit 1949. Im Jahr 2023 sagten 40 Prozent der Kommunen, dass sie im Notfallmodus operieren, 2024 waren es immer noch 20 Prozent. Daraus ergibt sich auch die Herausforderung, die Zahl der Asylsuchenden und die irreguläre Migration zu reduzieren. Es ist nicht verwunderlich, dass es im Fokus der politischen Debatte steht. Es betrifft viele Menschen.

Gerald Knaus ist Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative.
Gerald Knaus ist Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative. (Quelle: imago-images-bilder)

Zur Person

Gerald Knaus ist ein österreichischer Migrationsforscher und Gründer der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI). Er gilt als Architekt des EU-Türkei-Abkommens von 2016 und berät Regierungen zu Asyl- und Migrationspolitik.

Woher kommen die Menschen nach Deutschland?

Darüber wird in der Debatte über Maßnahmen tatsächlich zu wenig gesprochen. Es ist ja keine diffuse Fluchtbewegung aus den Ländern des "globalen Südens" oder vom afrikanischen Kontinent oder aufgrund des Klimawandels.

Sondern?

Die Fluchtbewegungen sind vor allem das Resultat von zwei Kriegen. Etwa 1,2 Millionen flohen allein seit Februar 2022 aus der Ukraine nach Deutschland. Diese historische Flucht löste Wladimir Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine aus. Die meisten der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Ob weitere Hunderttausende oder gar Millionen mehr hinzukommen, hängt nur vom Kriegsverlauf ab. Deshalb ist für Deutschland die Unterstützung der Ukraine die wichtigste Fluchtursachenbekämpfung.

Woher kommen die Menschen noch?

In den letzten zehn Jahren stellten Syrer bei Weitem die meisten Asylanträge, danach Menschen aus Afghanistan. Bemerkenswert ist, dass auch in den letzten drei Jahren die meisten Asylsuchenden in Deutschland aus Syrien und aus Afghanistan stammten, und über die Türkei in die Europäische Union und nach Deutschland kamen.

Warum ist das bemerkenswert?

Weil sich durch das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei von 2016 bis 2020 die Zahl der Asylanträge von Syrern in Deutschland deutlich verringert hat. Die Anzahl hat sich dann nach dem Zusammenbruch des Abkommens im März 2020 mehr als verdoppelt. Das Gleiche passierte in Österreich, unter einem christdemokratischen Kanzler. Es lag also nicht an der Politik der Ampel.

Ganz allgemein: Was wären denn effektive Maßnahmen zur Regulierung von Migration?

Beim Blick auf die ukrainischen Flüchtlinge, die Schutz ohne Asylantrag erhalten, geht es auch um europäische Solidarität. Polen hat pro Kopf viel mehr Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen als Deutschland, aber Frankreich nur fünf Prozent der deutschen Anzahl. Was dazu noch helfen würde: schnellere Verfahren für aussichtslose Asylanträge und die Anerkennung von mehr sicheren Herkunftsstaaten. Das hat die Zahl der Asylanträge aus Georgien in nur einem Jahr um mehr als 4.000 verringert. Ich wundere mich oft, warum in dieser Debatte nur so selten darüber gesprochen wird, was in der Vergangenheit funktioniert hat.

Sie spielen auf das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei an?

Die Bundesregierung hat die wichtigste Maßnahme, die zu treffen wäre, nicht getroffen: eine neue Einigung mit der Türkei. Die Bundesregierung verweist darauf, dass die Zahl der Asylanträge von 2023 auf 2024 um 100.000 gefallen ist. Das stimmt. Aber auch 2024 wurden in Deutschland 250.000 Asylanträge gestellt, die viertmeisten in einem Jahr seit 1994. Der Rückgang wird also missverstanden.

Das müssen Sie erklären.

In Österreich ist die Zahl der Asylanträge im selben Zeitraum sogar um mehr als die Hälfte gefallen. Dabei hat die österreichische Regierung gar keine neuen Maßnahmen umgesetzt. Der Grund für den Rückgang in Deutschland und Österreich war, dass im Vergleich zum Vorjahr 2024 vor allem weniger Syrer, Afghanen und Türken einen Asylantrag gestellt haben. Damit das weiter zurückgeht, brauchen Berlin wie Wien das Gleiche: eine funktionierende Kooperation mit Ankara, wie vor 2020.


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Gerade jetzt braucht es Vorschläge, die nicht von vorneherein scheitern werden.


Gerald Knaus


Aber ist das realistisch? Immerhin möchte etwa die türkische Regierung selbst die Flüchtlinge aus dem Land haben.

Natürlich ist das realistisch. Aber nur, wenn es auch im Interesse der Türkei ist, wie von 2016 bis 2020. Die Frage ist, wie damals, was Deutschland und die EU anbieten wollen, und welche Priorität das für die nächste Bundesregierung hat. Der Sturz von Baschar al-Assad in Syrien stellt auch eine Chance dar, für Flüchtlinge wie für die Aufnahmeländer. Wie man diese nutzt, sollte jetzt im Zentrum der Debatte stehen. Und nicht Vorschläge, die nichts bringen werden, teilweise sinnlos und manchmal gefährlich sind.

Welche Vorschläge meinen Sie?

Etwa die Idee, alle Migration an der deutschen Binnengrenze zu stoppen, per Dekret. Gerade jetzt braucht es Vorschläge, die nicht von vorneherein scheitern werden.

Diese Vorschläge werden von der Union, der FDP und der AfD forciert. Warum sind sie zum Scheitern verurteilt?

Legale Binnengrenzkontrollen gibt es in Europa schon seit Jahren wieder. Nach vielen Jahren solcher Kontrollen verdoppelte sich aber die Zahl der Asylanträge in Frankreich und Österreich sogar. Österreich hat in den von der ÖVP geführten Regierungen besonders viel über die Schließung von Routen und Grenzen gesprochen. Österreich hatte trotzdem nicht nur pro Kopf mehr Asylanträge als Deutschland, sondern mehr als jedes andere Land in der EU – im Jahr 2022 fast 110.000 in nur einem Jahr. Das Problem lässt sich eben nicht an der Binnengrenze mitten im Schengenraum lösen. Österreichs ehemaliger Kanzler Sebastian Kurz war hoch motiviert und scheiterte. Weil das Konzept falsch war.

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CDU-Chef Friedrich Merz führt immer Dänemark als migrationspolitisches Vorbild ins Feld. Lässt sich die Bundesrepublik mit Dänemark vergleichen?

Wenn es um dänische Binnengrenzkontrollen geht: Die hat Deutschland heute auch schon. Geht es um Zurückweisungen aller, auch Asylsuchender, dann machen das heute weder Dänemark noch Österreich.

Warum nicht?

Weil es europarechtswidrig wäre und es unweigerlich zur Frage führen würde, ob Deutschland einseitig aus Schengen austreten und Zäune mitten in der EU bauen wolle. Denn dies will die FPÖ in Wien. Das will auch die AfD. Es wäre für die Wirtschaft extrem teuer und für den Zusammenhalt der EU in diesem kritischen Moment eine Katastrophe. Auch das nationale Aussetzen von EU-Recht, das dafür nötig wäre, wäre ein Geschenk an Rechtspopulisten. Diese würden genau das dann in vielen anderen politischen Bereichen fordern. Weil sie so die EU zerstören könnten, die letztlich nur durch das gemeinsame Recht zusammengehalten wird. Das Recht kann man ändern, sicher. Aber es national zu ignorieren, wäre fatal.

Sie werben also weiterhin für europäische Lösungen in der Migrationsfrage. Die Europäische Union hat sich 2023 auf ein gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) verständigt. Könnte das der große Durchbruch sein?

Mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen in Deutschland hätte GEAS leider fast keine Wirkung. Denn bei den Reformen des gemeinsamen europäischen Asylsystems geht es vor allem darum, Grenzverfahren für diejenigen zu beschleunigen, die ohnehin geringe Aussicht haben, Schutz zu bekommen. Das trifft aber für Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan nicht zu. GEAS beantwortet auch nicht die Frage, wie Griechenland oder Italien Ausreisepflichtige von dort in ihre Heimatländer zurückschicken können. Wer das nicht beantwortet, der hat kein Konzept. Sondern eine Scheinlösung.

Die Union ging zuletzt in die Offensive. Merz warb für einen Fünf-Punkte-Plan und versuchte, ein Zustrombegrenzungsgesetz durch den Bundestag zu bringen. War das eher Aktionismus?

Ich verstand die Motivation. Die Erwartung der Bevölkerung ist groß, gleichzeitig gewinnen in vielen Demokratien Rechtspopulisten und Rechtsextreme Wahlen. Da zu sagen, alles läuft ohnehin, oder auch "nichts geht", ist eben auch fatal. Doch gut gemeint ist nicht gut gemacht. Der Fünf-Punkte-Aktionsplan ist in zu vielen Teilen einfach nicht umsetzbar. Er würde zwar einen Bruch mit europäischem Recht und Spannungen mit europäischen Nachbarn in Kauf nehmen, aber trotzdem scheitern. Es braucht dringend, gerade jetzt, Maßnahmen, die auch wirken. Und das schnell und nachhaltig.

Zu den unwirksamen Maßnahmen zählen die geforderten Grenzkontrollen?

Unter anderem. Deutsche Gerichte würden auch nicht akzeptieren, Menschen dauerhaft in Haft zu nehmen, nur weil sie ausreisepflichtig sind. Wenn nur noch die Gerichte die ja zuvor von Parlamenten gemachten Gesetze verteidigen, kommt die Justiz unter Druck. Wie aktuell in den USA unter Donald Trump: Dort werden Richter von Populisten angegriffen, weil sie an gültiges Recht erinnern. Wenn das passiert, ist der Rechtsstaat in Gefahr.

Eben diesen Rechtsstaat möchten Trump, die AfD oder auch die FPÖ angreifen. Warum gewinnen diese Kräfte politisch immer mehr an Gewicht?

Die politische Mitte muss zeigen, dass beim Thema Migration Kontrolle hergestellt werden kann, ohne Humanität und die Rechtsstaatlichkeit zu opfern. Und ohne Scheindebatten über Vorschläge zu führen, die nicht umsetzbar sind. Ich sage der Union oft, dass sie dabei unbedingt von den österreichischen Erfahrungen lernen sollte.

Inwiefern?

Von der Falle, in die die ÖVP in Österreich geriet – die hier ähnlich dachte und sprach wie die CSU in Bayern. Die ÖVP war hart in der Sprache, ist aber eben auch eine Europa- und Rechtsstaatspartei. Sie konnte das Versprochene aber nicht ohne Bruch mit der EU oder dem Recht erreichen, und sie war dazu letztlich zum Glück nicht bereit. In Österreich hat ihr Scheitern dann aber 2024 zum Wahlsieg der FPÖ geführt. Wenn die Union nicht aufpasst, könnte sich das in Deutschland mit der AfD wiederholen.

Wie kann eine künftige Bundesregierung das verhindern?

Es muss darum gehen, dass viel weniger Migranten irregulär in die EU gelangen. Nur das nützt Griechenland, Österreich und Deutschland. Gut geht das nur mit sicheren Drittstaatsabkommen wie 2016.


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US-Präsident Donald Trump unterstützt in Europa gezielt Parteien wie die AfD, die die EU zerstören möchten.


Gerald Knaus


Die AfD ist aber nicht nur ein nationales Phänomen. Mittlerweile gibt es ein internationales Netzwerk an rechtspopulistischen Parteien und libertären Kräften, die den Rechtsstaat ablehnen.

US-Präsident Donald Trump und der Milliardär Elon Musk unterstützen in Europa heute gezielt Parteien wie die AfD, die die Europäische Union zerstören und Putin unterstützen möchten. Diese Kräfte instrumentalisieren dabei die Angst vor unkontrollierter Migration.

Was verbindet diese rechtspopulistischen Parteien in westlichen Demokratien und wie eng arbeiten sie zusammen?

Sehr eng, das wurde zu lange unterschätzt. Es sind keine Protestparteien mehr, sondern Parteien mit einem kohärenten und radikalen Programm. Sie verbindet die Angst vor unkontrollierter Migration mit offenem Rassismus gegenüber Minderheiten, die zum Teil schon seit Jahrzehnten in westlichen Demokratien leben – vor allem Muslime. Eine antimuslimische Rhetorik und Kritik an unkontrollierter Migration kommen mit einem Vorwurf zusammen: Die Eliten – Angela Merkel, die ÖVP, Ursula von der Leyen – hätten das "Volk" verraten, um die Bevölkerung auszutauschen. Diese Verschwörungstheorien werden dann über alle sozialen Medien verbreitet.

Wer genau bedient diese Narrative?

Darüber redet Viktor Orbán seit Langem. Björn Höcke spricht seit Jahren vom angeblich drohenden "Volkstod", von einem Verrat, der nur gestoppt werden könne, indem man das politische System vollkommen verändert. Und vom drohenden Bürgerkrieg. Donald Trump bezeichnet seine Gegner als Verräter, die entfernt werden müssen. Die Haltung dahinter: Wenn eine Mehrheit uns wählt, dann darf uns nichts mehr aufhalten – kein internationales Recht, keine Gerichte, keine Gewaltentrennung. Minderheitenrechte gibt es dann keine. Wir erleben einen solchen Angriff auf die Wurzeln der Gewaltenteilung. Durch Parteien wie die AfD von innen, und durch Putin und nun Trump auch von außen, sind liberale Demokratien unter Druck wie seit 1948 nicht mehr.

Was kann eine künftige Bundesregierung tun, um diese Kräfte zu schwächen?

Die politische Mitte muss zusammenrücken, aber muss auch Probleme endlich lösen und auf fundamentale Fragen Antworten finden, wie im Bereich der Migration. Die nächste Bundesregierung muss Maßnahmen beschließen, die das Land sicherer machen – ohne dabei das Europarecht außer Kraft zu setzen und die antidemokratische Rechte zu beflügeln. Denn das würde einen Dominoeffekt auslösen, den Akteure, die Europa zerstören möchten, ausnutzen würden. Die Regierenden brauchen einen kühlen Kopf, Entschlossenheit und ein Bewusstsein dafür, wie groß die Gefahren sind. Denn der Angriff auf internationale Institutionen, auf Handelsbeziehungen und Abkommen, ist nicht nur für die EU eine existenzielle Bedrohung, sondern auch für Deutschland als erfolgreiche Exportmacht.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Knaus.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gerald Knaus
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