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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Blitzanalyse zur Wahl Es ist tragisch
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Die Union hat die Bundestagswahl gewonnen, triumphieren kann aber vor allem die AfD. Wie es weitergeht, hängt jetzt ab vom möglichen Wiedereinzug von FDP und BSW. Eine erste Analyse zum Ergebnis der sieben wichtigsten Parteien.
Deutschland hat gewählt – und die ersten Prognosen deuten auf einen langen Wahlabend hin: Schafft es die FDP ins Parlament, sitzen insgesamt sechs Parteien im Bundestag, gelingt womöglich gar dem BSW der Einzug, wären es sieben. Je nachdem wäre dann das Bilden von Zweierkoalitionen rechnerisch nicht mehr möglich. Was bedeuten die ersten Zahlen für die jeweiligen Parteien? Eine Blitzanalyse aus dem t-online-Hauptstadtbüro.
Union: Der Wahlsieg und ein Gewinner aus Bayern
Es ist zunächst ein verhaltener Applaus, der am Sonntagabend im Konrad-Adenauer-Haus ertönt, als um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen auf der Leinwand zu sehen sind. Geweitete Augen, zusammengepresste Lippen, ein paar Mitglieder der Jungen Union versuchen, mit vereinzelten Jubelrufen die Stimmung zu kippen. Vergeblich. Denn die Union geht zwar als Wahlsieger aus dieser Bundestagswahl. Allerdings hatten sich der Kanzlerkandidat Friedrich Merz und seine Partei doch deutlich mehr erhofft.
Mindestens über 30 Prozent, so hieß es bis zuletzt. Manch einer träumte mit Blick auf das ein oder andere Umfrage-Institut sogar schon von 33 oder 34 Prozent. Denn das Ziel von Merz war eigentlich, dass es nach der Wahl für zwei Zweierbündnisse reichen sollte. Also entweder eine Mehrheit für eine schwarz-rote oder eine schwarz-grüne Koalition. Der CDU-Chef hat das bis zuletzt immer wieder betont. Jetzt ist selbst das nicht mehr sicher.
Der eigentliche Gewinner des Abends heißt am Ende Markus Söder. Denn Fakt ist: Der CSU-Chef rettet die große Schwester mit einem starken Ergebnis aus Bayern. Merz sagt an diesem Sonntagabend selbst, er wisse, eine Regierungsbildung "wird nicht einfach". Dabei dürfte er im Hinterkopf haben, dass er nicht nur vor der Herausforderung steht, eine stabile Mehrheit zu bilden, sondern auch Markus Söder zu befrieden. Sara Sievert
AfD: Eine Macht, mit der man rechnen muss
Grund zu jubeln haben sie am Sonntagabend bei der AfD. Auch wenn sich viele noch mehr erwartet hatten: Die Partei hat ihr Ergebnis von 2021 (10,4 Prozent) nach ersten Hochrechnungen fast verdoppelt. Damit ist die AfD jetzt zweitstärkste politische Kraft in Deutschland, mit doppelt so vielen Abgeordneten dürfte sie in den Bundestag einziehen.
Viel hat der in Teilen rechtsextremen Partei im Wahlkampf in die Karten gespielt: Amokfahrten und Messerattacken von Asylbewerbern haben dafür gesorgt, dass der Wahlkampf sich viel um Migration drehte. Ein Heimspiel für die AfD. CDU-Chef Friedrich Merz machte der Partei in dieser Atmosphäre ein zusätzliches Geschenk – mit einem Entschließungsantrag zur Migration, der im Bundestag erstmals nur dank der AfD angenommen wurde. Und aus den USA hat Trump-Berater Elon Musk der Partei bis zuletzt mächtige Wahlkampfhilfe und enorme Reichweite über sein soziales Medium X gespendet.
Vom Seitenrand aufs Spielfeld: Die AfD ist nach dieser Wahl eine Macht, mit der man rechnen muss – und an der es immer schwerer wird, vorbeizuregieren. Annika Leister
SPD: Historische Wahlniederlage
Die SPD landete deutlich unter ihrem Ergebnis von 2021 (25,7 Prozent). Für die deutsche Sozialdemokratie ist es sogar die größte Niederlage bei einer Bundestagswahl seit 1887. Eine historische Wahlschlappe, die die Kanzlerschaft von Olaf Scholz mit einem Knall beendet und die SPD noch lange beschäftigen dürfte.
Drei Jahre Ampel, Dauerzoff, ein unbeliebter Kanzler, der erst im Schlussakkord des Wahlkampfs aus sich herauskam: Für die meisten Wähler war das kein überzeugendes Angebot, auch für viele SPD-Wähler nicht, von denen einige dieses Mal offenbar ihr Kreuz bei der politischen Konkurrenz machten. Besonders bitter für die Genossen: Sie landen hinter der AfD. Im sozialdemokratischen Selbstverständnis ist die SPD ein Bollwerk gegen rechts, nun muss sie mit ansehen, wie die AfD ausgerechnet unter einer SPD-geführten Regierung ihre Wählerschaft verdoppelte.
Ob das Wahlergebnis zu personellen Konsequenzen in der Partei- und Fraktionsspitze führt, könnte sich noch am Sonntagabend entscheiden. Darüber hinaus ist die wichtigste Frage für die SPD nach diesem Abend die nach einer Regierungsbeteiligung. Die Genossen wollen wieder regieren, aber nicht zu jedem Preis. In der Partei heißt es, eine Koalition unter einem Kanzler Merz sei nur mit einem Koalitionsvertrag mit klarer sozialdemokratischer Handschrift intern vermittelbar. Ob sich Merz darauf einlässt, werden die nächsten Wochen zeigen. Für die SPD brechen schwierige Zeiten an. Daniel Mützel
Grüne: Es ist eine Niederlage
Auf 20 Prozent und mehr hatten manche Grüne gehofft, als es im Herbst losging mit dem Wahlkampf. Jetzt werden es für Robert Habeck und seine Grünen weniger als 2021, als Annalena Baerbock nach einem verkorksten Wahlkampf bei 14,8 Prozent landete. Es ist kein Desaster, aber eine Niederlage: für die Grünen und für Robert Habeck. Selbst wenn sie sich am Ende noch irgendwie in eine Regierung retten können. Denn die Grünen haben ihr Potenzial wohl nicht ausgeschöpft.
Das lag an unnötigen eigenen Fehlern: die Wolkigkeit in der Debatte über Sozialabgaben, das schlechte Krisenmanagement im Fall des Berliner Abgeordneten Stefan Gelbhaar, das Hin und Her um Habecks 10-Punkte-Plan zur Migration. Das tiefere Problem aber war, dass Habecks Strategie, seine Ampel-Vergangenheit hinter sich zu lassen, nicht funktioniert hat. Das verloren gegangene Vertrauen war so schnell nicht wiederherzustellen. Und damit war das große Bündnis aus Merkel-Mitte und ökologischer Linken für die Grünen nicht erreichbar, zumindest dieses Mal nicht.
Hinzu kam, dass der Wahlkampf immer wieder strategisch unentschlossen wirkte: Einerseits Härte zeigen wollen – andererseits bei innerparteilicher Kritik hektisch beschwichtigen (beim 10-Punkte-Plan). Einerseits Friedrich Merz das Vertrauen entziehen – andererseits weiter mit ihm regieren wollen (nach der Abstimmung der Union mit der AfD). Das hat wohl auch dazu geführt, dass nicht die Grünen von Merz’ Tabubruch profitiert haben – sondern die Linkspartei. Es ist tragisch: Einiges spricht dafür, dass Habeck nicht nur in der Mitte nichts gewonnen, sondern auch links verloren hat. Johannes Bebermeier
Linke: Totgesagte leben länger
Bei den Linken knallen an diesem Wahlabend die Korken. Deutlich über fünf Prozent, die Partei wird sicher in Fraktionsstärke in den kommenden Bundestag einziehen. Damit hatte noch im vergangenen Jahr niemand gerechnet, die Linken standen nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht bei drei Prozent. Nicht wenige Beobachter hielten sie für politisch tot und die Versuche, mithilfe von Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch drei Direktmandate und somit den Einzug ins Parlament zu sichern, wirkten wie ein Verzweiflungsakt in einem eigentlich aussichtslosen Überlebenskampf. Doch am Ende kam alles anders. Nun zählt die Linkspartei zu den Gewinnern dieser Bundestagswahl.
Ihren Wahlerfolg hat die Linke in erster Linie jüngeren Wählerinnen und Wählern zu verdanken, die enttäuscht von der Ampelpolitik und insbesondere von SPD und Grünen waren. Unbeabsichtigte Unterstützung bekam die Partei außerdem von der Union. Denn die Versuche von CDU-Chef Friedrich Merz, mithilfe der AfD Verschärfungen in der Zuwanderungspolitik durch den Bundestag zu bringen, haben nicht nur für Proteste in ganz Deutschland gesorgt, sondern auch für die Linkspartei mobilisiert. Denn SPD und Grüne machten kein Geheimnis daraus, dass sie mit Merz und der Union koalieren möchten, was viele jüngere Wählerinnen und Wähler verärgerte. Nun war der Fokus im Wahlkampf: "Nie wieder" und gegen eine Regierungsbeteiligung der AfD. Die Linke kanalisierte diese Narrative in einer erfolgreichen Social-Media-Strategie um die Spitzenkandidaten Heidi Reichinnek und Jan van Aken, die sehr viele junge Menschen erreichte.
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Am Ende brauchte es die Direktmandatskampagne von Gysi, Ramelow und Bartsch also nicht. Das ist mit Blick auf die Zukunft für die Linkspartei eine gute Nachricht, weil auch die alten und bekannteren Linken-Politiker abtreten werden und die Partei lange damit zu kämpfen hatte, dass es außer Gysi und Wagenknecht kaum bekanntere Gesichter in ihren Reihen gab. Das hat sich mit diesem Wahlkampf geändert. Patrick Diekmann
FDP: Mieses Ergebnis – Liberale müssen bangen
Noch kein endgültiges Aufatmen bei den Liberalen: Am frühen Wahlabend sah es nach den ersten Hochrechnungen beim ZDF zunächst zwar so aus, als könnte es mit dem Wiedereinzug in den Bundestag mit Ach und Krach noch klappen. Die ARD jedoch sieht die Liberalen von Beginn an draußen. Je nachdem wäre das Horrorszenario Außerparlamentarische Opposition (Apo) abgewendet – und die FDP könnte sogar für die Regierungsbildung gebraucht werden. Landen die Liberalen wiederum unterhalb von fünf Prozent, flögen sie aus dem Bundestag heraus. Dann droht die politische Bedeutungslosigkeit. Im Hans-Dietrich-Genscher-Haus wird also noch gezittert.
Gelingt der Wiedereinzug, käme das einem gelben Wunder gleich: Denn lange schien es so, als könnte die FDP vom Ampelbruch, an dem sie selbst beteiligt war – Stichwort D-Day-Papier –, null profitieren. Wie einbetoniert verharrten die Liberalen in den Umfragen über Monate bei 4 Prozent, knapp unterhalb der Hürde von fünf Prozent, die es braucht, um ins Parlament einzuziehen. Weder der "Wirtschaftswende"-Wahlkampf zog ob der Anschläge von Magdeburg und Aschaffenburg, noch das Werben für ein (völlig illusorisches) schwarz-gelbes Zweierbündnis mit der Union. War es am Ende das Projekt "Schwarz-Grün verhindern", das neben Christian Lindner auch Partei-Grandseigneur Wolfgang Kubicki nach vorn stellte, um das bürgerliche Lager zu mobilisieren? Haben doch Millionen Menschen taktisch gewählt?
Am Ende könnte ein knapper Wiedereinzug auch Christian Lindner als Parteichef retten. Viel wurde zuletzt spekuliert über einen selbstbestimmten Rückzug, sollte es wieder in die Apo gehen. Dann ist alles offen. Gelingt es ihm nun, die FDP entgegen aller Erwartungen sogar wieder in die Regierung zu führen, würde sich diese Frage nicht stellen. Florian Schmidt
BSW: War's das schon?
"Einfach kann jeder", sagt der Generalsekretär des BSW, als er im Kosmos-Theater in Berlin auf die Bühne tritt. Und das unter großem Jubel. Das BSW wird zittern müssen. In den vergangenen Wochen gingen die Umfragen von anfangs bis zu 8 Prozent immer weiter runter. Wagenknecht beschwor die geringe Aussagekraft von Umfragen und blieb optimistisch. Jetzt zeigt sich: Die Umfragen lagen richtig. Es ist ein denkbar knappes Ergebnis für die junge Partei.
Auch wenn die Parteispitze in ersten Reden weiterhin optimistisch ist, dass sie es in den Bundestag schafft – Enttäuschung hört man an den Tischen der Wahlparty trotzdem. Das BSW ist nach zweistelligen Ergebnissen bei den Ostwahlen an Landesregierungen beteiligt und sitzt im Europaparlament – doch auf Bundesebene könnte sie nach dem heutigen Tag keine Rolle mehr spielen. Wie es jetzt mit der Partei weitergeht, ist vollkommen offen. Vor der Wahl hatte Wagenknecht ihr politisches Schicksal an den Ausgang der Bundestagswahl geknüpft, ohne zu präzisieren, was das genau bedeutet.
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Wagenknecht trägt die Verantwortung dafür, dass das BSW den Wahlkampffokus in den vergangenen Wochen auf das Thema Migration gelenkt hat. Der Krieg in der Ukraine, der für das BSW in den anderen Wahlen das Kernthema war, spielte im Bund einfach keine große Rolle. Ein Drittel der BSW-Anhänger hatte aber ein großes Problem mit der harten Migrationslinie ihrer Partei. Das hatte möglicherweise einen entscheidenden Einfluss auf das knappe Ergebnis. Vielleicht hat das BSW es trotzdem geschafft. Carsten Janz
- Eigene Recherche