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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Sogar das ist für Trump käuflich
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Donald Trump kann es gar nicht erwarten. Im kommenden Jahr werden die Vereinigten Staaten von Amerika 250 Jahre alt. Für den US-Präsidenten sind die zu erwartenden Feierlichkeiten im Jahr 2026 ein großes Ziel seiner Präsidentschaft. Strahlen soll Washington im nächsten Jahr – und mit der Hauptstadt auch die ganze Nation. Im patriotischen Glanz eines von ihm propagierten "goldenen Zeitalters" sonnen möchte sich vor allem Trump selbst. Doch wie wird dieses Land dann aussehen?
Seit ihrer Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1776 haben sich die Vereinigten Staaten stets als Bollwerk der Freiheit, Gleichheit, Demokratie und vieler moralischer Werte gerühmt. Die USA, so hat es Trumps Vorgänger Joe Biden noch in seiner Abschiedsrede beschrieben, seien mehr als nur eine Nation, nämlich in Wahrheit die mächtigste Idee der Welt. Und die lautet: gleiche Rechte für alle.
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Doch trifft diese von Biden beschworene Selbstbeschreibung überhaupt noch zu? Hat sie jemals gestimmt? Das wird hier in diesen ersten Wochen von Donald Trumps Präsidentschaft immer zweifelhafter. Das gleiche Recht für alle war in den USA immer auch käuflich für wenige. Früher waren das die Ölbarone, später die Großindustriellen, heute unter anderem die Tech-Giganten. Die jüngsten Entwicklungen zeigen aber, dass dieses Land sich unter Trump von seinen demokratischen Idealen so weit entfernt wie nie zuvor. Stattdessen wirkt ein wirtschaftlicher Opportunismus so entfesselt, dass er alles zu verschlingen droht.
Schon immer waren die USA auch Heimstätte eines vergleichsweise radikal gelebten Kapitalismus. Der bietet viele Chancen, aber kennt auch keine Gnade für jene, die viel zu oft unverschuldet nicht mithalten können.
Mit der Wiederwahl des Multimilliardärs Donald Trump zeigt die Mehrheit der Amerikaner: Sie sehen ihre Nation offenkundig primär als geniale Geschäftsidee, der zufolge vor allem individueller Reichtum von Wert ist. Trump und Elon Musk, der reichste Mann der Welt an seiner Seite, sind die Vollstrecker eines amerikanischen Geistes, der lautstark ruft: "Wir wollen unser Geld zurück!"
Die einst mächtigste Idee Amerikas wandelt sich. Von Gleichheit für jeden hin zu Reichtum für die wenigen. Und Donald Trump ist die personifizierte Vollendung dieser Wandlung. Abzulesen ist das innenpolitisch, gesellschaftspolitisch und außenpolitisch – mit all den einhergehenden Konsequenzen, die aktuell zu beobachten sind:
- Die USA-Russland-Verhandlungen: Bei den Gesprächen in Saudi-Arabien ohne die Ukraine ist bereits erkennbar, dass die US-Regierung in Russland vorrangig die Möglichkeit sieht, nach Jahren einschneidender Sanktionen endlich wieder Geschäfte zu machen. Die Russen nutzen das aus und legten Trumps Außenminister Marco Rubio in Riad ein Papier vor, das die "Verluste amerikanischer Unternehmen nach Branchen" auflistet. Diese würden sich demnach auf 324 Milliarden Dollar belaufen – eine Zahl, die Trump beeindrucken dürfte. Sein "goldenes Zeitalter" für Amerika fußt hier auf: Waffenverkäufen in die Ukraine, Rohstoffen aus der Ukraine – und hohen Reinvestitionen in Russland.
- Die Gaza-Investment-Pläne: Schon vor Wochen wurde deutlich, dass Trump im nahezu zerstörten Gazastreifen vor allem ein Geschäftsfeld sieht. Störend ist auch hier der andauernde Krieg und die rund zwei Millionen verbliebenen Palästinenser, die er am liebsten vertreiben will. Trump nennt das "Umsiedlung". Der seit Jahrzehnten umkämpfte schmale Küstenstreifen schwebt ihm hingegen als bereinigte "Riviera des Nahen Ostens" vor, auch das ein Return of Investment für Amerika: "Wir werden es nicht kaufen müssen, wir werden es besitzen", sagte Trump.
- Grönland, Kanada und Panama: Schon oft hat Trump den Wunsch geäußert, Grönland zu erwerben – weil das strategische und wirtschaftliche Vorteile für die USA bringen würde. Inzwischen forderte er mehrfach, das benachbarte Kanada als 51. Bundesstaat einzugliedern. Und auch den Panamakanal will Trump als Handelsader wieder unter amerikanische Kontrolle stellen. Trump sind diese Angriffe auf die Souveränität der jeweiligen Länder egal – sie sollen schlicht seiner Idee der wirtschaftlichen Gewinnmaximierung dienen.
- Handelskriege und Strafzölle: Zu all diesen Initiativen kommt Trumps aggressive Handelspolitik. Auch hier lässt sich der radikale Wandel hin zu einer rein transaktionalen und unilateralen US-Außenpolitik beobachten. Im Vordergrund stehen nur die unmittelbaren wirtschaftlichen Gewinne. Bündnisse und multilaterale Abkommen mit langfristigen Vorteilen für die nationalen Interessen der USA stören aus seiner Sicht nur.
- Geschäftsinteressen statt Gemeinwohl: Innenpolitisch gehört Elon Musks "Department of Government Efficiency" (Doge) als neu geschaffene Abteilung für Regierungseffizienz zu Trumps großem Plan, Geld zurückzuholen. Dazu werden nicht nur Tausende Bundesangestellte entlassen, sondern auch ganze Behörden, wie die Entwicklungshilfe USAID, schlicht eingestampft oder zurechtgestutzt. Obwohl konkrete Beweise für weit verbreiteten Betrug fehlen, behaupten Trump und Musk täglich, den Amerikanern sei seit Jahrzehnten viel Steuergeld durch angebliche Korruption gestohlen worden. Tausende Menschen, die in Wahrheit für das Gemeinwohl, für demokratische Werte und soziale Anliegen arbeiteten, werden nun als "Diebe" und "Verräter" diskreditiert.
- Interessen der wenigen: Gerade bei Musks sogenannter Effizienz-Behörde wird offensichtlich, wem die neuen Strukturen helfen. Der Tesla-Milliardär hat Zugriff auf ungezählte Datensätze bekommen, unter anderem der Steuerbehörde IRS, die ihm nicht nur die Geschäftsgeheimnisse von Konkurrenten verraten könnten. Er kann ihm unliebsame Abteilungen von Bundesbehörden, die gegen ihn und seine Unternehmen bislang ermittelten, einfach entmachten. Persönliche Profitmaximierung zum Schaden der Allgemeinheit.
- Gängelung der Andersdenkenden: Selbst vor den Medien und der Kulturindustrie machen Trump, Musk und ihre vielen Mitstreiter keinen Halt. Jeder, der die großen Schattenseiten ihrer Geldmaximierungspläne kritisiert, wird gewissermaßen zum Feind eines propagierten amerikanischen Volkswillens abgestempelt. Mal wird die internationale Nachrichtenagentur AP von der Berichterstattung im Weißen Haus ausgeschlossen, weil sie den Golf von Mexiko nicht als "Golf von Amerika" bezeichnet. Mal nominiert Trump eigene Hollywood-Beauftragte, die gegen eine "woke" Filmindustrie vorgehen sollen. Selbst Fernsehsender sind nicht mehr sicher vor Einflussnahme auf Sendelizenzen.
- Verächtlichmachung der Justiz: Schließlich werden Richter und Staatsanwälte, die rechtliche Einwände gegen die vielen radikalen Maßnahmen geltend machen, öffentlich diffamiert und als Verräter beschimpft. Elon Musk forderte bereits mehrfach die Absetzung von Richtern, die sich unrechtmäßig einmischen würden. Das Motto: Wer sich uns in den Weg stellt, wird vernichtet. Gespeist wird dieser Vernichtungsdrang mit einer kaum noch zu bändigenden Medienmacht aus Algorithmen und Künstlicher Intelligenz.
Und all das sind nur einige Beispiele der vielen radikalen Prozesse, die hier im Land täglich in atemberaubender Geschwindigkeit voranschreiten. Hinzu kommt, dass Grundrechte verletzt werden, ebenso wie der Verbraucher-, Umwelt- oder Datenschutz, dass gegen Oppositionelle gehetzt wird, Journalisten eingeschüchtert und Wissenschaftler, Experten und Mediziner angegriffen werden. Zugleich werden Geldwäschegesetze und Anti-Korruptionsmaßnahmen im großen Stil abgeschafft.
Gerade in der amerikanischen Zivilgesellschaft herrscht eine Atmosphäre der Angst. Viele Betroffene fürchten sich davor, sich überhaupt öffentlich zu äußern – aus Sorge um ihren Job und ihre Existenz. In einem Land mit wenigen sozialen Sicherungssystemen lässt sich damit besonders gut drohen. Der Vertrauensverlust in Amerika findet nicht nur in Europa statt, sondern auch im Land selbst.
Die Gier der wenigen nach dem Geld der vielen hat die Macht ergriffen. Getarnt wird die entfesselte Gewalt der Reichen mit einem vorgeblichen Kampf des einfachen Volkes mit "gesundem Menschenverstand" gegen angeblich korrupte, global agierende, abgehobene Eliten, finstere Bürokraten und fremde Mächte, die Amerika schaden und ausnutzen würden. In Wahrheit wird in Washington gerade das, was Anstand hatte, abgeschafft.
Die USA unter Trump und Musk entfernen sich immer mehr von einer Demokratie, die auf dem Willen des Volkes basieren soll. Hin zu einem rein wirtschaftlich orientierten Projekt, zu dessen Gunsten das Volk insbesondere mit modernen Medientechniken manipuliert wird. In dieser Unternehmung werden politische Entscheidungen von Profitmaximierung und nicht vom Gemeinwohl oder gar von bislang unantastbaren moralischen Grundprinzipien geleitet. Diese Entwicklung wird Konsequenzen haben – zu spüren sind sie bereits jetzt, global und national.
Den Gründervätern Amerikas fehlte vor 250 Jahren womöglich die Vorstellungskraft für das, was gerade in diesem Land vor sich geht. In ihrer berühmten und lange Zeit vorbildlichen Verfassung waren Männer wie Donald Trump und Elon Musk nicht vorgesehen. Dabei funktionierte die älteste moderne Demokratie der Welt deswegen so lange so gut, weil nicht nur die Gesetze, sondern auch die ungeschriebenen Normen am Ende eingehalten wurden. Das war stets Teil des amerikanischen Patriotismus. Der US-Präsident und sein Handlanger Musk ignorieren beides. Unterstützt von den ihnen untertänigen Senatoren und Abgeordneten einer ehemals republikanisch gesinnten Partei.
Die Gegenkräfte in den USA müssen sich regen. Andernfalls könnte ausgerechnet das große Demokratie-Jubiläum im kommenden Jahr zu einer Krönungsmesse verkommen – für einen Sonnenkönig und sein goldenes Zeitalter. Trump spricht es schon jetzt ganz offen aus. Am Mittwoch schrieb er unverhohlen über sich auf seiner eigenen Plattform "Truth": "LONG LIVE THE KING!" Auch das Weiße Haus verbreitete diese Zeile zur Krönung buchstäblich, platziert auf einer gefälschten Titelseite des "Time"-Magazins. Wie gesagt, Trump und die Seinen können es kaum erwarten.
Was steht an?
ARD und ZDF zeigen im Bundestagswahlkampf um 22 Uhr die "Schlussrunde". Mit dabei sind CDU-Generalsekretär Linnemann, SPD-Generalsekretär Miersch, Außenministerin Baerbock (Grüne) und die Spitzenkandidaten Alice Weidel (AfD), Christian Lindner (FDP), Sahra Wagenknecht (BSW), Jan van Aken (Linke) sowie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
In Washington beginnt die Conservative Political Action Conference (CPAC). Ein regelmäßiges Treffen der Rechtskonservativen, bei dem sich zahlreiche Anhänger von US-Präsident Donald Trump, Verschwörungstheoretiker und religiöse Rechte versammeln. Am Donnerstag wird dort unter anderem der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance sprechen.
Im Rahmen der Waffenruhevereinbarungen sollen die Hamas-Terroristen heute mehrere tote Geiseln an Israel übergeben. Zuletzt war es von beiden Seiten immer wieder zu Androhungen gekommen, die getroffene Übereinkunft aufzukündigen.
Das historische Bild
Die Mona Lisa obliegt strengster Bewachung. Kein Wunder, denn 1911 war sie bereits einmal aus dem Louvre entschwunden. Mehr lesen Sie hier.
Ohrenschmaus
Ein sehr melancholischer Song ist derzeit auf Platz eins der amerikanischen Charts. "Die with a Smile" wird gesungen von Lady Gaga und Bruno Mars. Und ihre Zeilen beschwören die Liebe zu einer Person, die man um jeden Preis um sich haben möchte, auch wenn die Welt vor dem Ende stehen würde. Auf Amerikanisch würde ich jetzt dazu sagen: Telling! Vielsagend!
Lesetipps
Die USA haben Europa den bedingungslosen militärischen Beistandspakt der Nato aufgekündigt. Eine epochale Zäsur, deren Folgen alle bisherigen Dimensionen sprengen –und die aktuellen Wahlkampfversprechen noch hohler macht, als sie eh schon waren, schreibt Christoph Schwennicke in seiner wöchentlichen Kolumne "Einspruch".
Olaf Scholz wirkt im letzten TV-Duell, als habe er sein politisches Schicksal bereits akzeptiert. So ist Friedrich Merz der Sieg nicht mehr zu nehmen, kommentiert mein Kollege Florian Schmidt.
Viele Deutsche im Ausland bleiben von der Bundestagswahl ausgeschlossen, weil ihre Wahlunterlagen nicht rechtzeitig ankommen. Experten fordern eine Reform des Wahlrechts – denn das beruht zum Teil noch auf einer Regelung aus dem Kaiserreich, wie meine Kollegen Christoph Cöln und Mauritius Kloft erfuhren.
Robert Habeck wollte für die Grünen Kanzler werden. Doch sein kühner Plan für den Wahlkampf ging nicht auf. Jetzt könnte für ihn bald alles vorbei sein, schreibt unser Reporter Johannes Bebermeier, der Habecks politischen Weg seit Jahren begleitet.
Donald Trump ist zurück und die Lage ist überaus brenzlig. Michael Sandel, Star-Philosoph aus Harvard, warnt seit langer Zeit vor dieser Entwicklung. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke erklärt Sandel, was er nun empfiehlt, um die liberale Demokratie zu retten.
Zum Schluss
Haben Sie einen schönen Start in den Tag! Morgen schreibt an dieser Stelle wieder t-online-Chefredakteur Florian Harms für Sie den Tagesanbruch.
Ihr
Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns
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Mit Material von dpa.
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