Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Der nächste Schock
![Versucht Putin, Donald Trump über den Tisch zu ziehen? Versucht Putin, Donald Trump über den Tisch zu ziehen?](https://images.t-online.de/2025/02/GKpCkaHqWley/0x107:2048x1152/fit-in/1920x0/versucht-putin-donald-trump-ueber-den-tisch-zu-ziehen.jpg)
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Sie werden es gehört haben: Mister President Trump, der größte Dealmaker aller Zeiten, hat mit dem Kriegsverbrecher Wladimir Putin lange telefoniert, sich prächtig mit ihm verstanden und die Sache mit der Ukraine irgendwie schon gelöst. Mit den Betroffenen abgesprochen hat er sich dabei nicht, wozu auch? Regierungschefs, Ministern und Diplomaten von Berlin bis Paris, von London bis Kiew steht das Entsetzen darüber ins Gesicht geschrieben, wie umfassend Trump die Neuregelung der Verhältnisse in Europa ganz ohne Europa in Angriff nimmt. Von der Maxime "keine Gespräche über die Ukraine ohne die Ukraine" ist auch nichts mehr übrig. Trump hat mit Putin geplaudert, alle anderen mögen zum Mitschreiben bitte die Notizblöcke zücken. Daran ändert auch die nachgeschobene Bemerkung nichts, dass Kiew an Friedensverhandlungen "beteiligt" werde.
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Beim Schock, den Trumps Alleingang in den europäischen Hauptstädten ausgelöst hat, geht es nicht um empfindliche Egos oder bloße Verfahrensfragen. Der US-Präsident und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth haben uns Europäern klargemacht, dass Washington das Ende des Krieges in der Ukraine zwar ohne vorherige Absprache verhandelt, sich darüber hinaus aber nur minimal engagiert. Für die anfallenden Kosten sollen wir zuständig sein, ebenso für die Entsendung von Friedenssoldaten in die Ukraine, falls nötig.
Schon heute werden die Weichen gestellt: US-Vizepräsident J. D. Vance werde auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine "brutal harte Ansage" an die Europäer machen, glaubt Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Er habe entsprechende Hinweise bekommen: "Es wird eine konfrontative Rede."
Die Diskussion, ob das überfallene Land irgendwann der Nato beitreten darf, hat Verteidigungsminister Hegseth schon mit einem klaren Nein abgeräumt. Auch der Anspruch der Ukraine auf das Territorium, das Putin sich 2014 einverleibt hat, ist nach amerikanischer Auffassung vom Tisch. Und die Verhandlungen mit Putin haben noch nicht einmal begonnen. Emissäre Russlands, der Ukraine und der USA sollen sich heute erstmals in München beschnuppern.
Inhaltlich ist daran gar nicht so viel zu mäkeln. Der Nato-Beitritt der Ukraine wurde in Kiew und der Allianz zwar wie ein Mantra beschworen, aber stets auf unbestimmte Zeit vertagt. Die dafür erforderliche Einstimmigkeit in der Nato schien niemals auch nur in Reichweite, nachdem Ungarn und die Türkei sich schon beim Beitritt Schwedens und Finnlands nach Kräften quergelegt hatten. Die seit 2014 von Russland besetzten Gebiete wiederum waren tatsächlich längst unwiederbringlich verloren. Selbst wenn es militärisch möglich gewesen wäre, Putins Schergen aus dem Donbass und der besetzten Krim zu vertreiben, hätte eine solche Blamage Putins Herrschaft in eine existenzielle Krise gestürzt – und deshalb die Gefahr einer nuklearen Eskalation heraufbeschworen. Sinnvoll waren die Ziele, die Trump und Hegseth vom Tisch gewischt haben, daher nicht, und insofern kein Verlust.
Doch Trump und seine Leute senden mit ihren großzügigen Vorab-Zugeständnissen noch eine andere Botschaft: Sie wollen das Thema Ukraine-Krieg möglichst schnell vom Tisch bekommen, ohne dass ihnen die Modalitäten dabei besonders wichtig sind. Egal, wie verkorkst der Prozess abläuft, ausbaden dürfen ihn andere. Für uns Europäer bedeutet das: Wir sind ab jetzt allein. Nicht nur der Wiederaufbau der Ukraine, sondern auch die Investitionen in die eigene Verteidigung, die nicht länger am Tropf amerikanischer Waffenhilfe hängt, werden die Länder diesseits des Atlantiks bis zum Anschlag belasten.
Die Zeit drängt. Bisher waren Putins Soldaten in der Ukraine gebunden und konnten der Nato an ihrer langen Grenze im Osten nicht gefährlich werden. Sobald die Kämpfe enden, wird sich die Bedrohungslage ändern. Putins Rüstungsmaschinerie arbeitet auf Hochtouren; er gibt mehr Geld für Panzer, Flugzeuge, Raketen und Drohnen aus als der Rest Europas zusammengenommen.
Das Nachdenken darüber, was folgt, wenn die Waffen schweigen, hat noch nicht einmal richtig begonnen. Um die Stabilität der geschundenen Ukraine muss man sich Sorgen machen. Die Kriegsschäden sind enorm, und nicht alle sind mit dem Auge zu erkennen. So mancher Heimkehrer von der Front wird feststellen, dass er kein Heim mehr hat, zu dem er zurückkehren kann. Posttraumatische Belastungsstörungen werden das zivile Leben in einem Ausmaß prägen, wie wir es in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gesehen haben. Dazu gehört auch ein Anstieg der Gewalt. Es ist damit zu rechnen, dass die organisierte Kriminalität für die Entwurzelten ihre Tore öffnen und sich regen Zustroms erfreuen wird.
Noch größer ist die Gefahr von rechtsextremer Seite. Einheiten wie die Dritte Sturmbrigade, die aus der extremistischen Asow-Bewegung hervorgegangen ist, haben sich als Verteidiger des Vaterlandes profiliert. Veteranen dieser Einheiten sind kampferprobt, organisiert, verfügen über Kontakte in den Sicherheitsapparat und haben Zugang zu Waffen. Sollte Präsident Selenskyj sich auf einen Deal einlassen, der für die Ukraine unvorteilhaft ausfällt, wird er von den Ultrarechten ins Visier genommen und das Etikett des Verräters wie eine Zielscheibe auf dem Rücken tragen.
Die Unruhestifter dürfen dann mit Hilfe rechnen. Putins verdeckte Attacken auf Europas Demokratien haben nicht erst mit dem Krieg in der Ukraine begonnen. Seine Destabilisierungsversuche sind oft genug Thema im Tagesanbruch gewesen. Man darf davon ausgehen, dass Russland seine hybride Maschinerie in voller Wucht auf die Ukraine loslässt: Sabotage, Anschläge, Desinformation, Unterwanderung, Marionetten, das volle Programm. Findet der Krieg ein Ende, wird der Konflikt trotzdem auf Hochtouren weiterlaufen. Putin hat den Sturz der Regierung in Kiew zwar nicht mit militärischen Mitteln erreicht. Sein Köcher ist damit aber noch lange nicht leer.
Die Kämpfe und das Sterben in der Ukraine müssen so schnell wie möglich enden. Nur sollten wir uns keinen Illusionen hingeben: Rosige Zeiten beginnen danach nicht. Wir müssen uns auf die kommenden Herausforderungen vorbereiten – geistig, finanziell, auch militärisch. Die Tage bis zur Bundestagswahl sind nun gezählt. Danach hat die neue Regierung eine klare Aufgabe: durchstarten, und zwar sofort.
Republik in Angst
Schon wieder ein Anschlag, schon wieder von einem Asylbewerber: Der 24-jährige Afghane, der in München mit einem Auto in einen Demonstrationszug gerast ist, hat mindestens 28 Menschen verletzt, mehrere schwer, darunter auch Kinder. Das Bild eines umgekippten Kinderwagens neben dem Täterauto verdeutlicht die Grausamkeit dieses Angriffs.
Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg, München: Eine derartige Terrorserie hat es in Deutschland das letzte Mal zu RAF-Zeiten in den Siebzigerjahren gegeben; die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" erstreckten sich über einen längeren Zeitraum.
Bei all den Taten des vergangenen und dieses noch jungen Jahres waren Migranten aus Arabien oder Afghanistan die Täter. Sie mögen aus unterschiedlicher Motivation gehandelt haben, die Folge ist dieselbe: Die Politik verstrickt sich in atemlose Debatten, in denen es zu wenig um wirksame Lösungen für das eklatante Sicherheitsproblem geht, dafür viel um gegenseitige Schuldzuweisungen, Brandmauern, Ablenkungsmanöver und Schaufensterpolitik.
Zugleich wachsen bei vielen Bürgern die Verunsicherung und die Angst: Kann man sich noch sicher im öffentlichen Raum aufhalten, kann man noch auf Demos, Stadtfeste, Versammlungen gehen – oder schwingt nun immer die Gefahr mit, zum Opfer zu werden? Kann man seine Kinder noch ausgehen lassen? Was ist mit Fußgängerzonen, Diskotheken, Schulen? Wenn ein Auto oder ein Messer genügt, um Dutzende Menschen zu verletzen oder gar zu töten, wenn es scheinbar jede und jeden treffen kann, lebt die Republik in Angst.
Besonnene Köpfe wie Altbundespräsident Christian Wulff haben in den vergangenen Tagen gemahnt, Menschen mit Migrationshintergrund jetzt nicht zu stigmatisieren. Das ist richtig. Die allermeisten Zugewanderten und ihre Nachkommen sind genauso entsetzt über die Bluttaten wie alle anderen Menschen auch. Man sollte auch nicht den Fehler begehen und angesichts der Verbrechen die gesamte deutsche Migrationspolitik für gescheitert erklären. Millionen Menschen aus Syrien, Nordafrika, Afghanistan, der Türkei, der Ukraine und vielen anderen Ländern bereichern als anständige, tüchtige Mitbürger das Land.
Trotzdem muss die Herausforderung klar benannt werden: Deutschland hat ein massives Sicherheitsproblem mit einzelnen gewalttätigen Asylbewerbern und Migranten. Die Fälle sind nicht identisch, aber ein Muster gibt es: Es sind immer Männer aus muslimischen Ländern, sie sind vereinzelt, viele sind psychisch auffällig oder radikalisiert. Dass diese wandelnden Zeitbomben nicht früher identifiziert und aus dem Verkehr gezogen werden, ist ein Versagen der Bundes- und Landesbehörden.
Und wer nun einwendet: Na ja, der Staat kann eben nicht Tausende Personen im Blick behalten, entlarvt zugleich die Krux der deutschen Migrationspolitik. Es sind zu viele Flüchtlinge ins Land gelassen worden. Die Behörden, die Kommunen, die Polizei sind heillos überfordert mit der Integration, mit der Betreuung, mit der Überwachung von Gefährdern und Menschen, die möglicherweise zu Gefährdern werden könnten.
Dieses Versagen ist schlimm. Es erschüttert das Vertrauen in die Regierenden, in die Fähigkeit des demokratischen Rechtsstaats, seine Bürger zu schützen. Welche Stadt trifft es als nächstes? Auf welchem Marktplatz, in welchem Zug könnte der nächste Täter zuschlagen? Solange Bürger mit der Angst leben müssen, dass es jeden Tag wieder passieren kann, ist Deutschland kein sicheres Land. Das ist die grausame Wahrheit. Geht das noch länger so weiter, werden die Radikalen triumphieren.
Das kann nicht das Interesse von Demokraten sein. Deshalb braucht es jetzt eine überparteiliche Taskforce aller demokratischen Parteien, der Bundes- und Landesregierungen, der Geheimdienste und Polizeien. Es braucht einen Sofortplan zur Wiederherstellung der Sicherheit im Land. Das kann nicht bis zur Bundestagswahl warten. Jeder Tag zählt.
Krise bei Porsche
Es geht Schlag auf Schlag: Auf die Ankündigung der Commerzbank, bis zu 4.000 Stellen abzubauen, um sich gegen eine mögliche Übernahme durch die italienische UniCredit zu wehren, folgt gleich die nächste Hiobsbotschaft aus der kriselnden deutschen Wirtschaft: Der Sport- und Geländewagenbauer Porsche will ebenfalls Arbeitsplätze streichen.
Betroffen sind 1.900 Jobs im Stammwerk in Stuttgart-Zuffenhausen sowie der Standort in Weissach. Hinzu kommt ein Strategiewechsel: Weil seine Elektro-Modelle nicht so gut ankommen wie erhofft, will die Nobelmarke wieder auf Verbrenner und Hybridmotoren setzen. Fürs Geschäft vielleicht die Rettung, fürs Klima ein Killer.
Ohrenschmaus
Angesichts der Nachrichtenlage will man manchmal nur noch wegrennen. So wie dieser Herr.
Lesetipps
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Donald Trumps Ukraine-Plan könnte für Deutschland massive Folgen haben. Unsere Reporter Patrick Diekmann und Daniel Mützel erklären Ihnen die Details.
Warum sind gegenwärtig so viele Menschen krank? Meine Kollegin Christiane Braunsdorf erläutert, was hinter der schweren Grippewelle steckt.
Zum Schluss
Heute ist Valentinstag!
Ich wünsche Ihnen einen blumigen Tag. Morgen haben Lisa Raphael und ich im Podcast einen wortgewaltigen Gast.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.