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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

USA beenden Beistand: Europas Zukunft ohne amerikanische Unterstützung


Europa ohne die USA
Alle wissen es. Keiner sagt es

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

19.02.2025Lesedauer: 4 Min.
US-Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz: "Hässliche Worte aus der Sowjetzeit".Vergrößern des Bildes
US-Vizepräsident JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz. (Quelle: Leah Millis)
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Die USA haben Europa den gesicherten Beistand aufgekündigt. Eine epochale Zäsur, deren Folgen alle bisherigen Dimensionen sprengen. Und die aktuellen Wahlkampfversprechen noch hohler macht, als sie eh schon waren.

Der Bayerische Hof in München scheint ein vorbestimmter Ort zu sein, an dem die Welt vor aller Augen zerbricht. Und mit ihr die Hoffnung. Am 10. Februar 2007 hat Wladimir Putin dort bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede gehalten. Sie hat das Ende einer Weltordnung eingeläutet. 18 Jahre ist das her. Seither ist die Welt zerbrochen, die wir kannten und in der es sich gut und friedfertig leben ließ. Der russische Präsident, auf dem nach Boris Jelzin neue Hoffnungen der Annäherung im Geiste Gorbatschows ruhten, hatte frei von diplomatischem Zierrat gesprochen.

Bis hierher und nicht weiter, hatte er dem Westen zugerufen, der den Kalten Krieg wiederum genau 18 Jahre zuvor gewonnen hatte und diesen Sieg mit einer Ausdehnung nach Osten auslebte. Es reicht jetzt, hatte Putin gesagt. Danach sind alle ans Buffet. Niemand ging darauf ein, alle zur Tagesordnung über. Wird er schon nicht so meinen. Aber Putin hat jedes Wort ernst gemeint und vom nächsten Tag an Ernst gemacht. Wie die Welt inzwischen weiß und vor allem die Ukraine blutig und leidvoll erfährt.

Am 14. Februar 2025 ist die Welt im Bayerischen Hof zu München 18 Jahre später fast auf den Tag genau ein zweites Mal zerbrochen. Der US-amerikanische Vizepräsident J. D. Vance verkündete in seiner Rede bei der MSC das Ende des Protektorats Europas durch die USA. Ihr müsst jetzt für euch selbst sorgen, sorry. None of our business anymore. Nicht mehr unsere Sache. Und Demokratie könnt ihr auch nicht, behauptete ausgerechnet der Stellvertreter des Mannes, der nach einer Wahlniederlage den Pöbel auf das amerikanische Parlament hetzte.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online schreibt er jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!"

Diesmal ging niemand zur Tagesordnung über. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius wies die Vorwürfe, die mit dem Ende der Elternschaft der USA gegenüber Europa einhergingen, in einer denkwürdigen Einlassung zurück. Der französische Präsident lud geistesgegenwärtig zu einem Gipfel der wichtigsten Staaten der EU inklusive Großbritanniens nach Paris. (Es wird perspektivisch um nukleare Teilhabe gehen müssen.) Und anderntags stellte der deutsche Bundeskanzler mit sichtlich schwindenden Kräften fest, so wie Vance das gemacht habe, gehe das nicht. Fand, nebenbei bemerkt, seinerzeit vor 18 Jahren Putin auch. Ein einseitiges Handeln, sagte er mit Blick auf die USA, habe noch nie Probleme gelöst.

Die zynische Folge der Entwicklungen der vergangenen fast 20 Jahre und vor allem der vergangenen Monate und Wochen: Die USA und Russland machen wieder gemeinsame Sache. Aber über die Köpfe und die Interessen Europas und der geschundenen Ukraine hinweg. Auf der einen Seite: ein russischer Despot, der sich mit allen Mitteln, auch mit Krieg, ein Reich wieder zusammenbauen will, das unwiederbringlich untergegangen ist. Auf der anderen Seite: ein Business-Mogul in der Rolle des amerikanischen Präsidenten, der auch glaubt, ein früheres Amerika wieder aufleben lassen zu können und entschlossen ist, die ganze Welt als eine einzige Immobilien- und Rohstoffbörse misszuverstehen.

Nichts als Hilflosigkeit und Verzweiflung

Die Einlassung von Olaf Scholz ("Das gehört sich nicht!") greift in ihrer moralisierenden Hilflosigkeit viel zu kurz. Tut so, als sei das lediglich eine Verfehlung von Tischmanieren gewesen. Eine Ungezogenheit. Es ist viel, viel mehr. Und dieses Mehr muss realpolitisch und nicht moralisierend begriffen werden. Die Erkenntnis lautet: Hinter diese Ansage wird keine amerikanische Regierung je wieder zurückgehen. Diese Disruption werden sich auch die Demokraten zunutze machen, wenn sie dereinst wieder einen Präsidenten stellen. Donald Trump hat nur das brutal vollstreckt, was auch bei Barack Obama schon zu sehen war: eine Abkehr von Europa. Daher keine Illusionen bitte: Da kommt nichts mehr zurück.

Die neue Weltordnung wird in ihren Strukturen ohne das Bruchstück Europa gebaut – wenn die Europäer jetzt nicht sofort handeln. Das ist mehr eine Frage des Willens als der realen Möglichkeiten. Die EU ist ein ungeheuer potenter Wirtschaftsraum. Deutschland immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft weltweit.

Nur: Mit dem einlullenden Gesäusel kann es keinen Tag mehr weitergehen. Es werde sich schon nichts ändern, sedierte der deutsche Bundeskanzler wahrheitswidrig seine Bevölkerung, als ihm das Bundesverfassungsgericht seine Schattenhaushalte der Zeitenwende aus der Hand geschlagen hatte. Das war schon unverfroren, und die Folgen des Urteils in Wahrheit immens. Und doch ein Klacks gegen das, was jetzt kommt. You will never walk alone? Oh doch!

"Mehr für dich"?

"Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abverlangen müssen." Mit diesem Satz wie einem Gong begründete der letzte mutige Kanzler dieses Landes seine Agenda 2010. Der nächste Kanzler muss von Tag eins seiner Amtszeit an diesen Geist und diesen Worten anknüpfen. Der Einzige, der sich das bisher getraut hat, ist Boris Pistorius. Der beste deutsche Verteidigungsminister seit Volker Rühe sagte: "Wir müssen kriegstüchtig werden." Ich hatte ihn damals dafür kritisiert, weil ich das Wort "verteidigungsfähig" für ausreichend erachtet hatte. Aber er hat recht. Man muss dieses wohlstandsverwöhnte Land wachrütteln. Sagen, was Sache ist. Dazu gehört, dass zum Beispiel ganz schnell über eine erkleckliche Verteidigungsausgabe gesprochen werden muss. Und über eine echte Wehrpflicht. Nicht diese ungewollt komische Wehrfreiwilligkeit, weil es bisher für mehr nicht gereicht hat. Die Schuldenbremse muss natürlich gelöst werden. Der Sozialstaat nach natürlich vorhandenen Einsparpotenzialen durchforstet und die Blähbürokratie zusammengestutzt werden.

Und der Wahlkampf? Bleibt ein Zug aus Kamellenwagen

Und was passiert stattdessen in diesem Wahlkampf? Wohltaten, wohin man schaut. Steuersenkungen bei der Union, "MEHR FÜR DICH" verspricht die SPD in Versalien über einer Nahaufnahme von Olaf Scholz. Das ist nicht von dieser Welt. "Mehr von Dir!" wäre die ehrliche und zeitgemäße Zeile.

Der nächste Kanzler muss seine Antrittsrede im Stile von Churchill und Schröder halten. Bis vor Kurzem hätte ich gesagt: Eine Schweiß-und-Tränen-Rede. Spätestens nach München sage ich ausdrücklich: Blut gehört jetzt auch dazu.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen, eigenes Erleben (2007 Putin in München)
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