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Demokratieverlust? Bürgerrat gegen Fake News bekämpft Desinformation


Meinung
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Tagesanbruch
Endlich mehr Demokratie

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 15.10.2024Lesedauer: 6 Min.
Der Bürgerrat gegen Fake News hat 28 Vorschläge erarbeitet.Vergrößern des Bildes
Der Bürgerrat gegen Fake News hat 28 Vorschläge erarbeitet. (Quelle: Bertelsmann Stiftung)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Krise hier, Krise da: Herausforderungen gibt es hierzulande viele, doch nicht alle haben dieselbe Dringlichkeit. Zwei Probleme sind so groß, dass sie das demokratische System unterminieren – aber das Schöne ist: Beide sind lösbar.

Glauben Sie nicht? Schauen wir genauer hin: Sie werden mir wohl zustimmen, dass die Demokratie leidet, wenn sich immer weniger Menschen politisch engagieren und zugleich immer mehr Leute den Eindruck bekommen, sie hätten gar keine Möglichkeit, bei der gesellschaftlichen Entscheidungsfindung mitzuwirken. Ebenso werde ich wohl wenig Widerspruch ernten, wenn ich feststelle, dass die Schwemme aus Lügen, Beleidigungen und anderem Schund in den "sozialen Medien" zu einer Bedrohung für unser Gemeinwesen heranwachsen kann. Man muss nur mal nach Amerika rübergucken, um zu erkennen, wo Gesellschaften enden, in denen die Menschen nur noch übereinander statt miteinander reden. Für beide Probleme – den wahrgenommenen Demokratieverlust und das Gift der Falschinformation – haben die Parteien, die Bundes- und Landesregierungen hierzulande bislang kaum Antworten gefunden. Umso besser, dass sich nun ein Lösungsweg abzeichnet.

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Wenn Sie den Tagesanbruch schon eine Weile lesen, wissen Sie bereits, dass ich Bürgerräte für eine gute Idee halte. Eines dieser basisdemokratischen Foren ist von unserer Redaktion in den vergangenen Monaten unterstützt worden, und das aus triftigem Grund: Das "Forum gegen Fakes" hat sich zum Ziel gesetzt, Mittel und Wege zu finden, um möglichst viele Menschen resilient gegen Falschinformationen aus dem Internet zu machen. Das hat, so muss man es sagen, geradezu fantastisch funktioniert: 424.000 Teilnehmer beteiligten sich online an den Diskussionen, brachten Ideen ein und stimmten darüber ab. Darunter waren auch viele Leserinnen und Leser von t-online. So kamen sage und schreibe 3.300 Vorschläge zusammen, auf deren Grundlage ein repräsentativer Bürgerrat diskutiert und 15 Empfehlungen zum Umgang mit Desinformation erarbeitet hat.

Diese Vorschläge haben es in sich: Sie reichen von der Forderung, "Medienkompetenz" zum Pflichtstoff in Schulen zu machen, über verpflichtende Quellenangaben in Online-Artikeln (was t-online als einziges Massenmedium schon seit sieben Jahren praktiziert) bis zu einer strengeren Kontrolle von Social-Media-Plattformen. Eine zentrale Stelle soll überdies beobachten, wie ausländische Akteure – etwa russische und chinesische Propagandisten und Bots – versuchen, die deutsche Öffentlichkeit zu manipulieren.

Dabei ist den Teilnehmern des Bürgerrats ein Grundsatz wichtig: Der Staat soll zwar Desinformation effektiver bekämpfen, aber die Meinungsfreiheit nicht einschränken (hier finden Sie die Details).

Liest man die Vorschläge, kommt man aus dem Nicken nicht heraus. Ist also gar nicht so kompliziert, zwei große Probleme unseres Landes zu lösen. Man muss sich nur etwas zutrauen und ja, man muss sich auch freimachen von den Lobbyisten Googles, Metas und anderer Digitalsupermächte, die längst bei vielen Abgeordneten auf dem Schoß sitzen. Manchmal hat man ja den Eindruck: Elon Musk muss nur Piep sagen, schon rollen die Politiker in Berlin und Grünheide ihm den Roten Teppich aus. Unterwürfigkeit ist jedoch keine angemessene Haltung für eine selbstbewusste Demokratie. In der chinesischen Volksverdummungsmaschine Tiktok, auf Mark Zuckerbergs Datenkrake Facebook, in Elon Musks Hassschleuder X und in Googles Gerüchteverstärker Youtube wird jeden Tag gegen die Demokratie gehetzt, werden Andersdenkende verunglimpft, Hass und Lügen in die deutsche Gesellschaft gepumpt – und weder die EU-Kommission noch Bundespolitiker gebieten dem Treiben bislang effektiv Einhalt.

Das muss aufhören. Wir dürfen unseren gesellschaftlichen Frieden nicht von unverantwortlichen Milliardären und autoritären Propagandabütteln zerstören lassen.

Deshalb kommt es nun auf Nancy Faeser an. Denn die Vorschläge des Bürgerrats sind dem Bundesinnenministerium übergeben worden. Die Ministerin hat versprochen, sie in die Strategie der Bundesregierung zum Umgang mit Desinformation "einfließen" zu lassen. Was genau das bedeutet, gilt es nun herauszufinden. So viel kann ich versprechen: Wir von t-online werden genau hinschauen, was die Politik aus den Bürgerwünschen macht.


Ort des Tages

Nordhorn macht selten Schlagzeilen – heute aber schon: In die 55.000-Einwohner-Stadt im äußersten Nordwesten der Republik verlegt der Bundespräsident kurzzeitig seinen Amtssitz. Im Rahmen seiner Initiative "Ortszeit Deutschland" diskutiert Frank-Walter Steinmeier drei Tage lang mit Bürgern vor Ort über Themen abseits der Metropolen. Das kommt bei vielen Menschen gut an.


Hektik und Härte

Erinnern Sie sich? Nach den Messerattacken in Solingen hieß es im Tagesanbruch: "Wahrscheinlich ist, dass nach dem Mehrfachmord dasselbe geschieht, was schon nach den Messermorden in einem norddeutschen Regionalzug und dem Messermord in Mannheim geschehen ist: Nach einer Symboldebatte wendet sich die Politik wieder anderen Themen zu, weil die Lösung all der Missstände zu schwierig, zu langwierig und überdies kein Gewinnerthema ist. So wird von den steilen Forderungen und großen Plänen wenig bis gar nichts umgesetzt."

Eines dagegen hat die deutsche Politik durch ihre Hektik erreicht: In vielen EU-Ländern verschärft sich die Debatte über die Migrationspolitik – und jedes Land schaut nur noch egoistisch auf sich selbst. Die drastischsten Pläne verfolgt Polen, wo Ministerpräsident Donald Tusk das Recht auf Asyl vorübergehend ganz aussetzen will. Hintergrund ist die Praxis des belarussischen Putin-Schergen Alexander Lukaschenko, mittels gezielter Schleusung von Migranten über die polnische Grenze die EU zu destabilisieren. Heute bespricht der polnische Premier die Umsetzung seiner Strategie im Kabinett.

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Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni freut sich derweil über die Fertigstellung ihrer umstrittenen Flüchtlingslager in Albanien. Dort sollen Migranten künftig einem beschleunigten Asylverfahren unterzogen und im Fall eines negativen Bescheids sofort in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Dass nun Pflöcke eingerammt werden, ist kein Zufall: Auch auf deutschen Druck beraten die 27 EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag über das Thema Migration – und werden versuchen müssen, den Überbietungswettbewerb in neuer Härte mit dem europäischen Recht in Einklang zu bringen. Das wird schwierig genug. Noch schwieriger dürfte es ihnen fallen, überhaupt noch so etwas wie eine gemeinsame Linie aller EU-Staaten zu finden.


Zahl des Tages

857.000 Bürger unterstützen die Forderung, ein Verbot der AfD ernsthaft zu prüfen. Die Initiatoren der Petition übergeben die Unterschriftenliste heute an Bundestagsabgeordnete von CDU, SPD, Grünen und Linkspartei.


Klimaschutz ist machbar, Herr Nachbar

Robert Habeck will heute für positive Schlagzeilen sorgen: Zunächst übergibt der grüne Wirtschaftsminister die ersten seiner im Frühjahr ausgelobten Klimaschutzverträge, mit denen Unternehmen aus CO2-intensiven Branchen wie Stahl, Chemie oder Papier unterstützt werden sollen, möglichst schnell auf klimafreundliche Technologien umzusteigen. Anschließend geht es weiter zum Klimakongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie, wo ein Vortrag mit einem wie für den Welterklärer Habeck formulierten Thema wartet: "Vom Abstrakten ins Konkrete – Wie kommen wir in Zeiten hohen Veränderungsdrucks von Strategien zu Geschäftsmodellen?" Fehlt nur noch die Umsetzung.


Lesen bildet

In Frankfurt am Main öffnet die weltgrößte Buchmesse ihre Tore: 4.000 Verlage präsentieren ihre Neuerscheinungen und erwarten 200.000 Besucher; Gastland ist Italien. Ab Freitag ist die Messe für das Lesepublikum geöffnet, am Sonntag endet sie mit der Übergabe des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die US-Historikerin Anne Applebaum.

Ich für meinen Teil werde derweil in den Büchern schmökern, die auf meinem Nachttisch warten: erstens dem Golfkriegsreport "Ein Bild vom Krieg: Meine Tage in Bagdad" des jüngst verstorbenen Christoph Maria Fröhder, zweitens Robin Lane Fox' meisterhafte Antikenerzählung "Die klassische Welt: Eine Weltgeschichte von Homer bis Hadrian" und drittens das faszinierende Gesellschaftspanorama "Ein Hof und elf Geschwister: Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland" von Ewald Frie.


Lesetipps

Kriege in der Ukraine und in Nahost, Klimakrise, Donald Trump womöglich bald zurück an der Macht: Wird die Welt immer unheilvoller? Im Gegenteil, sagt Timothy Snyder: Der Schlüssel für eine bessere Zukunft ist eine Form der Freiheit, die Putin und Trump aufs Äußerste fürchten. Welche das ist, erklärt der amerikanische Star-Historiker im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir.


"Teuer, ungerecht und kurzsichtig": Experten haben im Sozialausschuss des Bundestags das Rentenpaket der Ampelregierung zerrupft. Unser Reporter Florian Schmidt war dabei und verrät Ihnen, wie es nun weitergeht.


Mit einem neuen Mechanismus will die Bundesregierung illegale Inhalte in den sozialen Netzen bekämpfen. Die Kollegen der ARD erklären, ob das funktionieren kann.


Thomas Gottschalk hat ein Buch geschrieben – prompt steht er im Kreuzfeuer der Kritik. Ist dem alten, weißen Mann noch zu helfen? Mein Kollege Steven Sowa hat sich des Falls angenommen.


Ohrenschmaus

Wollen Sie heute mal richtig gut drauf sein? Dann habe ich genau das Richtige für Sie.


Zum Schluss

Das Land Berlin muss sparen. Die Bildungssenatorin, eine gewisse Frau Günther-Wünsch von der CDU, hat deshalb Lehrern das Geld für Klassenfahrten gestrichen.

Ich wünsche Ihnen einen weitsichtigen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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