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Anschlag in Solingen: Die Folgen in Deutschland sind brutal


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Tagesanbruch
Das Zauberwort gegen den Messerterror

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 26.08.2024Lesedauer: 6 Min.
Polizisten trennen AfD-Anhänger und Gegendemonstranten in der Solinger Innenstadt.Vergrößern des Bildes
Polizisten trennen AfD-Anhänger und Gegendemonstranten in der Solinger Innenstadt. (Quelle: Gianni Gattus/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

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Die politische Sommerpause ist schlagartig vorbei. Nach den Messermorden in Solingen und sechs Tage vor den brisanten Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ergehen sich Politiker aller Parteien in einer aufgeregten Debatte über Sicherheit und Migration. Der Täter von Solingen soll ein syrischer Flüchtling sein, der sich seiner Abschiebung nach Bulgarien entzogen hatte und nach verstrichener Ausreisefrist unbehelligt weiter in einem Heim leben durfte.

Nicht geduldet, aber trotzdem hier: Das ist ein bekanntes Muster. Wer Deutschland trotz abgelehntem Asylantrag nicht verlassen will, kann den Behörden folgenlos auf der Nase herumtanzen. Begeht so einer dann auch noch eine Straftat oder gar ein Verbrechen, sind alle betroffen – aber niemand verhindert, dass sich das Behördenversagen fortsetzt. Das Chaos der deutschen Migrationspolitik ist an Absurdität nicht zu überbieten (hier mein Kommentar dazu).

Um die Misere zu überspielen, überbieten sich Politiker nun mit lauten Forderungen. "Es reicht!", donnert Friedrich Merz und bekommt Applaus aus seiner CDU. Derselben CDU wohlgemerkt, die unter Merkels Regierung die offenen Grenzen und den Kontrollverlust im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu verantworten hatte. CSU-Mann Alexander Dobrindt gebärdet sich als schwarzer Sheriff und kommt mit einem "5-Punkte-Knallhart-Plan" um die Ecke.

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Grünen-Minister Robert Habeck will nicht zurückstecken und verlangt strengere Waffengesetze, denn: "Wir leben nicht mehr im Mittelalter". Und SPD-Chefin Saskia Esken stimmt nach langem Zögern doch noch in den allgemeinen Chor ein und fordert nun ebenfalls Abschiebungen in die Bürgerkriegsländer Syrien und Afghanistan. Die Liste der immer schärferen Forderungen ließe sich fortsetzen.

Würde auch nur ein Drittel dieser wortgewaltig herausposaunten Vorhaben tatsächlich umgesetzt, wäre Deutschland womöglich tatsächlich sicherer. Abgelehnte Asylbewerber müssten das Land sofort verlassen, die zuständigen Bundes- und Landesbehörden würden sich reibungslos abstimmen, die Polizei hätte mehr Personal und das Bundeskriminalamt mehr Überwachungsbefugnisse, bundesweit würden Messerverbote verhängt.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass nach dem Mehrfachmord in Solingen dasselbe geschieht, was schon nach den Messermorden in einem norddeutschen Regionalzug vor anderthalb Jahren und dem Messermord in Mannheim vor drei Monaten geschehen ist: Nach einer mehrtägigen Symboldebatte wendet sich die Politik wieder anderen Themen zu, weil die Lösung all der Missstände zu schwierig, zu langwierig und überdies kein Gewinnerthema ist.

 
 
 
 
 
 
 

So wird von den steilen Forderungen und großen Plänen wenig bis gar nichts umgesetzt. Das Zuständigkeitsdickicht zwischen den Bundes- und Landesbehörden bleibt undurchdringbar. Das BAMF bleibt ein dysfunktionales Labyrinth. Dem Bundesnachrichtendienst und dem Verfassungsschutz bleiben bei der Terroristenfahndung von übervorsichtigen Datenschützern die Hände gebunden. Und trotz der langen Mängelliste werden sich weder der Bundeskanzler noch die Innenministerkonferenz in der Lage sehen, das gravierende Sicherheitsproblem endlich zu lösen. So überlässt man die Sicherheitsdebatte der AfD und wundert sich dann auch noch, warum die Rechten immer mehr Zulauf bekommen.

Klingt zynisch, finden Sie? Es ist eher realistisch. Und bitter, ja, bitter ist es auch. Ich verstehe jeden, der beim Gang durch deutsche Innenstädte ein mulmiges Gefühl bekommt oder seine Kinder nicht mehr auf Großveranstaltungen gehen lässt.

Einen Hebel gäbe es, um zumindest die rasante Zunahme islamistischer Gewalttäter einzudämmen: Immer mehr junge muslimische Männer und Jugendliche radikalisieren sich im Internet – verstärkt seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und dem israelischen Feldzug im Gazastreifen. "Der 7. Oktober 2023 war ein riesiger Motivationsschub für Dschihadisten", erklärt der Terrorismusexperte Peter Neumann im Interview mit meinem Kollegen David Schafbuch. "Der 'Islamische Staat' versucht, diesen Krieg für sich zu instrumentalisieren", sagt er und führt aus: "Seit Anfang des Jahres wird genau zu solchen Taten aufgerufen: Es geht um Anschläge, die mit einfachsten Mitteln erfolgen sollen, etwa mit Messern oder Autos."

Die Folgen dieser Propaganda sind brutal, berichtet Neumann: "Wenn man sich die vergangenen zehn bis elf Monate anschaut, wurden sechs dschihadistische Anschläge erfolgreich in Westeuropa durchgeführt. Zudem gab es 21 weitere Versuche. Vergleicht man das mit den Zahlen von Europol von 2022, hat sich die Zahl der Anschläge seitdem vervierfacht. Der Dschihadismus ist wieder die größte Terrorgefahr Westeuropas."

Was Experten wie ihn dabei alarmiert: Immer mehr Terrorverdächtige sind Teenager, die sich ausschließlich über die "sozialen Medien" radikalisieren. Salafistische Hinterhofmoscheen brauchen sie dafür nicht mehr, sie saugen sich die Hassbotschaften und Gewaltaufrufe aus ihren Handys. "Was noch überhaupt nicht gut funktioniert, ist der Kampf gegen die Turboradikalisierung. Die geht im Internet mit Telegram, TikTok und anderen Netzwerken schneller, als sich das viele auch nur ansatzweise vorstellen können", berichtet die Islamwissenschaftlerin und Grünen-Politikerin Lamya Kaddor im Interview mit meinem Kollegen Johannes Bebermeier. Auch deutsche Sicherheitsdienste beobachten sorgenvoll, was sich da im Web zusammenbraut. Viele Beamte fragen sich, wann die Politik die amerikanischen und chinesischen Digitalkonzerne endlich stärker in die Pflicht zu nehmen gedenkt.

Was ist zu tun? All der extremistische Schund, der gesellschaftszersetzende Hass und die Aufrufe zur Gewalt in den vermeintlich sozialen Medien sollten hart zensiert werden. Die Verantwortung dafür sollten die milliardenschweren Plattformbetreiber tragen; und wenn sie nicht sofort reagieren, sollten sie ein hohes Bußgeld kassieren – keine Kleckerbeträge wie derzeit. Für jedes rechtswidrige Posting eine Million Euro, warum nicht? Solange dadurch Menschenleben gerettet werden können, ist es das allemal wert. Und wenn ein Dienst nicht bezahlt, sollte er EU-weit gesperrt werden. Dann würden Zuckerberg, Musk und Konsorten endlich merken, dass Europa kein Schlachtfeld ist, auf dem man mit Hassschleudern Geld verdienen kann.

Auch eine flächendeckende Identitätspflicht kann helfen: Wer sich auf TikTok, Telegram, YouTube, X und Co. anmeldet, sollte seinen Klarnamen und seine Adresse angeben und sich mit Personalausweis oder Reisepass identifizieren müssen – genauso wie bei der Eröffnung eines Online-Bankkontos. Wer weiß, dass er sofort identifiziert werden kann, überlegt es sich zweimal, ob er gegen andere Menschen hetzt.

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Ob sich Vorschläge wie diese umsetzen lassen? "Wir sind möglicherweise am Beginn einer Welle des Terrorismus", sagt Extremismusforscher Neumann. "Diese Welle könnte Deutschland stärker treffen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Es gibt aber noch Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun: Wenn sich die Politik die Bekämpfung des Dschihadismus zur Priorität macht, lassen sich die ganz großen Anschläge vielleicht noch abwenden."

Wenn: Das ist das Zauberwort. Wenn die Regierenden in Bund und Ländern ihren Worten endlich entschlossene Taten folgen lassen würden, wäre Deutschland wieder sicherer.


Wahlkampf-Endspurt

Eine knappe Woche bleibt den Parteien noch, um die Bürger von sich zu überzeugen, bevor am Sonntag in Sachsen und Thüringen gewählt wird. Der jüngsten Insa-Umfrage zufolge führt die AfD, die vom Verfassungsschutz in beiden Bundesländern als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, nun nicht mehr nur in Thüringen, sondern auch in Sachsen. Gestern konnte man schon einen Eindruck bekommen, wie deren Hetzer die Messermorde von Solingen umgehend instrumentalisierten, um gegen alle Migranten zu giften.

Um das Kopf-an-Kopf-Rennen doch noch für sich zu entscheiden, fährt die CDU heute in Sachsen groß auf: Auf dem Konzertplatz Weißer Hirsch in Dresden unterstützen der CSU-Vorsitzende Markus Söder und CDU-Chef Friedrich Merz Ministerpräsident Michael Kretschmer bei dessen Wahlkampf-Endspurt. Kanzler Olaf Scholz, dessen SPD mit Spitzenkandidatin Petra Köpping froh sein muss, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde überwindet, wird morgen Abend in Delitzsch erwartet. Außenministerin Annalena Baerbock, für deren Grüne es noch enger wird, spricht zur selben Zeit in Chemnitz. Deutlich besser als für die Ampelparteien stehen die Prognosen für das junge Bündnis Sahra Wagenknecht. Dessen Namenspatronin ist dementsprechend im Dauereinsatz: heute im thüringischen Jena, morgen in Chemnitz. Falls Sie das Erfolgsgeheimnis von AfD und BSW verstehen möchten, empfehle ich Ihnen unseren Podcast.


Schwierige Gaza-Gespräche

Der islamistische Terror zeigt: Der Krieg im Nahen Osten entwickelt sich zum Sicherheitsrisiko für Europa. Umso besorgter blicken Diplomaten auf die Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazastreifen: Israelis und die Hamas reden zwar nicht direkt, aber über Vermittler miteinander. Bei den Gesprächen in Kairo gebe es jedoch eine "schwierige Pattsituation", war gestern am späten Abend zu erfahren; es sei keine Bewegung in den Positionen der Teilnehmer zu erkennen. Sowohl die israelische Delegation als auch die Hamas-Vertreter sollen nach wenigen Stunden abgereist sein. Streitpunkt ist die Frage, inwieweit Israels Truppen im Grenzgebiet Gazas zu Ägypten stationiert bleiben dürfen, um den Bau von Schmuggeltunnels zu verhindern. Auch gestern Abend gab es wieder Raketenalarm in Tel Aviv.


Lesetipps

Israels Armee und die libanesische Hisbollah haben am Wochenende großflächige Angriffe gegeneinander gestartet. Warum trotzdem kein großer Krieg zu erwarten ist, erklärt der Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad im Gespräch mit meinem Kollegen Simon Cleven.


Warum tut sich Friedrich Merz so schwer, in Ostdeutschland Wähler von sich zu überzeugen? Unsere Reporterin Sara Sievert hat den CDU-Chef aus der Nähe beobachtet.



Ohrenschmaus

Die Woche beginnt mit düsteren Nachrichten. Umso wichtiger ist ein bisschen Gute-Laune-Musik.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen trotzdem einen friedlichen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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