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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Streit um Thomas Gottschalk Der Gebieter schickt uns ins Verderben
Thomas Gottschalk steht mal wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Dabei ist er doch nur ehrlich. Oder? Ein Plädoyer für mehr Altersmilde.
Thomas Gottschalk bringt ein neues Buch heraus, und bevor das überhaupt auf dem Markt ist, ist der Aufschrei groß – wahlweise, weil er in Interviews ins Kreuzverhör genommen wird, oder wegen seiner Antworten dort. Dabei tut der Moderator, was er schon seit Jahren tut: Er erinnert sich an früher. Damals war alles besser, das ist der Subtext seiner Ausführungen. Als das Fernsehen noch regelmäßig zweistellige Millionenwerte bejubelte, habe Gottschalk "Frauen im TV rein dienstlich angefasst" und als er ein Reichweiten-garantierender ZDF-Zampano war, habe er geredet, wie ihm der Schnabel gewachsen war.
Diese ganze Aufregung verhärtet die Fronten
Das alles ist Jahrzehnte her, und es wurde oft genug beklagt. Gottschalks Grapscher sind bestens dokumentiert, Anklagen der betroffenen Frauen weniger. Jahre später soll sich ein 74-Jähriger für seine "Wetten, dass..?"-Tuchfühlungen rechtfertigen? Das klingt wenig zielführend. Und ebendieser Thomas Gottschalk, der mit gar nicht mal so neuen Sprachgewohnheiten hadert, soll im Ruhestand umerzogen werden? Ein aussichtsloses Unterfangen.
Mehr noch: Es hilft Gottschalks Kritikern nicht und es bringt auch die gesellschaftliche Debatte um Toleranz und Sensibilität nicht voran. Im Gegenteil: Diese ganze Aufregung verhärtet die Fronten nur weiter und Thomas Gottschalk wird plötzlich als eine Art Galionsfigur von Leuten instrumentalisiert, die kein Interesse an seiner Person haben, sondern nur Zwietracht säen wollen und eine angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit herbeireden.
Micky Beisenherz, der Gottschalk im "Kölner Treff" interviewte, wird seit Ausstrahlung der Sendung am 11. Oktober in den sozialen Medien angefeindet. Und der "Spiegel", der Gottschalk in einem konfrontativ angelegten Streitgespräch unermüdlich attackierte, gilt nun für einen bestimmten Teil der Gesellschaft noch mehr als Feindbild. Wozu das alles? Es wirkt wie ein ritualisierter Schlagabtausch, der sich Jahr für Jahr wiederholt – und das alles nur wegen der Ansichten eines alternden Fernsehmoderators?
Möglichst viele Exemplare verkaufen. Ich habe es jedenfalls nicht geschrieben, damit die Gesellschaft eine bessere wird.
thomas gottschalk
Ob er mit seinem Buch etwas erreichen wolle, wurde Gottschalk im "Spiegel" gefragt. Seine Antwort: "Möglichst viele Exemplare verkaufen. Ich habe es jedenfalls nicht geschrieben, damit die Gesellschaft eine bessere wird." Damit wäre alles gesagt. Der Mann von früher findet nicht mehr im Fernsehen statt, also greift er zum Stift, schreibt ein paar Provokationen in seinen Block – und zack, wird ein Bestseller daraus. "Es geht mir immer um mich", sagte Gottschalk mit entwaffnender Ehrlichkeit und niemand schien ihm zuzuhören.
Diese Aufregung hat nur negative Effekte
Dieser Mann möchte sich nicht mehr ändern. Aus dem Alter sei er heraus, so sagt er es heute mit 74 Jahren sinngemäß. Also lasst ihn doch einfach in Ruhe, möchte man dazwischenrufen. Denn Thomas Gottschalk war noch nie ein Moralapostel, kein Weltverbesserer, nicht mal ein großer Denker oder Kritiker. Er war ein erfolgreicher Showmaster. Nicht mehr, aber vor allem: nicht weniger. Denn aus Letzterem speist sich der Wunsch, ihm eine Bedeutung beizumessen. Die Menschen – vor allem aber bestimmte Medienschaffende – möchten gerne mehr in ihm sehen als nur die Fernsehlegende.
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Diese Erwartung kann und will Gottschalk nicht erfüllen – und wenn er es doch mal versucht, dann scheitert er krachend. Mit Schrecken sei daran erinnert, wie Gottschalk vor drei Jahren in der WDR-Sendung "Die letzte Instanz" über Sprachverbote stammelte, wie er in längst abgesetzten, meist wutschäumenden "Bild"-Talkshows zu gesellschaftlichen Debatten Stellung nahm oder in seiner letzten "Wetten, dass..?"-Sendung raunte, er könne im Fernsehen gar nicht mehr so reden wie in seinem heimischen Wohnzimmer.
Es ist also bereits alles gesagt. Gottschalks Ansichten sind bekannt – und sie wurden berechtigterweise kritisiert, auch von dem Autor dieser Zeilen hier. Was jetzt passiert, kurbelt zwar den Verkauf von Gottschalks neuem Buch an. Doch darüber hinaus hat es nur negative Effekte. Denn die, die Gottschalk ohnehin unmöglich fanden, werden das auch weiterhin tun und das Buch nicht kaufen. Und die, die ihn als kühnen Bewahrer früherer Gewohnheiten feiern, die lesen weder den "Spiegel" noch können sie etwas mit dem Versuch anfangen, alte Sprachmuster oder übergriffige Verhaltensmethoden in die Mottenkiste zu verbannen.
Und dann wären da noch diejenigen, die in der öffentlichen Aufregung am wenigsten gehört werden. Menschen, die Gottschalk gut finden, weil er für einen Teil ihres Lebens steht, weil sie mit ihm gealtert sind und denen die ganzen Debatten gar nicht so wichtig sind. Diese beteiligen sich zwar nicht an der Diskussion, sie bekommen aber mit, wie eines ihrer Idole in eine Rechtfertigungsrolle gerät, wie Journalisten ihn kritisieren, ihm eine klare Haltung abverlangen. Das Bild, das aus der Beobachterperspektive entsteht: Gottschalk steht mit dem Rücken zur Wand, er wird in eine Ecke gedrängt – und je mehr er bemüht ist, sich zu erklären, umso schärfer werden die Fragen.
Gottschalk, der Katalysator
Was daraus entsteht, spiegelt die Unversöhnlichkeit wider, mit der sich inzwischen weite Teile der Gesellschaft anschreien. Auf der einen Seite die, die für Offenheit und Veränderung plädieren, und ihnen gegenüber die, die all das als Angriff auf ihre Komfortzone betrachten. Thomas Gottschalk wird in diesem Wettstreit, der längst zu einer unappetitlichen Schlammschlacht geworden ist, zu einem Katalysator. Er befeuert aus einer Verteidigungshaltung heraus das toxische Klima einer Debattenkultur, die uns als Gesellschaft aus den Händen zu gleiten scheint. Und er könnte damit sogar diejenigen mobilisieren, die sich als eher unpolitisch definiert und bisher einen Bogen um kontroverse Themen gemacht haben.
Ob er sich dagegen wehre, dass die AfD ihm zujubelt, wurde Gottschalk gefragt. "Es haben mich schon immer Leute vereinnahmt. Ich nehme das billigend in Kauf", antwortete er nur. Es wirkt, als könne es ihm egal sein. Er hat alles: Geld, Ruhm und eine glückliche Ehe. Die, die ihn zur Schau stellen oder zumindest einen Funken Einsicht von ihm hören wollten, werden feststellen müssen, dass es gefährlichere Gegner gibt als Showmaster im Ruhestand, die ein Buch bewerben wollen.
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- Gottschalk, Thomas: "Ungefiltert" (2024, Heyne Verlag)
- spiegel.de: "'Ich habe Frauen im TV rein dienstlich angefasst'" (kostenpflichtig)