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Hochwasser, Überflutung und Unwetter im Saarland: Nichts vom Ahrtal gelernt


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Tagesanbruch
Es grassiert die "Hochwasser-Demenz"

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 22.05.2024Lesedauer: 5 Min.
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Überflutete Straßen im saarländischen Kleinblittersdorf: Die Feuerwehr bringt Bewohner mit Booten von ihren Häusern zum Einkaufsmarkt. (Quelle: Andreas Arnold/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ich hoffe, Sie sind trocken und unbeschadet durch die Nacht gekommen. Schließlich gingen auch gestern wieder schwere Unwetter über Teile von Deutschland nieder.

Ich muss in diesen Hochwasser-Tagen häufig an Grimma denken. Erinnern Sie sich noch an die Fluten der Jahre 2002 und 2013 an Donau und Elbe? Damals gehörte die sächsische Gemeinde südlich von Leipzig zu den am stärksten betroffenen Orten. Die Mulde, ein friedlicher Seitenarm der Elbe, war zu einem reißenden Strom angeschwollen, der Menschen mit sich riss, Straßen fortschwemmte, Häuser flutete. Beide Male war ich vor Ort, sprach mit Verzweifelten, die im meterhohen Schlamm alles verloren hatten – Kleider, Möbel, Fotoalben, ihr Zuhause, ihre Existenz – und das gleich zweimal innerhalb von nur elf Jahren.

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Eine Jahrhundertflut sei das, hieß es 2002. Eine Jahrhundertflut war es wohl auch 2013. Dann, im Juli 2021, die nächste Jahrhundertflut: Diesmal war es die Ahr, ein Nebenfluss des Rheins, der über Nacht ganze Orte verschlang. 135 Menschen starben in den Schlamm- und Wassermassen. Die Folgen wirken dort bis heute nach. Ende vergangenen Jahres standen Teile Niedersachsens wochenlang unter Wasser. An Pfingsten versanken nun das Saarland und Teile von Rheinland-Pfalz im Hochwasser.

Wurde daraus genug gelernt? Es sieht nicht so aus. Sobald das Wasser abgelaufen und der Schlamm getrocknet ist, sobald die Aufräumarbeiten enden und der Wiederaufbau beginnt, schwindet die Erinnerung an die Flut und mit ihr die Dringlichkeit, sich für die nächste ausreichend zu wappnen. Es grassiert eine wiederkehrende "Hochwasser-Demenz".

Dabei werden die Abstände zwischen den Fluten kürzer. Extremwetter sind keine Ausnahmen mehr, sie werden zur Normalität. Die Erderwärmung führt dazu, dass die wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnimmt, die dann wiederum in Form von stärkeren Regenfällen herunterkommt. Gleichzeitig sind die Böden vielerorts dermaßen ausgetrocknet und große Flächen versiegelt, dass Wassermassen nicht aufgenommen werden können.

All das ist bekannt. Ebenso, was notwendig wäre, um die Folgen dieser Hochwasser abzumildern. Konzepte dafür liegen seit Jahren vor. Nicht an Erkenntnis mangelt es, aber an der Umsetzung. Der ehemalige Präsident des Technischen Hilfswerks beklagt: Deutschland sei noch immer nicht auf solche Unwetterereignisse eingestellt. Wie anders lässt sich erklären, dass zum Beispiel von den 168 Maßnahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms, die die Bundesregierung 2014 nach dem letzten verheerenden Elbehochwasser beschlossen hatte, bislang gerade einmal neun vollständig umgesetzt sind? Oder dass Nordrhein-Westfalen von 44 vorgesehenen Punkten des Deich-Ertüchtigungsprogramms erst sechs umgesetzt hat?

Einer, der nicht müde wird, die Politik und das Land in regelmäßigen Hochwasser-Abständen an ihre Vergesslichkeit zu erinnern, ist Holger Schüttrumpf, Direktor des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Er leitet auch das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt "Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz" (KAHR), das nach der Flut im Ahrtal 2021 ins Leben gerufen wurde. Er wies auch jetzt wieder auf das Missverhältnis zwischen den notwendigen und vorgesehenen Maßnahmen einerseits und der tatsächlichen Umsetzung andererseits hin.

Dass zu wenig passiert, liegt auch daran, dass Hochwasserschutz viel Geld kostet: Nicht nur, weil Flutpolder und Dämme gebaut oder zurückverlegt, sondern auch Flächen gekauft werden müssen. Kurz nach einer Flut werde stets viel investiert, sagt Schüttrumpf. Doch angesichts klammer Kassen werde nach einiger Zeit schnell wieder anderes priorisiert. Dabei verursachen Hochwasser milliardenschwere volkswirtschaftliche Schäden. Jede in Hochwasser investierte Million ist daher auch eine Investition in den Wohlstand des Landes.

Genehmigungsverfahren dauerten zudem oft viel zu lang, klagt Schüttrumpf. Das liege nicht nur an überbordender Bürokratie, sondern auch daran, dass die Flächen, um die es geht, hart umkämpft sind – insbesondere, wenn es um landwirtschaftliche Nutzflächen oder Bebauungsland geht. Allzu oft siegt da kurzsichtige Interessenpolitik über das Gemeinwohl.

Politiker sind bei Hochwassern bekanntlich gern vor Ort. Gerhard Schröder gelang es damit bei der Elbeflut 2002, die Stimmung vor der Bundestagswahl zu drehen. Während sein Konkurrent Edmund Stoiber in Bayern noch über eine angemessene Reaktion nachdachte, gummistiefelte Schröder schon durch das Hochwasser. Auch Olaf Scholz stapfte am Wochenende in Gummistiefeln durch das Saarland. Falls er gehofft haben sollte, damit irgendeine Stimmung vor der Europawahl zu drehen: Es dürfte sich auch hier langsam ein Abnutzungseffekt einstellen.

Scholz versprach, wie seinerzeit Schröder, schnelle und unbürokratische Hilfe. Für die Menschen vor Ort ist das tatsächlich wichtig. Nur, die Hilfe muss dann auch tatsächlich genauso erfolgen: schnell und unbürokratisch. Die Menschen im Ahrtal wissen nur zu gut, dass diese Versprechen oft lange unerfüllt bleiben.

Doch mindestens genauso notwendig wäre es, dass der Kanzler sich endlich auch für eine Politik einsetzt, die Deutschland fit macht für die Folgen des Klimawandels. Stattdessen wird wohl schon bald wieder die "Hochwasser-Demenz" einsetzen.


Was steht an?

Impulsgeber für Europa: Außenministerin Annalena Baerbock empfängt an diesem Mittwoch ihre Kollegen Stéphane Séjourné aus Frankreich und Radosław Sikorski aus Polen zu Beratungen im Format des sogenannten Weimarer Dreiecks. Sie wollen unter anderem über die Lage in der Ukraine sprechen. Baerbock war am Dienstag unangekündigt zu einem Solidaritätsbesuch in Kiew, wo sie eindringlich mehr internationale Unterstützung für die Luftverteidigung der Ukraine gefordert hatte. Auch über die Lage im Nahen und Mittleren Osten angesichts des Gaza-Krieges wollen die drei Außenminister in Weimar sprechen.

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Vors Parlament zitiert: Jahrelang stand der Name René Benko für Erfolg, Luxus und ein Leben auf der Überholspur. Mittlerweile entscheiden Gerichte und Insolvenzverwalter über das komplexe Firmengeflecht seiner Signa-Gruppe, zu der auch die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof gehört. In Wien muss Benko nun einem Untersuchungsausschuss des österreichischen Parlaments Rede und Antwort stehen. Sein Auftritt wird mit Spannung erwartet, da er sich bislang noch nie öffentlich zum Niedergang seiner Signa-Gruppe geäußert hat.


Das Davos des Verkehrs: In Leipzig startet der Weltgipfel der Verkehrsminister: "Greening Transport: Keeping Focus in Times of Crisis" ("Ökologischer Verkehr: In Krisenzeiten den Fokus behalten") lautet das Motto in diesem Jahr. Regierungsvertreter aus 74 Ländern treffen auf Interessenvertreter aus Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft. Die Veranstaltung, die auch als Davos des Verkehrs bezeichnet wird, dauert bis Freitag.


Lesetipps

Von Reichsbürgern und Löffeln: In Frankfurt am Main hat gestern der Prozess um die Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß begonnen. Investigativ-Reporter Lars Wienand war dabei, als die Anklage vorgelesen wurde und erlebte mit, wie die Anwälte teils kuriose Bedenken vortrugen.


Nicht in Form: In weniger als vier Wochen beginnt die Heim-EM. Doch ausgerechnet jetzt scheint Manuel Neuer, Deutschlands Nummer eins, nicht in Form zu sein. Sport-Reporter Benjamin Zurmühl hat sich auf die Suche nach Gründen dafür gemacht. Angesichts seiner Leistungsschwäche mehren sich zudem die Zweifel, ob es richtig ist, dass Bundestrainer Julian Nagelsmann an ihm als Torwart der Nationalmannschaft festhält. Meine Kollegen Noah Platschko und Florian Wichert sehen das sehr unterschiedlich.


Gescheiterter Plan: Nach dem Angriff auf die Ukraine ist Russland der europäische Gasmarkt weggebrochen. Kremlchef Wladimir Putin versucht seitdem, seine Rohstoffe nach Asien zu verkaufen. Doch der Plan ist offenbar nicht aufgegangen – und Gazprom steckt in einer schweren Krise. Das hat Folgen für die russische Kriegskasse, schreibt unser außenpolitischer Reporter Patrick Diekmann.


Zu nett für einen echten Menschen: Mit der Sprachfunktion unternimmt die Künstliche Intelligenz ChatGPT einen weiteren Schritt in Richtung empathischer Kommunikation. Unsere Kolumnistin Nicole Diekmann hat sich ausführlich mit ihr unterhalten und festgestellt: Liebenswürdigkeit kann auch nerven.


Zum Schluss


Ohrenschmaus

Falls Sie nun Lust bekommen haben, mit dem echten König von Deutschland in den Tag zu starten, finden Sie ihn hier.

Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Tag ohne Unwetter und mit viel guter Laune. Morgen schreibt David Schafbuch für Sie.

Herzliche Grüße

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
X: @HVowinkel

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Mit Material von dpa.

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