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Ist er noch Manuel Neuer? Torwart vor Heim-EM in der Mini-Krise


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Deutschlands Nummer eins zeigt Schwächen
Dann schmeckt der Rotwein nicht mehr


Aktualisiert am 21.05.2024Lesedauer: 6 Min.
Manuel Neuer: Der Torwart des FC Bayern geht auch als Nummer eins in die EM.Vergrößern des Bildes
Manuel Neuer: Der Torwart des FC Bayern geht auch als Nummer eins in die EM. (Quelle: IMAGO/900/Cordon Press)

In weniger als vier Wochen beginnt die Heim-EM. Manuel Neuer, Deutschlands Nummer eins, präsentiert sich zur Unzeit außer Form. Eine Suche nach Gründen.

Dreieinhalb Jahre ist es her, dass Manuel Neuer mit einem Rotwein verglichen wurde. "Manuel ist nun 34 und wird immer besser", lobte Karl-Heinz Rummenigge, damals Vorstandschef des FC Bayern, den Weltmeister von 2014 in einem Interview mit "bundesliga.com". Rummenigge kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus: "Er ist wie ein Rotwein, der jedes Jahr reift. Er pariert so ziemlich jeden Schuss, egal wo er herkommt." Sein abschließendes Fazit: "Er ist der beste Torhüter der Welt und ich denke sogar, dass er der beste Torhüter aller Zeiten ist."

Eine Einschätzung, mit der Rummenigge nicht allein war und auch heute noch nicht ist. Der fünffache Welttorhüter des Jahres ist nicht nur mehrfacher Champions-League-Sieger, Deutscher Meister und Weltmeister, er ist auch ein Revolutionär. Mit seiner offensiven, riskanten Spielweise und seinem Spiel mit dem Ball am Fuß, hat er das Torwartspiel entscheidend verändert.

Im Mai 2024 ist das Ansehen Manuel Neuers in der Fußballhistorie unverändert. Dennoch zeigt Rummenigges "Rotwein" Schwächen, die wenige Wochen vor dem Start der Heim-Europameisterschaft Beobachtern Sorgen machen. Anfang Mai wackelte Neuer mehrfach im Topspiel gegen den VfB Stuttgart, patzte wenige Tage später folgenschwer gegen Real Madrid und erlebte nun einen rabenschwarzen Saisonabschluss bei der TSG Hoffenheim.

"Ich hätte mir von ihm weniger Risiko gewünscht"

Sascha Felter, freier Journalist und Torwart-Experte (Podcast: "Keeperanalyse"), sieht das ähnlich: "Nicht nur im Mai, sondern auch in den Wochen und Monaten zuvor hat Neuer einige Wackler dabei gehabt. In Bochum sah er bei einem Eckball nicht gut aus. Auch gegen Leverkusen ließ er sich von Grimaldo den Ball ins kurze Eck schießen. Nicht wenige hatten dabei die Aktion gegen Japan bei der WM 2022 im Kopf." Gemeint ist das folgenschwere Siegtor Japans durch Takuma Asano (1:2), das Deutschland im Nachhinein das Achtelfinale kostete.

Zur Wahrheit gehört zwar auch, dass Neuer in den 87 Minuten vor seinem Patzer in Madrid eine herausragende Leistung zeigte oder im entscheidenden Viertelfinal-Rückspiel gegen den FC Arsenal die Null festhielt. Für seine Verhältnisse ist die Fehlerquote allerdings verblüffend hoch. Die Sicherheit und Ruhe, die er stets ausstrahlte, machten ihn zu dem Manuel Neuer, der als bester Torwart der Welt galt. Derzeit stellt sich für einige Beobachter die Frage, ob er noch dieser Manuel Neuer ist – oder zumindest für die Heim-EM sein kann.

Dass der Nationalkeeper ungewohnte Schwächen zeigt, hat verschiedene Gründe. Einer davon liegt in Neuers riskanter Spielweise. Was den 38-Jährigen in Topform wie einen zwölften Feldspieler und Weltklasse-Torwart in Personalunion aussehen lässt, ist in Zeiten einer schwächeren Form die Ursache für graue Haare bei seinem Trainer. "Manchmal geht Neuer zu viel Risiko ein und will nahezu jede Aktion spielerisch lösen. Sei es der Abwurf vor dem 1:1 gegen Real Madrid oder die beiden Abspielfehler gegen Hoffenheim. Gerade weil das Aufbauspiel der Münchner nicht mehr so strukturiert ist wie früher, hätte ich mir von Neuer weniger Risiko gewünscht", erklärt Felter.

Was Felter mit dem Aufbauspiel meint, ist die spieltaktische Ausrichtung der Mannschaft, die auch Auswirkungen auf das Torwartspiel hat. Unter Pep Guardiola oder Julian Nagelsmann verteidigte der FC Bayern weitaus höher, was dem offensiven und mutigen Defensivstil Neuers zugutekam. "Unter Nagelsmann kam es häufiger zu Eins-gegen-eins-Duellen mit gegnerischen Stürmern, in denen Neuer traditionell stark ist. Vor allem, wenn der Gegner Zeit hat und lange überlegen muss. Dann baute sich in den letzten Jahren auch unter Flick meist die Wand vom Tegernsee auf."

Ein Blick in die Zahlen

Thomas Tuchel hingegen richtete sein Team etwas defensiver aus. Hatte Bayern unter Nagelsmann im Schnitt noch fast 65 Prozent Ballbesitz, waren es unter Tuchel nur noch 61 Prozent. Der Rekordmeister überließ seinen Gegnern häufiger den Ball, fokussierte sich gelegentlich auf die defensive Kompaktheit. Somit konnte sich Neuer seltener mit seinen Stärken auszeichnen, was sich auch in den erweiterten Statistiken ausdrückt.

Eine davon nennt sich "Post Shot Expected Goals". Damit wird die Torwahrscheinlichkeit nach der Abgabe des Schusses gemessen. Also ob der Ball vom Stürmer voll getroffen oder nur gestreift wird und letztendlich lediglich in Richtung Tor kullert. Mit diesem Wert kann die Qualität von Torhüterleistungen gemessen werden. War Neuers Wert pro 90 Minuten in der Vorsaison, die er aufgrund seiner schweren Beinverletzung nur in der Hinrunde auf dem Platz erlebte, noch der beste der Liga, ist er aktuell auf Rang 15 angesiedelt.

"Das hängt für mich mehr damit zusammen, dass Bayern nun weniger Eins-gegen-eins-Situationen zulässt, die Gegner dafür aber häufiger aus der Distanz abschließen, meist auch etwas ungestörter", erklärt Felter. "Im Schnitt waren es diese Saison 18,6 Meter pro Schuss, in den beiden Vorsaisons waren es rund 16 Meter. Da Neuer schon immer eine unsaubere Vorbereitung auf Schüsse hat, ist er nicht immer rechtzeitig fertig gewesen bei Schüssen rund um den Strafraum. Er macht beispielsweise oft einen Auftaktsprung, der ihn Reaktions- und Aktionszeit kostet."

Ein selbstkritischer Torwart

Neuer selbst ist sich seiner aktuellen Fehler durchaus bewusst. Auf dem Platz versucht er aber, solche Patzer aus den Gedanken zu löschen, erklärte er in einem vereinseigenen Interview im Februar. "Während eines Spiels habe ich mir allerdings angewöhnt, dass ich einen Fehler, der zu einem Gegentor geführt hat, zunächst komplett ausblende und mir einrede, dass es immer noch 0:0 steht. Ich verdränge das bis zum Abpfiff und lasse so keine Selbstzweifel aufkommen."

Auch, um der Torwart zu sein, der für sein Spiel nötig ist. "Die Ausstrahlung kann für einen Torhüter spielentscheidend sein. Ich bin der letzte Mann, die Lebensversicherung meiner Mannschaft, da muss ich dem Gegner zeigen: Halt, an mir kommst du nicht vorbei! Dieses Selbstverständnis muss ein Torwart haben, sonst hast du auf der Position nichts verloren."

Nach dem Abpfiff geht er dann aber transparent damit um. "Ich habe für mich gelernt, dass ich den Kopf schneller freibekomme, wenn ich offen darüber spreche, mir auch mal selbst einen Fehler eingestehe. Dann geht es weiter", verriet er.

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So auch nach dem Real-Spiel, als er sich nicht nur über den nach vorne geprallten Ball zum 1:1, sondern vor allem über seinen Fehler bei der Entstehung des Treffers ärgerte. "Ich rege mich eher über den Abwurf auf, dass ich nicht ein bis zwei Meter weiter über Modrić geworfen habe", erklärte er in den Katakomben des Stadions in Madrid. Sein Fazit: "Ich fühle mich schlecht, genauso wie alle anderen, die für den FC Bayern alles geben."

Warum Nagelsmann weiter auf ihn setzt

Das Timing der kleinen Neuer-Krise könnte kaum schlechter sein. Denn für die Heim-EM ist er als Stammtorwart vorgesehen. Das erklärte Bundestrainer Julian Nagelsmann bereits im März. Und auch bei der außergewöhnlichen Kaderbekanntgabe wurde Neuer als Nummer eins nominiert.

Experte Felter ist sich sicher: "Bei der hochstehenden Abwehrkette, mit der Nagelsmann gerne spielen lässt, ist ein aktiver Neuer enorm wichtig. Das beherrscht er nach wie vor, wenn er eine gute Abstimmung mit den Vorderleuten hat. Sicherlich auch ein Grund, warum Marc-André ter Stegen so deutlich hinter ihm angesiedelt ist in der Rangordnung."

 
 
 
 
 
 
 

Seit vielen Jahren ist ter Stegen nur die zweite Wahl im deutschen Tor. Auch wenn Neuer immer wieder verletzt fehlte, für die großen Turnier war der Bayern-Keeper jedes Mal fit. Dennoch wurde die Kritik am Weltmeister-Torwart immer lauter. Ebenso wie die Forderung, ter Stegen zur Nummer eins zu machen. Bei einer t-online-Umfrage unter Fußballfans im März dieses Jahres sprach sich ein Großteil für den Schlussmann vom FC Barcelona aus.

Dabei ist Neuers Konkurrent ebenfalls auf der Suche nach seiner Topform. Dem "Messi mit Handschuhen", wie ter Stegen in Spanien einst getauft wurde, missglückte unter anderem vor drei Wochen ein Lupfer über seinen Gegenspieler. Zwar ist er im Barça-Tor noch immer unangefochten, seine Position für die Nationalmannschaft konnte er aber kaum verbessern.

Dennoch ist klar, dass Neuer zumindest für die Fans bei der Heim-EM unter besonderer Beobachtung steht. Und auch Nagelsmann müsste sich Kritik anhören, sollte der Plan schiefgehen. Wenn Manuel Neuer aber ab Mitte Juni der altbekannte Manuel Neuer ist, darf Karl-Heinz Rummenigge bei der nächsten Flasche Rotwein wieder an den deutschen Schlussmann denken.

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