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Flüchtlinge stoppen: Ein gewagtes Manöver im Libanon


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Ein riskantes Manöver

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 03.05.2024Lesedauer: 6 Min.
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Feuer in einem syrischen Flüchtlingscamp im Libanon: Die meisten Syrer leben im Libanon in extremer Armut. (Quelle: Lebanese Civil Defense/Anadolu/getty-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war gestern in wichtiger Mission unterwegs. Sie reiste in den Libanon, um mit dem Land einen Flüchtlingsdeal zu schließen. Eine Milliarde Euro dafür, dass das Land Geflüchtete auf dem Weg nach Europa aufhält. Das ist ein wichtiger Schritt – aber die EU macht dabei einen entscheidenden Fehler.

Warum das Abkommen wichtig ist, zeigt ein kurzer Rückblick auf 2015. In diesem Jahr eskalierte die Zahl der Menschen, die bis nach Europa flüchteten. Der ursächliche Grund war natürlich der Bürgerkrieg in Syrien. Doch nach dessen Beginn im März 2011 waren die Menschen innerhalb des Landes und in die Nachbarländer geflohen, vor allem in den Libanon und in die Türkei. Nur ein vergleichsweise kleiner Teil machte sich auf den Weg nach Europa. Das änderte sich auf einen Schlag im Sommer 2015.

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Ein Grund: Die Nachbarstaaten Syriens waren mit der schieren Masse der Menschen überfordert. Sie hatten schlicht nicht die Infrastruktur, die finanziellen Mittel, die wirtschaftliche Leistungskraft, um so viele Menschen aufzunehmen. Die Syrer fanden keine Wohnungen, keine Arbeit und waren so dazu gezwungen, weiter zu flüchten. Die europäischen Staaten hatten es damals verpasst, die Nachbarstaaten frühzeitig zu unterstützen. Hilferufe und Warnsignale blendete man aus – bis "plötzlich" bis zu 12.000 Menschen pro Tag allein auf den griechischen Inseln ankamen.

Daraus hat Europa gelernt. Bereits seit 2015 unterstützt die EU den Libanon finanziell. Das Abkommen ist nun eine Intensivierung dessen und, darüber hinaus, eine Reaktion auf die zunehmenden Spannungen in Nahost. Die Region brodelt, vor wenigen Wochen erst hat der Iran Israel beschossen, dann andersherum. Die Angst vor einer weiteren Eskalation ist groß – und der Libanon wäre mittendrin. Die Hisbollah, eine Partei und gleichzeitig eine direkt vom Iran finanzierte Terrorgruppe, beschießt Israel regelmäßig, dessen Armee beantwortet den Beschuss mit eigenen Raketen. Sollte sich der Konflikt jetzt ausweiten, könnte dies das Ende der Reststabilität im Libanon sein.

Denn die Lage dort ist äußerst heikel: Das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, leidet unter grassierender Korruption und hat schon seit 2022 keinen Präsidenten mehr. Wegen des Konflikts mit Israel im Süden sind bereits einige Zehntausend Menschen gen Nordlibanon geflohen. Dazu kommen die geschätzten 1,5 Millionen syrischen Geflüchteten, die fast alle in extremer Armut leben und zunehmend politischer und medialer Hetze ausgesetzt sind.

Im Libanon, so hat man das Gefühl, muss nur ein brennendes Streichholz auf den Boden fallen, und das Land steht komplett in Flammen.

Die große Sorge der EU ist nun: Kollabiert der Libanon, hat Europa die nächste große Fluchtbewegung. Schon jetzt mehren sich die Anzeichen. Denn obwohl Zypern rund 200 Kilometer Seeweg vom Libanon entfernt liegt, machen sich immer mehr Menschen in kleinen Booten auf den Weg. An manchen Tagen kommen gleich mehrere Hundert Menschen an. Die Auffanglager sind überfüllt, das Land schlägt Alarm. Noch vor rund einem Jahr wurde diese Route kaum genutzt. Wieder sind sie da, die Warnsignale.

Vor diesem Hintergrund steht nun der Deal. Die feierliche Verkündung in Beirut wurde aber von Kritik begleitet. Die Fraktion der Linken im Europaparlament kommentierte auf der Plattform X: "EU-Heuchelei-Alarm! (...) Die Mittäterschaft der EU bei Menschenrechtsverletzungen ist eklatant." Der Grünen-Abgeordnete Erik Marquardt kritisierte bei der Deutschen Welle: "Wenn es keine Kontrolle über die Verwendung von Geldern durch Diktatoren gibt, sollte es kein Geld geben." Und der Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis, Riad Kahwaji, nannte den Deal einen großen Fehler: "Es ist irre zu sehen, dass die Europäer an die Illusion glauben, dass die libanesischen Behörden in der Lage wären, den Flüchtlingsstrom einzudämmen."

All das sind wichtige und richtige Punkte: Ja, im Libanon gibt es Menschenrechtsverletzungen gegen Syrer. Ja, die EU wird nicht restlos kontrollieren können, wo ihr Geld landet. Und ja, die von Korruption durchsetzten Behörden werden auch nicht in der Lage sein, die Bootsüberfahrten weitgehend zu unterbinden. Es ist ein heikler Weg – und das gleiche Dilemma wie auch schon bei den Abkommen mit Ägypten und Tunesien: Man unterstützt ein autoritäres Regime und dessen Militär, damit diese die Fluchtbewegungen eindämmen, ohne dafür Zusagen für das Einhalten der Menschenrechte zu erhalten.

Doch wenn man sich anschaut, an welche Stellen das Geld fließen soll, sieht man auch, dass auf der Grenzstärkung Libanons zwar eine, aber bei Weitem nicht die größte Priorität liegt. Die libanesische Armee soll nur einen kleineren Teil der Milliarde erhalten. Knapp drei Viertel des Geldes aber soll der Libanon für die Bewältigung der Flüchtlingssituation nutzen. "Natürlich ist das ein Deal mit einem problematischen Partner, aber es ist auch wichtig, in dieser Region den letzten Rest Stabilität aufrechtzuerhalten", sagte mir gestern der Politikwissenschaftler Raphael Bossong, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) unter anderem zur Asylpolitik der EU forscht.

Genau an diesem Punkt aber liegt auch das Problem der EU, genauer gesagt der Kommissionspräsidentin von der Leyen. Schon vor Monaten, noch vor dem Deal mit Tunesien im Sommer 2023, hat sie die Abkommen zum Heiligen Gral der Asylpolitik der EU ernannt. Man brauche nur einige abzuschließen, schon werde sich das Problem der irregulären Migration in Wohlgefallen auflösen – so oder zumindest so ähnlich klangen die Botschaften, die die CDU-Politikerin von der Leyen auf EU-Ebene und auch viele ihrer Parteigenossen hierzulande verlauten ließen.

Damit aber verschleiert man einerseits, wie mühselig und kleinteilig diese Abkommen sind. Die Libanon-Zypern-Route ist das beste Beispiel: Noch bis vor Kurzem hatte sie kaum einer auf dem Zettel, auf einmal tut sie sich auf – und schon gilt es, das nächste Loch zu stopfen. Ein Allheilmittel sind die Abkommen also sicher nicht. Die EU tut sich auch keinen Gefallen damit, die Probleme in den Staaten nicht offen anzusprechen. Im Gegenteil: Mit den groß angelegten Besuchen in den Staaten, mit vielen Fotos und feierlichem Händeschütteln adelt sie die Regime – und erweckt zugleich den Eindruck, sich für die Probleme nicht zu interessieren. "Von der Leyens öffentlichkeitswirksame Präsentation ist übertrieben und das tut der EU auch imagemäßig nicht gut", sagte mir Bossong. "Besser wäre, sie würde ehrlich zugeben, was die Schwachstellen der Abkommen sind."

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Denn, da darf man sich nichts vormachen, diese Abkommen sind eine Gratwanderung. Jedes für sich bedarf einer besonders feinen Abwägung. Im Falle des Libanon kann diese für den Deal ausfallen. In anderen Fällen aber muss die EU auch den Mut haben, Nein zu sagen oder konkretere Zusagen zu verlangen – man denke etwa an Libyen, wo Migranten im großen Stil inhaftiert, versklavt und verkauft werden. Dennoch erhalten die Behörden Millionen aus Europa. Damit macht sich Europa nicht nur unglaubwürdig – sondern gibt auch öffentlich zu, für ein bisschen weniger Migration alle Werte über Bord zu werfen. In die beste Verhandlungsposition bringt man sich damit nun wirklich nicht.


Die Termine

Außenministerin Annalena Baerbock ist zum Auftakt ihrer Ozeanien-Reise in Australien, in der vergangenen Nacht hat sie ihre Amtskollegin Penny Wong getroffen. Im Laufe des Tages geht es weiter nach Neuseeland. Die eigentliche Hürde aber hat sie längst geschafft: Sie ist in dieser doch etwas entlegenen Weltregion angekommen. Das ist, nachdem die eigentlich im August geplante Reise wegen mehrerer Pannen am Regierungsflieger abgebrochen wurde, eine Nachricht wert.

In Berlin wird heute Abend der Deutsche Filmpreis verliehen. Als großer Favorit gilt das Drama "Sterben", das gerade im Kino angelaufen ist. Live zu sehen ist die Gala in der ARD-Mediathek, im linearen Programm wird sie erst zeitversetzt um 22.20 Uhr ausgestrahlt.


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Mit Ralf Rangnick hat dem FC Bayern der nächste Wunschkandidat abgesagt. Die Trainersuche nimmt historisch schwierige Ausmaße an. Auch Uli Hoeneß spielt dabei eine Rolle, analysiert unser Kolumnist Stefan Effenberg.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Freitag und dann einen guten Start ins Wochenende. Im Wochenendpodcast diskutieren Lisa Fritsch, Florian Harms und unser Reporter Johannes Bebermeier über die Lage in der Ukraine.

Camilla Kohrs
Ressortleiterin Politik und Wirtschaft
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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