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Iranische Atombombe: Was für ein Albtraum


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Tagesanbruch
Was für ein Albtraum

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 02.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Eine Probe schweres Wasser aus dem iranischen Atomprojekt.Vergrößern des Bildes
Eine Probe schweres Wasser aus dem iranischen Atomprojekt. (Quelle: IMAGO/Iranian Presidency)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

was sich anschleicht, ist gefährlich. Sogar dann, wenn man dem Anschleicher beim Anschleichen zusehen kann. Russische Truppen marschierten im Frühjahr 2021 an der ukrainischen Grenze auf, und es passierte: nichts. Sie wiederholten das in noch größerem Umfang im Herbst. Die Folgen: keine. Im Februar 2022 war dann der nächste Höchststand an Panzern, Munition und Material erreicht. Wir wissen jetzt, wozu das diente. Aber noch Tage vor der russischen Invasion diskutierten die Experten in Parlamenten und Talkshows, ob Putin nicht doch wieder nur blufft. Es geschieht ja doch nichts: Das glaubten nicht nur viele Politiker und Journalisten. Auch die russischen Soldaten hatten bis Stunden vor dem Angriff keine Ahnung, dass es diesmal keine Übung war.

Seitdem bindet der Krieg in der Ukraine einen großen Teil unserer Aufmerksamkeit. Das ist verständlich. Ein mulmiges Gefühl kann uns dabei aber auch abseits des Krieges beschleichen: Was wäre, wenn sich im Stillen noch andere Schlingen zuziehen? Sind wir unaufmerksam? Übersehen wir vielleicht, dass sich andernorts ein feindseliges Regime auf leisen Sohlen an sein Ziel heranpirscht, während uns die immer gleichen Nachrichten einlullen, bis es plötzlich zu spät ist?

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Ich möchte Ihnen ein Beispiel für eine solche Nachricht geben: Die Internationale Atomenergiebehörde hat im Iran brisante Spuren gefunden. Sie deuten darauf hin, dass der Mullahstaat entgegen seinen Beteuerungen heimlich an einer Atombombe arbeitet und diesem Ziel jetzt nähergekommen ist als jemals zuvor. Von wann stammt die Meldung? Von dieser Woche? Oder ist sie zwei Jahrzehnte alt? Irgendwann dazwischen? Egal, für welche Antwort Sie sich entscheiden: Sie haben recht damit.

Soeben haben die Atomkontrolleure wieder einmal mitgeteilt, dass sie den Iran erwischt haben. In einer Anlage nahe der heiligen Stadt Qom haben sie Uran nachgewiesen, das fast nuklearwaffentauglich ist. Obendrein haben die Iraner heimlich an den Zentrifugen herumgedoktert, die das Uran anreichern. Teheran beteuert, es handele sich nur um winzige Spuren hochreinen Urans, die aus Versehen gelegentlich entstünden. Das kann theoretisch zwar sein, in Anbetracht der begleitenden Schummeleien dürfen wir es aber als faule Ausrede verbuchen.

An der Nachricht sind die Details zwar neu, doch das Hickhack ist ein alter Hut. Seit Jahrzehnten trickst und täuscht das Teheraner Regime, beteuert seine Friedfertigkeit und weist entschieden zurück, was auch immer zurückzuweisen ist: sei es, dass Inspekteure mal wieder Manipulationen an Maschinen aufgedeckt haben oder gleich einen geheimen Produktionsbunker. Ebenfalls seit Jahrzehnten warnen westliche Geheimdienste, dass der Iran kurz vor dem Bombenbau stehe. Besonders schrille Töne werden üblicherweise in Amerika und Israel angeschlagen. Man kennt es, man gewöhnt sich daran. Also alles nur Theater – oder ist diesmal etwas dran?

Die Antwort ist einfach: Wie lange der Iran für den Schritt zur Nuklearmacht noch braucht, wissen wir nicht. In der Vergangenheit haben sich apokalyptische Einschätzungen nicht bestätigt und sollten wohl eher Zugeständnisse an Teheran torpedieren oder einen Militärschlag herbeireden. Sicher ist aber auch, dass sich der Iran in den vergangenen Jahren an die Schwelle zum Bombenbau herangepirscht hat. Es ist ein bisschen wie beim Berliner Flughafen BER: Jahr um Jahr wird gebaut, gemacht, die Inbetriebnahme angekündigt. Und Jahr um Jahr wird nichts daraus. Aber irgendwann, wenn längst keiner mehr damit rechnet, ist es auf einmal doch so weit. Bei abhebenden Flugzeugen ist das am Ende ja ganz schön. Bei startenden Mittelstreckenraketen nicht.

Nach zwanzig Jahren des Hin und Her um das iranische Nuklearprogramm besteht kein Zweifel mehr daran, dass Irans Diktatoren die Atombombe als Lebensversicherung betrachten. Sanktionen fürchten sie nicht mehr. Entgegenkommen aus Europa erwarten sie ebenfalls nicht mehr – wie denn auch, nachdem sie gerade erst den Aufstand der Frauen niedergeknüppelt haben? Aber in Wladimir Putin haben sie einen dankbaren Geschäftspartner gefunden: Geld gegen Kampfdrohnen. Es ist schwer, die Mullahs auf ihrem Atomkurs noch zu bremsen.

Was geschieht, wenn der gefürchtete Tag kommt? Zunächst einmal nichts. Mehr Sanktionen natürlich, aber mit mäßiger Wirkung. Ein internationaler Aufschrei selbstverständlich. Aber ein westlicher Militärschlag wäre in dem Moment, in dem der Iran die nukleare Schwelle überschreitet, wohl zu riskant. So wirkt die Abschreckung, ob im Kalten Krieg oder am warmen Golf.

Das mag wenigstens ein bisschen beruhigend klingen, aber es täuscht. Eine iranische Atombombe wäre eine Katastrophe. Würde sie Realität, käme auf der viel zu langen Liste der nuklearen Brandherde ein weiterer hinzu. Nordkorea richtet seine Raketen auf den demokratischen Rivalen im Süden, feuert Testwaffen gen Japan und erreicht bald die USA. Indien und Pakistan bedrohen sich mit Atomwaffen, sobald an der gemeinsamen Grenze mal wieder scharf geschossen wird. In Europa müssen wir seit einem Jahr auf Russlands nukleare Erpressungsversuche reagieren. Noch eine Region, in der es zündelt, hat der Menschheit gerade noch gefehlt.

Eskalation ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Die Gefahr wächst mit jedem weiteren Ort auf der Welt, an dem die Pilzwolke in militärische Pläne Einzug hält. Und eine iranische Bombe ist besonders schlimm: Sie lässt die Dämme brechen. Dem Intimfeind Saudi-Arabien dürfte sie den Startschuss geben, ebenfalls rasch aufzurüsten. Geld haben die Saudis genug, Skrupel nicht. Der Brandherd Naher Osten voller Nuklearwaffen: Was für ein Albtraum!

Die neueste Nachricht der Atominspektoren ist deshalb weder eine Bagatelle noch können wir nach einem kurzen Gruseln zur Tagesordnung übergehen. Leider stehen die Chancen eher schlecht, Schlimmeres zu verhindern. Wenn Europa überhaupt irgendetwas in die Waagschale werfen kann, dann müssten es diplomatische Geschenke ausgerechnet für die brutale Clique in Teheran sein. Will man das riskieren, obwohl vielleicht nicht viel dabei herumkommt? Das ist keine leichte Entscheidung. Aber die Mullahs einfach mal machen zu lassen, ist sicher der falsche Weg.


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Es war Olaf Scholz' bislang wichtigste Rede: Als der Kanzler am 27. Februar 2022 im Bundestag angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine eine "Zeitenwende" ausrief und ein 100 Milliarden Euro großes Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte, gab es sogar von den Unionsparteien stehende Ovationen. Inzwischen hat sich die Begeisterung der Opposition gelegt – "ein Jahr der Zeitenverschwendung" beklagt CSU-Mann Alexander Dobrindt, und der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter bemängelt "ungeheure Defizite" bei der Truppe.

Auch aus der Ampelkoalition ertönt immer mehr Kritik: Man müsse im Beschaffungswesen besser werden, fordert FDP-Generalsekretär Bijan Djir‑Sarai, und SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert schon mal zusätzliches Geld, "weil wir sonst die Aufgaben nicht wahrnehmen können, die es 30 Jahre lang nicht wahrzunehmen galt".

Wie er selbst die Lage sieht, will der Kanzler heute Morgen in einer Regierungserklärung im Bundestag erklären: "Ein Jahr Zeitenwende – Deutschlands Sicherheit und Bündnisse stärken, die Ukraine weiter unterstützen", ist seine Rede überschrieben. Unschwer zu erahnen, dass er dabei vor allem das Geleistete betonen wird, etwa die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung an die Ukraine im Wert von fast 2,6 Milliarden Euro. Und auch das obligatorische Bekenntnis zur engen Abstimmung mit den USA wird kaum fehlen: Bereits am Abend fliegt Scholz zu einem Arbeitsbesuch nach Washington, um mit US-Präsident Joe Biden die weitere Strategie im Ukraine-Krieg zu besprechen. Unser Amerika-Korrespondent Bastian Brauns wird zur Stelle sein.


Bündnis gegen den Sultan

Gestern hat der türkische Dauerpräsidenten Erdoğan angekündigt, trotz des Erdbebens mit mehr als 50.000 Toten am Wahltermin 14. Mai festzuhalten. Heute berät ein Bündnis aus sechs Oppositionsparteien darüber, wer als gemeinsamer Kandidat gegen den Amtsinhaber ins Rennen gehen soll. Als mögliche Herausforderer gelten CHP-Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu, der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu und der Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş.


Was lesen?


Die Ampelkoalitionäre wollen Einigkeit demonstrieren – streiten aber über fast jedes Projekt. Unsere Reporter Johannes Bebermeier und Tim Kummert haben für Sie aufgeschrieben, wo es am heftigsten knallt.



Die amerikanische Bundespolizei bekräftigt die Theorie, dass das Coronavirus aus einem chinesischen Labor stammt. Die Kollegen des RND haben Hintergründe zusammengetragen.


Was amüsiert mich?

Mancher scheint gerade etwas falsch zu verstehen.

Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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