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Wladimir Putins Coup: Krachende Niederlage für den Westen


Tagesanbruch
Putins Coup: Krachende Niederlage für den Westen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 22.02.2022Lesedauer: 6 Min.
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Außenministerin Baerbock und ihre EU-Kollegen brauchen dringend eine Sicherheitsstrategie.Vergrößern des Bildes
Außenministerin Baerbock und ihre EU-Kollegen brauchen dringend eine Sicherheitsstrategie. (Quelle: Andreas Gebert/reuters)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wochenlang haben westliche Politiker und Analysten gerätselt, welche Strategie Wladimir Putin verfolgt. Jetzt wissen wir es. Da thronte der russische Präsident gestern Nachmittag wie ein Zar hinter einem majestätischen Tisch und ließ sich von seinen Marionetten anflehen, doch bitte, bitte die Unabhängigkeit der Rebellengebiete in der Ostukraine anzuerkennen. Wenig später begab er sich ins Staatsfernsehen und fauchte eine Tirade gegen den Westen in die Kamera, um seinen beispiellosen Coup zu rechtfertigen.

Spätestens jetzt ist klar: Der Kremlchef will das Rad der Geschichte zurückdrehen und die ehemaligen Sowjetrepubliken heim ins russische Reich holen, wie unser USA-Korrespondent Bastian Brauns analysiert. Er wird diese revisionistische Politik weitertreiben, wenn ihn niemand daran hindert: erst Belarus, dann die Ukraine – morgen Ungarn? Noch am Abend unterschrieb Putin ein Dekret zur Anerkennung von Luhansk und Donezk – und schickte dann seine Soldaten in die abtrünnigen Regionen. Ein Landraub in drei Stunden.

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Es ist ein abgekartetes Spiel. Raffiniert inszeniertes Polittheater, juristisch verboten, moralisch abscheulich. Völkerrecht, Frieden und das Schicksal von Zivilisten interessieren den Kremlchef offenkundig nicht. Er macht, was er schon auf der Krim und in Syrien gemacht hat: Er nimmt sich, was er will, selbst wenn die halbe Welt dagegen protestiert, selbst wenn auch viele Russen unter den Folgen leiden werden. Den mühsam errungenen Befriedungsprozess des Minsker Abkommens beerdigt er mit einem lapidaren Satz, während seine Propagandamedien über angebliche "Angriffe" ukrainischer Soldaten fabulieren: So bereitet man einen Krieg vor. Den kleinsten Vorfall in den Rebellengebieten – und sei er fingiert – kann Russland nun als Vorwand für einen Überfall auf weitere ukrainische Gebiete missbrauchen.

Dieser Zynismus ist schlimm. Doch noch schlimmer ist, dass die demokratischen Länder Europas machtlos dabei zusehen müssen. All der diplomatische Wirbel, all die Telefonate, Treffen, Besuche von Scholz, Baerbock und Macron im Kreml verpuffen im Schlachtengetrommel der Moskauer Militärs. Hastig beeilten sich die EU-Beamten gestern Abend, Sanktionen gegen Russland anzukündigen – dabei wissen sie ja, dass Putin nur darüber lacht. Der 21. Februar 2022 geht als ein Tiefpunkt in die europäischen Geschichtsbücher ein: Die stolzen Demokratien des Kontinents sind hilflos gegen brutale Aggressoren. Diese bittere Erkenntnis ist nicht weniger schlimm als der Schock der Eroberung Kabuls durch die Taliban.

Jahrzehntelang wähnten sich die EU-Staaten stark und unangreifbar. Unter dem militärischen Schutz Amerikas florierten sie wirtschaftlich und durften im Konzert der Weltpolitik immerhin die zweite Geige spielen. Tempi passati. In diesen kalten Wintertagen müssen die Politiker in Berlin, Brüssel und Paris erkennen: Ihr Einfluss reicht noch nicht einmal dafür, in der letzten Reihe die Triangel zu schlagen. Wie denn auch, wenn selbst der erste Geiger in Washington nur wenig gegen den Maestro in Moskau ausrichten kann? Die Schwäche ist selbst verschuldet. Überall, wo sich europäische Staaten in den vergangenen Jahren militärisch engagierten, haben sie krachende Niederlagen kassiert:

Irak: George W. Bushs Lügenkrieg endete im Desaster, der ganze Nahe Osten ist seither in Aufruhr. Gleich mehrere europäische Länder ließen sich in den Schlamassel hineinziehen.

Afghanistan: Am Hindukusch verbrannte allein die Bundeswehr mehr als zwölf Milliarden Euro. Am Ende zogen die westlichen Truppen Hals über Kopf ab und hinterließen ein einziges Chaos.

Libyen: Auf Drängen der Franzosen griff die Nato in den Bürgerkrieg ein. Doch als sie Gaddafi erledigt hatte, überließ sie das Land sich selbst. Bis heute herrscht dort Anarchie.

Syrien: Erst ignorierten die Europäer jahrzehntelang die Brutalität des Assad-Regimes. Als der Bürgerkrieg ausbrach, zogen sie gegen den "Islamischen Staat" ins Feld und verhedderten sich im Migrationsmanagement. Heute regiert Assad immer noch, der IS erstarkt auch wieder, und das Flüchtlingsproblem ist ungelöst.

Mali: In dem Wüstenstaat wollten Frankreich und Deutschland Terroristen bekämpfen und die Regierung stützen. Dann putschten sich Militärs an die Macht, holten russische Söldner ins Land und wünschten die Europäer zum Teufel. Seither wollen die Europäer nur noch raus.

Und nun die Ukraine: Jahrelang hatten Nato und EU den prowestlichen Politikern in Kiew schöne Augen gemacht – aber wenn es nun hart auf hart kommt, haben sie weder die Macht noch den Willen, das Land vor Putins Zugriff zu beschützen.

Selbstüberschätzung, Naivität und Kurzsichtigkeit heißen die Sünden europäischer Außenpolitik in Krisengebieten. Es ist bitter, das zu schreiben, aber es ist leider wahr. Geht das so weiter, werden die Probleme von immer mehr Konfliktherden auf Mitteleuropa überspringen: seien es Kriegsgefahr, Terrorismus, Flüchtlinge oder die politische Dauerbeschäftigung mit dem Löschen von Bränden, statt sich um dringende Themen wie die Klimakrise zu kümmern.

Selbst wenn diese Erkenntnis für die Ukraine zu spät kommt: Wenn sie die Stabilität Europas erhalten, die Sicherheit ihrer Bürger schützen und ihre wirtschaftlichen Interessen in der Welt wahren wollen, müssen die EU-Länder schleunigst eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik definieren, die ihren Namen verdient. Dazu gehören eine europäische Armee, das Ende der absurden Parallelentwicklung inkompatibler Waffensysteme, eine proaktive Friedensdiplomatie, die Konflikte löst, bevor sie eskalieren, und vor allem eine ehrliche Antwort auf die Frage, was wirklich im europäischen Interesse liegt – und was nicht. Wäre die Ukraine-Krise auch dann eskaliert, hätten EU und Nato schon vor Jahren einen Kompromiss mit Moskau angebahnt und Kiew klargemacht, dass es in absehbarer Zeit nicht Mitglied der Bündnisse wird? Diese Frage muss man stellen.

Kanzler Olaf Scholz hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz eingestanden: Deutschland muss militärisch mehr leisten, um Europa wehrhaft aufzustellen. Die Bundesrepublik brauche "Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen können, Soldatinnen und Soldaten, die optimal ausgerüstet sind." Nach den Merkel-Jahren, in denen die Bundeswehr heruntergewirtschaftet wurde, kommt diese Erkenntnis keinen Tag zu früh. Doch mit mehr Militär allein lassen sich die Konflikte unserer Zeit nicht lösen. Das wissen auch die Ampelkoalitionäre, weshalb sie mehr Geld in Entwicklungszusammenarbeit investieren und eine "wertegeleitete Außenpolitik" betreiben wollen. Es ist höchste Zeit, genauer zu sagen, was das eigentlich sein soll. Und was in höchster Kriegsgefahr daraus folgt.

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Was amüsiert mich?

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Ich wünsche Ihnen einen friedlichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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