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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Robert Habeck Ausgerechnet er
Robert Habeck muss das Klima retten, zumindest so gut es geht. Doch die Jahrhundertaufgabe ist nur ein Teil seiner Jobbeschreibung. Die vielen Baustellen gefährden seine große Mission.
Es scheint sein Schicksal zu sein, dass auch die leichten Termine in diesen Zeiten schwer geraten. Robert Habeck ist Mitte Februar auf seiner Deutschland-Tournee in Mecklenburg-Vorpommern angekommen. Eigentlich ein Musterland für jenen Umbau, dem Habeck das ganze Land unterziehen will: Windräder, wohin man blickt, Solaranlagen in Fußballfeldgröße.
Dafür besucht der Wirtschafts- und Klimaminister fast jede Woche ein neues Bundesland. Die Visite im Nordosten sollte eine frohe Abwechslung zu seinem letzten Stopp sein, der ihn zu den Windkraft-Bremsern in Bayern geführt hatte.
Doch nun steht der Grünen-Politiker im dicken Wollschal in der zugigen Halle 40 der MV Werften am Hafen von Wismar. Hier geht es um konkrete Probleme im Jetzt und nicht um einen grundlegenden Umbau Deutschlands, dessen Ergebnisse man erst irgendwann sehen wird. Die Werft ist insolvent, 1.900 Arbeiter bangen um ihre Jobs, die Eigentümer aus Hongkong haben sich verhoben mit einem Kreuzfahrtschiff für den chinesischen Markt.
Bevor Habeck die Bühne erklimmt, murmelt ein Gewerkschafter: "Der Minister muss die Menschen ins Zentrum stellen, nicht die Energieeinsparungen." Arbeitsplätze first also – "und dann kann man gemeinsam ja über die Entwicklung neuer Technologien sprechen".
Probleme, überall Probleme
Habeck weht der Gegenwind an diesem frischen Februartag im Nordosten immer wieder ins Gesicht. Erst einmal muss hier also irgendwie ein Kreuzfahrtschiff weiter gebaut werden, aus grüner Sicht eine Feinstaubschleuder aus alter Zeit.
Und die Tourismusbranche im Land ist auch noch sauer. Wegen der geltenden Corona-Maßnahmen bittet sie den Minister zum Krisengespräch. Doch Habeck hat auch ein Thema mitgebracht, das er dem hiesigen SPD-Wirtschaftsminister Reinhard Meyer, seinem alten Bekannten aus Schleswig-Holsteiner Zeiten, gleich zu Beginn mitteilt. Windkraft habe in Mecklenburg-Vorpommern zwar einen idealen Standort, so Habeck. "Aber leider ist der Ausbau ins Stocken geraten."
Probleme, überall Probleme. Um genau zu sein: Habecks Probleme.
Er ist Superminister, offiziell zuständig für Wirtschaft und Klimaschutz. Faktisch muss er die Energiewende wuppen, wohinter sich nicht weniger verbirgt als eine umfassende Transformation der Art, wie wir Strom gewinnen, uns fortbewegen, bauen und heizen. In jedem dieser Themen lauern riesige Erwartungen und riesiger Widerstand.
Und als ob das nicht genug wäre, kämpft Habeck in diesen Wochen etwa auch noch mit beispiellosen Lieferkettenproblemen, den Corona-Verheerungen in Gewerbe und Einzelhandel. Und der drohende Krieg Russlands in der Ukraine sorgt daheim unter anderem für leere Gasspeicher und explodierende Energiepreise. Habeck muss also auch noch schauen, wie Deutschland weniger abhängig wird von russischem Gas.
Ach ja, Vizekanzler und damit oberster Grüner in der Ampel ist Habeck natürlich auch noch.
Drama auf der menschlichen Ebene
Vermutlich hätte jeder Minister so seine Probleme in einem Haus, das so viel gleichzeitig lösen soll. Doch bei Robert Habeck kommt neben der aktuellen Krisenlage noch etwas anderes hinzu. Obwohl die Grünen gerne das Gegenteil behaupten, werden sie von Teilen der Wirtschaft noch immer skeptisch beäugt.
Robert Habeck, der Herr von der Verbotspartei, der mindestens ein Hauch von Sozialismus und Überregulierung anhaftet? Ausgerechnet der soll jetzt auf einmal Hüter der sozialen Marktwirtschaft sein?
Solche und andere Zweifel begleiten den Wirtschaftsminister in diesen Tagen vielerorts.
In Wismar findet er den richtigen Ton. "Das Drama liegt hier auf der menschlichen Ebene", sagt er gleich zu Beginn. Die Arbeitsplätze. Es ist der Satz, den der Gewerkschafter hören wollte.
Die Kreuzfahrt leiste zwar keinen Beitrag zum Klimaschutz, aber doch zur Erhaltung des Wirtschaftsstandorts in der Corona-Notlage. Da müsse man jetzt einfach helfen, findet Habeck. Perspektivisch jedoch müsse man den Schiffsbau nachhaltig machen, auf alternative Antriebe umschwenken, in den Werften auch die Plattformen für die Offshore-Windräder schweißen. So schafft Habeck an diesem Tag den Spagat.
Er muss ihn ziemlich oft versuchen, so wie Ende Januar im Bundestag.
Wenn Robert Habeck den Ludwig Erhard macht
Robert Habeck steht mittags in der Regierungsbank vor einem Mikrofon, hat die Hände vor dem Bauch verschränkt und ist für seine Verhältnisse fast schon overdressed: weißes Hemd, schwarzer Anzug, schwarze Krawatte. Die Parlamentarier befragen den Minister zu seiner Politik, er muss antworten. Regierungsbefragung heißt das, ein wichtiges Ritual. Es geht quer durch den Garten.
Thema Abhängigkeit von Russland. Wo das Gas denn künftig herkommen solle, um unabhängiger von Wladimir Putin zu werden, fragt ein Abgeordneter der CDU. "Die Diversifizierung ist marktgetrieben", antwortet Habeck im schönsten McKinsey-Deutsch. Er weise darauf hin, dass "wir ja Märkte haben", bei allem staatlichen Engagement. "Wir können also den Kraftwerken nicht vorschreiben, wo sie einkaufen." Aber sie zum Beispiel mit Rahmenverträgen zu unterstützen, das gehe schon.
Thema Unabhängigkeit von China. Um welche Rohstoffe es denn gehe, bei denen die Koalition den heimischen Abbau erleichtern wolle, will ein anderer CDU-Politiker wissen. "Um die, die beantragt werden", antwortet Habeck. "Ich weise noch mal darauf hin, dass soziale Marktwirtschaft bedeutet, dass der Staat nicht alles regelt." Er werde "der Letzte sein", der Industrieunternehmen vorschreibe, welche Rohstoffe sie einzusetzen haben.
Robert Habeck, der Grüne, hält die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft ausgerechnet gegen die Partei Ludwig Erhards hoch. So zumindest der Eindruck, den der Minister wohl gerne so stehen lässt.
"In erster Linie Klimaminister"
Wie gerechtfertigt dieser Eindruck ist, daran gibt es jedoch Zweifel, wie könnte es anders sein. Einer der Zweifelnden ist Michael Grosse-Brömer. Als Parlamentarischer Geschäftsführer hat er viele Jahre die Unionsfraktion gemanagt, jetzt ist er Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, also wichtiger Fachpolitiker.
"Robert Habeck ist bislang in erster Linie Klimaminister und nicht Wirtschaftsminister", sagt Grosse-Brömer t-online. Das würden mittlerweile im politischen Berlin immer mehr Menschen so sehen.
"Er erzählt viel darüber, wie wir künftig leben sollen, sagt aber wenig dazu, wovon wir leben wollen", findet er. "Dazu brauchen wir eine funktionierende Wirtschaft, und da hätte er viele Probleme zu lösen: Fachkräftemangel, Rohstoffknappheit, Lieferketten, Einzelhandel in Innenstädten, Wettbewerbsfähigkeit, um nur einige zu nennen." Dazu jedoch höre er gar nichts von Habeck.
Natürlich, da spricht ein Oppositionspolitiker der CDU über einen Minister der Grünen. Ein bisschen parteipolitische Folklore muss man also abziehen. Nur bleibt auch danach mindestens noch ein Ministerium übrig, das neben der Jahrhundertaufgabe des Klimaschutzes einen Haufen anderer Probleme zu lösen hat. Und ein Minister, dem schon gefährlich werden könnte, wenn er das bei einigen dieser Probleme nicht schafft.
Brutal korrigiert
Nirgendwo hat sich das bisher so deutlich gezeigt wie bei Habecks Problemen mit der KfW. Die Förderbank hatte am 24. Januar mehrere Programme zur Förderung energieeffizienten Bauens abrupt stoppen müssen. Schlicht, weil kein Geld mehr da war.
Noch die große Koalition hatte im November beschlossen, die Neubauförderung zum 31. Januar auslaufen zu lassen. Auch weil sie einen Standard unterstützt, der mittlerweile handelsüblich geworden ist. Das angekündigte Aus löste jedoch einen "beispiellosen Antragsboom" aus. Den Robert Habeck erbte. Und auf den sein Ministerium offensichtlich nicht rechtzeitig reagierte.
"Dass das Geld ausgeht, muss man im Ministerium viel früher registrieren, dafür ist es da", sagt CDU-Wirtschaftspolitiker Grosse-Brömer. "Da trägt Robert Habeck eine klare Mitschuld."
Die Bauherren jedenfalls gingen die (noch nicht vorhandenen oder schlecht isolierten) Wände hoch.
Habeck gab sich zerknirscht, sprach im Bundestag von einer "bitteren Nachricht" für die Antragsteller, die "brutal korrigiert" werden musste. Das sei "ärgerlich" und solle "sich auch nicht wiederholen". Hektisch kratzte die Regierung Milliarden zusammen, um zumindest die schon eingereichten Anträge noch bewilligen zu können. Inzwischen läuft auch die Sanierungsförderung wieder, die Neubauförderung wird überarbeitet.
Doch der politische Schaden bleibt. Und die nächsten Probleme warten schon. Auf Robert Habeck.
- Eigene Recherchen