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James Bond: Der neue Film ist nur laut – bei Boris Johnson ist mal wieder Krise


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Tagesanbruch
Der Typ ist eine Null

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 29.09.2021Lesedauer: 7 Min.
Daniel Craig als James Bond im neuen 007-Streifen "Keine Zeit zu sterben".Vergrößern des Bildes
Daniel Craig als James Bond im neuen 007-Streifen "Keine Zeit zu sterben". (Quelle: Nicola Dove/Universal Pictures/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

Crash! Boom! Bang! – So kennen wir den britischen Tausendsassa. Noch bevor die ersten zehn Minuten über die Leinwand geflimmert sind, haben wir schon Liebesschwüre, Verfolgungsjagden, eine Schießerei und natürlich einen guten Drink verdaut. Und wenn dann in den folgenden zweieinhalb Stunden kiloweise Blei durch die Luft zischt, ohne dem Helden auch nur ein Haar zu krümmen, wenn schöne Frauen in seinen starken Armen dahinschmachten und er einem Bösewicht nach dem anderen den Garaus macht, weil er nämlich mal wieder die Welt retten muss, ja, dann wissen wir: Es ist wieder Zeit für 007. Nach zweijähriger Verschiebung läuft der Film ab morgen endlich in den deutschen Kinos, doch Berichterstatter mit einem guten Draht zu den Filmvorführern ihrer Majestät durften sich das gute Stück bereits gestern Abend zu Gemüte führen.

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Das gute Stück? Nun ja, das kommt auf den Blickwinkel an. Wer sich begeistert Crashs und Booms und Bangs um die Ohren hauen lässt und sich nicht daran stört, dass sich auch die Handlung nach einer halben Stunde in Rauch auflöst, wird "Keine Zeit zu sterben" als prima Zeitvertreib genießen. Diesmal geht es um eine fiese DNA-Waffe, mit der sich die gesamte Menschheit infizieren lässt (passt ja irgendwie), die Schauplätze liegen in Italien, Jamaika, Norwegen, natürlich London und auf irgendeiner düsteren Insel, und der Rest ist auch wie immer. Wer rasante Kameraflüge mit der Drohne für den letzten Schrei hält und zum fünfundzwanzigsten Mal dabei zusehen mag, wie Halunken ihr Fett beziehungsweise ihre Kugel abbekommen, für den kommt der neue James-Bond-Streifen nach den freudlosen Corona-Monaten gerade richtig. Doch leider fehlen diesem Film sowohl die Eleganz der Sean-Connery-Klassiker und der Humor der Roger-Moore-Streifen als auch die Coolness der ersten Daniel-Craig-Epen. Dieser 007 ist einfach nur laut. Crash, Boom, Bang allein ist dann doch zu wenig.


So sieht es also aus, wenn ein Brite die Welt rettet. Jedenfalls im Kino. Das Inselvölkchen könnte den Top-Agenten auch sonst gut gebrauchen, damit er sie aus brenzligen Situationen raushaut, allerdings unterscheidet sich die Rahmenhandlung ein bisschen vom rasanten Kino-Plot. Im echten Leben ist es kein mysteriöser Unbekannter mit ultragefährlicher Technik, der ein apokalyptisches Szenario anzettelt. Sondern irgendein Typ, der einen Lkw fährt. Und seine Kumpels. Bonds neuer Spezialauftrag im realen Großbritannien kommt eher bodenständig daher.

Ja, bei den Briten ist mal wieder Krise, und diesmal lernen sie dabei eine ganze Menge über Trucks und Lorries. Sie haben richtig gelesen: Es geht um Lastwagen. Erkenntnis Nummer eins: Jemand muss sie fahren. Ach was!, raunen Sie jetzt wahrscheinlich, aber bevor Sie das als selbstverständlich beiseitewischen, wollen wir kurz die Zahlen sacken lassen: 100.000 Lkw-Fahrer fehlen in Großbritannien. Das ist kein Pappenstiel. Das hat Konsequenzen. Aber wieso sind sie weg?

Der Mann mit dem Wuschelkopf könnte darauf eine Antwort geben, die das Wörtchen "Brexit" enthält, aber lieber gibt er eine andere. "Corona", trompetet Premier Boris Johnson, das Virus sei schuld, und dafür kann ja niemand was. Wegen der wiederholten, langen, heftigen Lockdowns ist allerlei ausgefallen, Fahrprüfungen für Nachwuchs-Trucker zum Beispiel, so verlautbart es aus der Ministerriege, und es stimmt ja auch. Warum sollte die halbe Wahrheit also nicht genügen? Sonst müsste man nämlich ergänzen, dass der Brexit die eingewanderten Kontinentaleuropäer, die den Briten angeblich die Arbeitsplätze wegnehmen, nach Hause verbannen sollte – und das auch recht erfolgreich getan hat. Die Speditionen schauen seitdem leider noch tiefer in die Röhre: 20.000 Lkw-Fahrer, die allein infolge des Brexits dem Land den Rücken gekehrt haben, fehlen nun an allen Ecken und Enden.

Der Mangel hinter dem Lenkrad führt zu Knappheit allerorten. Sogar mit Worten muss man sparen. Bei der lässig hingeworfenen Bemerkung "Ich fahr mal eben tanken" beispielsweise müssen die Briten erstens das "mal eben" und zweitens die Lässigkeit streichen. Stundenlang steht man an der Tanke in der Schlange, bei manchen liegen die Nerven blank, dann fliegen die Fäuste. So kommt es zu einer altbekannten Kaskade: Weil zu wenige Tankwagen rollen, laufen mancherorts die Benzinvorräte leer. Das spricht sich rum, Gerüchte kommen hinzu. Jetzt will jeder schnell tanken, solange man noch was bekommt. Und wie immer, wenn alle auf einmal dieselbe Sache haben wollen, ist sie schnell nicht mehr zu haben. Erinnern Sie sich an den Klopapiermangel zu Beginn von Corona? Das war derselbe Effekt.

An dieser Stelle darf man allerdings stutzig werden. Haben wir in Deutschland, und in der EU ganz allgemein, nicht auch einen Mangel an Lkw-Fahrern? Ja, haben wir. Rasen wir deshalb alle mit Schweißperlen auf der Stirn zur nächstbesten Tankstelle? Nein, tun wir nicht. Das liegt aber nicht daran, dass wir Kontinentaleuropäer Nerven wie Drahtseile haben, während die Briten ein Volk von Hasenfüßen sind. Engländer, Waliser und Schotten sind nur ihrer Gewissheiten beraubt. Das ganze Jahr schon werden sie mit Hiobsbotschaften bombardiert: Mit dem Brexit kamen die Grenzkontrollen, ein Abfertigungsrückstau, verzweifelte Händler, endlos wartende Trucker an den Schlagbäumen auf beiden Seiten des Kanals. Später mussten die Briten sich an leergeräumte Regale in den Supermärkten gewöhnen und an eine neue Art von Schlagzeilen: "Lebensmittelknappheit könnte dauerhaft sein". Sie mussten erfahren, dass die nationalen Erdgasreserven durch eine Reihe von Fehlentscheidungen zusammengeschnurrt sind – und dass der rettende Puffer fehlt, weil kein Zugriff mehr auf die EU-Reserven besteht.

Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Viele kleinere Energieversorger hatten ein Eckchen vom Markt erobern wollen, indem sie ihren Kunden günstige Preise garantierten. Inzwischen zwingt die Gasknappheit ihnen kurzfristige Zukäufe zu Mondpreisen auf. Unter den Versorgern rollt die Pleitewelle. Die Regierung sah sich bereits veranlasst, den Bürgern zu versichern, dass im Winter in Britannien nicht die Lichter ausgehen. Oder die Heizungen. Wer die Brexit-Strippenzieher und den Wahrheitsgehalt ihrer Versprechungen kennt, den beruhigt das nicht.

Die haben es also nicht leicht, die Briten. Zum Glück naht der Retter, wenn auch in letzter Sekunde – nicht nur im Kino: Boris Johnson ist heldenhaft über seinen Schatten gesprungen und will, dem Protestgeheul der Brexit-Hardliner zum Trotz, 5.500 Saisonarbeiter und 5.000 Lkw-Fahrer mit Kurzzeit-Visa ins Land lassen. Aber nur bis Weihnachten, dann müssen sie wieder verschwinden. Falls unter diesen Bedingungen überhaupt jemand kommen will. Angesichts fehlender 100.000 Trucker ergibt das im Idealfall nur noch eine Lücke von … nun ja. Wir wollen nicht kleinlich sein. Alles ist knapp dieser Tage, da muss man sich mit weniger bescheiden. Selbst Boris Johnson. Der ist leider doch kein Doppelnull-Agent. Eine Null muss für ihn reichen.

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Machtkampf der Radikalen

Der Zwist war unübersehbar: Als die AfD-Spitze den Ausgang der Bundestagswahl kommentierte, lobten die Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla sich selbst und das zweistellige Ergebnis, während Jörg Meuthen Kritik übte. Der alte Richtungsstreit zwischen den Radikalen und den etwas weniger Radikalen in der Partei bricht wieder auf. Erste Hinweise, wie sich der Machtkampf entwickelt, könnte heute die konstituierende Sitzung der AfD-Bundestagsfraktion geben, bei der auch über die künftigen Anführer entschieden wird. Da der bisherige Co-Vorsitzende Alexander Gauland nicht noch mal antritt, wollen Frau Weidel und Herr Chrupalla sich gemeinsam bewerben. Dagegen formiert sich zwar Widerstand im Meuthen-Lager, doch dessen Chancen gelten angesichts der Wahlerfolge in Sachsen und Thüringen als gering. Wenn in der AfD gerade überhaupt noch jemand Auftrieb hat, dann sind es die besonders radikalen Landesverbände im Osten. Brrr.


Woche der Entscheidung

Gleich an mehreren Fronten hat US-Präsident Joe Biden zu kämpfen. Zum einen blockieren die Republikaner im Senat eine Vorlage, mit der die Finanzierung der Regierung über das Ende des Haushaltsjahres an diesem Donnerstag hinaus gesichert werden soll. Ist bis Freitag nicht alles unter Dach und Fach, droht ein "Shutdown": Staatsbedienstete müssten in den Zwangsurlaub geschickt werden oder ohne Lohn arbeiten. Zum anderen geht es für Herrn Biden darum, zwei zentrale Vorhaben seiner Amtszeit im Kongress durchzusetzen: erstens ein Investitionspaket für die marode Infrastruktur des Landes, zweitens ein Milliardenpaket für Sozialleistungen. Beide Vorhaben wackeln aber nicht wegen der Republikaner, sondern wegen interner Flügelkämpfe bei Bidens Demokraten, was es für ihn besonders bitter macht. Sollten sie scheitern, wäre seine gesamte Präsidentschaft irreparabel beschädigt.


Was lesen?

Die Namen Hermann Göring, Albert Speer und Julius Streicher sind bis heute berüchtigt: Vor 75 Jahren wurden sie im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des Nazi-Regimes verurteilt. Dass sich auch Männer wie Otto Ohlendorf, Heinz Jost und Paul Blobel, die als SS-Führer für den Massenmord an den Juden in Osteuropa direkt verantwortlich waren, vor Gericht verantworten mussten, ist Benjamin Ferencz zu verdanken: Er hat die Massenmörder angeklagt. Heute ist der 101-Jährige der letzte lebende Chefankläger der damaligen Prozesse. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir berichtet er von seiner Fahndung nach Adolf Hitler, erklärt, wie Menschen zu Massenmördern werden – und zieht daraus Lehren für die heutige Zeit.


Um die künftige Bundesregierung zu tragen, müssen FDP und Grüne zusammenfinden. Bei welchen Themen das Konfliktpotenzial besonders groß ist, erklären Ihnen meine Kollegen Lisa Becke, Patrick Diekmann und Heike Aßmann.


Cem Özdemir zählt zu den prominentesten Grünen. Unseren Reportern Johannes Bebermeier und Sven Böll hat er erklärt, was die Partei unbedingt durchsetzen will und wo er sich künftig selbst sieht.


Was amüsiert mich?

Bald ist Angela Merkel weg vom Fenster. Aber vorher dürfen wir noch mal schauen, was sie so gemacht hat.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag. Wenn Sie uns einen Gefallen tun möchten, geben Sie uns hier eine Rückmeldung, wie Sie den Tagesanbruch finden. Morgen schreibt Peter Schink für Sie, von mir lesen Sie am Freitag wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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