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Bundestagswahl | Cem Özdemir: "Das ist natürlich auch eine Zumutung"


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Cem Özdemir
"Das ist natürlich auch eine Zumutung"


Aktualisiert am 28.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Cem Özdemir: Der frühere Grünen-Chef hat die vergangenen Jamaika-Verhandlungen für die Grünen geführt.Vergrößern des Bildes
Cem Özdemir: Der frühere Grünen-Chef hat die vergangenen Jamaika-Verhandlungen für die Grünen geführt. (Quelle: Dennis Duddek/Eibner Pressefoto/imago-images-bilder)
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Die Grünen haben ihre hohen Ziele bei der Wahl verfehlt. Trotzdem dürften sie bald in der Bundesregierung sitzen. Cem Özdemir erklärt, was für die Partei wichtig ist – und wo er sich selbst sieht.

t-online: Herr Özdemir, Sie haben Ihren Wahlkreis mit einem starken Ergebnis gewonnen. Das Ergebnis der Grünen ist nicht so stark. Wie sehr können Sie sich freuen?

Cem Özdemir: Ich freue mich natürlich sehr über das Direktmandat in Stuttgart mit einem tollen Ergebnis. 40 Prozent sind schon eine Hausmarke. Ich weiß aber auch, dass mit diesem Vertrauen in mich viel Verantwortung einhergeht. Im Bund habe ich mir natürlich noch mehr erhofft, aber wir haben dazugewonnen und gelernt. Wir haben das erste Mal in der Champions League mitgespielt, und sind da jetzt nicht gleich Erster geworden, sondern Dritter. Gestartet sind wir von Platz sechs. Jetzt kommt es darauf an, dass wir den eingeschlagenen Weg weitergehen und uns fest in der Champions League etablieren.

Braucht die Partei also weniger Annalena Baerbock und mehr Cem Özdemir?

Meine Partei braucht Annalena Baerbock, Robert Habeck und kann sich auch auf mich verlassen. Ich habe einen Heidenrespekt vor dem, wie Annalena Baerbock in diesem Wahlkampf durchgekämpft hat. Aber natürlich haben wir am Anfang auch Fehler gemacht. Annalena Baerbock hat diese ehrlich und selbstkritisch eingeräumt und sich zurückgekämpft. Auch in den Triellen hat sie überzeugt. Jetzt gilt es, den Blick nach vorne zu richten. Da spielen Annalena Baerbock und Robert Habeck weiterhin die entscheidende Rolle.

Was ist für Sie die zentrale Botschaft der Bundestagswahl?

Die Menschen wollen Klimaschutz, und gleichzeitig haben viele Angst vor Veränderung. Es geht darum, das Vertrauen für die notwendige Veränderung zu erwerben. Den Sorgen und Nöten gerecht werden, und das Land zugleich beim Klimaschutz und der Infrastruktur exzellent aufstellen: Das wird die Aufgabe der nächsten Regierung. Weiter-so geht jedenfalls nicht mehr. Das ist brandgefährlich – und schadet auch dem Wettbewerbsstandort Deutschland.

Haben die Grünen die Sorgen vor Veränderungen nicht ernst genug genommen? Immerhin war das Klimabewusstsein doch eine historische Chance für Ihre Partei.

Offensichtlich ist es uns jedenfalls nicht gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern die Sorgen vollständig zu nehmen. Das ist aber natürlich auch nicht ganz einfach. Die Automobilindustrie etwa hat eine 150-jährige Geschichte. Die Menschen, die dort arbeiten, sind zu Recht stolz auf das, was sie machen. Denen zu sagen, ihr müsst jetzt E-Autos bauen und am Ende werden es auch weniger sein als heute – das ist notwendig, aber natürlich auch eine Zumutung. Die großen Automobilhersteller kriegen das hin. Für einige Zulieferer ist es aber schwierig, und das löst Ängste aus. Deshalb geht es da auch um Respekt ...

... jetzt klingen Sie wie Olaf Scholz.

Da hat er mal recht! Wir müssen den Mut haben, nach dem Auto nun auch das nächste große Ding zu machen: die emissionsfreie Mobilität. Und dabei drei Dinge gleichzeitig im Blick zu haben: Wir müssen das Klima richtig schützen, den Industriestandort erhalten, und Jobs sichern oder neue schaffen, wo sie wegfallen. Das ist hochkomplex.

Cem Özdemir, 55, war von 2008 bis 2018 Bundesvorsitzender der Grünen. Er sitzt mit Unterbrechungen seit 1994 im Bundestag. Seit 2018 ist er Vorsitzender des Verkehrsausschusses.

Das klingt jetzt so, als würde in Ihrer Analyse die Fehlerdiskussion um Annalena Baerbock kaum eine Rolle spielen.

Wir haben uns für die Wahl mehr vorgenommen, und haben auch nicht alles richtig gemacht. Aber das ist Vergangenheit. Der Grundansatz des Wahlkampfs und der vergangenen Jahre war ja der richtige: Nämlich den Anspruch zu haben, die ganze Gesellschaft anzusprechen. Baden-Württemberg ist da die Blaupause.

War aber nicht doch eines der Probleme, dass dieser Anspruch im Wahlkampf zu sehr verloren gegangen ist und man am Ende ein Stück zurück in die Nische gerutscht ist?

Das ist zeitweise ein bisschen verschütt gegangen, das stimmt schon. Wichtig ist, dass wir jetzt an diese Stärke anknüpfen.

Blicken wir auf die nächsten Wochen und die Regierungsbildung. Grüne und FDP sprechen nun erst mal einzeln miteinander. Worauf müssen die Grünen achten?

Der wichtigste Grundsatz ist: Wir müssen mit dem Ziel des Erfolgs verhandeln.

Das war vor vier Jahren, als Sie die Verhandlungen für die Grünen geführt haben, nicht so?

Ab einem gewissen Punkt war es nicht mehr bei allen Beteiligten so. Dann hat die FDP am Scheitern gearbeitet. Aber die Wunden sind verheilt und wir können beide den Blick nach vorne richten.

Und da sind sie optimistisch, dass es passen könnte?

In Rheinland-Pfalz mit der Ampel und in Schleswig-Holstein mit Jamaika haben wir ja schon einschlägige Erfahrungen. Auch persönlich stehe ich in gutem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen der FDP. Es gibt große Gemeinsamkeiten in der Gesellschaftspolitik und bei der Digitalisierung.

Wo wird es schwierig?

Beim Klimaschutz.

Was muss denn das konkrete Ziel der Gespräche sein?

Eine Vertrauensebene zu schaffen und zu verhindern, dass die beiden größeren Parteien Grüne und FDP gegeneinander ausspielen.

Also beim Klimaschutz sollte es einen gemeinsamen grün-gelben Vorschlag geben?

Mein Ratschlag wäre: Einfach mal auf die Wirtschaft hören. Ich habe gerade im Wahlkampf sehr viele Unternehmen besucht. Auch in der Automobilindustrie. Viele sind längst weiter als der eine oder andere, der sich in der Vergangenheit als ihr Anwalt gesehen hat. Da fordert die Wirtschaft jetzt klare Entscheidungen, etwa für E-Autos. Die FDP hängt noch immer der irrigen Vorstellung an, Wasserstoffautos seien eine gute Idee und verkauft das als Technologieoffenheit. Für die Autohersteller ist die Frage der Technologie längst entschieden.

Jetzt klingen Sie so, als wollten Sie der FDP ein wenig das FDP-Sein austreiben ...

... ich will niemandem etwas austreiben. Wir machen ja keinen Exorzismus (lacht). Ich rate einfach dazu, an pragmatischen Lösungen zu arbeiten.

So funktioniert Politik aber doch leider oft nicht.

Aber ich bin optimistisch, weil wir mehrere Vorteile haben. Im Gegensatz zu anderen Ländern ist es bei uns nicht umstritten, dass es eine menschengemachte Klimakrise gibt. Von der AfD einmal abgesehen. Hinzu kommt, dass viele in der Wirtschaft nicht mehr gegen Klimaschutz lobbyieren, sondern diesen sogar einfordern. Und schließlich haben wir sehr viel Innovationspotenzial. Damit wir diese Chancen im Mobilitätsbereich nutzen, darf der Verkehrsminister seine Aufgabe aber nicht länger vor allem darin sehen, Geld für Straßenbau nach Bayern umzuleiten. Wir brauchen ein umfassendes Modernisierungsprogramm auf allen Ebenen und im ganzen Land.

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Lässt sich das besser mit der SPD oder mit der Union umsetzen?

Grundsätzlich haben wir mehr Schnittmengen mit der SPD. Allerdings hat die Partei im Wahlkampf auch so getan, als habe sie die vergangenen Jahre auf einem fernen Planeten verbracht, Deutschland erst kurz vor der Wahl wieder betreten und sei nun schockiert, in welch miserablen Zustand sich die Republik befindet. Deshalb bin ich gespannt, was die Sozialdemokraten uns zu sagen haben: Wollen sie beim CO2-Preis weiter bremsen oder ein Preissignal senden, das wirkt, aber niemanden überfordert?

Vielleicht ist es mit der CDU einfacher. So wie in Baden-Württemberg, wo die Grünen im Koalitionsvertrag viel durchsetzen konnten.

Deshalb wäre es auch ein grober Fehler, jetzt eine Koalitionsoption vom Tisch zu nehmen. Aber wir wollen beim Klimaschutz konkrete Zahlen und Ergebnisse. Wir werden keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn dieser nicht absolute Vorfahrt für Klimaschutz vorsieht. Und es darf nicht mehr die alte Arbeitsteilung in Koalitionen geben, dass der eine Partner für die Umweltthemen zuständig ist, und der andere Partner bremst das aus dem Wirtschafts-, Finanz-, oder Landwirtschaftsressort aus. Erfolgsmaßstab muss jede Tonne eingespartes CO2 sein – und zwar für jedes Ministerium.

Wie wollen Sie sich denn persönlich in den nächsten Wochen einbringen?

Ich habe 2017 schon einmal Sondierungen und Verhandlungen geführt, ich kenne mich also ganz gut aus. Deshalb werde ich Annalena Baerbock und Robert Habeck nach Kräften unterstützen. Wir verhandeln um die Zukunft unseres Landes.

Und wie wollen Sie sich einbringen, wenn eine Koalition steht?

Erst mal müssen wir erfolgreich verhandeln. Wir vergeben noch keine Ministerposten.

Wir fragen auch nur.

Wir wollen kraftvoll regieren, und im Gegensatz zum noch amtierenden Kabinett werden wir die Aufgaben nach Qualifikation besetzen. Die künftigen Ministerinnen und Minister müssen auch in der Lage sein, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Deshalb muss man etwa die Transformation im Verkehr so gestalten, dass man vom Daimler-Chef über die Arbeiter am Band bis zu den Naturschutzverbänden alle zusammenbringt.

Sie wären auch gern dabei.

Wie gesagt: Das wird am Ende entschieden. Die Zeit, in der gesagt wird "Die oder der muss auf jeden Fall etwas werden", ist mit dem Ende der großen Koalition hoffentlich vorbei.

Also sollten wir uns darauf vorbereiten, das nächste Interview mit dem Verkehrsminister Cem Özdemir zu führen?

Vorbereitung schadet nie. Aber jetzt geht es nicht darum, wer etwas wird, sondern was wir gestalten können.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Cem Özdemir im Bundestag
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