Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Schulöffnungen: Ein gefährliches Experiment
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
mein Name ist Camilla Kohrs und ich kommentiere heute für Sie die Themen des Tages.
WAS WAR?
Der Geburtstag steht schon wieder vor der Tür, und war Ostern nicht eigentlich erst gestern? Nur noch trübe ist die Erinnerung an Kindheitstage, als ich gefühlt eine halbe Ewigkeit auf das nächste Fest wartete, auf die nächste Verabredung mit Freunden. So wie mir geht es bestimmt auch vielen von Ihnen: Je älter man wird, desto schneller rast die Zeit. Zumindest vor der Pandemie. Seit etwa einem Jahr hangeln wir uns nun nur noch von Monat zu Monat. Doch wenn die Zeit uns Erwachsenen schon so zäh vorkommt, wie fühlt es sich erst für die Kinder an?
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Was schon jetzt klar ist: Die Pandemie hat katastrophale Auswirkungen auf die Jüngsten. Fast jedes dritte Kind zeigt mittlerweile psychische Auffälligkeiten: Ängste, depressive Symptome, psychosomatische Beschwerden. Viele ernähren sich ungesünder, immer weniger treiben Sport, zeigt eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Und auch die Schulschließungen machen sich bemerkbar: Viele Grundschulkinder – vor allem aus bildungsfernen Familien – lernen nicht richtig lesen, schreiben und rechnen.
Umso verständlicher, dass nun viele Länderchefs für Schul- und Kitaöffnungen plädieren. Jeder Tag, an dem Kinder nicht in Schulen und Kitas gehen könnten, bedeute auch "einen Verlust von Zukunftschancen", sagte gestern NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sprach von einer "ganz schwierigen Abwägungsfrage". Es sei aber wichtig, den Kindern, Eltern und Lehrern nun wieder "ein Stück Perspektive" zu bieten.
Der Kompromiss, den Bund und Länder dazu am Mittwoch gefunden haben, sieht so aus: Jedes Bundesland entscheidet eigenmächtig. Das hat ein regelrechtes Wirrwarr zur Folge. Sachsen will schon ab Montag schrittweise öffnen, viele andere Bundesländer ab dem 22. Februar, Sachsen-Anhalt ab dem 1. März. In Niedersachsen gehen die Schüler hingegen schon seit Januar wieder zum Unterricht.
Aber während die Länder sehr schnell ein konkretes Datum nennen können, bleibt die Strategie oft vage. Das erinnert schmerzhaft an die Fehler des vergangenen Sommers. Auch damals diskutierte die Öffentlichkeit lang und breit darüber, was geöffnet werden kann und was nicht – aber selten über das Wie. Das führte dazu, dass die Strategie für die Schulen lange "Lüften und Maske" hieß. Heute heißen die Schlagwörter der Stunde: "Teststrategie und Impfungen". Das klingt zwar besser als "Lüften und Maske" – aber steckt auch mehr dahinter? Sehen wir es uns an:
- Impfen: Es gibt den Plan, Lehrer und Erzieher von der dritten Prioritätsgruppe in die zweite vorzuziehen und somit früher zu impfen. Allerdings muss das nicht nur zuerst geprüft und beschlossen werden, derzeit werden auch nur Personen aus der ersten Gruppe geimpft. Bis Lehrer also beide notwendigen Impfungen erhalten haben, werden viele Unterrichtsstunden verstrichen sein.
- Teststrategie: Einige Bundesländer setzen darauf, dass Lehrer und Erzieher sich kostenlos in Testzentren testen lassen können. Das gab es beispielsweise in Niedersachsen schon im vergangenen Jahr, wurde aber kaum genutzt. Berlin will Schnelltests verteilen, sodass auch direkt an den Schulen sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen getestet werden können. Baden-Württemberg kündigte "anlasslose Schnelltests" an. Eine Testpflicht für Schüler und Lehrer, wie in Österreich, ist nicht absehbar.
Einig sind sich die Länder in dem Punkt, dass weiter Hygieneregeln und Wechselunterricht angewandt werden. Das sind natürlich wichtige Konzepte – nur reichten die schon im vergangenen Jahr bei höheren Inzidenzen nicht aus. Laut Studien gehören Schulen zwar nicht zu den größten Treibern, aber tragen dennoch zum Infektionsgeschehen bei. Somit wirken Öffnungen ohne handfeste Strategie geradezu fahrlässig – besonders vor dem Hintergrund der Virusmutationen, die offenbar noch ansteckender sind.
Dabei gibt es ja andere Ideen: Forscher um den Kölner Mediziner Jörg Dötsch haben erprobt, wie Kinder und Lehrkräfte schnell und effektiv getestet werden können. Die Kollegen von der "Zeit" haben ausführlich darüber berichtet (Achtung, Bezahlschranke). Demnach würden Speichelproben einer gesamten Klasse gesammelt und ausgewertet. Fällt der Test positiv aus, werden die Teilnehmer einzeln überprüft. Das ist logistisch zwar aufwendig. Laut Herrn Dötsch reicht es unter bestimmten Voraussetzungen jedoch, wenn nur etwa zehn Prozent der Schüler getestet werden, um ein umfangreiches Bild zu erhalten. Leider spielt das Testen von Schülern in den Plänen der Länder bislang kaum eine Rolle. Deshalb drohen die eigentlich gut gemeinten Lockerungen zu einem gefährlichen Experiment zu werden – das auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird. Das ist nicht gut.
WAS STEHT AN?
In Genf kommt heute der UN-Menschenrechtsrat zusammen, um über die Lage in Myanmar zu beraten. Dort hat das Militär die demokratisch gewählte Regierung weggeputscht, Politiker weggesperrt und einen Notstand verhängt. Und es könnte noch schlimmer kommen. Die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hatte die Wahlen im November mit einer satten Mehrheit gewonnen, es waren erst die zweiten freien Wahlen nach der jahrzehntelangen Militärdiktatur. Doch die Generäle wollen nicht von der Macht lassen. Nun gehen fast täglich Zehntausende Menschen auf die Straße. Zahlreiche wurden schon verletzt, Berichten zufolge schoss die Polizei sogar mit scharfer Munition auf friedliche Demonstranten.
Das allein ist schon dramatisch. Aber wozu das Militär tatsächlich in der Lage ist, hat es 2017 bewiesen. Damals wütete die Armee im Bundesstaat Rakhaing, in dem die muslimische Minderheit der Rohingya lebte. Soldaten vergewaltigten und töteten Schätzungen zufolge Tausende, es gab Massaker, ganze Landstriche wurden niedergebrannt. Einen Genozid nannten das die Vereinten Nationen. Mehr als 800.000 vertriebene Rohingya leben seitdem im Nachbarstaat Bangladesch im größten Flüchtlingslager der Welt.
Die Rohingya wurden im buddhistischen Myanmar von vielen Menschen nicht als Teil der Gesellschaft akzeptiert – das ist bei den Demonstrierenden heute anders. Dennoch hat das Militär auch den Widerstand von Buddhisten immer wieder brutal niedergeschlagen. Die USA wollen noch in dieser Woche Sanktionen gegen führende Generäle verhängen. Das dürfte die Armee hart treffen, schließlich waren die westlichen Sanktionen einer der ausschlaggebenden Gründe für das Ende der Militärdiktatur 2010. Joe Bidens Forderung ist klar: "Das Militär muss die Macht abgeben." Die EU hingegen hat bisher nur mit Sanktionen gedroht. Um die Generäle weiter unter Druck zu setzen, sollte sie dringend nachziehen und ihre Drohungen wahr machen.
Weiter geht’s heute im Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump: Dem ehemaligen US-Präsidenten wird nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar "Anstiftung zum Aufruhr" vorgeworfen. Nun halten Ankläger und Verteidiger im US-Senat ihre Plädoyers. Über die schockierenden Aufnahmen von dem brutalen Mob hat unser Korrespondent Fabian Reinbold hier berichtet.
Heute gibt es mal wieder den Klassiker unter den Corona-Pressekonferenzen: Gesundheitsminister Jens Spahn und RKI-Präsident Lothar Wieler informieren ab 10.15 Uhr über die Lage. Dieses Mal ist außerdem die Virologin Sandra Ciesek dabei. Die kennen Sie vielleicht aus ihrem gemeinsamen Podcast mit Christian Drosten.
WAS LESEN?
Die Schulöffnungen sind nicht das einzige umstrittene Ergebnis des Corona-Gipfels. Auch die Öffnung von Friseursalons erntet viel Spott und Häme. Das ist entlarvend, kommentiert meine Kollegin Sonja Eichert.
Der Corona-Gipfel hat gezeigt: Die Politik des Kompromisses ist endgültig an ihre Grenzen gekommen, schreibt mein Kollege Johannes Bebermeier. Das liege nicht am fehlenden Willen von Bund- und Ländervertretern – sondern an etwas viel Gefährlicherem. Was das ist, lesen Sie hier.
Wer im Internet einen Diskussionsort für sein Lieblingsthema sucht, wird mit ziemlicher Sicherheit irgendwann auf Reddit landen. Wer die Seite das erste Mal aufruft, könnte durch ihre Vielfalt aber überfordert sein. Mein Kollege Ali Roodsari erklärt Ihnen, wie Sie Reddit sinnvoll nutzen können.
Woher stammt das Coronavirus? Auch mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie gibt es auf diese Frage keine gesicherte Antwort. Eine Studie liefert nun neue Hinweise zur Entstehung des Virus – und stellt einen Bezug zur Klimakrise her. Meine Kollegin Melanie Weiner hat die Erkenntnisse für Sie zusammengefasst.
WAS AMÜSIERT MICH?
Auch mal über Corona lachen? Ja, das geht. Ein Mensch auf Twitter sammelt fortlaufend Schlagzeilen, über die wir uns heute nicht wundern – die aber vor der Pandemie viele Fragen aufgeworfen hätten. Kleine Kostprobe gefällig? "Polizei entdeckt Hotel voller Touristen." Oder: "Machtwort von Söder: Buch auf Parkbank lesen ist ERLAUBT!" Mehr Denkwürdiges lesen Sie hier.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag und dann einen angenehmen Start ins Wochenende. Morgen hören Sie meine Kollegen Florian Harms und Marc Krüger im Tagesanbruch-Podcast. Bleiben Sie gesund!
Ihre
Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.
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