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Corona-Demo in Berlin: Hanebüchener Unsinn auf der Straße – und im Bundestag


Meinung
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Was heute wichtig ist
Hanebüchener Unsinn auf der Straße – und im Bundestag

  • Peter Schink
MeinungVon Peter Schink

Aktualisiert am 19.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung: In Berlin hatten am Mittwoch erneut Tausende Menschen demonstriert.Vergrößern des Bildes
Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung: In Berlin hatten am Mittwoch erneut Tausende Menschen demonstriert. (Quelle: Christoph Soeder/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages, heute stellvertretend für Florian Harms.

WAS WAR?

Die Debatte im Parlament verläuft turbulent, doch die Abstimmung fällt eindeutig aus: Von 647 Abgeordneten stimmen 444 für das Gesetz. Die notwendige Zweidrittelmehrheit ist knapp erreicht. Für vier Jahre soll es nun gelten, das Ermächtigungsgesetz. Hitlers letzte Hürde auf dem Weg zur Diktatur ist genommen.

In den Wochen zuvor waren die Abgeordneten der KPD interniert worden. In der Krolloper, wo das Parlament nach dem Reichstagsbrand tagen muss, patrouillieren an diesem 23. März 1933 illegale Trupps von SA und SS. Abgeordnete der SPD und des Zentrums wurden schon in den Tagen zuvor massiv bedroht. Der SPD-Abgeordnete Fritz Baade schreibt nach dem Krieg: "Ich entsinne mich, dass Abgeordnete der Zentrumsfraktion nach der Abstimmung weinend zu mir kamen und sagten, sie seien überzeugt gewesen, dass sie ermordet worden wären, wenn sie nicht für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hätten." Das ist keine 90 Jahre her.

Vergleiche zum gestrigen Tag und zur Debatte um die Reform des Infektionsschutzgesetzes verbieten sich. Und genau deshalb zieht der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland sie: Das Infektionsschutzgesetz sei die "größte Einschränkung der Grundrechte in der Geschichte der Bundesrepublik", sagt er im Parlament. Was für ein Unsinn.

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Anhänger der Partei machen das Parlament nur wenige Meter weiter zum Tollhaus. Die SPD-Abgeordnete Katja Mast twittert schockiert: "In den Bundestag eingeschleuste Personen haben u. a. versucht, in Büros einzelner Abgeordneter einzudringen." Draußen demonstrieren aufgebrachte Menschen gegen das neue Gesetz, teils friedlich, teils gewaltsam. Spinner neben Kindern, Neonazis neben Corona-Leugnern, Künstler neben QAnons.

Solche Tage erlebt das Parlament nicht oft. Die Auseinandersetzung um die Sache? Die geht im Tumult fast unter. Ich zwinge mich, einen Moment innezuhalten. Wenn wir unsere Demokratie lieben, sollten wir bei allem Lärm versuchen, nachzudenken. Was ist also beschlossen worden gestern?

Zunächst: Die Reform des Infektionsschutzgesetzes setzt der Regierung neue Grenzen, es ist das Gegenteil eines Ermächtigungsgesetzes. Maßnahmen müssen künftig begründet werden, Einschränkungen können nur befristet gelten. Auch wird detailliert aufgelistet, welche Beschränkungen überhaupt möglich sind: Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote, Maskenpflicht, Schließungen von Geschäften und Veranstaltungen.

Kritik am Gesetz kommt nicht nur von der Opposition, sondern auch aus der SPD (die aber fast vollzählig zustimmt). Vieles regelt das Gesetz noch immer nicht. Den Schulbetrieb, Ausgleichszahlungen, Verhältnismäßigkeiten. Vieles fehlt. Doch der wichtigste Kritikpunkt: Es fehlt der Parlamentsvorbehalt. Die SPD konnte nicht durchsetzen, dass das Parlament Corona-Verordnungen auch wieder kassieren kann.

Klar ist: Es ist nicht leicht, das gesamte gesellschaftliche Leben in Pandemie-Zeiten zu regeln. Aber zu lange haben die Abgeordneten gewartet, Grundsätzliches denken und festlegen zu wollen. Die Republik hätte ein besseres Pandemie-Gesetz verdient. Über das ausführlich beraten, debattiert und gerungen wurde.

Die Ängste der Demonstranten auf der Straße sind währenddessen real. Hört man den inhaltlich argumentierenden unter ihnen zu, fürchten die vor allem um ihre Existenz, und um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.

Gestern drangen solche Stimmen nicht durch. Viel lauter waren die unvernünftigen Stimmen, die unsäglichen. Die AfD hat es sich quasi zum Prinzip gemacht, unsäglich zu sein. Weil in unserer Mediendemokratie durchdringt, wer am lautesten schreit, wer Grenzen des Anstands und der sinnhaften Debatte überschreitet. Das drückt sich auch in Zahlen aus: Beispielsweise auf Facebook hat die AfD mehr als eine halbe Million Fans, die CDU kommt gerade mal auf 192.000. Obwohl die AfD weit weniger Anhänger, Parteimitglieder und Wähler hat.

Viele Menschen haben sich über Facebook und Twitter Gehör verschafft. Das Internet hat sie laut gemacht, aber ihnen keine gewichtige Stimme gegeben.

Im Gegenteil. Je lauter die AfD und ihre Anhänger sind, umso blasser erscheint die übrige Opposition aus FDP, Linken und Grünen. Dabei gibt es viele berechtigte Fragen und Kritik. Warum werden Klassen nicht geteilt, nachmittags aber sollen Schüler sich nicht mehr treffen? Warum sind Baumärkte geöffnet, Kinos und Museen aber nicht? Warum gelingt die Digitalisierung der Gesundheitsämter nicht? Warum gibt es bis jetzt keine Langfrist-Strategie für den Schulbetrieb oder die Kultur-Szene?

Es sind viele Fragen, und diese Regierungskoalition lässt zu viele offen. Das schafft Raum für Verunsicherung. Und für diejenigen, die zu einfache Antworten geben.

Im nächsten Jahr ist Bundestagswahl. In Wahlkämpfen haben es diejenigen leichter, die am lautesten schreien. Bis dahin kann sich die AfD gemütlich zurücklehnen.

Und Menschen, denen an unserer Demokratie etwas liegt, müssen wieder aufeinander zugehen. Mit Argumenten, klugen Vorschlägen und Lösungen. Sonst wird die Corona-Krise tiefe Risse in der Gesellschaft hinterlassen.


WAS STEHT AN?

In den USA (fast) nichts Neues. Joe Biden hat die Wahl gewonnen und Herr ..., ich habe seinen Namen gerade vergessen, twittert im Weißen Haus. Gerüchten zufolge haben Mitarbeiter im West Wing inzwischen Duftstäbchen aufgestellt, um den Geruch von zu viel Fast Food zu vertreiben. Für Lacher bleibt wenig Raum. Selbst führende Republikaner haben gewarnt, der Abzug von Truppen aus dem Irak und Afghanistan werde nachhaltige Folgen haben. Dann wären auch andere Nationen zum Abzug gezwungen.

Donald Trump denkt jedenfalls noch nicht an einen Abzug aus dem Weißen Haus. Drei Millionen Dollar investiert er, damit in Wisconsin in zwei Wahlkreisen noch einmal nachgezählt wird. Es wird ihm allerdings nicht helfen, den Rückstand von etwa 20.000 Stimmen dort noch aufzuholen.


Die EU-Außenminister treffen sich zu einer Videokonferenz. Besprochen werden sollen der Ausgang der US-Wahl sowie die Entwicklung in Afghanistan und Belarus. Womöglich reden sie auch über den virtuellen G20-Gipfel, der am Samstag und Sonntag unter Vorsitz Saudi-Arabiens stattfindet. Eine der letzten großen Bühnen für den US-Präsidenten.

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Das Robert Koch-Institut lädt um 10 Uhr zu einer der inzwischen seltener gewordenen Corona-Pressekonferenzen ein. Deren Einschätzung der Lage dürfte auch bestimmend für das Treffen der Ministerpräsidenten in der kommenden Woche sein.


In Nürnberg beginnt der Prozess gegen einen Rechtsextremisten wegen des "Verdachts der Vorbereitung eines Terrorakts". Der 23-Jährige aus Cham soll in der Oberpfalz in Chatgruppen angedeutet haben, dass er einen Terroranschlag plant. Er soll einer der führenden Köpfe der Terrorgruppe "Feuerkrieg Division" gewesen sein. Weil er sich im Internet radikalisierte und zu örtlichen Neonazis keinen Kontakt pflegte, stufen ihn die Ermittler als einen Rechtsradikalen "neuen Typs" ein – die sich maßgeblich im Internet austauschen.


WAS LESEN?

Die Vorwürfe gegen den "spirituellen Führer" einer kleinen Gemeinschaft in Wesel am Niederrhein lesen sich wie ein Protokoll des Grauens: Schläge mit Metallstangen, Demütigungen, Vergewaltigungen. Von zehn Opfern ist die Rede. Mein Kollege Jonas Mueller-Töwe hat den Fall recherchiert, über den wir heute exklusiv berichten.


Donald Trump verleugnet noch immer das Offensichtliche, auch wenn er sich zuletzt mehrfach fast verplapperte. Indem er seine Wahlniederlage nicht eingesteht, verhindert er, dass Joe Biden sich einarbeiten kann. Während die Corona-Krise in den USA eskaliert, wütet Trump auf Twitter. Wie lange kann er das noch so treiben? Mein Kollege Johannes Bebermeier in Washington zeigt Anhaltspunkte auf – und nennt ein entscheidendes Datum.


Ich warte auf einen Rücktritt. Nach diesem Spiel gegen Spanien darf eigentlich nichts mehr bleiben, wie es ist. Doch der DFB fand gestern, Joachim Löw solle weitermachen – dabei gäbe es den perfekten Kandidaten für den Neustart, wie mein Kollege Noah Platschko kommentiert.

Unabhängig davon stellt sich die Frage: Ist die deutsche Nationalmannschaft bei der EM im kommenden Jahr überhaupt konkurrenzfähig? Constantin Eckner hat das Spiel gegen die Spanier analysiert und kommt zum klaren Urteil: Der Fußball hat Löw überholt.

Bis zur EM sind es auch nur noch knapp sieben Monate – zu wenig, wie mein Kollege Dominik Sliskovic aufgeschrieben hat. Ende März steht die Nationalmannschaft vor entscheidenden Tagen.

Am Ende bleibt: Joachim Löw hat 2014 mit der Nationalmannschaft die WM gewonnen. Das kann ihm niemand nehmen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Es ist nicht einfach. Nicht für Angela, nicht für Jogi.

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Start in den Tag. Morgen schreibt wieder Florian Harms an dieser Stelle.

Ihr

Peter Schink
Stellvertretender Chefredakteur t-online.de

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