Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Unis unter Druck Laufen Trump jetzt die Wissenschaftler weg?

In den USA verschlechtern sich unter Donald Trump die Forschungsbedingungen an Universitäten. Kann Deutschland den Wissenschaftlern eine neue Heimat bieten?
Als Albert Einstein in den 1930er-Jahren aus Deutschland floh, war er nicht allein – Dutzende brillante Köpfe, darunter der Philosoph Theodor Adorno und die Physikerin Lise Meitner, suchten im Exil Zuflucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung. Die Vereinigten Staaten stellten dabei eine attraktive Anlaufstelle für Wissenschaftler dar, die dort nicht nur ihr Leben retten, sondern auch ihren Forschungstätigkeiten weiter nachgehen konnten.
- Trump im Weißen Haus: Alle Informationen im Newsblog
Auch wenn sich die US-Regierung nicht mit dem Naziregime vergleichen lässt, hat sich der Wind gegen die einst freie Forschung in den USA gedreht. US-Präsident Donald Trump und seine Regierung führen einen erbitterten Kampf gegen die Wissenschaft: gestrichene Fördergelder in Milliardenhöhe, Sprachverbote oder der Stopp von Diversitätsprogrammen. Zuletzt hatte am vergangenen Freitag ein Regierungsdokument die Überwachung von Meinungsäußerungen sowie die Meldung ausländischer Studenten bei Regelverstößen gefordert.
In Deutschland wird daher vielfach diskutiert, ob betroffenen US-Forschern stattdessen hier eine berufliche Perspektive geboten werden kann. Bundesforschungsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Grüne) sieht darin eine Möglichkeit, talentierte Forscherinnen und Forscher nach Deutschland zu holen: "Wenn sich Forschende aus den USA – aber auch weltweit – für eine Tätigkeit in Deutschland interessieren, verstehen wir dies als Chance für unseren exzellenten Forschungs- und Innovationsstandort, die wir nutzen wollen", sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Aber unter Vertretern der Hochschule und Forschung sind nicht alle der Meinung des Ministers.
Deutschland ist ein weltweit anerkannter Wissenschaftsstandort und hat in den vergangenen Jahren sogar weiter an Attraktivität gewonnen. Das geht aus dem "Bundesbericht Forschung und Innovation" für 2024 hervor. So war die Zahl des internationalen Wissenschaftspersonals an deutschen Hochschulen von 2012 bis 2021 um etwa 64 Prozent angestiegen.
Mit dem massiven Druck auf die Universitäten in den Vereinigten Staaten könnte diese Zahl noch einmal weiter ansteigen. Laut einer Umfrage der Fachzeitschrift "Nature" denken bereits 75 Prozent der befragten US-Forscher darüber nach, die USA zu verlassen und ihren Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen. Das entspricht einer Anzahl von 1.200 Wissenschaftlern bei insgesamt 1.600 Umfrageteilnehmern. Viele fürchten, ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit nicht mehr in vollem Umfang nachgehen zu können.
Besonders betroffene Disziplinen
Die politischen Angriffe von Donald Trump haben in den USA vor allem bestimmte Forschungsbereiche ins Visier genommen, die durch eine mögliche Talentabwanderung erheblich beeinträchtigt werden könnten.
Die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat warnen aktuell insbesondere vor Gefährdungen in der Gesundheits- und Klimaforschung sowie in Teilen der Geistes- und Sozialwissenschaften. Doch grundsätzlich könne jedes Forschungsgebiet betroffen sein.
Durch das Schüren der Angst vor negativen beruflichen und persönlichen Folgen wird laut ihrer Stellungnahme ein "Klima der Einschüchterung und der Selbstzensur" geschaffen, unter dem die Qualität der Wissenschaft und Forschung zu leiden hat.
Hochschulrektorenkonferenz: "Wir stehen solidarisch zur Seite"
Auf die Frage von t-online, ob die Anwerbung von Wissenschaftlern aus den USA Potenzial für Deutschland biete, äußert sich der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Walter Rosenthal, deutlich: Die öffentliche Debatte in Deutschland und Europa solle sich "nicht allein auf mögliche Chancen einer An- bzw. Abwerbung von in den USA arbeitenden Spitzenforscher:innen beschränken".
Vielmehr "stehen die deutschen Hochschulen ihren amerikanischen Kooperationspartnern an Hochschulen und anderen Wissenschaftseinrichtungen vor allem solidarisch zur Seite". Der intensive und vertrauensvolle Austausch, der seit Jahren gepflegt werde, solle weiter bestehen bleiben.
Die Hochschulrektorenkonferenz hatte in der vergangenen Woche zusammen mit dem Wissenschaftsrat zudem eine Stellungnahme veröffentlicht, um sich mit betroffenen US-Forschern zu solidarisieren. Als langjähriger Partner seien die USA, "ihre Einrichtungen und ihre Infrastruktur (...) essenziell für die globale wissenschaftliche Zusammenarbeit". In der Erklärung heißt es weiter: "Ein Angriff auf die Wissenschaft in einem Land ist immer ein Angriff auf die globale Wissenschaftsgemeinschaft."
Laut Rosenthal setzt die deutsche Wissenschaft dennoch "auf die internationale Mobilität" von Wissenschaftlern und stelle sich "selbstbewusst dem globalen Wettbewerb um die besten Köpfe und Ideen". Er lädt Forscher ein, Deutschland als Forschungsort in Betracht zu ziehen. "Wer Interesse an einem Gastaufenthalt oder einer mittel- bis langfristigen wissenschaftlichen Karriere in Deutschland hat, ist hochwillkommen."
Aktives Anwerben von US-Forschern: "Kurzsichtig"
Strittig ist, ob Deutschland und die Europäische Union auch aktiv Wissenschaftler aus den USA anwerben sollten. Die EU-Kommissarin für Start-ups, Forschung und Innovation, Ekaterina Sachariewa, sprach sich Anfang April in einer Rede im Europäischen Parlament dafür aus, den Pull-Faktor Europas zu verstärken und Karrieren in der Forschung attraktiv zu machen. "Lassen Sie es mich klar sagen: Ich glaube, dass Europa der beste Ort für Wissenschaft und Forschung in der Welt sein kann und sollte."
Zu diesem Zweck wurde auch die Initiative "Meitner-Einstein-Programm" ins Leben gerufen. Führende deutsche Wissenschaftler sprachen sich Anfang April in einem Gastbeitrag bei "Spiegel Online" dafür aus, sich gezielt um Forscherinnen und Forscher aus den USA zu bemühen. Das Ziel sei es, "kluge Köpfe" mit insgesamt einhundert Professuren nach Deutschland zu holen.
Angelehnt ist der Name des Programms an die eingangs erwähnten Wissenschaftler Lise Meitner und Albert Einstein, die es einst aufgrund der Bedingungen unter den Nationalsozialisten fortzog. Die beiden Forscher sind nur ein Beispiel von vielen für den herben Verlust von deutschen Gelehrten. In dem Gastbeitrag erläutern die Initiatoren: "Durch Intoleranz, Repression und Vertreibung verlor Deutschland viele seiner klügsten Köpfe." Mit dem Impuls solle dieses Phänomen umgekehrt werden.
Anderer Meinung ist dagegen der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, Otmar Wiestler. "Die Stimmen, die nun eine aktive Anwerbung von Spitzenforschern aus den USA fordern, halte ich für kurzsichtig", sagte Wiestler der "Deutschen Welle". Er stellt klar, dass die USA "ein besonders wertvoller wissenschaftlicher Partner" seien. Die Helmholtz-Gemeinschaft setze darauf, dass die Kooperation auch in Zukunft bestehen bleibe.
Risiko von "Braindrain"?
Eine größere Abwanderung von Wissenschaftlern könnte die USA langfristig wirtschaftlich schädigen. Neben dem Verlust von Humankapital sowie von potenten Steuerzahlern würde allerdings auch der Wissenschaftsstandort USA massiv geschwächt werden. Dieses Phänomen wird "Braindrain" (wörtlich: "Gehirnabfluss") genannt und hätte auch weitreichende Folgen für den internationalen Austausch in der Forschung. Wie der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Rosenthal hervorhebt, sei Wissenschaft Teamwork und lebe vom Austausch. "Die Vielfalt an Perspektiven und Hintergründen trägt wesentlich zum wissenschaftlichen Fortschritt bei."
Kritik an der Idee des Abwerbens kommt auch von Joybrato Mukherjee, dem Präsidenten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Mukherjee sagte Anfang März dem Portal table.media, dass der DAAD "kein Interesse" an "Abwerbeaktionen" habe. Vielmehr liege der Fokus darauf, Institutionen sowie Wissenschaftler in den USA zu unterstützen und Kooperationen zu intensivieren. Mukherjee warnt zudem vor überstürzten Reaktionen in diesem sensiblen Bereich.
Bürokratische Hürden abbauen und soziale Infrastruktur verbessern
Um Forschenden in den USA jedoch dann eine Perspektive zu bieten, wenn sie einen Umzug ihres Lebens- und Arbeitsmittelpunktes in Erwägung ziehen, müssen in Deutschland und der Europäischen Union noch bestimmte Weichen gestellt werden.
Das Fachmagazin "Nature" kritisiert, dass viele Forscher eine übermäßige Regulierung und Bürokratie sowie eine konservative Einstellung zur Risikobereitschaft in Europa beklagen. Zudem habe "Europa noch einiges zu tun, um seine eigenen Verfahren zur Vermarktung von Innovationen zu verbessern", wie das Magazin schreibt. Ein erster Schritt sei das EU-weite Innovationsgesetz von EU-Kommissarin Sachariewa, das die Forschungsförderung in der EU voranbringen soll.
Auch der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Rosenthal fordert, geeignete Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler "aller Karrierestufen, Disziplinen und fachlichen Schwerpunkte" aus den USA zu schaffen. Dabei sollen Politik und Fördermittelgeber aktiv unterstützen, um einen Start zu ermöglichen.
"Es ist daher zu begrüßen, wenn Bund und Länder oder die Europäische Kommission weitere Mittel zur Verfügung stellen, um die Möglichkeiten der Aufnahme zu erweitern", erklärt er. Dazu zählten nicht nur Förderprogramme, sondern auch geeignete Visabestimmungen. Rosenthal wünscht sich, dass generell Wert auf "eine Willkommenskultur in unserer Gesellschaft" gelegt werden solle, um das freie Forschen zu unterstützen und Menschen, egal von wo aus sie nach Europa kommen, willkommen zu heißen.
- Bundesregierung: "Deutschland ist weltweit anerkannter Innovationsstandort"
- Deutsche Welle: "Liebe US-Forschende: Willkommen in Deutschland"
- Wissenschaftsrat: "Solidarität mit Einrichtungen und Forschenden in den USA"
- Nature: "A brain drain would impoverish the United States and diminish world science"
- Spiegel: "'Wer wird euch heilen?' – US-Forschende demonstrieren gegen Trump"
- Spiegel Online: "Gebt Amerikas Spitzenforschern eine neue Heimat"
- Forschung & Lehre: "Wissenschafts-Community uneinig über 'Abwerben' von US-Forschenden"