Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Diesen Rekord können wir uns nicht leisten
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Wenn drei sich streiten, freut sich der Vierte: Einen frischen Eindruck hinterließ Norbert Röttgen bei seinem gestrigen Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Kein Wunder, ihm ist ein bemerkenswertes Manöver geglückt: Während die Herren Merz, Laschet und Spahn ihre möglichen Kandidaturen für den CDU-Vorsitz in Hinterzimmern auskungeln, setzte er sich fröhlich vor die Hauptstadtpresse, erklärte als Erster seine Bewerbung und servierte dabei ein inhaltliches Argument nach dem anderen:
Röttgen will die CDU in der Mitte positionieren, klare Grenzen zur AfD und zur Linkspartei ziehen, der Partei aber ein stärkeres ökologisches Profil verpassen: "Wenn wir das nicht tun, droht uns als Partei mindestens eine ganze Generation verloren zu gehen." Zwischen Ost- und Westdeutschen will er einen "Dialog auf Augenhöhe über das Funktionieren der Demokratie" initiieren. Die Mittelschicht will er entlasten: "Wenn Normalverdiener bei zweistelligen Steuerüberschüssen den Spitzensteuersatz zahlen, stimmt etwas nicht im System." Außenpolitisch plädiert er für einen härteren Kurs gegen Russlands und Chinas Interventionspolitik – und dafür, früher auf absehbare Krisen zu reagieren. Beispiel Nordsyrien: Das Assad-Regime bombt gerade Hunderttausende Zivilisten in die Flucht. Tut Europa jetzt nichts, werden die Menschen in einigen Wochen auch vor unseren Türen stehen. Europa müsse sofort mehr Druck auf Assad und Putin machen, fordert Röttgen.
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Merz, Laschet und Spahn machen Machtpolitik, Röttgen macht Sachpolitik: Dieser Eindruck mag nicht ganz richtig sein, aber ganz falsch ist er auch nicht. “Röttgens angekündigte Kandidatur bringt Bewegung in den CDU-Wettbewerb”, berichtet unser Reporter Tim Kummert. Nun fragt sich mancher, ob die CDU wirklich noch einen vierten männlichen Chef-Aspiranten aus NRW braucht, noch dazu einen, der in der Partei keine Hausmacht besitzt. Warum nicht? Die CDU tapst derzeit auf derart wackligen Beinen durchs Land, dass im Moment alles möglich erscheint, auch der Durchmarsch eines Außenseiters.
Eines aber verwundert an der Chefdebatte in der CDU: Es wird zwar viel über Namen, aber wenig über die Gründe für die Krise der einst so stolzen Volkspartei geredet. Es ist ja nicht nur die Auszehrung durch die langen Merkel-Jahre oder das orientierungslose Interregnum Kramp-Karrenbauers und es ist auch nicht nur das Erstarken der Grünen und der AfD, das die CDU so geschwächt hat. Es ist auch die Tatsache, dass die Partei den Anschluss an den gesellschaftlichen Wandel zu verpassen droht. Deutschland hat sich verändert, es ist diverser, bunter, fragmentierter und polarisierter geworden – aber die CDU ist im Wesentlichen dieselbe Partei wie vor 10, 15 Jahren geblieben. Auch deshalb könnte sie dasselbe Schicksal wie die französischen Volksparteien ereilen, die von einer erstarkten Rechten und einer neuen Bewegung wie En Marche hinweggefegt wurden.
Der CDU fehlen die Vordenker, die soziale und wirtschaftliche Entwicklungen antizipieren, Schlüsse daraus ziehen und sie in ein visionäres Parteiprogramm gießen können. Ihr fehlt ein Heiner Geißler, so wie der SPD ein Erhard Eppler fehlt. Wie wichtig solche strategisch denkenden Köpfe für eine nach Macht strebende Partei sind, zeigt der Blick nach links und rechts: Die Grünen haben mit Robert Habeck einen Politikphilosophen an der Spitze, der nebenher Romane schreibt und über die Wirkungsmacht der Sprache nachdenkt. Die AfD hat in Götz Kubitschek einen ebenso scharfsinnigen wie arglistigen Vordenker, der dem Marsch der Rechten durch die Institutionen das ideologische Rüstzeug liefert.
Die intellektuelle Auszehrung der Volksparteien ist ein Grund für ihre Krise. CDU und SPD brauchen eine programmatische Bluttransfusion. Sonst trocknen sie aus, während sie einander belauern und die Kräfte links und rechts weiter erstarken. Wenn zwei sich streiten, freut sich nicht nur der dritte, sondern irgendwann auch der vierte.
In dieser Jahreszeit hat die Hitze mal Pause, und auch die Klimadebatte verläuft derzeit ruhiger. Klar, wir hatten mal wieder keinen richtigen Winter, und wie so oft ist es eigentlich zu warm. Aber von der wirklichen Dramatik dieses Nicht-Winters bekommen wir nur wenig mit. Im eigentlich eisigen Norden und in den Weiten Sibiriens ist es so mollig, dass einem angst und bange werden kann. Die arktischen Regionen sind seit langem von der Aufheizung betroffen wie kaum ein anderer Teil der Welt. Den besorgniserregenden Langzeittrend finden wir in den aktuellen Temperaturen wieder: Im russischen Perm zum Beispiel, am Rande des Ural-Gebirges, herrschen statt klirrender Kälte Temperaturen über dem Nullpunkt – extreme zwanzig Grad mehr, als es um diese Zeit eigentlich sein sollten. In Lappland, in Nordnorwegen, überall hat sich die neue Milde breitgemacht. Zentralsibirien vermeldete für den Januar satte 12 Grad oberhalb des Normalniveaus.
Ein Regionalproblem? Mitnichten. Auch am Südpol purzeln die Rekorde. Argentinische Wissenschaftler könnten auf ihrer Forschungsstation die Blumenkübel rausstellen: Gemütliche 18 Grad haben sie vor ihrer Haustür gemessen – über Null. Brasilianische Kollegen vermeldeten auf ihrem Inselchen in der Nähe gar sonnige 21 Grad. In der Antarktis! Man muss diese Zahlen sacken lassen. Dabei war der letzte Hitzerekord auf dem Eiskontinent doch noch nicht einmal fünf Jahre alt.
Damit wir es uns nicht zu einfach machen, hat sich die Natur aber ein bisschen was ausgedacht: In Grönland, Nordkanada und Alaska ist zeitweilig extreme Kälte zu vermelden. Auf dem grönländischen Eisschild kratzte man gar an Minusrekorden. Nanu? Nein, leider kann man deshalb keine Klimakrisenentwarnung geben. Denn es ist der Polarwirbel, ein rasender Wind, der im Winter um die Polregion rotiert, der die Kälte in seinem Inneren regelrecht einsperrt: Drinnen wird man schockgefrostet, außerhalb hingegen darf man schon mal den Liegestuhl in der Sonne zurechtrücken. Diesen Winter ist der alljährliche Wirbel besonders stark, da gelangt so schnell nichts hinaus – und die Extreme, drinnen wie draußen, verschärfen sich. Soweit wäre eigentlich noch alles in Ordnung. Nur schrumpft die Kälteblase, die der Wirbel einschließt, von Jahr zu Jahr. Der Arktis geht die Puste aus – die eisige jedenfalls.
Ein Einzelrekord macht noch keine Klimakatastrophe – aber die Serie, die macht‘s. Das Spalier der Extremwerte reißt auch in der kalten Jahreszeit nicht mehr ab. Zwar hat die Hitze hierzulande derzeit Pause, doch an den eisigen Rändern der Welt wird es wärmer. Und wärmer. Und wärmer. Und wenn wir nicht schnell mehr gegen die Erderhitzung tun, wird es uns allen bald heiß und kalt den Rücken runterlaufen. Im Sommer wie im Winter.
WAS STEHT AN?
Höchste Zeit also, mehr gegen die Klimakrise zu tun – hierzulande, aber auch dort, wo wir die längeren Hebel ansetzen können. Zum Beispiel in Afrika, dessen Bevölkerung rasant wächst und immer mehr Energie benötigt. Allein Südafrika bezieht 90 Prozent seines Stroms aus Kohle und baut ein Kohlekraftwerk nach dem anderen. Das ginge ganz anders, wir Europäer könnten dabei helfen, und Gerd Müller kann erklären, wie. Der Entwicklungsminister von der CSU hat sich das Image eines Afrikaministers erarbeitet. Sein Engagement für den Kontinent ist groß – Applaus bekommt er dafür allerdings vor allem aus dem linken Lager. Ihn ficht das nicht an, denn er sieht vor allem die Chancen, die in Afrika liegen, auch für Europa. Die EU müsse endlich an den richtigen Stellen investieren – in Forschung, Bildung, Geschlechtergerechtigkeit und Wirtschaftsprojekte –, dann könne die Klimakrise gelöst werden, sagt er. Auch Hungersnöte wären binnen zehn Jahren Geschichte. Was aber, wenn die EU weitermacht wie bisher? Dann sind wir bald "mit dramatischen Folgen konfrontiert", warnt Müller in dem Interview, das er meiner Kollegin Madeleine Janssen und mir gegeben hat.
Das Bundeskabinett will heute den Gesetzentwurf für die Grundrente sowie eine Initiative gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität verabschieden.
Kanzlerin Merkel empfängt die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin. Mit ihrem Regierungsteam aus jungen Frauen hat sie für Aufsehen gesorgt.
Im Nordwesten Syriens fliehen Hunderttausende vor Assads Soldaten. Die Hilfsorganisationen sind kaum noch in der Lage, den Menschen zu helfen. Die Krise habe ein "entsetzliches neues Niveau" erreicht, sagt der UN-Nothilfekoordinator. Die Leute seien traumatisiert und gezwungen, bei eisigen Temperaturen draußen zu schlafen; wegen der Kälte seien bereits Babys und kleine Kinder gestorben. Auch Krankenstationen, Schulen, Wohngebiete und Märkte sind von den Angriffen betroffen. Die EU- und die deutsche Außenpolitik scheinen wieder einmal unfähig zu sein, etwas dagegen zu tun.
In Istanbul wird heute das Urteil im Prozess gegen den deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner erwartet.
Die EU-Kommission stellt ihre digitale Datenstrategie und Pläne für die Anwendung künstlicher Intelligenz vor.
Die Universität Stuttgart nimmt den Supercomputers "Hawk" in Betrieb, den schnellsten Rechner Deutschlands. Er braucht für eine Rechenanwendung, an der acht Milliarden Menschen sechs Jahre lang tüfteln würden, gerade einmal eine Sekunde, wissen die Kollegen der "Stuttgarter Nachrichten". Die perfekte Position künstlicher Gelenke, Feinstaubprognosen, autonome Verkehrswege, Flüchtlingsströme: Die Maschine soll komplexe Berechnungen meistern können.
WAS LESEN UND ANHÖREN?
Dieser Skandal begleitet den heute emeritierten Papst seit zehn Jahren: Wie viel wusste Joseph Ratzinger über einen pädophilen Priester, der auch nach seiner Verurteilung noch jahrzehntelang im Bistum München mit Kindern arbeiten durfte? Neue Recherchen der Kollegen von Correctiv und Frontal 21 belegen, dass Ratzinger engere Verbindungen ins Umfeld des Mannes hatte, als bislang bekannt war.
Friedrich Merz meint also, unabhängiger Journalismus sei verzichtbar, ihre Botschaften könnten Parteien besser unwidersprochen ins Volk rufen? Ach nein, das habe er gar nicht so gemeint, versichert er eilig, als ihm nach seiner brisanten Aussage der Protest ins Gesicht bläst. Vielleicht sollte er sich einfach mal ansehen, was dabei herauskommen kann, wenn Regierungen selbst "Journalismus" machen.
Nun beginnen sie also wieder, die tollen Tage. Weil aber nicht jeder "Stadt met K" kennt und ein geschätzter Kollege ausdrücklich um einen anderen Song gebeten hat, sei ihm und allen anderen Nichtkölnern heute Morgen ein besonderes Ständchen serviert.
WAS AMÜSIERT MICH?
Hamburg steht am Wochenende vor einer gewichtigen Entscheidung.
Ich wünsche Ihnen ein glückliches Händchen und einen schönen Tag. Morgen schreibt mein Kollege Peter Schink den Tagesanbruch, ich bin am Freitag wieder für Sie da.
Herzliche Grüße,
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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