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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Röttgen-Kandidatur für CDU-Vorsitz Der Ruhestörer eröffnet das Rennen
Norbert Röttgen kündigt an, für das Amt des CDU-Chefs zu kandidieren – damit wächst der Druck auf Merz, Laschet und Spahn. Statt einer Einigung hinter verschlossenen Türen könnte der Partei ein offener Machtkampf bevorstehen.
Acht lange Jahre wartete Norbert Röttgen auf seinen großen Auftritt. An diesem Dienstagmittag ist es so weit: Der 54-Jährige betritt das Podium der Bundespressekonferenz in Berlin und erklärt, es gehe jetzt um "die christlich-demokratische Idee" von der Zukunft Deutschlands. Davon habe er seit der Rückzugsankündigung der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer wenig gehört. "Und darum kandidiere ich". Röttgen meinte den Posten des CDU-Vorsitzes.
Er ist damit der erste prominente CDU-Politiker, der offen seine Kandidatur erklärt. Bislang geistert die unbestätigte Meldung durch die Medien, dass der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz sich für das Amt des Parteichefs interessiert. Zudem gelten der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Jens Spahn als Kandidaten für den Posten. Die drei sprechen offenbar intensiv miteinander.
Murren über Kungelei nicht allzu groß
Tagelang war es erstaunlich still in der Partei, über die mögliche Verhandlungen, die zwischen Laschet, Spahn und Merz laufen, dringt praktisch nichts nach außen. Alle drei haben den Gerüchten über ihre Kandidatur weder widersprochen, noch ihre Ambitionen offiziell bestätigt. Es gibt wohl eine Art Schweigegelöbnis, bis sich die drei Konkurrenten einig darüber sind, wer welche Funktion in der Partei künftig übernehmen könnte.
Vielen in der CDU war das ganz Recht, führenden Unionsfunktionären graut vor einem Wettkampf, wie ihn die SPD im letzten Herbst um ihre Parteispitze austrug. Deshalb war das Murren in der Union über die Kungelei der drei Favoriten nicht allzu groß. Doch mit den geheimen Absprachen könnte es jetzt vorbei sein, denn die angekündigte Kandidatur Röttgens bringt Bewegung in den Wettbewerb und stört die bisherige Ruhe.
Mit Außenpolitik wieder in die Medien
Norbert Röttgen war acht Jahre lang ein Politiker der zweiten Reihe. 2012 scheiterte er krachend bei einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, weigerte sich dann jedoch, Oppositionsführer im Landtag zu werden und wollte lieber Bundesumweltminister bleiben. Angela Merkel feuerte ihn daraufhin aus dem Kabinett, Röttgen galt politisch als erledigt.
Sein Schlitten, um sich wieder nach oben ziehen zu lassen, war die Außenpolitik: Er wurde Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, saß in diversen Talkshows als politischer Experte. Auch bei der Erklärung seiner Kandidatur heute sprach er ausführlich über Idlib, wo aktuell Menschen im Syrien-Krieg attackiert werden.
Norbert Röttgen hat Jahre daran gewerkelt, wieder ganz nach vorn in die Spitzenpolitik zurückzukehren. Solange Angela Merkel jedoch unumstritten in der Partei war, gab es keine Chance für ihn. Der Rückzug von Kramp-Karrenbauer eröffnete Röttgen aus seiner Sicht eine Lücke, die er schnell besetzen will. Also folgte heute die Verkündigung seiner Kandidatur vor den Fernsehkameras. Röttgen ist zurück im Rampenlicht.
Der Schweigebann ist gebrochen
Das Vorpreschen des Außenpolitikers setzt seine Konkurrenten unter Druck: Eine Einigung hinter verschlossenen Türen, wie sie von Merz, Laschet und Spahn angestrebt worden war, ist deutlich unwahrscheinlicher geworden. Denn der Schweigebann ist gebrochen.
Die Chancen von Röttgen, wirklich Parteichef zu werden, sind aktuell überschaubar. Er ist nicht Chef des mitgliederstarken NRW-Landesverbandes der CDU wie Armin Laschet und hat keinen konservativen Fanclub an der Basis wie Friedrich Merz.
Kandidatur als Signal des Machtanspruchs
Einige in der CDU halten es deshalb für denkbar, dass Röttgen versucht, Teil eines Teams zu werden. Eine "Teamlösung" war von verschiedenen Seiten der Partei am Wochenende favorisiert worden. Röttgen wäre eigentlich ein Kandidat für das Amt des Außenministers als langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Doch das besetzt fast immer der Koalitionspartner, sollte es zu Neuwahlen geben.
Möglich ist daher auch, dass Röttgen auf einen anderen Ministerposten spekuliert und mit seiner angekündigten Kandidatur schlicht seinen Machtanspruch verdeutlichen möchte.
Unabhängig von seinen eigenen Karriereambitionen ist der Druck, den Röttgen ausgelöst hat, jetzt immens. Die drei anderen Kandidaten können sein Vorpreschen nicht ignorieren, dafür ist Röttgen zu prominent.
Das Signal ist: So schnell lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen
Ab jetzt müssen sich Merz, Laschet und Spahn fragen lassen, warum sie nicht auch offiziell Stellung beziehen. Und Röttgen drängt auf eine baldige Einigung, er sprach sich für eine Entscheidung "deutlich vor der Sommerpause" über den Parteivorsitz aus.
Aus dem Umfeld von Jens Spahn und Friedrich Merz erfuhr t-online.de am Dienstag, dass man bei der bisherigen Strategie bleiben wolle, also ohne offizielle Verkündung einer Kandidatur. Von Merz heißt es, er wolle sich "zu gegebener Zeit äußern." Das Signal der beiden Politiker ist: So schnell lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen.
Es wird sich zeigen, wie lange diese Strategie sich aufrechterhalten lässt. Eine besondere Verbindung hat Röttgen mit Armin Laschet: Beide stammen aus NRW, beide stehen im Ruf, im Zweifel gut mit den Grünen koalieren zu können. Wie die beiden möglichen Kontrahenten zueinander sich öffentlich positionieren werden, ist noch offen.
Entscheidungen sind ein taktisches Machtspiel
Bei den möglichen Kandidaten um den CDU-Vorsitz beginnt nun das große Taktieren. Jeder der drei anderen Favoriten muss genau abwägen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, wann sich eine Kandidatur lohnt. Norbert Röttgen hat für sich entschieden: Jetzt. Damit tickt für alle anderen Kandidaten ab heute die Uhr.
Solch wichtige Entscheidungen, wie die Frage, ob man für einen CDU-Vorsitz kandidiert, sind ein taktisches Machtspiel. Wer nun zu lange zaudert, wird nicht mehr ernst genommen, wer zu früh die Hand hebt, kann sich vielleicht des Rückhalts an der Basis nicht mehr sicher sein.
Norbert Röttgen hat mit seiner Ankündigung vorgelegt und sich so offiziell in Position gebracht. Es ist nun an seinen Mitbewerbern, eine Entscheidung zu treffen, wann und ob sie darauf reagieren wollen. Das Rennen ist eröffnet.
- Eigene Recherchen
- Mit Material von dpa