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Gerd Müller (CSU): "In Afrika müsste in zehn Jahren niemand mehr hungern"


Minister Gerd Müller
"Wir werden mit dramatischen Folgen konfrontiert"

InterviewInterview von Madeleine Janssen und Florian Harms

19.02.2020Lesedauer: 10 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Entwicklungsminister Gerd Müller: Der CSU-Politiker fordert von den Europäern massive Investitionen in Afrika.Vergrößern des Bildes
Entwicklungsminister Gerd Müller: Der CSU-Politiker fordert von den Europäern massive Investitionen in Afrika. (Quelle: Urban Zintel für t-online.de)

Die Bevölkerung Afrikas wächst rasant – ebenso wie das Klimarisiko und der Hunger. Europa muss endlich entschlossener helfen, fordert Entwicklungsminister Gerd Müller im t-online.de-Interview. Auch aus Eigeninteresse.

Zuletzt kam die Decke fast herunter, erzählen sie hier. Rot-weiße Absperrbänder kleben an Deckenträgern, die gerahmten Porträts der Vorgängerminister wurden von den Wänden abgehängt und stehen in einer Ecke. Das Europahaus, denkmalgeschütztes erstes Hochhaus Berlins (Baujahr 1931), ist nicht in bestem Zustand. Es ist der Sitz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Chef des Hauses ist Gerd Müller (CSU), der sich gern als Afrikaminister bezeichnet. 44 Staaten auf dem Kontinent habe er bereist, erzählt er im Interview mit t-online.de. Dabei macht er ganz unterschiedliche Erfahrungen. Mancherorts sieht er Chancen und ausgestreckte Hände, andernorts schlägt ihm Empörung entgegen, weil die Europäer zu oft pauschal von Afrika reden, statt die Vielfalt des Kontinents anzuerkennen. Allein in einem Land wie Nigeria sprechen die Menschen 200 verschiedene Sprachen.

Müller macht Druck auf deutsche Unternehmen

Es ist diese Ignoranz gegenüber den sogenannten Entwicklungsländern, die auch Müller ärgert. Er wirbt in Deutschland und Europa für mehr Verständnis, für mehr Interesse, aber, ganz handfest, auch für bessere Handels- und Produktionsbedingungen und Innovationen in Afrika. Viele afrikanische Länder boomen. Das Krisenland Libyen verzeichnete 2018 einen Zuwachs von 17,9 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt, in Eritrea waren es 12,9 Prozent. Müller will, dass deutsche Unternehmen endlich die Chancen erkennen, die aus seiner Sicht in Afrika liegen.

Applaus für seine Vorstöße bekommt er meistens aus dem linken politischen Lager – so viel, dass man sich manchmal fragt, ob Müller und seine Partei so gut zueinander passen. Sein gegenwärtiges Anliegen: Die Klimakrise ohne Afrika zu bekämpfen, das wird nicht gehen. "Ein dichtgemachtes Kohlekraftwerk in Deutschland", sagt er, "bringt überhaupt nichts, wenn sie in Südafrika 90 Prozent ihres Stroms aus Kohle herstellen." Im Interview erklärt Müller, warum Europa endlich aufmachen und sich stärker in Afrika engagieren muss:

t-online.de: Herr Müller, bevor wir auf Afrika schauen, verraten Sie uns bitte: Wer soll denn jetzt der neue Kanzlerkandidat der Union werden?

Gerd Müller: Das ist heute nicht mein Thema. Wichtig ist, dass wir nicht nur über Personen, sondern mehr über Inhalte sprechen.

Sollte derjenige etwas anders machen als die Vorgängerin?

Jetzt geht es um Konzepte für die nächste Dekade. Wer hier realistische Visionen entwickelt, etwa zu Europa oder zur Energiefrage, und die Mitte der Bevölkerung anspricht, der wird die Zustimmung bekommen. Aber wegen der häufigen Kritik an der Regierung: Fragen Sie Ihre Leser doch mal, welches Land besser regiert wird als Deutschland. Ich könnte mir nur einige wenige vorstellen, wie Estland. Aber es sind sicher nicht Italien oder Großbritannien, auch nicht die USA oder Frankreich.



Tatsächlich ist das Handeln der Bundesregierung in den vergangenen Jahren stark von außenpolitischen Ereignissen bestimmt worden: Eurokrise, Brexit, Flüchtlinge. Jetzt heißt es, von Afrika hänge unsere Sicherheit ab, weil sich die dortige Bevölkerung stark vermehrt und weil die Klimakrise, Armut und Terrorismus viele Menschen zur Flucht treiben. Angela Merkel widmet Afrika aber nun erst gegen Ende ihrer Amtszeit mehr Aufmerksamkeit. Setzt die Bundesregierung falsche Prioritäten?

Angela Merkel ist die erste Bundeskanzlerin, die auf Afrika einen Schwerpunkt setzt. In vielen Ländern war sie selbst, zuletzt in Angola und Südafrika. Sie hat so Vertrauen aufgebaut. Sie hat unter anderem das G20-Projekt "Compact with Africa" auf den Weg gebracht, bei dem wir mit ausgewählten afrikanischen Ländern konkrete Reformen vereinbaren. Und nicht zuletzt: Der Etat meines Hauses wurde in dieser Zeit verdoppelt.

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(Fahren Sie bitte mit dem Mauszeiger über die Karte)

Aber wo wenden Sie die Dinge tatsächlich zum Besseren?

Die Armut ist weltweit gesunken, Schulbildung und Gesundheit der Kinder haben sich deutlich verbessert. Unsere Arbeit zeigt ganz klar: Probleme lassen sich nur international regeln. Willy Brandt sprach schon vor 40 Jahren von globalen Zusammenhängen, auf die wir nicht mehr national reagieren können: Klimaschutz, Sicherheit, Flucht und Migration müssen international geregelt werden. In der Afrikapolitik brauchen wir daher einen Jahrhundertvertrag zwischen der EU und Afrika mit fünf Punkten: gemeinsame Sicherheitsstrukturen – unter anderem für die Sahelregion, ein Abkommen zur Regelung der Migration, eine Landwirtschaftsoffensive zur Beendigung des Hungers in Afrika, eine Energie- und Klimapartnerschaft und ein Neuansatz in den Handelsbeziehungen mit fairen Lieferketten. Diese fünf Punkte müssen wir in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Sommer 2020 beschließen. Europa und Afrika müssen zu besseren Partnern werden. Dazu brauchen wir auch die institutionellen Voraussetzungen: mit permanenten Arbeitsstrukturen in einem EU-Afrika-Rat, der alle Politikbereiche umfasst.



Klingt gut, aber bitte konkreter: Wann muss in Afrika niemand mehr Hunger leiden?

Es ist möglich, in den nächsten zehn Jahren ein Afrika ohne Hunger zu schaffen.

Wie wollen Sie das schaffen?

Mit Investitionen in Landwirtschaft, Wasser und Ausbildung. Experten veranschlagen dafür 30 Milliarden Euro jährlich für die nächsten zehn Jahre. Natürlich kann Deutschland das nicht alleine schaffen. Europa und die G7 müssen helfen, dass Afrika zum Selbstversorger wird, so wie es beim G7-Gipfel in Elmau beschlossen wurde.

Welche Rolle spielt der Klimaschutz dabei?

Eine entscheidende. Viele Menschen müssen ihre Heimatregion bereits verlassen, weil sie dort keine Lebensgrundlagen mehr haben. Deswegen muss der "Green Deal" der EU zum Klimaschutz auch einen Afrika-Schwerpunkt haben. Denn die Erderwärmung entscheidet sich dort, in den Entwicklungsländern.

Allein in Afrika haben 600 Millionen Menschen noch keinen Zugang zu Strom. Wenn jeder eine Steckdose auf Basis von Kohle bekommen würde, müssten Hunderte neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Weltweit sind bereits 950 Kohlekraftwerke in Planung und Bau. Was nützt es, wenn wir hier in Deutschland aus der Kohle aussteigen, sie dort aber munter weiter verheizt wird? Die Antwort Europas muss ein Technologietransfer zum Aufbau erneuerbarer Energien in Afrika sein. Das ist eine Win-win-Situation auch für deutsche Firmen. Afrika darf nicht der schwarze Kontinent der Kohle werden, sondern muss und kann der grüne Kontinent der erneuerbaren Energien werden.

Geben Sie doch mal ein konkretes Beispiel, wo das funktioniert.

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In Marokko werden 1,3 Millionen Menschen mit sauberem Solarstrom versorgt – die Anlage wurde mit deutschem Know-how und Finanzierung gebaut. Oder in Ägypten. In Benban habe ich mir vor wenigen Tagen das größte afrikanische Sonnenkraftwerk angesehen. Auf 37 Quadratkilometern werden dort 1.600 Megawatt produziert. Das entspricht eineinhalb Atomkraftwerken oder sechs Kohlekraftwerken. Grüner Strom kann bereits für 2 Cent pro Kilowatt erzeugt werden. Also: Das Sonnenpotenzial ist da. Die Flächen sind da. Jetzt müssen Europa und Afrika diese Chancen auch nutzen!

In anderen Ländern sieht es aber ganz anders aus. Südafrika beispielsweise bezieht 90 Prozent seines Stroms aus der Kohleverbrennung und baut etliche weitere Kohlekraftwerke. Jetzt übernimmt diese südafrikanische Regierung die Führung der Afrikanischen Union. Glauben Sie wirklich, sie setzt sich dann engagiert gegen Kohleverbrennung ein?

Deswegen weise ich ja so vehement darauf hin, dass die Probleme lösbar sind: Die Klimakrise ist lösbar, die Energiefrage ist lösbar, und die Hungerkrise ist lösbar. Wir müssen es nur anpacken.

Eine ziemlich optimistische und ziemlich europäische Sicht auf Afrika.

Ich möchte vor allem vermitteln, dass es die Lösungskonzepte gibt. In meiner Rede im Bundestag habe ich vor ein paar Tagen gesagt: Da könnt ihr aber schon mal Beifall klatschen auf meiner Seite der Fraktion. Wenn ich zum Beispiel im Bundestag meine Initiative für die Sahelregion oder für eine neue Energiepartnerschaft mit Afrika vorstelle, dann sage ich: Das müssen wir jetzt voranbringen. Das sage ich auch den Abgeordneten meiner Fraktion.



Auch wir haben den Eindruck, dass Sie öfter Beifall von der Opposition als von Ihren eigenen Leuten bekommen. Fühlen Sie sich auf verlorenem Posten?

Nein, ganz und gar nicht. Ich habe noch Franz Josef Strauß kennengelernt. Der hat gesagt: Recht haben heißt nicht Recht bekommen. Dazwischen liegen manchmal 20 Jahre. Aber es ist wichtig, Menschen zu motivieren, damit sie etwas bewegen. Für das bekomme ich viel Zustimmung.

Was nützt das, wenn Sie niemanden finden, der Ihre Forderungen umsetzt?

So ist es ja nicht. Gemeinsam mit Peter Altmaier habe ich etwa den Entwicklungsinvestitionsfonds für Afrika gestartet – bis zu eine Milliarde Euro für mehr Privatinvestitionen insbesondere von Mittelständlern. Mit der Wissenschaft und Zivilgesellschaft arbeiten wir erfolgreich in unseren 16 Grünen Innovationszentren für eine Welt ohne Hunger. Diese Ansätze wollen wir vervielfachen! Dazu muss auch die EU Antworten geben. Denn Afrika verdoppelt seine Bevölkerung bis 2050. Jedes Jahr drängen 20 Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Aber im mehrjährigen Finanzrahmen der EU für 2021–2027 soll der Anteil für die Entwicklung Afrikas – Klima, Energie, Arbeitsplätze und Kampf gegen den Hunger – nur von fünf auf sechs Milliarden Euro im Jahr steigen. Das sind Regentropfen!

Daran ist Deutschland als größter Nettozahler der EU mit schuld. Wir stellen also fest: Der Bundesregierung fehlt der Wille, Afrika effektiv und schnell zu unterstützen.

Der politische Wille der Europäer fehlt! Nötig wäre eine Verdopplung, also mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr für Afrika. Sonst lösen wir das Klimaproblem nicht, das Energieproblem nicht, das Beschäftigungsproblem nicht. Und am Ende werden wir mit dramatischen Folgen konfrontiert werden.

Noch mal: Wenn Sie mit all dem recht haben, warum gelingt es Ihnen nicht, Ihre Kollegen im Kabinett mitzureißen? Die Kanzlerin, den Außenminister, die Verteidigungsministerin?

Die Kanzlerin geht in der Entwicklungspolitik und der Klimapolitik in Afrika voran. Aber bei vielen ist das Festhalten am Status quo stark.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

Nehmen Sie das Lieferkettengesetz, das Teil unseres "Marshall-Plans mit Afrika" ist. Wir brauchen verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in einer globalisierten Welt, wo jeden Tag Billionen an den Finanzbörsen über Computer spekulativ zwischen Shanghai und San Francisco hin und her geschoben werden. Denn am Anfang der Lieferketten unserer Produkte verdienen die Menschen oft nur Hungerlöhne. So schaffen wir nie Arbeitsplätze und Wohlstand in Afrika.

Kein Smartphone würde ohne Kobalt aus Afrika funktionieren.

… dessen Abbau häufig auf der Ausbeutung afrikanischer Kinder fußt, ja. Viele unserer Produkte beruhen immer noch auf Ausbeutung von Mensch und Natur in Entwicklungsländern.

Auch deshalb, weil es das Lieferkettengesetz bisher nicht gibt, sondern nur Appelle an die Firmen. Warum machen Sie nicht mehr Druck?

Den mache ich. Der Entwicklungsminister hat zwar kein Initiativrecht. Trotzdem habe ich das Thema auf die Agenda gesetzt. Wir sprechen mit der Wirtschaft, den Kirchen, den Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft. Und haben so ein Bewusstsein für das Problem geschaffen. Die Menschen machen sich mehr Gedanken, wie ihre Produkte hergestellt werden. Aber jetzt brauchen wir Verbindlichkeit. Grundlegende Menschenrechtsstandards müssen in der Lieferkette sichergestellt werden.



Der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Arbeitgeberverband versucht systematisch, die Einführung von Menschenrechtsstandards in den Fabriken in den Herkunftsländern zu torpedieren.

Deutsche Unternehmen sind oft weiter als die Wirtschaftsverbände. Sie wollen Rechtssicherheit und einen fairen Wettbewerb. Und das schafft ein Lieferkettengesetz. Über 40 renommierte Unternehmen haben sich kürzlich für ein solches Gesetz ausgesprochen, darunter Tchibo und Ritter Sport. Aber der Widerstand der Verbände ist gewaltig. Sie behaupten, wir würden den Mittelstand kaputtmachen. Und bestreiten, dass sich die Lieferkette von der Näherei bis zum Verkauf in Deutschland kontrollieren lässt. Aber das stimmt einfach nicht. Mit unserem staatlichen Textilsiegel "Grüner Knopf" beweisen wir ja, dass es geht. Große Supermarktketten, Mittelständler und kleine Start-ups machen mit. Und wenn es bei Textilien geht, die eine der kompliziertesten Lieferketten ist, dann geht es bei allen anderen Lieferketten auch. Ich jedenfalls möchte kein deutsches Unternehmen mehr sehen, das mit Kinderarbeit produziert.

Deshalb reichen Appelle und freiwillige Verpflichtungen eben nicht. Es braucht ein Lieferkettengesetz.

Richtig, unsere Erfahrung mit freiwilligen Ansätzen zeigt: Freiwilligkeit hat Grenzen. Viele Unternehmen halten die Standards eben nicht ein. Das ist unfair. Daraus ziehe ich den Schluss, dass wir eine gesetzliche Grundlage brauchen – nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Die Näherinnen schuften in den Produktionsländern 14 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche für einen Stundenlohn von 25 Cent. Da bleibt nichts für Schulbildung oder Gesundheitsversorgung. Wir können solche Zustände in unseren Lieferketten nicht länger akzeptieren. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben. Was in Deutschland und in Europa verkauft wird, muss Mindeststandards auch in den Produktionsländern genügen.

Der unfaire Textilhandel ist nur ein Beispiel, wie Europa die Entwicklungsländer ausnutzt, ein anderes ist die Fischerei: Europäische Boote fischen vor Westafrikas Küsten das Meer leer. Wann hört das auf?

Rund eine Milliarde Menschen weltweit leben vom Meer und der Fischerei. Aber ein Drittel aller Fischbestände ist bereits überfischt. Industrielle Fischerei vertreibt traditionelle Strukturen. Während sich die Bestände in europäischen Gewässern teilweise erholen, ist das in den afrikanischen nicht der Fall. Mauretanien hat den besten Fisch der Welt. Aber die reichen Fischgründe sind durch große Fangflotten stark bedroht. Mit satellitengestützter Überwachung unterstützen wir die Regierung beim Kampf gegen illegale Fischerei. Und trotzdem haben die einheimischen Fischer kaum eine Chance. Weil sie keine Chance haben, zu fairen Preisen auf die europäischen Märkte zu kommen. Die sind zwar offen, zoll- und quotenfrei. Aber kaum ein Fischer kann die vielen Ordner langen phytosanitären und Gesundheitsvorschriften erfüllen.

Was tun Sie gegen diesen europäischen Zynismus?

Europäische Verbraucher müssen sich natürlich darauf verlassen können, dass die Standards des Gesundheits- und Verbraucherschutzes auch bei afrikanischen Produkten eingehalten werden. Aber wir helfen mit Aid-for-trade-Programmen, dass afrikanische Unternehmen diese Standards einhalten können: Wir bauen Prüflabore auf und bilden Fachkräfte aus. Und wir helfen, eine nachhaltige lokale Fischereiwirtschaft aufzubauen, damit die Mauretanier ihren Fisch verarbeiten können.

Ein weiteres Problem Afrikas ist die Versorgung der rasant wachsenden Bevölkerung. Die Landwirtschaft des Kontinents kann nicht genug Nahrungsmittel produzieren.

Das ist richtig. Wir brauchen Produktionssprünge. Das Wissen, die Technologien dafür sind vorhanden. Vier von fünf afrikanischen Bauern bestellen ihr Land noch immer von Hand. Deswegen investieren wir in eine moderne, nachhaltige und lokal angepasste Landwirtschaft. Gleichzeitig mache ich Familienplanung und die Stärkung der Frauen zum Schwerpunkt: Sobald Frauen in Afrika gleichberechtigt am Leben teilnehmen und die Sekundarschule abschließen, bekommen sie nur so viele Kinder, wie sie möchten. In Bangladesch ist dies bereits gelungen: Die Zahl der Kinder pro Frau ist von sieben auf zwei gesunken. Weil die Regierung auf die Gleichberechtigung der Frau, den Ausbau der Bildungssystems und Gesundheitsversorgung setzt.



Haben Sie den Eindruck, dass das überall vor Ort verstanden wird?

Ich bespreche dieses Thema mit jedem Staats- und Regierungschef, habe aber nicht überall Erfolg. Präsident Museveni in Uganda sagte mir: Familienplanung? In meiner Präsidentschaft hat sich die Bevölkerung hier verdoppelt – wir haben Platz für eine weitere Verdopplung, und ich bin der Großvater all dieser Kinder! Im Südsudan traf ich Präsident Salva Kiir, nachdem ich ein Flüchtlingslager unweit seines Palastes mit vielen schwangeren Frauen besucht hatte. Er warf einen kritischen Blick auf meine staubigen Schuhe. Ich sagte: "Ja, meine Schuhe sind nicht so sauber wie Ihre, denn ich komme gerade aus einem Flüchtlingslager. Zwei Kilometer von hier, da waren Sie sicher auch schon mal." Da antwortete er: "Bei mir gibt es keine Flüchtlingslager. Das sind alles Märchen der Vereinten Nationen."

Zweifeln Sie in solchen Momenten daran, dass sich die Dinge in Afrika jemals zum Besseren wenden werden?

Die Realität besteht immer aus Himmel und Hölle. Und allem, was dazwischen liegt. Es gibt viele Lichtblicke. Aber wir Europäer müssen uns viel stärker in Afrika engagieren. Und wir müssen den Menschen dort vor allem ein fairer Partner sein. Wir leben heute in einem globalen Dorf, aber wir handeln zu eng, zu national. Das müssen wir dringend ändern.

Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Gerd Müller in Berlin.
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