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Thüringen-Eklat um Wahl von Kemmerich (FDP): Einfluss von Söder und Merz wächst


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Was heute wichtig ist
Die Schwäche der einen ist die Stärke der anderen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.02.2020Lesedauer: 7 Min.
Der Einfluss von Markus Söder und Friedrich Merz in der Union wächst.Vergrößern des Bildes
Der Einfluss von Markus Söder und Friedrich Merz in der Union wächst. (Quelle: imago images/Urban Zintel)
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Guten Morgen aus Südafrika, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Atemberaubend ist ein oft überstrapaziertes Adjektiv, aber auf den gestrigen Donnerstag passte es. In Erfurt, Berlin und Pretoria überschlugen sich die Ereignisse, nachdem der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich sich nicht nur mit Stimmen von CDU und FDP, sondern auch der Höcke-AfD zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen. Nach einem öffentlichen Aufschrei und massivem parteiinternem Druck kündigte er an, auf das Amt zu verzichten und Neuwahlen anzustreben – wobei das gar nicht so einfach ist. Für seine Mini-Amtszeit kassiert er übrigens mindestens 93.000 Euro Gehalt.

Atemberaubend ist aber auch das Tempo, in dem Spitzenpolitiker, die eigentlich nach der Merkel-Ära die Macht übernehmen wollen, ihre Karrieren zerlegen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer fand zum Erfurter Eklat erst dann klare Worte, als man sie ihr quasi in Versalien auf den Schreibtisch legte. "Sie stammelte nur sichtbar nervös irgendetwas von der 'Beschlusslage' der CDU in die Mikrofone und Kameras, statt eine klare Grenze zu ziehen", wettert Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel.

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Noch unbeholfener tapst Christian Lindner durch die Szenerie. Entweder konnte er den Thüringer Landesverband nicht aufhalten, dann wäre er ein machtloser Parteichef. Oder er hat die Absprache seiner Parteifreunde geduldet, dann muss er sich fragen lassen, wo bei ihm das moralisch-politische Lot hängt. Auch sein Blitzbesuch in Erfurt, um Kemmerich zum Amtsverzicht zu überreden, ändert an dem gewaltigen Imageschaden nichts, analysiert unser Reporter Johannes Bebermeier. Lindner kämpft nun um sein politisches Überleben, heute stellt er im FDP-Vorstand die Vertrauensfrage. Die FDP wankt in ihren Grundfesten, schreibt mein Kollege Tim Kummert.

Spätestens dieser atemberaubende Donnerstag hat gezeigt: In der gegenwärtigen Verfassung sind die beiden Parteichefs Kramp-Karrenbauer und Lindner nicht geeignet, künftig die Geschicke der Bundesrepublik zu führen. So gesehen können beide von Glück sagen, dass es derzeit noch eine Autorität gibt, die das schwankende politische Lot geraderücken kann: Im fernen Pretoria, fast 9.000 Kilometer von Berlin entfernt, machte die Kanzlerin mit wenigen Sätzen glasklar, was von der Wahl eines Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD zu halten ist:

"Das ist ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, nämlich dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies im dritten Wahlgang absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sie sich nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat, und es muss jetzt alles getan werden, damit deutlich wird, dass dies in keiner Weise mit dem, was die CDU denkt und tut, in Übereinstimmung gebracht werden kann." (Hier das Video).

Angela Merkel ist bekannt dafür, dass sie sich von aufgeregten Stimmungen nicht anstecken lässt. Wenn alle wie im Hühnerstall umherflattern, dann bleibt sie demonstrativ ruhig, fast stoisch, zumindest nach außen hin. Das hat ihr oft den Vorwurf eingebracht, sie lasse die Dinge laufen, habe keine klare Linie, ersetze Haltung durch Pragmatismus. Wer die Kanzlerin gelegentlich aus der Nähe erlebt, kann diesen Vorwurf schwerlich vollständig entkräften – kann aber auch nicht verhehlen, dass ihre zur Schau getragene Gelassenheit einen beruhigenden Kontrapunkt zum Geschnatter des Berliner Betriebs setzt. Die politische Öffentlichkeit in Deutschland neigt zum Hyperventilieren, von morgens bis abends trommelt das Stakkato der Superlative, ein Tweet jagt den nächsten, jeder posaunt seine Meinung in die Welt. Doch in Wahrheit ist das Getöse oft nur Ausdruck einer großen Sprachlosigkeit: Man redet übereinander statt miteinander – und oft aneinander vorbei. Es geht zu oft ums Rechthaben statt um Dialog. Und oft bestimmen taktische Erwägungen statt ehrlicher Überzeugungen die plakativen Sätze von Spitzenpolitikern. Am FDP-Vorsitzenden kann man dieses Phänomen in diesen Tagen trefflich studieren, an der CDU-Chefin ebenfalls.

Merkel pflegt einen anderen Stil. Wenn sie sich nicht klar positionieren will, aber etwas zu einem Thema sagen muss, windet sie sich gern durch holprige Sätze, die klar beginnen und sich dann im sprachlichen Unterholz verlieren. Als Kanzlerin, deren Worte weltweit auf die Goldwaage gelegt werden, geht das oft nicht anders. Aber es gibt Situationen, in denen auch eine Kanzlerin Klartext reden muss. Zum Beispiel dann, wenn ihre Parteifreunde mit einem Extremisten kooperieren, und sei es in einer geheimen Wahl. Am Donnerstagvormittag hatte Merkel die Gelegenheit zu einem Machtwort – und sie hat sie genutzt.

Doch die Zeit, in der Merkel das politische Lot ausrichten kann, ist endlich. Deshalb scharren sie in der zweiten Reihe ja alle mit den Hufen – und die Schwäche der einen ist die Stärke der anderen: CSU-Boss Markus Söder hat offenbar einen besseren Instinkt als Kramp-Karrenbauer, er grenzte seine Partei früher und deutlicher von der AfD ab. Damit verprellt er manchen Wähler ganz rechts außen, bindet aber moderne Konservative in der Mitte der Gesellschaft ein. Fast rührend zu sehen, wie AKK eilfertig auf seine Linie einschwenkte, als sie sah, wie klar diese Haltung wirkt.

Und noch ein anderer hat die Schwäche der Parteivorsitzenden von CDU und FDP erkannt – und rüstet sich nun, nach monatelangem Zögern, für den zweiten Anlauf auf die Macht: Friedrich Merz gibt seinen Aufsichtsratsjob beim Vermögensverwalter Blackrock auf, strebt nun offenbar ein Bundestagsmandat an und will sich stärker in der Union einbringen. "Es gibt nicht viele, die im Augenblick mehr im Land für die Partei unterwegs sind als ich", rühmte er sich vor wenigen Tagen im t-online.de-Interview. "Zudem trage ich dazu bei, dass die CDU wieder ein inhaltliches Profil bekommt."

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Ob man Merz nun mag oder nicht: Dringend nötig wär’s. Aber nicht nur Profil braucht die Union, sondern auch ein gerades Lot. Das hat dieser atemberaubende Donnerstag gezeigt.


WAS STEHT AN?

Neue Besen kehren gut, heißt es, aber der relativ neue Präsident João Lourenço gleicht eher einem Rechen mit ein paar herausgebrochenen Zacken. Dabei gäbe es so viel auszufegen. Sein Vorgänger José dos Santos hatte Angola 38 Jahre lang ausgesaugt. Auch der Neue zählte lange zu dessen Clique, aber jetzt geht er mit der Vetternwirtschaft hart ins Gericht: Der Sohn des Ex-Präsidenten wurde vor den Kadi gezerrt, die Tochter steht nach der Enthüllung ihrer schamlosen Selbstbereicherung im Kreuzfeuer. Allerdings kann der Neue den korrupten Apparat nicht komplett gegen sich aufbringen. Also fegt er nicht überall den Dreck aus, sondern arrangiert an manchen Stellen nur die Staubkörnchen neu.

Beispiel Hauptstadt-Flughafen: Wenn wir den Berliner BER ein Milliardengrab nennen, dann müssen wir Luandas geplanten Airport ein Multimilliardengrab nennen: Viel zu groß geplant, doch aus Prestigegründen wollte man ihn unbedingt haben. Jeder Funktionär und jede Firma, die irgendwie beteiligt ist, hält die Hand auf. Inzwischen haben sich die Kosten verdreißigfacht, betragen sage und schreibe neun Milliarden Dollar, und bis der erste Flieger abhebt, wird es noch Jahre dauern. In einem Staat, in dem die meisten Menschen von der Hand in den Mund leben. Nun sollen die Chinesen die Baustelle retten, ohne sie geht in Angola ohnehin nichts mehr. Die Korruption heizen aber auch sie an.

Trotzdem tut sich was in Angola: Präsident Lourenço hat die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit gestärkt und die Bestrafung von Homosexuellen abgeschafft. Auch wirtschaftlich bewegt sich einiges, allerdings oft aus purer Not. Angola hat das Kunststück fertiggebracht, der zweitgrößte Ölexporteur Afrikas und obendrein mit Diamantenvorkommen gesegnet zu sein – zugleich aber auf der Entwicklungs-Weltrangliste nur Platz 149 von 189 zu belegen.


Aber hat Angola nicht enorm viel Öl? Doch, aber dessen Preis fällt, und die Förderung im Meer wird immer aufwendiger. Umso dringender bräuchte es einen Strukturwandel, mehr Dienstleistungen, Bildung. Präsident Lourenço hat die ersten Schritte gemacht, Investitionen erleichtert und den Internationalen Währungsfonds ins Land geholt. Der vergibt Milliardenkredite, besteht im Gegenzug aber auf Reformen. Die tun meist weh und treffen nicht nur die Bonzen auf ihren Ledersofas, sondern auch die Armen, bei denen auf dem Tisch kein Abendessen steht.

Zudem schmerzen noch immer die Wunden des Bürgerkrieges, der das Land 27 Jahre lang verwüstete, 1,5 Millionen Tote und 4 Millionen Vertriebene forderte. Erst hatten Befreiungsbewegungen die portugiesische Kolonialmacht bekämpft, dann fielen sie übereinander her. "Irgendwann hörten wir auf zu wissen, warum wir uns töteten. Wir töteten nur noch aus Gewohnheit", schreibt der angolanische Schriftsteller José Eduardo Agualusa in seinem Roman "Die Gesellschaft der unfreiwilligen Träumer". Viele Warlords von damals sitzen heute bequem auf den Sofas in Luandas Wolkenkratzern.

So, und nun fragen Sie sich, warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil Bundeskanzlerin Merkel heute von Südafrika nach Luanda fliegt, um dort Präsident Lourenço zu ermutigen, auf seinem Reformweg noch beherzter voranzuschreiten als bisher. Angela in Angola: Wenn es hilft, die Lage der Menschen in diesem gebeutelten Land ein wenig zu verbessern, dann ist das doch eine schöne Schlagzeile, oder?


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Josh Estey ist ein großartiger Kollege. Wir lernten uns im Südsudan kennen, wo wir beide über das Elend der Kinder berichteten. Ich mit dem Laptop, er mit der Kamera. Er reist von einem Konfliktgebiet ins nächste – nicht aus Voyeurismus, sondern um mit seinen Bildern auf die Schicksale der Menschen aufmerksam zu machen. Ich kenne einige Fotografen, aber wenige sind trotz großer Strapazen so kollegial, unprätentiös und empathisch geblieben wie dieser Amerikaner. Deshalb habe ich sofort zugesagt, als Josh uns anbot, eine ganz besondere Fotoserie auf t-online.de zu veröffentlichen: Auf seinen Reisen im Kongo hat er Frauen und Männer porträtiert, die von Soldaten vergewaltigt worden sind. Es sind furchtbare Schicksale, doch Josh gelingt es, die Verbrechen zwar anzuprangern, aber zugleich die Würde der Opfer zu wahren. Hier sind seine exklusiven Fotos und ein begleitender Text meiner Kollegin Sarah Thust.


Rassistische Beleidigungen aus dem Publikum, zwei umstrittene Platzverweise, ein schwacher Schiedsrichter: Das DFB-Pokal-Achtelfinale zwischen Schalke und Hertha sorgt immer noch für Diskussionen. Der dreimalige Weltschiedsrichter Markus Merk beschreibt hier, was sich dringend ändern muss.


WAS AMÜSIERT MICH?

In Erfurt werden sie’s nicht gerne lesen, aber so kann man das natürlich auch sehen:

Wo immer Sie leben, ich wünsche Ihnen einen frohen Freitag und dann ein schönes Wochenende. Die nächsten Tagesanbruch-Ausgaben kommen von meinen Kollegen Peter Schink und Florian Wichert, mich lesen Sie am kommenden Mittwoch wieder.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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