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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rücktritt von Kemmerich Der Zündler und der Feuerlöscher
Thomas Kemmerich ist knapp 24 Stunden nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Thüringens wieder zurückgetreten. Christian Lindner will nun die Vertrauensfrage stellen. Die FDP wankt in ihren Grundfesten.
Es ist kurz nach halb zwei Uhr am frühen Donnerstagnachmittag, als die Vertreter der FDP in Thüringen merken, dass der politische Druck zu groß geworden ist: Thomas Kemmerich tritt vom Amt des Ministerpräsidenten in Thüringen zurück. Nun soll es Neuwahlen im Freistaat geben, die Liberalen wollen zuvor den Landtag auflösen. Es ist der Höhepunkt eines politischen Dramas, das sich in den letzten 24 Stunden abspielte.
Am Abend des Mittwochs war klar geworden, dass die Ereignisse in Thüringen eine Dynamik entfalteten, die die FDP offenbar nicht erkannt hatte. Zu dem Zeitpunkt rangen die Parteizentralen von FDP und CDU in Berlin um den richtigen Umgang mit der Wahl von Kemmerich – nur die AfD war der lachende Dritte. Die Thüringer FDP und insbesondere Thomas Kemmerich unterschätzten einen Aspekt fatal: Bei seiner Wahl ging es nicht nur um eine Landtagswahl. Es ging um die Frage, inwiefern die AfD in Deutschland über Mandate für Ministerpräsidenten bestimmen darf. Der politische Skandal war so riesig, Kemmerich ruderte zurück.
"Makel" der Unterstützung durch die AfD ausmerzen
Doch Kemmerich wirkte selbst im Moment seines Rücktritts wie ein machtbessener Zocker. Sein Agieren in den letzten 24 Stunden gleicht einem politischen Kammerspiel, in dem er erst klein beigab, als es sich gar nicht mehr verhindern ließ.
So betonte Kemmerich am Donnerstagnachmittag, dass demokratische Mehrheiten in dem Thüringer Parlament nicht zu haben seien. Doch die Sitzverteilung im Erfurter Landtag ist seit November klar.
Zudem wolle er den "Makel" der Unterstützung der AfD nun ausmerzen, so Kemmerich weiter. Wieso fand er solche klaren Worte nicht früher? Und gegen Ende seines Statements erklärte er: "Gestern hat die AfD mit einem perfiden Trick versucht die Demokratie zu beschädigen."
Kemmerich zündelte munter
Kemmerich inszenierte sich als Opfer des dritten Wahlgangs gestern. Als nichtsahnenden Politiker, der von Björn Höcke, dem Thüringer AfD-Chef, ausgetrickst wurde. Höckes AfD-Fraktion ließ im letzten Wahlgang ihren eigenen Kandidaten durchfallen und stimmte geschlossen für Kemmerich.
Die Wahrheit ist: Niemand hat Thomas Kemmerich gezwungen, die Wahl zum Ministerpräsidenten anzunehmen. Kemmerich antwortete auf die Frage, ob die Annahme der Wahl zum Ministerpräsidenten der AfD ein Fehler gewesen sei mit einem klaren und deutlichen "Nein". Dieses "Nein" zeugt von Uneinsichtigkeit, es offenbart die Haltung Kemmerichs, der munter zündelte und seiner Partei tiefen Schaden zufügte, weil sie den Steigbügelhalter AfD akzeptieren.
Noch am Donnerstagvormittag hatte Kemmerich davon gesprochen, dass ein Rücktritt für ihn keine Option sei: "Neuwahlen in dieser Situation würden nur zu einer weiteren Stärkung der Ränder führen. Das können Demokraten nicht wollen", sagte Kemmerich in der "ARD". Jetzt konnte der Parteivorsitzende wohl nicht länger warten: Christian Lindner eilte nach Erfurt, sprach mit Kemmerich und überzeugte ihn wohl vom Rücktritt. Lindner sagte am Donnerstagnachmittag: "Ich würde als Parteivorsitzender mein Amt nicht fortsetzen können, wenn auch nur eine regionale Gliederung der Freien Demokraten systematisch eine Zusammenarbeit mit der AfD anstrebt."
Die gesamte Partei ist in den letzten 24 Stunden ins Wanken geraten
Dadurch hat Lindner wohl vorerst seinen Kopf gerettet, er tritt als Brandlöscher in dem Streit auf, der nun das schlimmste verhindert hat: Hätte Kemmerich weiterhin auf seinem Posten bestanden, wäre wohl der Druck auch auf den Parteichef gewachsen, der Eindruck wäre entstanden, dass er sich nicht durchsetzen kann.
Doch das gesamte politische Schauspiel um Kemmerich sorgt dafür, dass die FDP in ihren Grundfesten erschüttert ist: Lindner will trotzdem morgen eine Sondersitzung des Parteivorstandes einberufen. Und er will die Vertrauensfrage im Vorstand stellen – es wirkt, als wolle er sich vergewissern, dass er die Partei noch hinter sich hat. Allein diese Ankündigung zeigt, wie enorm die gesamte Partei in den letzten 24 Stunden ins Wanken geraten ist.
Das Image der FDP liegt in Trümmern, der politische Makel wird bleiben. Die FDP hat sich von der AfD in den Posten des Ministerpräsidenten heben lassen. Und auch wenn Lindner die Vertrauensfrage im Vorstand überstehen wird, sind die Liberalen angeschlagen. Mitte Mai ist der nächste Parteitag der FDP: Dann wird offenbar, wie groß der Schaden für die FDP tatsächlich ist, den Kemmerichs Manöver angerichtet hat.