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Tagesanbruch: Der Bundestag kostet fast eine Milliarde – er muss schrumpfen


Was heute wichtig ist
Hier dürfen gern mal ein paar Leute ausziehen

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 18.12.2019Lesedauer: 5 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Der Reichstag in Berlin.Vergrößern des Bildes
Der Reichstag in Berlin. (Quelle: Winfried Rothermel/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es geht um Größe, Macht und Einfluss. Es geht um mehr als 10.000 Euro Verdienst monatlich. Es geht darum, bei jedem Thema mitreden und mitentscheiden zu können. Und es geht darum, ob dafür wirklich 709 Personen nötig sind. Ja, wir reden vom Bundestag, Deutschlands wichtigstem Parlament. Dem Ort der großen Debatten und der politischen Weichenstellungen, dem Haus des Streits und der Kompromissfindung, dem Forum der geschliffenen Reden und der Kontrolle der Regierung. Schauen wir uns in der Welt um, sehen wir mehrheitlich Länder, die keine derart gut funktionierende Volksvertretung haben. Bei aller Kritik an einzelnen Politikern, an Parteien und ihren Entscheidungen: Wir können stolz sein auf dieses Parlament. Diese Sätze muss man vorausschicken, um die folgenden in den richtigen Rahmen zu setzen.

709 Abgeordnete beherbergt der Deutsche Bundestag derzeit, nie zuvor waren es mehr. Und es werden immer mehr: Von einer Legislaturperiode zur nächsten wächst die Zahl durch Ausgleichs- und Überhangmandate. Im Sinne der Erfinder ist das nicht, dafür ist es teuer. Der Bundesrechnungshof beziffert die Kosten auf fast eine Milliarde Euro – pro Jahr. Nun dürfen wir uns unsere Demokratie ruhig etwas kosten lassen, aber wenn schon der Bundestagspräsident Alarm schlägt, kann etwas nicht stimmen. Noch vehementer als sein Vorgänger Norbert Lammert drängt Wolfgang Schäuble auf eine Wahlrechtsreform, um das Parlament zu verkleinern – andernfalls würde die Zahl der Abgeordneten nach der nächsten Wahl vermutlich auf mehr als 800 steigen. Weil jeder Parlamentarier mehrere Mitarbeiter beschäftigt, hat die Bundestagsverwaltung schon mal vorsorglich beim Berliner Bauamt ein Genehmigungsverfahren beantragt, um im Regierungsviertel Bürocontainer aufstellen zu lassen. Irgendwo müssen all die Leute ja untergebracht werden. So weit will es der Parlamentspräsident nicht kommen lassen. "Unser Wahlrecht ist furchtbar kompliziert, aber am Ende kommt es ja vor allen Dingen darauf an: Es muss sich eine relativ breite Mehrheit im Bundestag auf irgendeine Lösung verständigen", sagte Schäuble dem "Deutschlandfunk".

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Aber genau daran hapert es: an der Bereitschaft der Fraktionen, Abstriche zu machen, um das Problem zu lösen. Die Regierungsparteien CDU und CSU wollen die Direktmandate nicht begrenzen. Klar, sie profitieren davon, weil sie in vielen Wahlkreisen die meisten Stimmen bekommen. Die Oppositionsparteien Grüne, FDP und Linke wollen die Zahl der Wahlkreise nicht verringern. Klar, sie profitieren von den Zweitstimmen. Die SPD weiß nicht so genau, was sie nicht will. Klar, in ihrer Fraktion gibt es sowohl viele Direkt- als auch viele Listenmandate. Die AfD will nichts, was die anderen Parteien wollen. Klar, sie profiliert sich gern als Rebellin. So reden sie alle seit Monaten und Jahren um den heißen Brei herum – und machen einfach weiter wie bisher (hier mehr zu den Hintergründen).

Nun sollte man nicht vorschnell "unerhört!" rufen. Je mehr Abgeordnete eine Partei stellt, desto mehr Ausschüsse und Debatten kann sie beeinflussen, desto mehr Hintergrundgespräche kann sie führen, desto mehr Wahlkreistermine und Wahlkampfauftritte kann sie wahrnehmen, in desto mehr Interviews und Talkshows kann sie ihre Botschaften verbreiten. Unsere repräsentative Demokratie ist darauf angewiesen, dass die Volksvertreter sich an möglichst vielen Stellen einbringen. Das ist kraft- und zeitraubend, da können mehr Köpfe durchaus helfen. Aber das vernünftige Maß sollte schon eingehalten werden. Die Aufblähung des Bundestags ist weder vernünftig noch stärkt sie seine Glaubwürdigkeit. Denn es ist ja schon seltsam, dass sich die Parteien bei jedem noch so strittigen Thema irgendwie zusammenraufen – Klima, Rente, Gesundheit und so weiter –, aber seit Jahren keine Einigung zustande bringen, wenn es darum geht, ihre eigenen Privilegien und Pfründe zu begrenzen. Dabei müssten sie sich nur mal umschauen: Frankreichs Nationalversammlung kommt mit 577 Abgeordneten aus, Polens Sejm mit 460. Deutschland hat mehr Einwohner als unsere Nachbarländer, sicher, trotzdem klafft da ein Missverhältnis.

So geht das nicht weiter. Wolfgang Schäuble weiß das, immer mehr Bürger wissen das, viele Abgeordnete ahnen es auch. Nur über ihren Schatten springen wollen sie noch nicht. Dabei wäre das gerade in der jetzigen Zeit, in der viele Bürger das Vertrauen in die staatlichen Institutionen verloren haben, ein starkes Signal: Seht her, liebe Bürger, wir muten nicht nur euch manche Belastungen zu, wir nehmen uns auch selbst zurück. Zum Wohle der Steuerzahler und der demokratischen Prozesse in unserem schönen Land. Das käme in der Bevölkerung bestimmt gut an und würde auch die Glaubwürdigkeit der Parteien stärken. Die Macht dazu haben sie. Ob sie auch die Größe haben?


WAS STEHT AN?

Der Bundestag mag zu groß sein, wichtig bleibt er allemal. Heute Mittag muss sich Kanzlerin Merkel den Fragen der Abgeordneten stellen. Außerdem geht es um die Verlängerung der Mietpreisbremse und ein weiteres heikles Thema: Im Kampf gegen Extremismus und Hetze im Internet will die Bundesregierung Onlinedienste wie Facebook zwingen, bei Polizeiermittlungen die Passwörter von Nutzern herauszurücken. Meine Kollegin Laura Stresing hält das für gefährlich. Hier erklärt sie, warum.


Falls Sie bei den täglichen Turbulenzen im Weißen Haus den Durchblick längst verloren haben und Sie das ganze Spektakel auch gar nicht mehr so sehr interessiert wie, sagen wir mal, Ihre letzten Weihnachtseinkäufe und die Frage, wo Sie auf den letzten Metern noch rasch ein passendes Präsent für Mutti/Opa/Sohnemann bekommen, bitte ich Sie, trotzdem innezuhalten und für einen Augenblick nach Washington zu schauen. Denn nach wochenlangem Gezerre zwischen Demokraten und Republikanern stimmt dort heute das Repräsentantenhaus darüber ab, ob tatsächlich ein formales Amtsenthebungsverfahren gegen den Mann mit der großen Klappe und den kleinen Skrupeln eröffnet wird. Es wäre erst das dritte Mal, dass dies einem Präsidenten widerfährt. Vorher wollen die Abgeordneten noch einmal ausführlich über die Schandtaten (Demokraten) beziehungsweise Heldentaten (Republikaner) des Regierungschefs diskutieren. Und hinterher wird Herr Trump bestimmt irgendwas Lautes auf Twitter raushauen. Womöglich hilft ihm das ganze Spektakel sogar. Wie das sein kann und wie Sie in dem Getöse den Durchblick behalten, erklärt Ihnen unser US-Korrespondent Fabian Reinbold.

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Das Europäische Parlament zeichnet heute den uigurischen Menschenrechtler und Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti mit dem bedeutenden Sacharow-Preis für geistige Freiheit aus. Entgegennehmen kann Tohti die Auszeichnung nicht; wie zigtausend andere Uiguren wird er von den Chinesen gefangen gehalten.


WAS LESEN?

Die deutschen Sicherheitsbehörden wollen den Rechtsextremismus bekämpfen. Das haben Innenminister Seehofer, Verfassungsschutzpräsident Haldenwang und BKA-Chef Münch gestern klargestellt. Doch reichen ihre Pläne aus, um Terroranschläge wie zuletzt in Halle zu verhindern? Unser Reporter Johannes Bebermeier hat den Experten Hajo Funke gefragt. Sein Fazit fällt gemischt aus.


Wohnungen in Großstädten gehören immer öfter Investoren. Die Regierung hat dagegen bisher wenig getan. Ein radikaler Wandel ist dringend nötig, schreibt unsere Wirtschaftskolumnistin Ursula Weidenfeld.


So, und falls Sie nun wirklich noch ein Geschenk für jemand Liebes suchen, dann schauen Sie doch mal hier hinein: Unsere Literaturexpertin Karla Paul verrät Ihnen ihre besten Büchertipps.


WAS AMÜSIERT MICH?

Die Automechaniker unter Ihnen müssen jetzt ganz tapfer sein. Wir riskieren nämlich einen kurzen Blick in eine Werkstatt. Ja, kurz. Denn je länger man hinschaut, desto mehr stellen sich einem die Nackenhaare auf. Schauen Sie sich doch mal um! Und freuen Sie sich, wie auch immer es in Ihrer Werkstatt aussieht, dass es nicht diese ist.

Ich wünsche Ihnen einen aufgeräumten Tag. Morgen schreibt meine Kollegin Ana Grujić den Tagesanbruch, mich lesen Sie am Freitag wieder. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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