Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Was heute wichtig ist Dieser ordinäre Typ
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WAS WAR?
Politische Macht ist etwas Feines. Man kann sie nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wie es die Amerikaner pathetisch formulieren. Verfügt man über besonders viel Macht, so wie der Präsident der Amerikaner, könnte man sie zum Beispiel dafür einsetzen, den Klimaschutz auf unserem geschundenen Planeten voranzutreiben. Man könnte mit den anderen Großmächten über einen neuen Abrüstungsvertrag für Atomwaffen verhandeln, weil der alte in Kürze ausläuft und das neue Wettrüsten Abertausende Menschen bedroht. Man könnte versuchen, eine Allianz demokratischer Staaten zu schmieden, die auf Geschäfte mit Diktatoren und Despoten verzichtet. Man könnte sich gegen die brutalen Folgen der Armut in Afrika engagieren und viele Menschen vor dem Tod durch Hunger und Krankheiten retten. Man könnte einen Plan entwerfen, wie künstliche Intelligenz, Supercomputer und komplexe Algorithmen zum Wohle möglichst vieler Bürger statt zuvörderst zum Wohle von Digitalkonzernen eingesetzt werden. Und wenn man wirklich ein richtig, richtig guter Mensch sein will, dann könnte man sich vielleicht sogar trauen, ein Verbot von Waffenexporten durchzuboxen. All das könnte man tun, weil die amerikanische Verfassung dem Präsidenten weitreichende Kompetenzen zubilligt. Man könnte es tun, wenn man sich vom Druck der verschiedenen Lobbys und Geldgeber freimachte.
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Kein Präsident der vergangenen Jahrzehnte gerierte sich so unabhängig von derlei Einflüsterungen wie Donald Trump. Er gibt einen feuchten Kehricht auf die Meinung Andersdenkender, allenfalls die Waffenlobby vermag ihn um den Finger zu wickeln. Er twittert heute dies und morgen das, und wem das nicht passt, den putzt er in einer Liveschalte seines Propagandasenders Fox News herunter. Donald Trump hat als Millionär oder Milliardär (so genau weiß man das nicht), als unabhängiger Geist, dank 67 Millionen Followern auf Twitter und kraft seines Amtes die idealen Voraussetzungen, als Weltverbesserer in die Geschichtsbücher einzugehen. Dafür bräuchte er gar nicht alle der oben genannten Probleme anzupacken. Eines würde ja schon reichen.
George Bush senior vermittelte die deutsche Wiedervereinigung, Bill Clinton bahnte den Frieden zwischen Israel und Jordanien sowie das Karfreitagsabkommen in Nordirland an, George Bush junior richtete zwar im Nahen Osten ein Desaster an und formte aus der NSA eine globale Stasi, aber er setzte auch auf Diplomatie, etwa bei der Eindämmung des iranischen Atomprogramms. Barack Obama versuchte, Amerika mit der arabischen Welt zu versöhnen und beendete den kriegslüsternen Interventionismus der Bush-Jahre.
Und Donald Trump?
Donald Trump beschäftigt sich mit sich selbst. Wer sich die Mühe macht, den Twitter-Feed des US-Präsidenten zu verfolgen, greift sich bald an den Kopf: Wie kann es sein, dass die Amerikaner so einen selbstverliebten, ignoranten, ordinären und verlogenen Typen ins mächtigste Amt der Welt gehievt haben? Ja, die Gründe lassen sich erklären. Aber ist Amerika, dieses großartige, schillernde, mächtige und vielfältige Land wirklich mehrheitlich so abgebrüht, Donald Trump in einem Jahr wiederzuwählen? Für Prognosen ist es zu früh, und wer diesen hervorragenden Videokommentar unseres Korrespondenten Fabian Reinbold sieht, versteht, warum die Sache nach wie vor völlig offen ist.
Dennoch habe ich den Eindruck, dass sich etwas verschiebt. Die Dinge geraten in Bewegung. Eine neue Umfrage zeigt: 70 Prozent der Amerikaner glauben, dass der offenkundige Versuch des Präsidenten, den ukrainischen Staatschef zu erpressen, ein Fehler war. Das heißt noch lange nicht, dass sich die öffentliche Meinung mehrheitlich gegen Trump wendet. Aber ein Blick in US-Fernsehsender zeigt: Für Amerika gibt es derzeit kein anderes Thema als die Impeachment-Anhörungen. Gestern die brisanten Aussagen des Diplomaten Kurt Volker und des Sicherheitsberaters Timothy Morrison, heute die vermutlich noch spannendere Aussage des US-Botschafters bei der EU, Gordon Sondland, einer Schlüsselfigur in der Affäre.
Wir lernen: Die Mechanismen der checks and balances, der demokratischen Kontrolle, funktionieren in Amerika noch – obwohl das Land so tief gespalten ist wie selten zuvor. Der Präsident ist unter Druck, und der Druck wächst. Von Tag zu Tag, Aussage zu Aussage, von Bildschirm zu Bildschirm, ganz gleich, was er twittert. Politische Macht ist etwas Feines. Erst recht, wenn sie nicht beim mächtigsten Mann im Staate liegt.
Es ist Samstagmorgen, Sie sitzen im Auto und sind auf dem Weg in die Stadt, eben noch schnell an der Tanke vorbei – und trauen Ihren Augen nicht: "203,9" steht da für den Liter Super auf dem Schild. Moment, da ist noch ein kleines Sternchen dran: "Gilt nur bis zum Gesamtverbrauch von 60 Litern pro Monat. Danach 407,9 Cent pro Liter". Diese Ansage an allen Tankstellen, über Nacht eingeführt in ganz Deutschland: Da wäre was los.
Den Konjunktiv können wir getrost fallen lassen, denn erfunden an diesem Szenario ist nur der Ort: Am vergangenen Samstag ist genau das im Iran geschehen. Verglichen mit unseren Preisen ist Benzin dort zwar immer noch spottbillig. Doch die Haushaltskassen sind leer, es reicht hinten und vorne nicht, ob man nun zum Mittelstand gehört oder sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen muss. Gerade erst hat die Regierung Unterstützungszahlungen für Familien gestrichen, jetzt sind die Subventionen an der Tankstelle dran. Nicht nur die vielen Pendler, die sich mit langen Wegen eine gerade noch erschwingliche Unterkunft erkaufen, werden davon hart getroffen. Nicht nur diejenigen, die sich nach dem regulären Feierabend zusätzlich mit Taxifahren über Wasser halten. Auch alle Transporte werden teurer, vom Gemüse bis zur Waschmaschine. Dabei befindet sich der iranische Rial längst im freien Fall und die Inflation liegt schon bei 40 Prozent.
Das Regime wusste, was ihm blühte. Parallel zur Spritpreiserhöhung wurde das Internet abgeschaltet, so konsequent wie noch nie zuvor. Es ist ein bisschen wie früher, als es gar kein Internet gab. Natürlich dringen trotzdem Informationen nach draußen, aber die große Vernetzung der Protestierenden bleibt aus – bislang. Was wir wissen: Große Demos in mehr als hundert Städten. Brennende Banken. Schwere Zusammenstöße. Dutzende Tote, befürchten die UN. Amnesty International spricht gar von mehr als hundert. Tausende Verletzte. Mindestens tausend Verhaftete. Sicherheitskräfte haben ein noch härteres Durchgreifen angedroht, die Geiferer des Regimes fordern die Todesstrafe für die "Rädelsführer".
In Washington, Riad und den Hauptstädten der Golfemirate wird man darüber keine Träne vergießen, sondern sich zufrieden zurücklehnen. Knallharte Sanktionen sollten den Staat der Mullahs in die Knie zwingen, jetzt geht die Saat auf. Lange lief es gut für den Iran. In Syrien, im Libanon, im Irak: Überall haben Militärs aus der Schattenarmee der Revolutionsgarden die Hosen an. Aber der Wind hat sich gedreht. Im Irak reißen die Massenproteste gegen den Einfluss aus Teheran nicht mehr ab. Zu Hause verlangen die Demonstranten, endlich Schluss zu machen mit dem Geldsegen für außenpolitische Abenteuer.
Es sind gefährliche Tage. Die Leute haben die Nase voll, aber der Protest ist führerlos, vielleicht reicht er zu einer Revolte, aber nicht zu einer Revolution. Wenn der erste Dampf aus dem Kessel gewichen ist, drohen die blutige Niederschlagung und brutale Repression. Womöglich wird es dabei nicht bleiben. Die Hardliner in Amt und Würden könnten allzu leicht der Versuchung erliegen, anderswo Feuer zu legen – in der Absicht, das Volk wieder hinter sich zu vereinen. Brennende Tanker im Persischen Golf, Anschläge auf US-Stützpunkte im Irak, Explosionen in saudischen Raffinerien: Wir kennen das schon. Das kann sich schnell ausweiten. Wie ein Feuer an der Tanke.
Fritz von Weizsäcker, der Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, ist am Dienstagabend in Berlin erstochen worden. Der Chefarzt hielt gerade einen medizinischen Vortrag in einer Privatklinik, als ein Mann aus dem Zuschauerraum auf ihn losging. Der 59-jährige von Weizsäcker starb noch vor Ort – der mutmaßliche Angreifer wurde verhaftet, eine weitere Person verletzt. Die Ermittlungen der Polizei laufen. Dabei soll auch die Familie von Weizsäckers befragt werden, ob es möglicherweise Hinweise auf eine Bedrohung des Internisten gab.
WAS STEHT AN?
Bundeskanzlerin Merkel wird heute noch mal ausgiebig dem Menschenschinder Abdel Fattah al-Sisi die Hand schütteln. Manche Leute nennen ihn auch den Präsidenten Ägyptens, aber das ist nur sein Nebenberuf. In seinem Hauptberuf lässt er Kritiker einkerkern und Aufmüpfige foltern. Nebenher hält er Europa afrikanische Flüchtlinge vom Leib. Deshalb darf er nun für ein paar schöne Fotos im Kanzleramt posieren. Wenn Sie das zynisch finden, sind Sie sicher nicht allein.
Das Rolling-Stones-Konzert vor zwei Jahren in Hamburg war spitze. Mick tobte wie ein junger Gott über die Bühne, Keith haute die Akkorde von "Gimme Shelter" einigermaßen stimmig raus, Ron korrigierte, wo nötig, und Charlie gab bei "Jumping Jack Flash" einen Takt vor, der gerade noch nicht peinlich war. Ich war beileibe nicht der Einzige, der dieses Altherrenrockspektakel dufte fand. Weniger dufte war, dass sich einige Hamburger Beamte in eine Affäre verstrickten, indem sie kurzerhand Freikarten an Freunde und Geschäftspartner verteilten. Heute beginnt der Prozess. Er reicht weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus.
In Brüssel treffen sich die Außenminister der Nato-Staaten und beraten darüber, wie sie a) die Verteidigungsausgaben ein bisschen gerechter verteilen und b) Chinas Aufstieg zur militärischen Weltmacht möglichst unauffällig ignorieren können. Die programmatische Wiederbelebung des laut Emmanuel Macron "hirntoten" Bündnisses ist nicht zu erwarten – selbst wenn der deutsche Außenminister sie einfordert.
Der US-Senat hat mehrere Gesetzesentwürfe zur Unterstützung der Demokratiebewegung in Hongkong verabschiedet. Dort droht nach der Belagerung der Polytechnischen Universität durch die Polizei schon die nächste Eskalation.
In Madrid begehen Anhänger Francisco Francos den 44. Todestag des faschistischen Diktators mit Gottesdiensten, Aufmärschen und großem Tamtam. Absurd.
Ich halte nicht allzu viel von Thementagen, vom heutigen aber schon: Der internationale Tag der Kinderrechte jährt sich zum 30. Mal. Im langen Kampf, Kinder besser zu schützen, hat sich die britische Lehrerin Eglantyne Jebb mit ihrer Organisation "Save the Children" hervorgetan. So auch im Fall von Dagmar Wendorff, die im Jahr 1946 im zerstörten Berlin überlebte. Mein Kollege Till Oppermann hat mit ihr gesprochen.
WAS LESEN?
Manche Menschen entwickeln in ihrem Leben plötzlich und unbegründet eine Angst zu sterben. Was steckt dahinter, wie kann man mit dieser Angst umgehen, wofür kann sie vielleicht sogar nützlich sein? Der Psychiater Jan Kalbitzer, den das Gefühl selbst vor einigen Jahren überkam, erklärt es im Interview mit meiner Kollegin Claudia Hamburger – und verrät, was ihm geholfen hat.
WAS AMÜSIERT MICH?
Mindestens 1.000 Meter Abstand zu jeder bewohnten Fläche: Was regen sich denn jetzt alle so über die Windräder auf?
Ich wünsche Ihnen einen gelassenen Tag. Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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