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Tagesanbruch: Putin warnt vor Wettrüsten – Die atomare Gefahr wächst rapide


Meinung
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Was heute wichtig ist
Die atomare Gefahr wächst rapide

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.06.2019Lesedauer: 6 Min.
Russische Interkontinentalrakete.Vergrößern des Bildes
Russische Interkontinentalrakete. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Europa braucht dringend einen Neustart. Nein, heute geht es nicht um Digitalisierung oder Landwirtschaft und auch nicht um Schulden. Heute geht es ums Überleben. Ihres und meines und das von Hunderten Millionen anderen Menschen auf unserem Kontinent. Und es geht um Wladimir Putin.

Der russische Präsident beherrscht die Winkelzüge der internationalen Politik so gut wie kaum ein anderer. Das Spiel aus Drohen und Locken, um den eigenen Vorteil durchzusetzen, hat der Kremlchef zur Perfektion gebracht. Deshalb horchen wir bei seinen Worten genau hin, klopfen sie ab und wenden sie, um doppelte Böden und versteckte Botschaften zu finden, versuchen Wahrheit von Täuschung zu trennen. Und stellen fest, hier hat er recht, zumindest auf den ersten Blick: Eindringlich hat Putin jetzt vor einem neuen weltweiten Wettrüsten gewarnt. Der New-Start-Vertrag über die Kontrolle atomarer Angriffswaffen sei das letzte Instrument, um das nukleare Aufrüsten einzuschränken, verkündete er gestern beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Das Abkommen zwischen Amerika und Russland läuft Ende Februar 2021 aus. Er wundere sich, dass die ganze Welt tatenlos zusehe, wie die Errungenschaften der Vergangenheit gefährdet würden, sagte Putin. "Wir haben schon hundert Mal gesagt, dass wir bereit sind, aber niemand verhandelt mit uns."

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Alarmierende Worte, die gestern im Nachrichten-Crescendo zwischen D-Day, Trump-Day und Groko-Mayday zu schnell verhallten. Dabei kann man diesen Teil von Putins Lamento gar nicht laut genug in die Welt hinausposaunen: Der im Jahr 2010 von Barack Obama und Dmitri Medwedew unterzeichnete New-Start-Pakt ist unsere Lebensversicherung. Formal sieht er nur die Verringerung der Nukleararsenale auf je 800 Trägersysteme und 1.550 einsatzbereite Atomsprengköpfe vor. De facto verhindert er, dass Russland und die Nato sich gegenseitig in eine brandgefährliche Konfrontation hochrüsten, bei der schon ein einziger Anlass – ein abgeschossenes Passagierflugzeug über der Ukraine zum Beispiel, ein Kampfjet-Zusammenprall über der Ostsee oder ein großangelegter Hackerangriff auf den Finanzplatz Frankfurt – womöglich einen nuklearen Krieg auslösen könnten. Nein, nicht einen Krieg, sondern den Krieg. Den letzten nämlich. Denn danach wäre wohl nicht mehr viel übrig von Europa.

Um den zweiten Teil von Putins Alarmruf richtig einzuordnen, muss man allerdings etwas tiefer in die Details der Diplomatie eintauchen und die Fallgruben der internationalen Politik ausleuchten. Der New-Start-Vertrag ist eine große Errungenschaft – aber wie jedes internationale Abkommen hat er auch gravierende Schwächen. Erstens verpflichtet er nur Moskau und Washington zum Maßhalten, nicht aber China und Neu-Delhi oder gar einen atomaren Emporkömmling wie Pjöngjang. Zweitens kann er nur einmalig um fünf Jahre verlängert werden. Und drittens hören wir nicht nur interessiert, was Herr Putin sagt. Sondern auch, was er nicht sagt. Das müssen wir uns nämlich dazu denken: In Gesprächen über eine Vertragsverlängerung sieht der Kreml die einzige Chance, den atomaren Raketenschutzschild der Amerikaner aus Europa weg zu verhandeln. Dieser Schutzschild, der ballistische Raketen im Weltraum abfangen kann, hat die USA in den Stand der alleinigen militärischen Supermacht erhoben und Russland zu einem unterlegenen Mächtchen degradiert. Im Falle eines Angriffs mit Nuklearwaffen könnte Amerika sich schützen. Russland nicht. Das macht verwundbar, das schwächt das Selbstbewusstsein, das schürt Angst.

Deshalb regt sich Herr Putin so darüber auf, dass Herr Trump ihn am ausgestreckten Verhandlungsarm verhungern lässt. Allerdings belässt er es nicht bei der Empörung. Wer sich die aktuelle Entwicklung der russischen Streitkräfte genauer besieht, stellt fest: Noch nie war der Einfluss von Verteidigungsminister Schoigu auf Putins Politik so groß wie jetzt. Der Kreml rüstet rasant auf. Schon ein Drittel des offiziellen Haushaltsgeldes fließt ins Militär, hinzu kommen geheime Mittel sowie Geld aus der Privatwirtschaft: Russische Konzerne finanzieren ganze Kampfeinheiten, verpassen ihnen sogar ihre eigenen Namen. An seiner Westgrenze, wo Moskau sich von der Osterweiterung der Nato bedroht fühlt, baut Russland zu Lande, zu Wasser und in der Luft ein System vernetzter Streitkräfte auf: Die 6. Panzerarmee in St. Petersburg, die 1. Panzerarmee in Moskau und die 20. Armee in Woronesch bilden das Herz dieser Militärmaschine. Im Südwesten stehen die 8., die 49. und die 58. Armee. In Simferopol auf der Krim ist das 22. Armeekorps stationiert, im Norden das 14. in Murmansk.

Warum ich Sie heute Morgen mit diesen staubtrockenen Zahlen belästige? Weil diese Nummern bald wichtiger für uns alle werden könnten als der soundsovielte SPD-Vorsitzende oder die neueste Umfrage zu Grünen/CDU/WemAuchImmer. Deutsche Sicherheitsexperten beobachten, dass sich Russland auf einen bewaffneten Konflikt mit der Nato vorbereite. Im Wissen, dass er mit konventionellen Waffen keine Chance habe, bereite der Kreml den Ausbau seines Kernwaffenarsenals vor: bodengebundene Interkontinentalraketen, U-Boote mit Kontinentalraketen, Bomber mit Marschflugkörpern. Die Befehlsketten würden so optimiert, dass die Truppen im Konfliktfall blitzschnell gleichzeitig losschlagen könnten, bevor ein Nato-Staat den Bündnisfall ausrufen könne. Den Syrien-Krieg hätten die russischen Piloten als willkommenes Training benutzt, um ihre Treffsicherheit zu verfeinern.

All das tun die Russen in Uniform nicht, weil sie böse Menschen wären. Sondern weil sie sich bedroht fühlen: vom mächtigsten Militärbündnis der Welt, das in ihrem Vorgarten einen Raketenschutzschild aufgestellt hat. Diese schleichende Eskalation ist eine Gefahr für unser Leib und Leben. Europa braucht dringend einen Neustart beim New Start.


WAS STEHT AN?

In der Londoner Downing Street Nummer 10 wird sich heute eine Tür öffnen, eine Frau wird erst heraus- und dann zurücktreten. Zumindest vom Parteivorsitz der Konservativen. Es ist eine weitere Stufe auf der langen Leiter, die Theresa May in diesen Tagen hinabsteigen muss. Die letzte folgt mit dem Amt als Premierministerin bis Ende Juli. Wenn sie dann ganz unten angekommen ist, wird man sie wohl trotzdem nicht so schnell vergessen. Selbst die Liste der erfolglosesten britischen Regierungschefs hat schließlich einen Spitzenplatz.

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In Essen beginnt heute der Prozess gegen den Mann, der in der Silvesternacht in Bottrop in mehrere Menschengruppen fuhr. Er soll aus Fremdenhass gehandelt haben und ist wegen versuchten Mordes in zwölf Fällen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft will ihn wegen paranoider Schizophrenie in einer Psychiatrie unterbringen lassen.

In Düsseldorf beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Rizin-Bombenbauer von Köln. Der Islamist soll gemeinsam mit seiner Frau eine Biowaffen-Attacke geplant haben. "Es hätte der größte Anschlag in Europa werden können, im schlimmsten Fall mit Tausenden Todesopfern", sagt NRW-Innenminister Reul.


Der Landesvorstand der Bremer SPD entscheidet heute Abend, ob er Koalitionsverhandlungen mit den Grünen und den Linken aufnehmen will. Will er wohl. Falls das Bündnis klappt, könnten die Sozialdemokraten, die seit gefühlt sieben Jahrhunderten im Bremer Rathaus residieren, trotz ihrer Wahlniederlage weiter residieren. Das mag nicht jedem gefallen, aber auch das ist Demokratie.


ZITAT DES TAGES

"Man muss Gesetze kompliziert machen. Dann fällt das nicht so auf." Horst Seehofer erklärt, wie er in der Gesetzgebung mit Widerspruch von Bürgern umgeht. Doch, hat er so gesagt. Hier sehen Sie die Szene. Was macht dieser Mann noch im Bundesinnenministerium?


WAS LESEN?

Die zögerliche Ahndung von Hasskommentaren im Internet bietet immer wieder Anlass zur Kritik, auch hier. Nun hat die Polizei in 13 Bundesländern Wohnungen durchsucht und Verdächtige vernommen. Eine wichtige Aktion.


Jürgen Klopp gewinnt die Champions League, die Bayern holen Meisterschaft und DFB-Pokal: Man könnte glatt denken, die Fußballsaison sei gelaufen. Ist sie nicht. Wenn Sie dieser Tage im Garten oder auf dem Balkon sitzen, schalten Sie ruhig mal die Flimmerkiste ein. Denn heute beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Frankreich. Unser Reporter Noah Platschko ist rund um die Stadien unterwegs, um über die neue deutsche Nationalmannschaft zu berichten. Zum Start lege ich Ihnen sein Interview mit Johanna Elsig ans Herz, die den Umgang mit Fußballspielerinnen in Deutschland kritisiert.


WAS AMÜSIERT MICH?

Manchmal muss man die Dinge einfach beim Namen nennen.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Wochenausklang. In unserem Wochenend-Podcast, den Sie morgen früh hier hören können, sprechen Marc Krüger und ich über die wichtigste Person der Woche. Wenn Sie den Tagesanbruch als E-Mail abonniert haben, bekommen Sie die Samstagsausgabe wie gewohnt um 6 Uhr geschickt.

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