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Tagesanbruch: Hungerkrise im Südsudan – Licht in die Finsternis


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Was heute wichtig ist
Fahrt in die Finsternis

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.11.2019Lesedauer: 7 Min.
Fahrt in einem Unicef-Wagen von Wau ins Dorf Tharkueng im nördlichen Südsudan.Vergrößern des Bildes
Fahrt in einem Unicef-Wagen von Wau ins Dorf Tharkueng im nördlichen Südsudan. (Quelle: F. Harms)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Manchmal ist es dort am dunkelsten, wo es am hellsten ist. Die Sonne brennt vom Himmel, versengt Gras, Büsche, Haut. Der Geländewagen der Vereinten Nationen ruckelt über die staubige Buckelpiste, links und rechts Büsche, Palmen, gelegentlich Fußgänger. In einem Weiler hocken Teenager vor ihren Hütten und verkaufen Benzin in Plastikflaschen. Weiter. Eine Herde Ochsen mit langgezogenen Hörnern trottet vorüber, dann ein alter Mann mit einem Blasrohr. Weiter. Nach anderthalb Stunden erreichen wir das Dorf Tharkueng. Fast 10.000 Menschen leben in dieser Siedlung im Norden des Südsudans. "Nah am Fluss" bedeutet der Name, aber die Menschen sind froh, wenn das Wasser im Flussbett bleibt. In anderen Landesteilen sind nach monatelangen Regenfällen ganze Regionen überschwemmt. Das Dorf besteht aus vereinzelten Hütten, errichtet aus getrocknetem Schlamm und Palmwedeln.


In einer der Hütten sitzt Nyamon Piok. Die 37-Jährige trägt ein blaues Kleid und auf dem Arm ihre 20 Monate junge Tochter Ahok. Das Kind ist massiv unterernährt, obwohl es seit einigen Wochen täglich Kraftnahrung erhält. Es hat zuvor zu lange gehungert. Neben ihr sitzen weitere Kinder, sieben hat sie insgesamt: Außer Ahok noch Agail, Chol, Akuol, Abuk, Deng und Adut. Dazu drei Pflegekinder ihrer Schwester, die im Juli plötzlich gestorben ist: Abuk, Manut und Anyang. Die Kinder schlafen in einer Hütte, in der sich nicht mehr befindet als eine Matte und eine Wäscheleine. Die Mutter wohnt mit ihrem Mann in der zweiten Hütte. Zwei Betten und zwei Stühle stehen darin, sonst ist da nichts. Doch: Ungeziefer krabbelt über den Boden. Ihr Gatte ist Polizist und verdient 1.000 südsudanesische Pfund im Monat, umgerechnet dreieinhalb Euro. Viel zu wenig, um zu überleben. Also kauft Nyamon regelmäßig Mehl auf dem Markt und backt daraus Brot, das sie an der Straße verkauft. So verdient sie monatlich weitere 70 Cent hinzu. Immer noch zu wenig, um die Kinder ausreichend zu ernähren. Nur eine Mahlzeit am Tag können sie sich leisten. Hirsebrei.

"Es gibt kein anderes Leben für mich", sagt Nyamon. "Ich bin zwar nicht glücklich, aber es geht eben nicht anders. Gott hat mir einen Mann gegeben, der nicht genug Geld verdient, sodass wir mehr erwarten könnten. Also zählt nur, dass ich meine Kinder aufziehe, damit sie mich später versorgen können, wenn ich alt bin."

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Hat sie sonst keine Hoffnung? "Doch", antwortet sie. "Mein Mann hat drei weitere Frauen. Eine hat einen Sohn, der auf die höhere Schule geht, er wird von der Familie der Frau unterstützt. Hoffentlich verdient er später einmal so viel, dass er uns alle ernähren kann."

Wäre weggehen eine Option? "Nein. Wohin denn?" Andere Regionen kennt sie nicht, andere Länder erst recht nicht, von Europa oder gar Deutschland hat sie noch nie gehört. Also bleibt sie hier. Hier in ihrer Hütte, wo sie wartet, dass es kühler wird. Hier, wo die Armut aus jedem Winkel starrt, die Sonne vom Himmel brennt und die Tage trotzdem oft so finster erscheinen. “Herz der Finsternis“ hat Joseph Conrad seine berühmte Erzählung über den Kongo genannt. Ein anderes Land, eine andere Zeit, andere Personen. Aber wer Tharkueng besucht, kann nachvollziehen, was er damit gemeint hat.

Alles finster? Nein, nicht alles. Aus William Dengs Gesicht leuchtet ein Strahlen. "Ich möchte vorankommen im Leben", sagt er, "und ich helfe gern". Er hatte Glück, und er hat es genutzt. Dabei begann auch sein Leben düster. Der Vater fiel als Soldat im sudanesischen Bürgerkrieg, William verdingte sich als Grasschneider und Maurer, um das Schulgeld zu verdienen. Keiner seiner Verwandten arbeitet bei den Behörden, also musste er ohne die allgegenwärtige Vetternwirtschaft auskommen. Er kämpfte sich durch und arbeitet nun seit 15 Jahren für internationale Hilfsorganisationen, derzeit für die Johanniter. Stattliche 1.000 US-Dollar verdient er im Monat, die allerdings gar nicht mehr so stattlich sind, wenn man davon fünf Kinder, eine Mutter, zwei Brüder und zwei Halbschwestern durchfüttern muss. "Ich möchte mehr lernen und dann am liebsten im Ausland arbeiten", sagt er. Aber was geschieht mit seiner Heimat, wenn tatkräftige und vergleichsweise gebildete Menschen wie er dem Südsudan auch noch den Rücken kehren? "Hier gibt es keine Zukunft", sagt William.

Bildung ist der Schlüssel, um ein Land aus dem Elend zu holen, sagen humanitäre Helfer und Wissenschaftler unisono. Bildung schafft Wirtschaftsstrukturen. Feldstudien haben gezeigt: Junge Frauen, die zur Schule gegangen, vielleicht sogar eine Ausbildung absolviert haben, bekommen weniger Kinder – und können beim Aufbau eines Landes eine entscheidende Rolle spielen. Der Vergleich mag gewagt klingen, aber es ist vielleicht ein bisschen wie damals bei den Trümmerfrauen. Auch in Deutschland spielten Frauen nach dem Krieg eine tragende Rolle beim Wiederaufbau sozialer und wirtschaftlicher Strukturen.

Aber erfolgreiche Bildungsstrukturen können nicht entstehen, solange gewissenlose Politiker ihre Soldaten aufeinander hetzen, sich die Bodenschätze unter den Nagel reißen und den Rest der Bevölkerung verhungern lassen. "Die Menschen hier haben den Krieg und die Gewalt so satt!", sagt eine Helferin. "Sie wollen nicht mehr ständig von hier nach da fliehen, um ihr Leben fürchten, ihr weniges Hab und Gut verlieren. Sie wollen endlich Frieden. Denn solange es den nicht gibt, können sie sich anstrengen, soviel sie wollen, sie kommen nicht aus dem Elend heraus."

Und solange müssen internationale Hilfsorganisationen den Menschen im Südsudan beim Überleben helfen. Die Mitarbeiter des UN-Kinderhilfswerks Unicef tun das mit großem Aufwand und viel Herzblut. Aber sie sind dabei auf Spenden angewiesen. Wenn also Sie, liebe Leserinnen und Leser, heute auch etwas Gutes tun wollen, dann können Sie den hungernden Kindern und ihren Müttern im Südsudan helfen, indem sie diese Seite aufrufen und einen Beitrag leisten. Auf dass ein bisschen mehr Licht in die Finsternis fällt.

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Beim nächsten Thema das Wichtigste zuerst: Die Sache hat keine Chance. Das Amtsenthebungsverfahren, das laut amerikanischer Verfassung Donald Trump im Weißen Haus vor die Tür setzen könnte, wird es gerade mal bis in den Hausflur schaffen. Denn um einen Präsidenten abzusetzen, muss das Oberhaus des US-Parlaments, der Senat, den angeklagten Amtsinhaber für schuldig befinden – und zwar mit einer saftigen Zwei-Drittel-Mehrheit. So hoch ist diese Hürde, dass sie in der amerikanischen Geschichte noch nie genommen wurde. Und weil die Parteifreunde des Präsidenten im Senat sogar in der Mehrheit sind, wird es diesmal erst recht nichts.

Dennoch hat gestern im Abgeordnetenhaus in Washington etwas Gravierendes begonnen: die öffentliche Anhörung und Befragung der Zeugen, die Trump schwer belasten. Er soll den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenski erpresst haben, um Joe Biden, seinem wohl gefährlichsten Gegner bei der kommenden Präsidentschaftswahl, Dreck anzuhängen. Die Verfassung hält dazu eine klare Ansage bereit: Wer eine fremde Macht einspannt, um die Wahlen in den Vereinigten Staaten zu manipulieren, begeht ein Verbrechen. Nanu, könnte man einwenden, hat Trump während seiner Kandidatur vor drei Jahren nicht sogar öffentlich Wladimir Putin aufgefordert, seine Gegnerin Hillary Clinton mit ausspionierten E-Mails bloßzustellen? Doch, hat er, vom Rednerpult vor großem Publikum, und allzeit bereit auf Youtube. Aber der ins Leere gerufene Wunsch nach fremder Hilfe ist dann doch nicht genug, auch wenn das Strickmuster sich gleicht. Jetzt, so hat es den Anschein, hat er zum selben Zweck die Macht seines Amtes missbraucht. Das ist eine ganz andere Liga.

In den kommenden Wochen wird es für die Demokraten darum gehen, aus den belastenden Aussagen eine wasserdichte Beweiskette zu zimmern. Aber wozu, werden Sie vielleicht fragen? Am Ende scheitert es im Senat ja doch? Ja, das wird es wohl tun, aber eben nur dort. Die eigentliche Schlacht wird um die Meinung der amerikanischen Öffentlichkeit geführt. Auch das ist nicht leicht: Viele Zeugen, viele Namen, viele Verbindungen und Verwicklungen können selbst professionellen Beobachtern gelegentlich die Köpfe rauchen lassen. Die einfachen Formeln – "Trump ist korrupt!", "Nein, das ist nur eine parteiische Hexenjagd!" – machen mit dem komplizierten Ballast zwar Schluss, aber am Ende bleiben nur noch bloße Glaubensartikel übrig. Die Wahrheit? Gerechtigkeit? Rechenschaft vor dem Gesetz? "Es ist alles ganz einfach. Sie versuchen, mich zu stoppen, denn ich kämpfe für euch." Sagt Donald Trump, der Meister der schlichten Botschaften. Belastbare Beweise sind für die Demokraten das kleinste Problem.


WAS STEHT AN?

In Berlin stellen Wissenschaftler heute den globalen Jahresbericht "The Lancet Countdown" zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels vor. Dürren in Afrika, Überschwemmungen in Asien, Buschfeuer in Australien, Waldbrände in Kalifornien: Die Zeichen der Krise nehmen zu – und sie haben gravierende Folgen für Millionen Menschen.

Der Bundestag entscheidet heute über das Masernschutzgesetz und die Teil-Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Ersteres erscheint sinnvoll, letztere wäre vollständig besser.

Noch mal Berlin: Bürgermeister, Amtsdirektoren und Gemeinderäte aus den Kommunen der Kohleregion Lausitz demonstrieren heute vor dem Kanzleramt. Sie verlangen mehr Unterstützung beim Strukturwandel.

Die türkische Regierung will eine siebenköpfige Familie aus dem salafistischen Milieu nach Deutschland abschieben. Laut Bundesregierung wird sie Islamisten in Hildesheim zugerechnet, stammt aber ursprünglich aus dem Irak. Es ist davon auszugehen, dass Präsident Erdoğan den Fall als Druckmittel einsetzt, um die deutsche Kritik an seiner Militäraktion in Syrien zu kontern.

Auch in Washington geht es um Islamismus: Nach dem Tod von IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi bespricht die US-Regierung mit ihren Verbündeten den weiteren Kampf gegen die Terrormiliz.

Daimler-Chef Ola Källenius präsentiert auf dem Capital Market Day in London seine Strategie für die kommenden Jahre. Bislang ist unklar, wie der Auto-Dino künftig mit umweltverträglichen Wagen statt mit tonnenschweren Spritschluckern Geld verdienen will.


WAS LESEN UND ANSCHAUEN?

Das eine ist, von der Lage im Südsudan zu lesen. Das andere ist, die Situation zu sehen. Meine Eindrücke in der UN-Schutzzone in Wau schildere ich in diesem kurzen Video.


WAS AMÜSIERT MICH?

Endlich mal eine spitzenmäßige Nachricht für den Standort Deutschland! Der amerikanische E-Auto-Konzern Tesla will sein neues Werk in Brandenburg bauen! Bis zu 10.000 Arbeitsplätze könnten entstehen! Jetzt muss nur noch Wirtschaftsminister Peter Altmaier seine Hausaufgaben machen.

Ich wünsche Ihnen einen energiegeladenen Tag. Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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