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Regierungskrise in Italien: Matteo Salvini lässt Regierung platzen


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Was heute wichtig ist
Avanti Dilettanti!

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 12.08.2019Lesedauer: 6 Min.
Matteo Salvini im Wahlkampf am Strand von Taormina auf Sizilien.Vergrößern des Bildes
Matteo Salvini im Wahlkampf am Strand von Taormina auf Sizilien. (Quelle: Antonio Parrinello/reuters)
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Guten Morgen, liebe Tagesanbruch-Freunde,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Italien, Land unserer Sehnsucht: Sole, mare, arte, vino – fantastico! Warum, so fragen wir uns in der Urlaubszeit und beim Blick auf die Nachrichten, warum veranstaltet so ein wunderbares Land so ein wunderliches Politdrama, warum himmeln so viele Menschen den Maulhelden Matteo Salvini an? Das Bündnis seiner Lega mit den Fünf Sternen, deren graswurzeldemokratische Ideale ebenso groß sind wie ihr Unvermögen zum Regierungshandeln, steht vor dem Bruch. Schon heute könnte die Lega im Senat ein Misstrauensvotum gegen Regierungschef Conte einbringen. Herr Salvini hat sich bereits in den Wahlkampf gestürzt und gibt auf einer "Beach Tour" Lebensweisheiten zum Besten: "Ich bekenne: Ich habe einen Bauch. Ein Mann mit Bauch hat Substanz. Und ich tanze gern!" Am Wochenende ließ sich der Innenminister von Badegästen am Mittelmeer feiern und drehte vor den Kameras der Journalisten eine Runde im Kanu.

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Zeitgleich herrscht in Rom helle Aufregung: Wie reagieren die Börsen, wenn die Regierung tatsächlich platzt, steigen die Zinsen für den Schuldendienst noch weiter, droht wieder die Staatspleite? Kommt es wirklich zu Neuwahlen, dürfte zum ersten Mal in der Geschichte ein Populist an der Spitze eines EU-Kernlandes stehen. Die Umfragen zeigen den paddelnden Herrn Salvini und seine Lega bei bis zu 40 Prozent. Avanti Dilettanti!

Wie ist Italien in diese politische Geisterbahnfahrt geraten? Die Spaltung des Landes in den wohlhabenden, industrialisierten Norden und den armen, landwirtschaftlich geprägten Süden sorgt seit jeher für krass unterschiedliche Lebensverhältnisse. Die Wirtschaft wächst nicht, die Verschuldung stagniert bei mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Politiker verschleppen seit Jahrzehnten dringende Reformen, wobei es ziemlich egal ist, wer gerade (nicht) regiert. Stattdessen übertrumpfen sie sich gegenseitig mit Heilsversprechen. Lega und Fünf Sterne versprachen den Menschen Steuersenkungen und ein Bürgergeld – finanziert durch noch mehr Schulden, was Italiens prekäre Lage an den Finanzmärkten verschlimmert. Hinterfragt wird die Luftschlosspolitik kaum, es gibt nur noch wenige unabhängige und kritische Medien. Im Fernsehen laufen vor allem seichte Spaßshows mit leicht bekleideten Damen, "Petersilie" genannt (wie auf der Pasta: überflüssig für den Inhalt, aber schön anzusehen). Die politische Kultur ist verkümmert. Und dann ist da auch noch die Mafia, die den Staat wie eine Weihnachtsgans ausnimmt.

Wir können die Italiener bedauern. Wir können hoffen, dass dieses schöne, für die Stabilität Europas so wichtige Land nicht völlig aus dem Ruder läuft. Wir können Italien, das jahrelang mit dem Flüchtlingsproblem allein gelassen wurde, stärker unterstützen. Und wir können uns Italien als Mahnung nehmen. Natürlich ist Deutschland ungleich stabiler, hat eine viel stärkere Wirtschaft und dank umsichtiger Haushaltspolitik viel weniger Schulden. Aber auch Deutschland verschleppt viele dringende Reformen. Angesichts der strauchelnden Weltkonjunktur, von Handelskrieg und Brexit schlagen jetzt auch hierzulande Unternehmer Alarm. "Der Rückenwind ist weg", sagt Bosch-Boss Volkmar Denner. "Ich glaube, dass den Politikern die Dimension des Problems noch gar nicht klar ist", sekundiert BWM-Betriebsratschef Manfred Schoch. Am Mittwoch wird das Statistische Bundesamt Zahlen zum zweiten Quartal veröffentlichen. Ökonomen rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft nach jahrelangem Wachstum stagniert oder sogar schrumpft.

Höchste Zeit also, beherzt gegenzusteuern. Deutschland braucht jetzt entschlossene, mutige Regierungsparteien, die die Herausforderungen anpacken, statt um ihre eigenen Probleme zu kreisen. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags ist ein Schritt in die richtige Richtung für die meisten Bürger, weil der Staat den Menschen Geld zurückgibt, das sie dann wieder ausgeben können. So wird der Konsum belebt. Aber das reicht nicht. Die Bundesregierung könnte ein großes Konjunkturprogramm auflegen, um die vielerorts marode Infrastruktur zu modernisieren und den Mittelstand zu stärken. Das nötige Geld kann sie sich an den Finanzmärkten borgen; anders als Italien genießt Deutschland dort großes Vertrauen, deutsche Staatsanleihen sind der Renner. Ja, dadurch würde die Verschuldung steigen, ja, das wäre ein Bruch mit der Politik der Schwarzen Null. Aber es wäre trotzdem klug. Die gegenwärtigen Minuszinsen führen dazu, dass der Staat langfristig sogar Geld verdient, wenn er Kredite aufnimmt. Und die geborgten Milliarden würden sich durch Investitionen in Bildung (Schulen, Unis, Forschungseinrichtungen), Mobilität (Bahnnetz, Straßen, Tankstellen für E-Autos), Digitalisierung (Funkmasten, Online-Bürgerportal, schnelles Internet auf dem Land), Klimaschutz (Gebäudedämmung, intelligente Stromnetze, Hilfen für Schwellenländer) später um ein Vielfaches auszahlen. Könnte, sollte, müsste. An Ratschlägen fehlt es nicht, an Entschlossenheit schon.

Anders als in Italien. Dort inszeniert sich Herr Salvini als Macher: Er will endlich selbst Ministerpräsident werden, um alles bestimmen zu können. Und natürlich hat er sich den richtigen Zeitpunkt ausgesucht, um den Zoff mit seinem Koalitionspartner auf die Spitze zu treiben: Der Haushaltsplan für 2020 steht bevor, da wird sich die Regierung strengen Vorgaben aus Brüssel beugen müssen. Sparen ist angesagt. Von der Luftschlosspolitik dürfte dann nicht viel übrigen bleiben. Den Bürgern reinen Wein einzuschenken, das scheut Herr Salvini, das überlässt er lieber anderen, zum Beispiel einer Übergangsregierung aus Beamten. Währenddessen stürzt er sich in den Badehosen-Wahlkampf. Und wenn er die Wahl dann gewonnen hat, kann er gegen die Sparfüchse wettern. Auf diese Form der Entschlossenheit können wir hierzulande gern verzichten.


WAS STEHT AN?

Michael Kretschmer hat wahrscheinlich die schwierigste politische Aufgabe der Republik vor sich: In Sachsen steht am 1. September die Landtagswahl an, und Sachsen ist die Hochburg der AfD. Hier liegt sie in Umfragen nur knapp hinter seiner CDU, hier wurde sie sowohl bei der Europa- als auch bei der Bundestagswahl stärkste Partei, hier gewann sie drei Direktmandate. Eines davon verlor ausgerechnet Michael Kretschmer. Jetzt stellt er sich als Direktkandidat für den Landtag zur Wahl, er will Ministerpräsident bleiben – und dafür rackert er sich ab: Zwölf Stunden täglich im Wahlkampf. Isst wenig, trinkt wenig. Redet und redet. "Es wirkt so, als habe er sich zum Ziel Gesetz, mit jedem Bürger im Land zu sprechen", erzählt mir mein Kollege Jonas Schaible, der Kretschmer begleitet und ihn porträtiert hat. "Sein Ergebnis könnte sogar über die Nachfolge Angela Merkels entscheiden."

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Deshalb wird auch Annegret Kramp-Karrenbauer den Text wohl aufmerksam lesen. Heute Nachmittag trifft sich die CDU-Parteichefin mit den sächsischen Kreisvorsitzenden der Partei. Die Politiker hatten sie in einem offenen Brief zu mehr Verständnis für ostdeutsche Sichtweisen aufgefordert.


Andrea Nahles macht keinen Wahlkampf mehr. Aber reden tut sie immer noch: Im Kloster Maria Laach bei Koblenz hält die ehemalige SPD-Chefin heute einen Vortrag über "Die Gleichberechtigung von Mann und Frau laut Grundgesetz und im wahren Leben". Ich bin gespannt, ob sie auch etwas über die Männer Sigmar und Martin sagt.


Diese sagenhafte Fingerfertigkeit! Diese unvergleichlichen Melodien! So spielt nur er. Ich lausche ihm, seit ich denken kann, und es ist jedes Mal ein Genuss. Heute wird der Saitenzauberer 70. Jahre alt. Grund genug, ihm auch heute Morgen ein paar Minuten zuzuhören.


DIE GUTE NACHRICHT

Monatelang haben arabische Clans für Schlagzeilen gesorgt: Sie machen kriminelle Geschäfte, ignorieren die Staatsgewalt, schüchtern Bürger ein. Jetzt meldet die Polizei in Nordrhein-Westfalen Fortschritte: Die Null-Toleranz-Politik scheint erste Früchte zu tragen.


WAS LESEN?

Charles M. Huber kennen Sie aus dem Fernsehen, in "Der Alte" spielte er einen Kriminalkommissar. Später saß er für die CDU im Bundestag. Jetzt ist er aus der Partei ausgetreten – aus Ärger über Clemens Tönnies und Merkels Afrikabeauftragten. Wie begründet er seinen Schritt? Ramon Schack hat mit ihm gesprochen.


Schweinekotelett um 10 Uhr morgens: Wer Donald Trump bei den nächsten Präsidentschaftswahlen schlagen will, muss sich auf einer Fressmesse in Iowa beweisen. Es ist das seltsamste Politikspektakel der USA. Unser Amerika-Korrespondent Fabian Reinbold war dabei.


Das Islamische Zentrum München sorgt bundesweit für Schlagzeilen: Auf der Website der Organisation ist zu lesen, dass Männer ihre Frauen schlagen dürfen. Das berührt ein grundsätzliches Problem von Muslimen, schreibt unsere Kolumnistin Lamya Kaddor: Der Koran muss endlich zeitgemäß interpretiert werden.


WAS AMÜSIERT MICH?

Bundeswehr-Angehörige sollen kostenlos Bahn fahren dürfen, fordert Annegret Kramp-Karrenbauer. Na gut, sagen die Bahn-Chefs, aber die Soldaten dürfen keine Regionalzüge nutzen. Und ICE auch nur auf bestimmten Strecken. Wird ja sonst zu voll in den Waggons. Und überhaupt, da könnte ja jeder kommen. Wie drückt man den absurden deutschen Hang aus, eine gute Idee durch Bedenkenträgerei solange zu zerreden, bis alles beim Alten bleibt? Fragen wir mal unseren Cartoonisten Mario Lars:

Ich wünsche Ihnen einen produktiven Tag. Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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