Politspektakel in Iowa Das Gelage, das über den US-Präsidenten entscheiden kann
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wer Donald Trump bei den nächsten Wahlen schlagen will, muss sich auf einer Fressmesse in Iowa beweisen. Es ist das seltsamste Politikspektakel der USA. Wir waren dabei.
Die Frau, die sich beste Chancen ausrechnet, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu werfen, posaunt ihre wichtigste Botschaft als allererstes raus. "Ich will ein Schweinekotelett!", ruft Kamala Harris. Als Anhängerin rustikaler Kost ist die Senatorin aus Kalifornien, in deren Stimmbezirk eher Veganes hoch im Kurs steht, bislang nicht aufgefallen. Zudem ist es auch gerade erst zehn Uhr morgens.
Doch die Uhren ticken anders, wenn sich all jene Demokraten, die Trump als Präsident herausfordern wollen, unter das Wahlvolk im Bundesstaat Iowa mischen. Es läuft die "Iowa State Fair", eine alljährliche, große Landwirtschaftsshow im Mittleren Westen der USA – und das vielleicht seltsamste Politikerereignis, das die an Verrücktheiten nicht arme US-Politik zu bieten hat.
Denn die State Fair ist zweierlei: Sie ist ein riesiges Fressgelage, wo bei den Besuchern das gewinnt, was besonders groß oder besonders dick frittiert ist. Hot Dogs, Kirschkuchen, alles wird zur Freude der Gäste noch einmal der Fritteuse zugeführt. Zum anderen kann dieses Fest mit darüber entscheiden, wen die Demokraten gegen Trump aufstellen. Hier werden womöglich schon Weichen dafür gestellt, ob es bei vier Jahren Trump bleiben oder die Trump-Show die Welt noch länger in Atem halten wird.
Ein altes Amerika ohne Reue
So viele Demokraten wie noch nie wollen Präsidentschaftskandidat werden; und sie touren in diesen Tagen durch Iowa. Sie alle tauchen in die rustikale Parallelwelt aus Truthahnschenkeln, Schweineschau und Bacon-Eiskreme ab. Hier gibt es noch ein altes Amerika zu bestaunen, in dem Fleisch und Fett ohne Anflug von Reue verspeist werden. Wohl auch deshalb tut die Kalifornierin Harris lautstark ihren Appetit auf ein bodenständiges Schweinekotelett kund.
Alle vier Jahre wird das Fest nebenbei zum Politspektakel.
Vom ehemaligen Vize-Präsidenten Joe Biden, der in den Umfragen vorn liegt, über die Mitfavoriten Kamala Harris, Bernie Sanders, Elizabeth Warren, bis hin zu jenen, die in Meinungsfragen am Rande der Messbarkeit abschneiden. Sie alle bekommen beim Jahrmarkt 20 Minuten auf der sogenannten "Seifenkiste", einer kleinen Bühne mit ein paar Strohballen – und müssen Fragen der Fleischfreunde beantworten.
Joe Biden und eine Kuh aus 600 Pfund Butter
Viele Kandidaten halten dort energiegeladene Vorträge, wie sie das Land wieder auf die richtige Spur bringen wollen. Manche präsentieren sich als Macher, die auch Stimmen von Republikanern eintreiben können, andere werben für den grundlegenden Umbau der Wirtschaft. Joe Biden verurteilt in Polohemd und Sonnenbrille vor allem Trumps Schandtaten.
Es ist ein skurriles Nebeneinander. Einerseits sind "Corn Dogs" – Würstchen, die erst in Maisrührteig und dann in Fett getaucht werden – sowie eine aus 600 Pfund Butter modellierte Kuh die Stars dieses zehntägigen Fests. Andererseits Biden, Harris und Warren.
Warum ist Iowa so wichtig? Der Staat hält traditionell als allererster die parteiinternen Vorwahlen ab – wer Iowa gewinnt, dessen Chancen auf den Sieg steigen exponentiell. Im kommenden Februar wird es wieder soweit sein. 2008 etwa schlug hier der Außenseiter Barack Obama die favorisierte Hillary Clinton, der Rest ist Geschichte.
Deshalb bekommt der landwirtschaftlich geprägte, dünn besiedelte Staat die höchste Aufmerksamkeit der Präsidentschaftskandidaten, schon lange vor den Wahlterminen.
Das geht so weit, dass etwa am vergangenen Freitagabend alle Kandidaten in die Kleinstadt Clear Lake, zwei Stunden nördlich der Hauptstadt Des Moines und der State Fair reisten, um dortigen Ortsverbänden die Aufwartung zu machen. Sie alle schickten im sonst so ruhigen Clear Lake ihre lautstarken Unterstützer auf die Straßen und konnten fünf Minuten versuchen, die gut 1.500 Gäste von sich zu überzeugen.
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Dort, aber noch mehr bei der State Fair, müssen sie alle eines um jeden Preis vermeiden – wie ein abgehobener Berufspolitiker, der keinen Bezug zur US-Provinz hat, zu wirken.
Eine Belehrung – kommt gar nicht gut an
Denn die Iowans sind moderat und erdverwachsen. Da kann es auch nach hinten losgehen. Mitt Romney etwa, der gescheiterte Obama-Herausforderer der Republikaner, belehrte vor acht Jahren bei seinem Auftritt auf der Messe einen Besucher von der "Seifenkisten"-Bühne aus in Sachen Besteuerung von Unternehmen. Kam gar nicht gut an.
In Iowa ist man mächtig stolz auf die Rolle bei der Auswahl der Präsidentschaftskandidaten. Eine der wichtigsten Demokratinnen im Staat, die frühere Parteichefin Sue Dvorsky, erklärt es so: "Wir übernehmen eine Aufgabe, die das ganze Land von uns erwartet: Wir klopfen die Kandidaten auf ihre Tauglichkeit ab."
Viele Bürger nehmen die Aufgabe sehr ernst. Man trifft auf dem Volksfest neben jenen, die wegen der Corn Dogs kommen, auch viele, die viel Zeit vor der "Seifenkisten"-Bühne verbringen.
Es sind Wählerinnen wie Ann Connors. Die Zahnärztin aus dem zwei Autostunden entfernten Iowa City steht schon vor der Bühne, als am Donnerstagmittag die ersten Kandidaten sprechen.
Sie jubelt, als der erste Redner – der Gouverneur Montanas und krasse Außenseiter Steve Bullock – regelrecht schreit, er könne die Industriestaaten von Trump zurückerobern. Connors hört anschließend ergriffen Biden zu, der an den Anstand der Bürger appelliert. Zwei Tage später steht sie mit einem Kamala-Harris-Button wieder vor der Bühne. "Die ist auch sehr gut", sagt sie.
Connors wählt meist die Demokraten, doch manchmal auch Republikaner. Momentan ist Biden noch ihr Favorit für die Wahl im November 2020. Sie sagt: "Die Nation braucht jemanden, der uns trösten, heilen, zusammenführen kann."
Aber sie wird sich das Feld weiter genau anschauen – sie weiß, dass sie als Bürgerin im mächtigen Iowa die Bewerber noch oft zu Gesicht bekommen wird. "Am Ende werde ich jeden Kandidaten unterstützten, den die Demokraten aufstellen."
Jetzt will sie erst einmal zu den Fressbuden. "Richtig ungesund", lacht sie, "wären nur vier weitere Jahre Donald Trump."
- Beobachtungen und Gespräche vor Ort