Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Scheitert es nun?

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
mit Versprechen ist das so eine Sache. Sie klingen gut, sie wecken Erwartungen, sie signalisieren Entschlossenheit. Daher sind Versprechen erst einmal ehrenwert. Dumm nur, wenn man sie nicht halten kann. Vor allem, wenn man sie dringend einlösen müsste.
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Dieser Kritik sieht sich derzeit Friedrich Merz ausgesetzt. Der CDU-Chef hatte im Wahlkampf eine umfassende Steuer- und Sozialreform angekündigt. Eine "Agenda 2030", die Deutschlands Wirtschaft auf Vordermann bringen und den Standort attraktiver machen sollte. Doch nun – in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD – zeigt sich: Von diesen ambitionierten Plänen bleibt kaum etwas übrig.
Dabei wäre eine Reform dringender denn je. Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Krise. Das Konjunkturteam des Handelsblatt Research Institute (HRI) erwartet, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr erneut leicht um 0,1 Prozent schrumpfen wird. Für das kommende Jahr prognostizieren die HRI-Ökonomen lediglich einen Zuwachs um 0,9 Prozent. Das wäre zwar das erste Plus seit dem Jahr 2022.
Doch dieses Wachstum ist gering, verglichen mit anderen Industriestaaten. Laut der OECD ist Deutschland Schlusslicht beim Wachstum. Spanien wird dieses Jahr wohl ein Wirtschaftsplus von 2,3 Prozent erreichen, bei den USA werden es 2,4 Prozent sein.
Ein zentrales Problem in der derzeitigen Krise ist die überdurchschnittlich hohe Steuerbelastung für Unternehmen. Deutschland gehört zu den Hochsteuerländern in der EU – ein Standortnachteil, der insbesondere für mittelständische Betriebe spürbar ist.
Auch die Wirtschaft fordert erwartungsgemäß Entlastungen. Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, sagte mir: "Deutschland darf sich wirtschaftlich nicht selbst ausbremsen, während andere Länder auf der Überholspur sind."
Nicht nur Firmen ächzen unter einer massiven Steuerbelastung. Auch viele Freiberufler und Arbeitnehmer klagen darüber. Die Rede ist vom sogenannten Mittelstandsbauch: Damit ist die überproportionale Steuerlast für mittlere Einkommen gemeint – eine Besonderheit des deutschen Steuerrechts. Wer sich durch Arbeit ein höheres Einkommen erarbeitet, rutscht schnell in hohe Steuersätze – ein Effekt, der Arbeitsanreize senkt und den Konsum dämpft. Merz hatte angesichts der Wirtschaftskrise versprochen, hier gegenzusteuern.
Doch der CDU-Mann hat die Rechnung ohne die SPD gemacht. Denn die Vorstellungen der Sozialdemokraten gehen in eine etwas andere Richtung als die des früheren Blackrock-Aufsichtsrats. In den vergangenen Wochen hatten sich Fachpolitiker aus Union und SPD zusammengesetzt und versucht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.
Letzteres dürfte ihnen deutlich leichter gefallen sein. So wimmelt es im Abschlusspapier der Arbeitsgruppe zu den Finanzen von roten und blauen Textblöcken, in denen SPD und Union ihre Ideen dokumentieren, auf die sie sich nicht einigen konnten, berichten meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Hauptstadtbüro. Seit Freitag verhandeln nun die jeweiligen Parteispitzen direkt über die kritischen Punkte. Am Montagabend soll die Spitzenrunde erneut zusammenkommen, dieses Mal in der CDU-Zentrale.
So will die Union die Gewerbesteuer tendenziell senken, die SPD eher erhöhen. Die Union will Unternehmen entlasten, indem sie die Körperschaftsteuer ab 2026 von 15 auf 10 Prozent senkt. Die SPD will sie erst ab 2029 reduzieren, und dann auch nur um einen Prozentpunkt.
Verbandsgeschäftsführer Herkenhoff sagte, es sei "das falsche Signal", dass in den Koalitionsverhandlungen über Steuererhöhungen für Firmen gesprochen werde. Herkenhoff will die Steuerbelastung auf Unternehmensgewinne auf 25 Prozent senken, "um Investitionen und Arbeitsplätze zu sichern".
Die Sozialdemokraten wollen vorwiegend geringe Einkommen entlasten, was ein hehres Anliegen ist. Im Wahlkampf hatte die SPD dafür geworben, 95 Prozent der Steuerzahler zu entlasten. "Da geht es um die arbeitende Mitte, um die arbeitenden Familien in diesem Land", hatte Achim Post gesagt, stellvertretender SPD-Chef und Teilnehmer in den Verhandlungen. Dafür sollen die obersten ein Prozent der Einkommen stärker besteuert werden.
Das sieht in den Koalitionsverhandlungen nun etwas drastischer aus. Der Spitzensteuersatz soll auf 47 Prozent steigen, dann ab einem zu versteuernden Einkommen von 83.000 Euro. Aktuell liegt der Satz bei 42 Prozent für ein zu versteuerndes Einkommen ab 68.481 Euro. Das zu versteuernde Einkommen ist übrigens nicht gleichzusetzen mit dem Bruttogehalt.
Experten fürchten, die SPD-Steuerpläne könnten bereits gut verdienende Facharbeiter treffen, deren zu versteuerndes Einkommen in einen höheren Steuersatz-Bereich fällt. Handwerkspräsident Jörg Dittrich sagte der "Bild am Sonntag": "Es wären Zehntausende Handwerksmeister betroffen, weil sie plötzlich als Superreiche gelten. Deswegen ist das kategorisch abzulehnen."
Der Reichensteuersatz, der ab einem Einkommen von mehr als 277.000 Euro greift, soll nach dem Willen der Sozialdemokraten indes von 45 auf 49 Prozent angehoben werden. Die Union will Besserverdienende derweil entlasten, sie stemmt sich gegen jedwede Erhöhungen.
Auch die Abgeltungssteuer auf Gewinne aus Kapitalanlagen will die SPD erhöhen, und zwar von derzeit 25 auf 30 Prozent. Das Sparen per ETF-Sparplan dürfte dann unattraktiver werden. Noch unattraktiver – muss man angesichts der aktuellen Steuerbelastung wohl sagen.
Um den "kleinen Sparer" nicht zu treffen, müsste parallel zur Steuer auch der Sparerfreibetrag angehoben werden. Verbandschef Herkenhoff kritisiert ebenso, in der privaten Altersvorsorge dürfe die künftige Regierung "keine zusätzlichen Hürden" schaffen. "Eine höhere Abgeltungssteuer, wie von der SPD vorgeschlagen, würde genau das tun", so Herkenhoff. "Statt das Sparen und Vorsorgen weiter zu erschweren, sollte die Politik den Menschen helfen, für die Zukunft vorzusorgen."
Einig sind sich die Parteien lediglich in Minipunkten. Etwa darin, die Mehrwertsteuer in der Gastronomie zu senken. Ein Schritt, der die Konjunktur womöglich anschiebt – aber nur marginal. Gleichzeitig aber auch viel Geld kostet.
Den Verhandlern dürfte derweil klar sein: Sparen ist angesagt. Auch deshalb argumentiert die SPD gegen umfassende Steuerentlastungen. Es gehe auch um Gerechtigkeitsfragen, betonte Klingbeil am Sonntagabend in der ARD. "Ich möchte das als Sozialdemokrat auch diskutieren, ja das will ich", sagte er etwa mit Blick auf eine stärkere Belastung von Spitzenverdienern.
Im Bundeshaushalt 2025 sowie der Finanzplanung der kommenden Jahre klaffen ohnehin bereits Milliardenlöcher – obwohl die Lockerung bei den Verteidigungsausgaben neue Spielräume eröffnet. Bei dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz soll es sich um zusätzliche Investitionen handeln. Übrigens wird auch hier Merz vorgeworfen, sein Versprechen gebrochen zu haben, die Schuldenbremse einzuhalten.
Tatsächlich zeigt sich in den Koalitionsverhandlungen ein Grundproblem deutscher Politik. Anstatt langfristige Wachstumsimpulse zu setzen, werden erneut kurzfristige Umverteilungsmaßnahmen diskutiert. Die Frage, wie Deutschland in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben soll, tritt dabei in den Hintergrund.
Eine echte Steuerreform müsste mehr sein als eine Anpassung einzelner Steuersätze – sie müsste das gesamte System durchforsten, Steuerbürokratie abbauen und Leistungsanreize setzen. Übrigens: Auch Sozialabgaben wie der Rentenbeitrag müssten Teil einer solchen Reform sein. Doch von dieser Vision ist in den aktuellen Verhandlungen wenig zu sehen. Und so bleibt am Ende wohl nur die Erkenntnis für Friedrich Merz und seine Kritiker: Nicht jedes Versprechen kann gehalten werden. So bitter das sein mag.
Dieses Urteil könnte Frankreich erschüttern
Geht es nach dem Willen der Pariser Staatsanwaltschaft, könnte der politische Aufstieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen am Montag abrupt enden. Die Fraktionschefin des Rassemblement National (RN) erwartet das Urteil in einem entscheidenden Prozess. Ihr werden Scheinbeschäftigung von EU-Parlamentsassistenten und die Veruntreuung von EU-Geldern vorgeworfen.
Eine mögliche Haftstrafe dürfte ihr zwar relativ wenig Sorgen machen. Diese würde suspendiert, sobald sie Berufung einlegt. Doch die Staatsanwaltschaft fordert darüber hinaus ein Verbot, bei Wahlen anzutreten – und dies mit sofortiger Wirkung. Also selbst im Fall einer weiteren Gerichtsverhandlung.
Sollte es dazu kommen, müsste die 56-Jährige, die sich große Hoffnungen auf die Präsidentschaft des Landes macht, ihre Pläne für den Wahlkampf aufgeben. Sie könnte zwar in der laufenden Legislaturperiode Abgeordnete bleiben, aber danach nicht wieder antreten, weder bei der Parlaments- noch bei der Präsidentschaftswahl. Für die rechtspopulistische Politikerin würde es vermutlich das vorzeitige Ende der Karriere bedeuten.
Doch fraglich ist, ob die Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgen. Le Pen hatte der Anklagebehörde bereits vorgeworfen, eine "politische Todesstrafe" gegen sie verhängen zu wollen. In diesem Fall würden "Millionen von Franzosen ihrer Präsidentschaftskandidatin beraubt", erklärte Le Pen. Ähnlich wie US-Präsident Donald Trump beschuldigt sie das französische Justizwesen, ihr allein aus politischen Gründen den Prozess zu machen. Ein schwerer Vorwurf.
Am Ende könnte das Urteil nicht nur über Le Pen, sondern auch über die Stabilität des politischen Systems in Frankreich entscheiden. Sollte sie tatsächlich ausgeschlossen werden, könnte das ihre Anhänger noch stärker mobilisieren – und das Land in eine politische Krise stürzen.
Was steht an?
Amerika schottet sich ab, Kanada öffnet sich: Das Land ist der diesjährige Partner der Hannover Messe, der weltgrößten Industrieschau, die Kanzler Olaf Scholz am Sonntagabend eröffnet hat. Rund 4.000 Aussteller aus mehr als 60 Ländern zeigen ab Montag auf dem Messegelände ihre Neuheiten, darunter 260 aus Kanada. Scholz wird sich am Vormittag beim traditionellen Kanzlerrundgang einen Überblick verschaffen.
Entspannung bei der Teuerung? Zumindest erwarten das Volkswirte in diesem Jahr. Die Inflationsrate in Deutschland hat sich zuletzt noch über der Zwei-Prozent-Marke gehalten – vor allem, weil die Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen überdurchschnittlich anzogen. Um 14 Uhr veröffentlicht das Statistikamt eine erste Schätzung zur Inflation im März. Wir halten Sie informiert.
Sepp-Herberger-Awards für ehrenamtliches Engagement: Die DFB-Stiftung zeichnet in diesem Jahr unter anderem den Bundesligisten FC Augsburg und die an ALS erkrankte frühere Nachwuchs-Nationalspielerin Irini Ioannidou aus. Die insgesamt elf Preise in fünf Kategorien werden heute Abend ab 20.15 Uhr in der VW-Autostadt in Wolfsburg verliehen.
Historisches Bild
1960 konnten die Westdeutschen mit dem Auto ins Kino fahren. Mehr lesen Sie hier.
Was lesen?
Union und SPD planen, die Mütterrente auszuweiten – und entfachen damit eine alte Debatte neu. Kritiker sprechen von einer teuren Wohltat, VdK-Präsidentin Verena Bentele sieht das anders, wie sie meiner Kollegin Christine Holthoff im Interview verrät. Ihre Zustimmung knüpft sie aber an Bedingungen.
Ein Richter wollte noch einen Abschiebestopp verhängen, doch Donald Trump setzte sich darüber hinweg: Er schob mehr als 200 angeblich kriminelle Venezolaner nach El Salvador ab. Dort sind sie in einem berüchtigten Gefängnis inhaftiert. Mein Kollege Simon Cleven erklärt, was das kleine Land in Mittelamerika von einem Deal mit den USA hat.
Die Lage im Nahen Osten ist explosiv. Israel führt seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 Krieg gegen die Terrorgruppe Hamas, der Gazastreifen ist zerstört und Donald Trump würde ihn gerne übernehmen. Mein Kollege Jakob Hartung und ich haben die deutsch-israelische Bloggerin und Unternehmerin Jenny Havemann und die Journalistin Susanne Glass zum Interview getroffen. Die beiden verbindet eine tiefe Freundschaft – und dennoch, oder gerade deswegen, streiten sie leidenschaftlich über den Nahostkonflikt. Es war ein spannendes Gespräch, doch lesen Sie selbst.
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in eine Woche, in der Sie Ihre Pläne umsetzen können. Morgen schreibt mein Kollege Florian Harms wieder für Sie.
Ihr Mauritius Kloft
Ressortleiter Politik & Wirtschaft
X: @Inselkloft
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Mit Material von dpa und AFP.
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