Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Trumps Pech, Deutschlands Glück?

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
seit genau zwei Monaten sitzt Donald Trump jetzt wieder im Weißen Haus. Das kommt Ihnen länger vor? Kein Wunder – der US-Präsident hat ja auch einiges geleistet. Die Weltordnung auf den Kopf gestellt zum Beispiel, alte Verbündete im Ausland beleidigt und bedroht, Massenabschiebungen und -entlassungen veranlasst und neue Gesetze in so hoher Schlagzahl verabschiedet, dass einem der Kopf schwirrt.
Im Schock erstarrt wirken die politischen Vertreter, gegen die sich Trumps Volten richten, auch jetzt noch. Doch ganz normale Menschen ziehen ihre eigenen Konsequenzen. Sie könnten Trump die Nebenwirkungen seiner Rüpelpolitik in einer Weise spüren lassen, die er versteht: Profiteinbußen. Für einige scheint es schon jetzt bei Job-, Wohnort- und Urlaubssuche nämlich nicht "America First" zu heißen, sondern: "America? Nein danke".
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Allen voran gehen hier die Kanadier. In der Vergangenheit waren sie zwar treue Verbündete der USA – doch Trump hat sie zum Start seiner Amtszeit gedemütigt wie kaum ein anderes Land. Immer wieder rief er Kanada als "51. Staat der USA" aus und setzte den kanadischen Premierminister Justin Trudeau als "Gouverneur" – eines US-Staats – herab. Zugleich zettelte er einen Handelskrieg an und schob dem Nachbarland faktenfrei die Schuld an illegaler Migration und Drogenschwemme in den USA in die Schuhe.
Viele Kanadier haben von dem populistischen Getöse jetzt genug. Sie scheinen einem Aufruf von Trudeau zu folgen. Der hat sich zwar gerade als Regierungschef verabschiedet, aber noch im Februar bei seinen Landsleuten für Reisen in und Produkte aus der Heimat geworben: "Jetzt ist es an der Zeit, sich für Kanada zu entscheiden." Seitdem kursiert in sozialen Medien das Hashtag "Canadian Pride". Und dieser kanadische Stolz hat Folgen für die USA:
- Der Grenzverkehr zwischen den beiden Ländern ist im Februar stark zurückgegangen. Im Vergleich zum Vorjahr wurden fast 500.000 Grenzübertritte mit Pkw von Kanada in die USA weniger gezählt. Ein solches Tief gab es zuletzt, als während der Coronazeit die härtesten Reise-Restriktionen galten.
- Auch bei den Fluggesellschaften sinkt die Nachfrage, manche haben deswegen bereits das Angebot für Flüge von Kanada ins Nachbarland reduziert. Stattdessen zieht es die Kanadier in Länder weiter südlich der USA – Mexiko zum Beispiel würde nun stärker gebucht, meldet die "Economic Times". Das hat eine gewisse Ironie: Denn damit profitiert ein Land, das Trump ganz ähnlich mit Füßen tritt wie Kanada.
- In einer Umfrage, über die das US-Medium NBC News in dieser Woche berichtete, gaben zwei Drittel der befragten Kanadier außerdem an, dass sie weniger amerikanische Produkte kaufen. Nach Alternativen müssen sie in den Geschäften nicht lange suchen: Viele Händler preisen kanadische Waren jetzt mit einem Ahornblatt oder anderen Stickern an den Regalen an.
Aus anderen Ländern sind noch keine so vehementen Gegenreaktionen bekannt. Schon jetzt aber befürchten Analysten gerade im Tourismus weitreichende Folgen. Zusätzlich abschrecken dürften Meldungen über Reisende unterschiedlicher Nationalitäten, die in den USA in den vergangenen Wochen in Abschiebehaft gelandet sind. Auch mehrere Deutsche hat dieses Schicksal ereilt, mein Kollege Bastian Brauns hat hier über einen von ihnen berichtet.
Das Marktforschungsunternehmen "Tourism Economics" jedenfalls änderte in dieser Woche seine Prognose für den internationalen Reiseverkehr in die USA drastisch, wie das US-Medium "Fortune" berichtet. Prognostizierten die Experten bisher für 2025 noch einen Anstieg internationaler Reisen in die USA um 8,8 Prozent, rechnen sie nun mit einem Rückgang um 5,1 Prozent. Die Ausgaben ausländischer Touristen, heißt es weiter, dürften damit um 11 Prozent zurückgehen. Der errechnete Verlust für den US-Markt: 18 Milliarden Dollar.
Und Trumps Politik könnte nicht nur dazu führen, dass weniger Menschen in die USA reisen, sondern auch mehr Menschen die USA verlassen wollen. Den Willen und die Ressourcen zu einem so weitreichenden Schritt haben eher die Gutausgebildeten und Vermögenden. Trump könnte drohen, was man den "brain drain" nennt: Das Abwandern der Klügsten und Fähigsten – und damit der Verlust von kostbarem Humankapital für die Wirtschaft ebenso wie von potenten Steuerzahlern.
Mit seiner Politik nimmt er das bewusst in Kauf, aktiv wendet er sich gegen Forschende, Bildung und die Wissenschaft selbst. Reihenweise hat er Hochschulen und Forschungsbehörden die Mittel und Personal gestrichen, Tausende wurden bereits entlassen. Zensiert werden nun Begriffe wie "Diversity", "Transgender" oder "Covid" – geförderte Arbeiten, in denen sie auftauchen, landen auf dem Prüfstand. Auf Behördenseiten darf auch von der Klimakrise nicht mehr die Rede sein. Die Hälfte der Angestellten im Bildungsministerium wurde von der neuen Ministerin, die früher Chefin des Wrestling-Veranstalters WWE war, bereits hinausgeworfen. An diesem Donnerstag unterzeichnete Trump dann ein Dekret, das die Auflösung des gesamten Bildungsministeriums einleitet.
Für aussagekräftige Zahlen ist es noch zu früh. Aber schon im November, direkt nach Trumps Wahlsieg, stiegen die Google-Anfragen aus den USA, die nach einem Land zum Auswandern suchten. Und so mancher belässt es nicht beim Googeln: Großbritannien verbuchte im letzten Quartal 2024 so viele Anträge von Amerikanern auf die britische Staatsbürgerschaft wie nie zuvor.
Klug und vorausschauend ist da der Vorschlag, den die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier macht: Deutschland solle Spitzenforscher aus den USA für sich gewinnen. Die Sorge in den USA nämlich sei groß, sie wisse von vielen, die darüber nachdenken, wegzugehen. Die fatale Entwicklung in den USA sieht Malmendier als "eine Riesenchance für Deutschland und Europa".
Und das dürfte nicht nur für die Spitzenforschung gelten: Einer großangelegten Studie des Marktforschungsunternehmens "The Harris Poll" aus dem Februar zufolge erwägen oder planen vier von zehn Amerikanern, ins Ausland zu gehen. Deutschland lag auf Platz 9 der Länder, in die Befragte am liebsten ziehen würden – nach Kanada, Großbritannien, Australien, Frankreich, Italien, Japan, Mexiko und Spanien. Das ist nicht überragend, aber immerhin Top Ten.
Könnte Trumps Pech also Deutschlands Glück werden? Bislang sehen die Zahlen nicht danach aus: 2025 seien insgesamt "über 5.000 Visa" an Personen erteilt worden, die in den USA wohnen, heißt es am Donnerstag aus dem Auswärtigen Amt auf Nachfrage von t-online. Davon seien nur 750 Visa für langfristige Aufenthalte und von denen wiederum rund 420 Visa für Erwerbstätige, 60 für Forscher. Im selben Zeitraum 2024 seien es 4.900 Visa insgesamt gewesen, davon 700 für langfristige Aufenthalte, 340 für Erwerbstätige und – ebenso wie 2025 – 60 für Forscher.
Eine denkbar magere Bilanz, an der selbst Trump bisher nicht viel geändert hat. Bleibt viel, viel Luft nach oben. Diese Chance sollte die neue Bundesregierung sehen und bei der Staatsreform, die sie ohnehin plant, mitdenken: Denn Expats stöhnen ebenso wie deutsche Bürger über Bürokratie und mangelnde Digitalisierung, sie leiden unter zu hohen Mieten und Grundstückspreisen. Und stärker noch als andere leiden sie unter Sprachproblemen und Rassismus.
Natürlich sind auch kluge, zielgruppengenaue Werbemaßnahmen in den USA denkbar. Berlin hat dies bereits vor dem Brexit versucht: Da schrieb der Senat Start-ups in London an und warb für ihren Umzug in die Hauptstadt. Im Gespräch war auch die Eröffnung eines Büros des Berliner Senats vor Ort. Und die FDP ließ eine große Werbetafel mit der Aufschrift "Liebe Start-ups, bleibt ruhig und zieht nach Berlin" durch London ziehen. Das löste ein paar Artikel und viel Lachen aus. Die Bilanz ansonsten? Unbekannt.
Wichtiger als Slogans ist für Auswanderer in der Regel, was auch für alle anderen Menschen zählt: sichere und stabile Verhältnisse, Freiheit, gute Lebensbedingungen, gute Jobs, gerne niedrige Preise. Wer vor einem Trump flieht, dürfte außerdem nicht Gefahr laufen wollen, in wenigen Jahren von einer AfD regiert zu werden. Das beste Lockmittel der neuen Bundesregierung dürfte also immer noch sein: gute Politik für alle.
Ohrenschmaus
Doechii heißt die Frau, die ich Ihnen heute empfehlen will. Obwohl sie diese Empfehlung schon gar nicht mehr braucht. Denn sie wird von Feuilletonisten wie von Jugendlichen auf TikTok gleichermaßen gefeiert, gerade hat sie einen Grammy für das beste Rap-Album erhalten – als dritte Frau in 30 Jahren. Mit allem Recht. "Anxiety" heißt ihre aktuell kursierende Single, Sie können sie hier hören.
Was steht an?
Die EU rüstet auf: Bis 2030 will die EU massiv in ihre Verteidigung investieren. Allein in den nächsten vier Jahren sollen insgesamt 800 Milliarden Euro mobilisiert sowie Auflagen und Vorschriften für die Rüstungsindustrie gelockert werden. Entsprechende Pläne haben die Regierungschefs bereits am Donnerstagabend auf ihrem Frühjahresgipfel in Brüssel beschlossen. Hintergrund ist die Angst vor Russland und die Unberechenbarkeit der USA unter Donald Trump. Geheimdienste gehen davon aus, dass Russland spätestens 2030 militärisch in der Lage sein dürfte, einen weiteren Krieg zu beginnen. An diesem Freitag endet der Gipfel.
Bundesrat stimmt über Milliardenpaket und Schuldenbremse ab: Das historische Finanzpaket von Union und SPD soll im Bundesrat die letzte Hürde nehmen. Sollte auch die Länderkammer mit Zweidrittelmehrheit zustimmen, was inzwischen als recht sicher gilt, ist der Weg frei für eine beispiellose Schuldenaufnahme für Verteidigung und Infrastruktur.
Haushaltsausschuss entscheidet über Ukraine-Hilfen: Ab 14 Uhr soll der Haushaltsausschuss des Bundestags über Militärhilfen für die Ukraine entscheiden. Dabei geht es um drei Milliarden Euro für dieses Jahr und bis zu 8,3 Milliarden Euro für 2026 bis 2029. Ein Streit über den richtigen Finanzierungsweg hatte zuvor zu einer monatelangen Blockade geführt. Geht das Paket nun durch, soll die Ukraine noch in diesem Jahr Lieferungen erhalten – laut Verteidigungsministerium unter anderem das Luftverteidigungssystem Iris-T, Lenkflugkörper, Überwachungsradare, Drohnen, Gefechtsfahrzeuge und Handwaffen.
Das historische Bild
1933 veranstaltete Adolf Hitler in Potsdam eine Scharade. Mehr erfahren Sie hier.
Lesetipps
Union und SPD lassen Geld fließen. Viel, viel Geld. Muss das sein? Es bräuchte zuerst etwas ganz anderes, ruft Christoph Schwennicke gemartert – zum Beispiel das Streichen von staatlichen Wellnessprogrammen, für die die neue harte Welt keinen Raum mehr lasse. Welche er meint, lesen Sie hier.
Putin und Trump verhandeln über den Frieden in der Ukraine. Doch sie sprechen dabei aneinander vorbei, weil sie ganz unterschiedliche Ziele verfolgen, warnt der Politologe Carlo Masala. Im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke erklärt er, was Russland bezweckt.
In der Türkei wurde Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoğlu verhaftet. Er gilt als aussichtsreicher Kandidat im Ringen um die Präsidentschaft. Doch Machthaber Erdoğan setzt aktuell viele Hebel in Bewegung, um sich seiner Gegner zu entledigen, berichtet mein Kollege Patrick Diekmann.
Zum Sieg geköpft: Die DFB-Elf kämpfte sich am Donnerstagabend gegen Italien aus einem Rückstand. Sie hat nun gute Chancen auf das Halbfinale der Nations League. Wie das Spiel verlief, berichtet Florian Vonholdt hier.
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag – mit gutem Start ins Wochenende. Morgen schreibt Florian Harms wieder für Sie.
Herzlichst
Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1
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Mit Material von dpa.
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