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Tagesanbruch: Klimakrise – Ist Atomkraft vielleicht doch besser?


Meinung
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Was heute wichtig ist
Atomkraft – vielleicht doch besser?

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 26.06.2019Lesedauer: 6 Min.
Belgisches Atomkraftwerk Tihange.Vergrößern des Bildes
Belgisches Atomkraftwerk Tihange. (Quelle: Oliver Berg/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die Bundesrepublik steht international im Ruf, ein verlässlicher Staat zu sein. Grundsatzentscheidungen deutscher Politiker haben Bestand, darauf darf man sich in Europa und der Welt verlassen. So ist es mit den Garantien für EU-Schuldenstaaten, dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und dem Bekenntnis zum Atomdeal mit Teheran. So ist es auch beim Klimaschutz. Da weiß man in vielen Hauptstädten: Deutschland will mehr leisten, kann aber (noch) nicht.

Nicht nur in diesen heißen Sommertagen, in denen wir schon morgens um acht mit durchgeschwitztem Hemd auf die Straße treten, fragen wir uns: Kann das wirklich wahr sein? Obwohl wir doch wissen, wie “gravierend die Konsequenzen der Erderhitzung und wie hoch die Kosten für Menschen und Natur sind“, wie mein Kollege Jonas Schaible in seinem Artikel über den Zusammenhang von Sommerhitze und Klimawandel schreibt.

Womit wir bei der Begrifflichkeit wären. Klimawandel: Das Wort suggeriert einen natürlichen Prozess. Selbstverständlich gibt es diesen Prozess – schon seit fünf Milliarden Jahren. Das Klima auf unserem Erdball wandelt sich aufgrund natürlicher Zyklen. Das ist aber etwas anderes als die menschengemachte Klimakrise, die durch den massenhaften Ausstoß von Treibhausgasen hervorgerufen und Jahr um Jahr verschärft wird. Ja, es gibt ein paar Zeitgenossen, die diese Entwicklung leugnen. Aber die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler sagt aufgrund von Daten, Messungen und Projektionen klipp und klar: Die Menschheit ist drauf und dran, das Klima unseres Planeten so gründlich aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass irreversible Schäden entstehen. Das ist kein Wandel, das ist eine Krise. Mancher mag es auch eine Katastrophe nennen, aber dieses Wort wiederum klingt so, als käme die Entwicklung mehr oder weniger ohne unser Zutun über uns. Tut sie nicht. Wir sind selbst verantwortlich dafür.

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Man sollte Dinge so benennen, wie sie sind. Deshalb ist Klimakrise der passende Begriff für die größte Herausforderung, der sich die Menschheit gegenwärtig gegenübersieht. Erderhitzung mag ein zweiter sein. Deshalb haben wir in der t-online.de-Redaktion uns entschlossen, in der Berichterstattung überwiegend diese Begriffe zu verwenden. Nicht um Ihnen eine Meinung unterzujubeln, sondern weil wir bei den Fakten bleiben wollen. Damit verweigern wir uns dem Framing der Verharmloser. Denn: “Die weitläufige und selbstverständliche Verwendung des Begriffs ‘Klimawandel‘ ist ein wichtiger Framing-Sieg für diejenigen, die kein Interesse an den erforderlichen Emissionsreduktionen haben“, schreibt Nils Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institut. “Es ist kein Wunder, dass mit diesem Framing weder Bürger noch Politik Emissionen in ausreichendem Maße senken.“

Dafür aber ist es höchste Zeit. Auch in Deutschland. Auch wenn die Bundesregierung sich noch schwer tut, entschlossen zu handeln. Auch wenn ein renommierter Umweltwissenschaftler wie Ernst Ulrich von Weizsäcker darauf hinweist, dass der deutsche Ausstieg aus der Kohleverstromung “quantitativ nicht wahnsinnig relevant“ sei – denn gleichzeitig entstünden weltweit 1.380 neue Kohlekraftwerke. Deshalb müsse man für einen wirksamen Klimaschutz vor allem die Entwicklungsländer ins Boot holen. Alles richtig, trotzdem sollte Deutschland schnell mehr zum Klimaschutz beitragen. Gerade weil wir vielen anderen Staaten ein Vorbild geben.

Die Regierenden befinden sich allerdings in einem Dilemma. “Nun rächt sich, dass Deutschland alles zugleich will: raus aus der Kernkraft, raus aus der Kohle, raus aus der Abhängigkeit von Putins Gas, aber bitte auch keine hässlichen Stromtrassen in unseren schönen Landschaften“, notierte ich kürzlich an dieser Stelle. ”So wird das nicht funktionieren. Es ist Zeit, dass wir uns endlich eingestehen: Alles zugleich schaffen wir nicht schnell genug, wenn wir den Klimaschutz wirklich ernst nehmen.“

Auf wenige Tagesanbruch-Ausgaben haben wir so viele Kommentare und E-Mails erhalten wie auf diese – und viele Leserinnen und Leser fragten: Was ist denn der Ausweg? Ich kann es Ihnen leider nicht sagen. Aber erstens meine ich, dass wir von unseren Regierenden, die sich auf fundierte wissenschaftliche Beratung stützen können, eine Antwort erwarten dürfen. Zweitens und auch auf die Gefahr hin, einen Proteststurm zu ernten, erlaube ich mir die Frage zu stellen: War der deutsche Alleingang beim Atomausstieg wirklich eine gute Idee? Sicher, AKW sind riskant; darauf weisen Atomkraftgegner seit Jahrzehnten zu Recht hin. Sicher, Fukushima war eine schlimme Katastrophe. Aber wie wahrscheinlich ist ein Tsunami, ein Erdbeben, ein Betriebsunfall, ein Terroranschlag auf einen Reaktor hierzulande? Oder anders ausgedrückt: Ist dieses Risiko wirklich größer als die Gefahr, binnen der kommenden zehn Jahre die Chance zu verpassen, das Weltklima doch noch zu retten? Oder noch mal anders formuliert: Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass wir hierzulande vor einem Atom-GAU sicher sind, nur weil wir unsere eigenen AKW abschalten? Vielleicht hilft dann ein kurzer Blick auf diese Karte:


Oh, was lese ich denn da in den Nachrichtenagenturen? Der 35 Jahre alte belgische Atommeiler Tihange 2 soll in wenigen Tagen wieder ans Netz gehen. Das ist doch das Ding aus brüchigem Beton, das wegen Sicherheitsbedenken heruntergefahren wurde! Ja, das ist es. 70 Kilometer vor den Toren Aachens steht ein Sicherheitsrisiko – aber wir meinen wirklich, unsere AKW-Scheuklappenpolitik sei klug? Ich meine eher: Statt eines nationalen Alleingangs braucht es eine gesamteuropäische Energie- und Klimapolitik. Und wenn das bedeutet, dass sich der deutsche Atomausstieg um ein paar Jahre verzögert, dann würden unsere Partnerstaaten das verstehen. Klimaschäden sind irreversibel, Grundsatzentscheidungen müssen es nicht sein.


WAS STEHT AN?

Apropos Entscheidungen: Angela Merkel muss heute jede Menge Antworten geben. In der vierten Regierungsbefragung dieser Legislaturperiode dürfen Abgeordnete aller Fraktionen der Kanzlerin Fragen stellen. Das Format war auf Druck der SPD eingeführt worden, die ersten drei Befragungen ließen allerdings manche Zuhörer ein Nickerchen vorziehen. Aber heute gibt es ja genügend Aufregerthemen: Wann rafft sich die Bundesregierung zu einem effektiven Klimaschutz auf? Was gedenkt sie gegen Neonazis zu tun? Kommt zum Thema Digitalisierung mal was Wegweisendes? Wie lange sollen die Flüchtlingsdramen im Mittelmeer noch weitergehen? Was ist nun mit der Grundrente und was mit dem Soli? Wann gibt es zum Thema E-Mobilität konkrete Beschlüsse statt Publicity-Gipfel? Wer wird neuer EU-Kommissionschef?

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Immerhin auf die letzte Frage werden wir bis Sonntag eine klare Antwort hören. Heute setzt sich Merkel mit EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber von der CSU, dessen Mentor Joseph Daul, CSU-Chef Markus Söder und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer im kleinen Kreis zusammen. Das ist dann wohl der Moment, in dem sie Weber verkündet, dass er keine Chance mehr auf den Posten hat. Das ist immerhin schon mal eine halbe Antwort.


Apropos Fragen: Fällt das Vereinigte Königreich auseinander? Auch diese Frage ist zu groß, um sie jetzt schon beantworten zu können. Aber stellen darf man sie. Denn es geht ein Riss durch Großbritannien – nicht nur durch die politischen Parteien, sondern auch durch die Gesellschaft. Die Briten bräuchten dringend eine Identifikationsfigur, die das Land eint. Stattdessen bekommen sie voraussichtlich mit Boris Johnson einen politischen Hallodri als neuen Regierungschef, den die einen als Retter verehren und die anderen als Provokation verabscheuen.

In der unendlichen Brexit-Geschichte haben sich die Mitglieder der konservativen Partei radikalisiert. Inzwischen sehnen sie den Brexit um jeden Preis herbei: Einer Umfrage zufolge wollen 63 Prozent der Tory-Mitglieder eher eine Abspaltung Schottlands in Kauf nehmen als den Brexit aufzugeben. 59 Prozent würden für den Austritt aus der EU die Einheit mit Nordirland opfern, 61 Prozent signifikante wirtschaftliche Verluste hinnehmen. Sogar die Zerstörung der eigenen Partei ist für 54 Prozent der Torys kein Grund, auf den fantastischen, spitzenmäßigen, sämtliche Probleme von hier bis zum Mond lösenden Brexit zu verzichten.

Irritierende Zahlen? Eher tragische Zahlen. Sie belegen, wie groß der Frust in Großbritanniens Regierungspartei ist – und in welche Sackgasse sie sich mit Theresa May hineinmanövriert hat. Eine Steilvorlage für unseren Brexit-Experten Stefan Rook: Hier beschreibt er, wer am Ende des Dramas als Master of Desaster triumphieren könnte.


WAS LESEN?

“Pokémon Go“: Erinnern Sie sich an das Smartphone-Spiel, das Millionen Menschen aus dem Haus lockte? Ein riesen Hype (oder eher eine Epidemie?). Jetzt haben die Entwickler ihr nächstes Spiel veröffentlicht: “Harry Potter: Wizards Unite“ heißt es, dabei kämpft man gegen Fabelwesen – auch an Schauplätzen in der realen Welt. In Berlin-Mitte sehe ich Tag für Tag mehr Leute, die auf ihr Handy starrend irgendwelchen Viechern hinterherjagen. Höchste Zeit also, dass unser Gaming-Experte Ali Roodsari den Hype erklärt.


WAS AMÜSIERT MICH?

Ein Stromausfall. Zwei komplette Bahnlinien stehen still. 12.000 Fahrgäste sind betroffen. Und wer ist schuld? Eine Schnecke. Genauer: eine Nacktschnecke. Gibt’s doch gar nicht? Gibt es wohl!

Ich wünsche Ihnen an diesem womöglich heißesten Junitag seit 1947 einen kühlen Kopf.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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