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Tagesanbruch: Nationalhymne umdichten? Lassen wir einfach alles beim Alten


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Was heute wichtig ist
Lassen wir doch einfach alles beim Alten

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 10.05.2019Lesedauer: 6 Min.
Flagge der Bundesrepublik Deutschland.Vergrößern des Bildes
Flagge der Bundesrepublik Deutschland. (Quelle: dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Die fetten Jahre sind vorbei! Unerwartet niedrige Steuereinnahmen! Haushaltsloch!! Sparzwang!!! Alarm!!!! Gibt man nicht acht, könnte man nach Veröffentlichung der neuesten Schätzung der Steuereinnahmen in große Aufregung verfallen – angesichts der Tatsache, dass sie ... Moment ... stärker sprudeln als bisher?! Ja, genau. Und weiter wachsen werden sie auch. Jetzt wundern Sie sich vielleicht, warum dann die Steuerschätzung, die Finanzminister Olaf Scholz (SPD) gestern in Berlin vorgestellt hat, in Politik und Medien für rote Köpfe sorgt. Was ist da los?

Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie würden gerade Ihre sündhaft teure Kameraausrüstung bei Ebay verkaufen. Sie rechnen fest damit, einen ordentlichen Reibach zu machen, freuen sich über den zusätzlichen Geldsegen und haben im Geiste die neue Sofa-Garnitur schon so gut wie gekauft. Auch der Nachwuchs hat längst die Spielzeugdrohne und ein neues Handy angemeldet, die Auswahl des neuen Fernsehers kommt gut voran, und dann könnte man sich im Urlaub ja noch ein paar Extras gönnen. Aber ach! Am Ende der Auktion war wohl gerade zu schönes Wetter – jedenfalls ist zwar allerhand Geld reingekommen, aber das Sümmchen fiel insgesamt etwas enttäuschend aus.

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Und schon geht der Hickhack los: Die Sofa-Fans in der Familie giften gegen die Fernsehfreunde, die Kinder sehen ihre Drohne davonfliegen und klappen die Visiere runter. Kurz: Sie haben mehr Geld als vorher und trotzdem zu Hause nur Zoff. "Prioritäten!", rufen Sie, und aus allen Ecken tönt es: "Ja, hier!" Manchmal wünschen Sie sich, in Ihrer Familie ginge es harmonischer zu und es würden nicht bei jeder Gelegenheit alle aufeinander losgehen. Am Ende drohen vielleicht sogar ein paar Hitzköpfe, sie hätten jetzt die Nase voll und würden ausziehen. Man muss wirklich mit allem rechnen bei diesem Verein. Eigentlich geht es uns doch sehr gut – nur zieht keiner am gleichen Strang. Kein Teamgeist, keine Kompromissbereitschaft. Manchmal fühlen Sie sich sehr müde. Wie Sie heißen? Olaf Scholz natürlich, und auf dem Klingelschild ihrer Familie steht Groko.


Jeder redet ja über die Dinge, die ihm wichtig sind. Wer große Probleme hat, spricht über große Fragen: Wo bekomme ich heute etwas zu Essen, wo ein Dach über dem Kopf, wie kann ich meiner Familie ein Leben in Sicherheit und Frieden ermöglichen? Wer eher kleine Probleme hat, redet eben über Abseitiges. Wenn ich mir die politischen Debatten anhöre, die hierzulande in den vergangenen Tagen die größten Wellen geschlagen haben, bekomme ich den Eindruck: Entweder sucht mancher Politiker vor der Europawahl händeringend nach einem Thema oder unsere Probleme sind tatsächlich ziemlich klein. Der eine redet von der Kollektivierung von Dax-Konzernen, der andere will die Nationalhymne umdichten: Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) wünscht sich einen neuen Text, "der so eingängig ist, dass sich alle damit identifizieren können und sagen: Das ist meins".

Die Frage ist: Welcher Text darf’s denn sein? Meine Kollegin Rebekka Wiese hat den ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse gefragt. Der sagt: "Ich könnte mir vorstellen, die Hymne ergänzen zu lassen, geschrieben von zeitgenössischen Dichtern." Also habe ich mal den zeitgenössischen Dichter und Satiriker Martin Sonneborn gefragt, der immerhin für "Die Partei" im EU-Parlament sitzt. Der sagt: Die neue Hymne sei doch längst fertig! Und trällert sie mir vor:

"Die Partei, die Partei, die hat immer recht!
Und, Genossen, es bleibe dabei;
Denn wer kämpft für das Recht,
Der hat immer recht.
Gegen Lüge und Ausbeuterei.
Wer das Leben beleidigt,
Ist dumm oder schlecht.
Wer die Menschheit verteidigt,
Hat immer recht.
So, aus Lenin'schem Geist,
Wächst, von Stalin geschweißt,
Die Partei – die Partei – die Partei."

Nun gut. Ich habe allerdings auch einen Vorschlag: Lassen wir doch manche Dinge einfach so, wie sie sind. Die erste Strophe des Deutschlandliedes hat in unserer demokratischen Bundesrepublik nichts zu suchen; das Weltbild der zweiten ist ebenfalls aus der Zeit gefallen. Aber die dritte ist doch ganz passabel – und im Vergleich zum Tschingderassasabumm manch anderer Staaten passt die Melodie eigentlich ganz gut zu uns: unaufdringlich, getragen, ein bisschen langweilig. Vor allem aber: kein großes Ding. Also legen wir dieses Thema schnell zu den Akten und wenden uns Wichtigerem zu.


WAS STEHT AN?

In Deutschland haben viele noch gar nicht verstanden, welche Welle da auf uns zurollt. Wenn die Bundesregierung in diesen Tagen über den Umgang mit dem US-Unternehmen Uber streitet, wenn Berliner Taxifahrer aus Protest stundenlang das Zentrum der Hauptstadt lahmlegen, dann ist oft die Rede vom "Taxi-Konkurrenten Uber". Doch das ist eine Verniedlichung. Mit Konkurrenz zum Taxi begnügt sich die Firma aus San Francisco schon lange nicht mehr. Uber will auf der ganzen Welt neu definieren, wie wir Menschen, wie unsere Einkäufe, wie unser Essen von A nach B gelangen. Gelingt das Projekt Welteroberung, könnte Uber womöglich auch Deutschlands Autoriesen verzwergen – und aus unseren Bewegungsdaten ein Eldorado für Überwachungs-Freaks bauen.

Heute will Uber, dessen knallrote Elektro-Fahrräder seit gestern auch in Berlin herumstehen, den entscheidenden Schritt dafür tun: Beim größten Börsengang seit Jahren erhofft sich die Firma, bis zu 90 Milliarden Dollar einzunehmen. Dann wäre sie so viel wert wie Siemens oder VW – obwohl sie bislang keinen einzigen Cent Gewinn, sondern nur riesige Verluste angehäuft hat. Aber so haben auch andere digitale Champions begonnen, etwa Amazon und Facebook: Anfangs wird massiv investiert, um den Markt blitzartig zu erobern und alle Kontrahenten plattzumachen, dann werden die Milliarden kassiert. Respekt-, aber auch furchteinflößend. Grund genug, jedenfalls für unseren Amerika-Korrespondenten Fabian Reinbold, sich bei Uber in San Francisco mal genauer umzusehen.

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SATZ DES TAGES

"Es ist an der Zeit, Facebook zu zerschlagen."

Facebook-Mitgründer Chris Hughes in seiner Abrechnung mit den Praktiken des Zuckerberg-Imperiums, veröffentlicht in der "New York Times".


Fußball ist das schönste Spiel der Welt. Jedenfalls, wenn es in Liverpool oder Amsterdam stattfindet. Eishockey ist … auch nicht schlecht. Morgen haut das deutsche Team bei der Weltmeisterschaft in der Slowakei auf den Puck. Mission: Gold (oder wenigstens wieder Silber). Wie das mit neuem Kapitän, neuem Trainer und fast neuem Kader klappen soll, hat Sportdirektor Stefan Schaidnagel meinem Kollegen Benjamin Zurmühl verraten.


WAS LESEN?

Kein Journalist kennt Afghanistan besser als Ahmed Rashid. Als die Rote Armee 1979 in Kabul einmarschierte, berichtete er aus der Stadt. Als nach dem 11. September 2001 alle Welt rätselte, wer denn diese Taliban seien, die Osama Bin Laden beherbergten, bestellte das Weiße Haus 30 Exemplare seines Standardwerks "Taliban". Und heute? Verhandeln die Amerikaner mit den Islamisten darüber, endlich, endlich Frieden für das geschundene Land zu schließen. Kann das gelingen – und wo verbergen sich die Fallstricke? Meinem Kollegen Gerhard Spörl hat Ahmed Rashid alles erklärt.


Eines muss man den Briten lassen: Sie geben nicht auf mit ihrem Brexit. Kaum verpassen sie eine Frist, setzen sie sich eine neue. Nun soll es also Ende Juni so weit sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass es diesmal klappt, ist allerdings gering. Warum? Das erläutert Ihnen unser Brexit-Experte Stefan Rook.


Was verrät die Stimme über einen Menschen? Diese Frage haben sich die Bestseller-Autoren Sebastian Fitzek und Vincent Kliesch gestellt. In ihrem gemeinsamen Werk "Auris" hilft ein forensischer Phonetiker der Justiz dabei, Lügner zu entlarven – bis er selbst der Lüge überführt wird. Meine Kollegin Lena Treichel hat sich von den beiden Schriftstellern verraten lassen, mit welchen Tricks sich Lügen entlarven lassen.


WAS AMÜSIERT MICH?

Endlich verstehe ich den Grund für die horrenden Mieten in Großstädten:

Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Tag und ein schönes Wochenende. Morgen hören Sie meinen Kollegen Marc Krüger und mich wieder im Podcast-Gespräch über die wichtigsten Themen der Woche. Wenn Sie den Tagesanbruch abonniert haben (hier geht’s zur Anmeldung), bekommen Sie den Samstags-Newsletter um 8 Uhr kostenlos geschickt.

Kommende Woche schreiben meine Kollegen Florian Wichert und Peter Schink den Tagesanbruch. Ich bin dann ab Dienstag, 21. Mai, wieder für Sie da.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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