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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schnelle Lösung unwahrscheinlich Was dem Brexit im Weg steht
Zum dritten Mal müssen die Briten den EU-Austritt verschieben. Ein Ende des seit Monaten anhaltenden Brexit-Dramas ist nicht in Sicht. Es gibt gleich mehrere Hindernisse.
An diesem Dienstag war es soweit. Theresa May musste eingestehen, dass sie ihren Brexit-Deal nicht bis zur Europawahl durchs Parlament bringen wird. Bezeichnenderweise erklärte sie das nicht selber, sondern sie schickte ihren Vize vor, David Lidington. Der musste also erklären, dass die Briten an der Europawahl teilnehmen müssen und werden.
Lidington brachte aber zugleich die nächste Frist ins Spiel. Bis Ende Juni will man nun den EU-Ausstieg schaffen. Am 2. Juli konstituiert sich das neue EU-Parlament. Lidington möchte, dass die dann gewählten britischen EU-Abgeordneten ihren Job in Brüssel gar nicht erst antreten müssen.
Damit bleiben allenfalls sechs Wochen Zeit, doch noch eine Einigung mit der Opposition und damit doch noch eine Mehrheit für Mays Brexit-Deal zu finden, um zu verhindern, dass britische Abgeordnete ihre Arbeit in einem Parlament aufnehmen müssen, in dem sie gar nicht mehr sitzen sollten. Danach sieht es derzeit sowieso nicht aus.
Selbst wenn es eine politische Einigung geben sollte: Die Zeit läuft einmal mehr schnell ab, denn mit der bloßen Zustimmung zum Austrittsvertrag ist es nicht getan. Mays Brexit-Deal müsste eine zweite und dritte Lesung im Parlament überstehen. Dabei wird es diverse Fragen, Änderungswünsche und Einsprüche geben. Sollte Mays Deal tatsächlich auch dann eine Mehrheit bekommen, müsste das Abkommen noch in britisches Recht überführt werden. All das braucht Zeit. Gut möglich, dass alles nicht bis zur Konstituierung des Europaparlaments geschafft wäre.
Nicht genug Zeit für ein zweites Referendum
Die Alternativen gehen aber nicht schneller: Die verbleibenden sechs Wochen bis zum Arbeitsbeginn des neuen EU-Parlaments sind auch zu knapp, um ein zweites Referendum zu organisieren. Umso mehr, weil vollkommen unklar ist, was zur Abstimmung gestellt werden sollte: das gesamte Brexit-Vorhaben? Oder Alternativen zum bisherigen Abkommen?
Sollte Labour – wie es sich in den letzten Wochen angedeutet hat – im Fall einer Einigung mit May trotzdem auf eine zweite Volksabstimmung zur Legitimierung der Ergebnisse bestehen, wird die neue Frist auf keinen Fall zu halten sein. Dann müssen die britischen EU-Abgeordneten ihren Job antreten.
Auch ein Scheitern von Mays Verhandlungen mit der Opposition ist natürlich möglich. Viele halten das sogar für wahrscheinlich. Der Grund: Mit der Aussicht auf eine Einigung würde die Opposition May helfen, die Hoffnung auf einen erfolgreichen Brexit am Leben zu erhalten. Das nützte aber nur der Premierministerin und nicht Labour, was sich wiederum negativ in der Europawahl niederschlagen könnte. Daher bevorzugen viele Labour-Politiker den Abbruch der Gespräche mit May, weil sie sich davon Vorteile für ihre eigene Partei erhoffen. In diesem Fall gäbe es weiterhin gar keinen Zeitplan für den Brexit.
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Eine weitere denkbare Variante: May tritt zurück. Zu einem Rücktritt zwingen kann ihre eigene Partei sie nicht. May hat im Dezember ein Misstrauensvotum der Torys überstanden und nach deren Satzung darf so ein Votum nur ein Mal in zwölf Monaten angesetzt werden. Nur Labour könnte ein Misstrauensvotum gegen May auf die Tagesordnung setzen. Sollte sich eine Mehrheit gegen May aussprechen, müsste sie zurücktreten. Dazu müssten auch Abgeordnete aus ihrer Regierungskoalition gegen sie stimmen. Ausgeschlossen ist das nicht.
Mays Rücktritt löst die Probleme nicht
Bei einem Scheitern der Gespräche mit der Opposition und einer erneuten Verschiebung des Brexits könnte selbst die bisher unerschütterliche May begreifen, dass es mit ihr nicht vorangeht und zurücktreten. Tritt dieser Fall ein, wären Neuwahlen nicht zwingend, aber sehr wahrscheinlich.
In jedem Fall würde bei den Torys das Feilschen um Mays Nachfolge alles überlagern. Sollten die Torys sich gegen Neuwahlen entscheiden, würde sich nichts an den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im britischen Parlament ändern. Auch die Nachfolgerin oder der Nachfolger von May wäre für eine Mehrheit auf die Stimmen der nordirischen DUP angewiesen – und würde eine tief gespaltene konservative Partei übernehmen. Die derzeitigen Probleme verschwinden also nicht, wenn May zurücktritt.
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Tritt May ab, hat auch ihr Austrittsdeal keine Zukunft mehr. Das würde bedeuten, dass ein neues oder zumindest stark verändertes Abkommen zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelt werden müsste. Für Mays Deal hat man über zwei Jahre gebraucht. Bei einem neuen Abkommen könnte es schneller gehen, aber vor 2020 wird das nicht zu schaffen sein. Bis dahin blieben die Briten der EU erhalten.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters, AFP