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Afghanistan-Experte Ahmed Rashid: "Die Zeit ist reif für Frieden"


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Afghanistan-Experte Rashid
Sind die Taliban wirklich vertrauenswürdig?

InterviewVon Gerhard Spörl

09.05.2019Lesedauer: 6 Min.
Bewaffnete Taliban-Kämpfer in Afghanistan: Die radikalislamischen Taliban sind von Erzfeinden zu Verhandlungspartnern der USA geworden.Vergrößern des Bildes
Bewaffnete Taliban-Kämpfer in Afghanistan: Die radikalislamischen Taliban sind von Erzfeinden zu Verhandlungspartnern der USA geworden. (Quelle: ap)
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Die USA verhandeln mit den Taliban über ein Friedensabkommen in Afghanistan. Kommt das Land nach 40 Jahren Krieg zur Ruhe? Im Interview hofft der Afghanistan-Experte Ahmed Rashid auf ein Umdenken – auch bei den Taliban.

Kein Journalist kennt Afghanistan besser als Ahmed Rashid. Als die Rote Armee in Kabul im Jahr 1979 einmarschierte, war er zufällig in der Stadt und schrieb für britische Zeitungen darüber. Als nach 9/11 alle Welt rätselte, wer diese Taliban denn seien, die Osama Bin Laden beherbergten, bestellte das Weiße Haus 30 Exemplare seines Buches "Taliban: Militant Islam, Oil and Fundamentalism in Central Asia", das er im März 2000 veröffentlicht hatte. Es ist nicht ohne Ironie, dass der Westen sich von einem pakistanischen Kenner die Geschichte und Besonderheiten Afghanistans erklären lassen musste und noch immer muss. Rashid, 70, lebt in Lahore.

t-online.de: In Doha hat die sechste Runde der Gespräche zwischen den Taliban und der US-Regierung begonnen. Sind Sie zuversichtlich, dass dabei etwas Sinnvolles für Afghanistan herauskommt?

Ahmed Rashid: Friedensgespräche stimmen mich immer zuversichtlich, zumal diesmal einige Faktoren günstig sind. Alle Kriegsparteien sind völlig erschöpft und ausgelaugt, denn der Krieg zieht sich furchtbar lange hin. Der Krieg hat ja nicht erst nach 9/11 begonnen, sondern schon 1979 mit dem Einmarsch der Roten Armee, die nach zehn Jahren wieder abzog. Dann der Bürgerkrieg und die Machtübernahme der Taliban und dann Amerikas Krieg gegen die Taliban – es wird Zeit, dass Frieden einkehrt.

Nun ziehen die Amerikaner ab. Wiederholt sich die Geschichte nicht doch?

Nein, glaube ich nicht, denn damals bekamen die Taliban finanzielle Unterstützung aus Saudi-Arabien, aus den Golfstaaten, aus Pakistan. Noch einmal jahrelangen Bürgerkrieg will niemand.

Auf amerikanischer Seite verhandelt Zalmay Khalilzad, der in Afghanistan geboren wurde und Botschafter in Afghanistan und im Irak war. Welche Forderungen erhebt er?

Er sagt den Taliban: Wenn ihr die Milliarden an Dollar haben wollt, die ihr zur Unterhaltung von Regierung und Armee benötigt, dann müsst ihr euch um internationale Anerkennung bemühen und die bekommt ihr nur, wenn ihr euch auf eine politische Lösung einlasst – wenn ihr den Krieg politisch beendet und nicht militärisch weiter und immer weiter führt.

Halten Sie die Taliban für vertrauenswürdig?

Im Unterschied zu früheren Friedensvermittlungen, die nacheinander die Amerikaner, die Briten und auch die Deutschen unternahmen, ist die Zeit diesmal reif für eine Einigung. Zum ersten Mal sitzen wirklich alle Taliban-Gruppen in Doha am Tisch und auch wenn sie es heute noch kategorisch ablehnen, werden sie sich irgendwann auf Gespräche mit Regierungsvertretern in Kabul einlassen.

Ahmend Rashid ist ein pakistanischer Journalist und Schriftsteller. Er wurde 1948 in Rawalpindi, Pakistan geboren und beschäftigt sich seit 1979 mit Afghanistan, Pakistan und Zentralasien. Rashid hat fünf Bücher veröffentlicht, darunter "Taliban", das in 40 Sprachen übersetzt und von dem allein auf Englisch über 1,5 Millionen Exemplare verkauft wurden. Das Magazin "Foreign Policy" wählte ihn 2010 zu einem der hundert wichtigsten globalen Denker.

Also liegt Glaubwürdigkeit im Interesse der Taliban?

Ob wir ihnen trauen können, hängt von ihrer Entscheidung ab, wie sie Afghanistan regieren wollen. Wollen sie ein friedliches Land regieren, in dem sie Macht besitzen und Legitimation erwerben, dann müssen wir ihnen trauen und die Kämpfer sollten dann auch ihren eigenen Führern vertrauen, dass es das Richtige ist, wenn sie ohne Krieg ihre Ziele zu erreichen suchen.

In dieser Logik verhilft der Rückzug Amerikas aus der Region den Afghanen dazu, ihre Dinge selber friedlich zu regeln.

Dass sich Amerika zurückzieht, gehört notwendigerweise zu einem Abkommen, aber damit bekommen die Taliban nicht etwa einen Blankoscheck. Sie können keineswegs tun, was sie wollen. Sie müssen die Verpflichtungen erfüllen, die sich aus einem Abkommen ergeben.

Worüber genau wird in Doha verhandelt?

Das Abkommen soll aus vier Teilen bestehen: aus dem Rückzug der amerikanischen Soldaten; aus dem Versprechen der Taliban, dass sie nicht wieder Terroristen im Land dulden und fördern; aus einem Waffenstillstand; aus der Verständigung der Taliban, Warlords und der amtierenden Regierung über einen friedlichen Übergang.

Wie weit sind die Gespräche gediehen?

Der Rückzug und die Zusicherung der Taliban, keine Osama Bin Ladens mehr ins Land zu lassen, sind schon abgehakt, die anderen beiden Teile noch nicht, und sie sind ungemein kompliziert, vor allem die innerafghanische Annäherung. Erst wenn die rivalisierenden Gruppen eine Verständigung erzielt haben, werden die Taliban einem Waffenstillstand zustimmen.

Trotzdem bleiben Sie zuversichtlich?

Na ja, schauen Sie, für zwei der vier Teile gibt es eine Übereinkunft zwischen Amerika und den Taliban, und das war sicherlich auch nicht einfach. Deshalb sollten sich für die beiden anderen Teile auch Lösungen finden lassen.

Wenn wirklich ein Abkommen unterzeichnet ist, was folgt als Nächstes – eine Art Regierung der nationalen Einheit?

Aus meiner Sicht sollte eine Übergangsregierung aus moderaten Taliban-Vertretern und moderaten politischen Figuren aus Kabul gebildet werden. Dabei ist die Rolle des Präsidenten Aschraf Ghani entscheidend. Er zieht alle Fäden, damit er bleiben kann, was er ist, auch in einer Übergangsregierung.

Klingt so, als wollten Sie ihm raten: Lass es sein, tritt zurück!

Ghani muss zurücktreten, wenn es eine friedliche Übereinkunft unter den Afghanen geben soll.

Warum ist er eine dermaßen umstrittene Figur?

Die Taliban verabscheuen ihn. Viele Kabuler Politiker verabscheuen ihn. Er ist ein Paschtune, er gehört zum größten Stamm, aus dem traditionell die Führung gebildet wird, weshalb Nicht-Paschtunen ihn verabscheuen. Entscheidend ist aber etwas anderes: Für einen Neuanfang braucht Afghanistan einen Bruch mit der Vergangenheit. Aufgabe der Übergangsregierung wird es sein, den Frieden zu garantieren. Danach sollte eine Loya Jirga einberufen werden, eine große Ratsversammlung aller Ethnien und Stämme, an der die Taliban und die Regierung teilnehmen müssen. Und schließlich Wahlen, aus denen eine neue Regierung und ein neuer Präsident hervorgehen.

Wer sollte die Interimsregierung anführen?

Namen habe ich nicht parat, aber es gibt Taliban-Führer, die für afghanische Politiker akzeptabel wären, und es gibt Kabuler Politiker, die für die Taliban akzeptabel wären. Diesen Kompromisskandidaten müssen die Afghanen selber suchen. Die Amerikaner haben zugesichert, dass sie sich in den Prozess nicht einmischen werden. Es ist ja so, dass seit 9/11 keine Wahl, keine größere politische Entscheidung in Afghanistan ohne Händchenhalten, ohne Einflussnahme der internationalen Gemeinschaft gefällt wurde. Deshalb denke ich, dass Einmischung auch diesmal nicht ausbleiben wird – vielleicht nicht von den USA oder den Vereinten Nationen. In Afghanistan mischen ja regelmäßig auch andere Mächte mit, Iran oder Pakistan oder Russland.

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Nach 9/11 führte Amerika Krieg gegen die Taliban, weil sie al-Qaida eine Heimstatt gaben. 18 Jahre später verhandelt Amerika mit den Taliban wie selbstverständlich über einen friedlichen Übergang. Schon seltsam, oder?

Ja, ist es, und dafür ist die Regierung Trump auch kritisiert worden, weil sie nicht neutral bleibt: von Demokraten in den USA, von den Europäern und natürlich auch von Afghanen. Aber ob es uns gefällt oder nicht, müssen wir doch anerkennen, dass die Taliban den Krieg gewinnen. Momentan kontrollieren sie ungefähr 65 Prozent des Landes, sie sind in der Offensive, sie sind imstande, gleichzeitig mehrere Angriffe im ganzen Land zu starten. Nichts davon gelingt den Streitkräften der Regierung, die ständig in der Defensive sind. Wäre da nicht die Überlegenheit der amerikanischen Luftwaffe, wäre die militärische Lage viel schlechter.

Frauen haben am meisten zu verlieren, wenn die Taliban regieren.

Ich hoffe, dass die Taliban in sozialen Fragen eine weniger anachronistische Haltung einnehmen werden, wenn es erst einmal eine politische Lösung für Afghanistan gibt. Sie sind dann ja nur ein Teil der Regierung, sie müssen sich auf Kompromisse einlassen, sie müssen ihre Einstellung gegenüber Frauen und Bildung ändern.

Ist das die Alternative – entweder ziehen die Taliban friedlich oder militärisch in Kabul ein?

Nein, die Taliban sind nicht imstande, Kabul oder die anderen großen Städte militärisch einzunehmen. Dafür sind sie nicht stark genug und dafür haben sie auch nicht mehr die Unterstützung im Land. Sie können angreifen, zerstören, sie können den Krieg weiterführen und sie können töten. Das wäre das Schlimmste, was Afghanistan passieren kann. Es steht wirklich viel auf dem Spiel. Ein Abkommen ist besser als noch mehr Krieg. Jedermann sehnt sich nach Frieden.

Verwendete Quellen
  • Das Interview wurde über Skype geführt.
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