Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Was heute Morgen wichtig ist
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:
WAS WAR?
Wir sehen die mächtigsten Menschen, wie sie Seite an Seite über die Champs-Élysées in Paris gehen. Wir sehen die Staats- und Regierungschefs im Gespräch bei der Gedenkfeier am Arc de Triomphe und bei der anschließenden Friedenskonferenz. Wir sehen die deutsche Bundeskanzlerin und den französischen Präsidenten in vertrauter, fast schon rührender Innigkeit, als sie nahe der nordfranzösischen Stadt Compiègne der Toten gedenken und an das Kriegsende vor 100 Jahren erinnern.
Die Chefs von 60 Staaten sind gestern nach Paris gekommen, um an die Menschheitskatastrophe des Ersten Weltkriegs zu erinnern – und an dessen Ende durch den Waffenstillstand vor 100 Jahren. Eindrucksvolle Fotos wurden gemacht und bewegende Reden gehalten. 17 Millionen Tote und ungezählte Verletzte, ganze Jahrgänge von Kugeln und Granaten zerfetzt, von Giftgas erstickt, im Meer ertrunken und im Schlamm verreckt. So viel Leid. Wer sich die Bilder und Filme von damals ansieht, wer den erst euphorisch ins Gefecht ziehenden und dann erschöpft und verzweifelt im Schützengraben liegenden Soldaten ins Gesicht schaut, wer Tagebücher aus der damaligen Zeit liest, der bekommt eine Ahnung von dem Wahnsinn, den verantwortungslose Politiker damals entfesselt haben. In seinem Buch “Die Schlafwandler“ hat der australische Historiker Christopher Clark gezeigt, dass die Schuld nicht einseitig einem Land zugeschoben werden kann – sondern dass alle damaligen europäischen Mächte ihren Teil dazu beitrugen. Es lohnt sich, ihm zuzuhören, wenn er in druckreifem Deutsch von seinen Recherchen berichtet, etwa in diesem Vortrag an der Universität Passau (er beginnt bei Minute 18).
Wenn wir hören, was Herr Clark erzählt, wenn wir hören, was der Historiker Gerhard Hirschfeld meinem Kollegen Marc von Lüpke über die Propaganda der damaligen Zeit erklärt, wenn wir damalige Kriegsbilder betrachten – und wenn wir dann die Fotos von Macron, Merkel, Trump, Putin und all den anderen heutigen Weltenlenkern sehen, von denen wir wissen, dass viele von ihnen miteinander im Streit liegen, dass einige einander misstrauen, manche sich auch geringschätzen – aber dass sie eben doch miteinander reden, verhandeln, manchmal auch scherzen, statt ihre Armeen aufeinander zu hetzen, dann wird uns schlagartig klar, in welch glücklichen Zeiten wir trotz aller Krisen auf unserem Erdball leben. Wie kostbar der Frieden ist, den wir Europäer jeden Tag und jede Nacht auskosten dürfen. Und wie groß die Verantwortung jedes Einzelnen von uns ist, dass wir uns diesen Frieden bewahren.
Der wichtigste Pfeiler unserer heutigen Friedensordnung ist die Europäische Union. Umso alarmierender ist das, was der Wirtschaftsexperte Clemens Fuest, Chef des Münchner ifo-Instituts, meiner Kollegin Sabrina Manthey und mir gesagt hat, als wir uns zum Interview in unserem Newsroom in Berlin trafen: “Die Gefahr, dass die Eurozone und die EU auseinander fallen, ist sehr real.“ Warum das so ist und was die aufflammende Krise in Italien damit zu tun hat, lesen Sie hier.
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Manche Dinge haben ihre Zeit. Zum Beispiel Ämter. Und manche Dinge werden über ihre Zeit hinaus strapaziert. Zum Beispiel das Amt des CSU-Vorsitzenden. Die Partei braucht nach dem Wahldebakel in Bayern, der Farce des Falls Maaßen und angesichts des zerrütteten Verhältnisses zu den Chefinnen der anderen beiden Regierungsparteien dringend einen neuen Chef. Das hat als Allerletzter jetzt auch der Chef selbst eingesehen: Horst Seehofer will offenbar als CSU-Vorsitzender zurücktreten. Vergangene Woche hatte er Berichte über einen bevorstehenden Abgang noch als "fette Ente" bezeichnet. Nun soll es auf einem Sonderparteitag Anfang kommenden Jahres soweit sein. Bis dahin wird er selbst die Ente sein. Die Amerikaner nennen es “lame duck“.
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In Kalifornien ist die Hölle los, und am schlimmsten ist es in Paradise. Hier können Sie in 58 Sekunden erahnen, wie es war, den Ort am Freitagabend zu verlassen. Es sind Momente der Todesangst. Die Kleinstadt ist niedergebrannt, 23 Menschen sind in den Flammen gestorben, 50.000 Menschen auf der Flucht vor dem Feuer allein in dieser Region, 200.000 sind es landesweit. Die Waldbrände dieses Jahres – begünstigt durch extreme Trockenheit, die Forscher auf den Klimawandel zurückführen – haben in Kalifornien eine größere Fläche überzogen als jemals zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen. Zeitweilig wüteten im Sommer drei der zehn schlimmsten Flächenbrände aller Zeiten – gleichzeitig. Klimaforscher sagen: Es sind einige der vielen Rekorde, an die wir uns gewöhnen müssen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sie lange halten.
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WAS STEHT AN?
Apropos Kalifornien: Wenden wir uns dem Thema Nummer eins des gestrigen Tages zu. Und dem Thema Nummer eins von heute. Und morgen. Und übermorgen. Wir können es getrost gleich auch weiter durchbuchen bis zum Ende nächsten Jahres. Das wird irgendwann natürlich ganz schön langweilig – schon allein deshalb, weil es schon so oft Thema war, dass man darüber ganz vergessen kann, mit wie viel Schwung wir den Karren gerade in den Dreck fahren. Wir haben schon so oft davon gehört, dass wir glauben, wir hätten es jetzt verstanden. Und damit irgendwie auch im Griff. Beides ist falsch, und der Irrglaube existenziell gefährlich.
Bitte schauen Sie sich diesen Cartoon an. Ich verspreche Ihnen, er ist unterhaltsam, obwohl er eigentlich nur eine Grafik zeigt und ihr Gegenstand einem Angst machen kann. Scrollen Sie bitte runter, runter, runter bis ans Ende. Bitte nehmen Sie sich diesen kleinen Moment Zeit. Sie sehen zunächst: die Welt auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit. Und dann eine laaaange Linie. Die laaaaangsam ansteigt. Zwischendurch auch mal wieder ein bisschen fällt, dann wieder ansteigt, im Schneckentempo. Bis sie ganz am Ende, auf einem winzigen Stück und fast wie ein beiläufiger Nachklapp, in einem dramatischen Schwenk nach oben schießt, als hätte sie jemand umgeknickt. Nur ein Augenaufschlag in der Erdgeschichte, das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts bis heute. Die Linie zeigt die globale Durchschnittstemperatur.
Ja, Klimaveränderungen hat es schon immer gegeben, will uns diese Grafik sagen. Aber nichts, was auch nur im Entferntesten dem gleichkommt, was sich dieser Tage abspielt. Und es gibt kein Anzeichen, dass sich die Temperaturexplosion auch nur ansatzweise abschwächt. Wir rasen in kaum vorstellbarem Tempo in eine sich überhitzende Welt hinein: in einen Bereich von Temperaturen, wie es ihn über die gesamte Geschichte der menschlichen Zivilisation nicht gegeben hat. Deutlich kompakter können Sie das hier auf einen Blick sehen, und nein, auch das beruhigt nicht im Geringsten. Wenn Sie Kinder im Schulalter oder Enkel haben, dann werden diese im Laufe ihres Lebens mit dieser Welt in Vollkontakt treten. Einer Welt der Hitze, die der menschlichen Art fremd ist. Die noch nie zuvor da war. Es kommt rasend schnell. Wir haben es nicht im Griff. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich gelegentlich auch von etwas anderem schreibe; Merkel, Seehofer, AKK und so. Ist ja auch irgendwie wichtig. Aber es darf uns nicht vom wichtigsten Thema unserer Zeit ablenken. Ebenso wenig wie unser Pfeifen im Walde.
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Trotzdem ist es natürlich interessant, was Annegret Kramp-Karrenbauer mit der CDU vorhat. Wie will sie die Partei aufmöbeln, was ist von ihr zu erwarten, falls sie Anfang Dezember zur neuen Vorsitzenden, später vielleicht gar zur Kanzlerin gewählt wird? Am besten fragt man sie selbst. Also haben mein Kollege Jonas Schaible und ich ein langes Gespräch mit ihr geführt. Nicht über die Taktik im Rennen gegen Friedrich Merz und Jens Spahn. Nein, über politische Überzeugungen, Werte und Pläne. Die hat Kramp-Karrenbauer: Sie schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD klipp und klar aus, würde für den Aufbau einer europäischen Armee den Parlamentsvorbehalt des Bundestags bei Auslandseinsätzen einschränken, stellt EU-Agrarexporte nach Afrika in Frage, damit die dortige Wirtschaft gestärkt wird und mehr Menschen eine Lebensperspektive sehen, statt nach Europa zu fliehen – und erklärt, was sie von Angela Merkel unterscheidet. Das Interview lesen Sie hier.
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Jahrzehntelang hatten Frauen in Deutschland dafür gekämpft – heute vor genau 100 Jahren war es soweit: Am 12. November 1918 beschloss der revolutionäre Rat der Volksbeauftragten die Einführung des Frauenwahlrechts. Am 19. Februar 1919 sprach dann die SPD-Abgeordnete Marie Juchacz als erste Frau vor der Weimarer Nationalversammlung – und las den Männern die Leviten: "Was die Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist." Unser Zeitgeschichtsredakteur Marc von Lüpke hat die bewegte und bewegende Geschichte des Frauenwahlrechts für Sie aufgeschrieben. Jerome Baldowski und Melanie Lueft aus unserem Video-Team zeigen Ihnen dazu historische Persönlichkeiten des Frauenwahlrechts: von der Französischen Revolution bis zum heutigen Saudi-Arabien.
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WAS LESEN?
Erlauben Sie mir bitte eine persönliche Frage: Leben Sie gesund? Kennen Sie Ihren Blutdruck und ihre Cholesterin-Werte? Sie müssen Sie mir nicht verraten, aber vielleicht stimmen Sie mir ja zu, wenn ich sage: Wer seinen Körper kennt, kann Herz-Kreislauf-Problemen viel besser vorbeugen. Und wissen Sie was? Wir helfen Ihnen dabei: In unserer Themenwoche erklären wir Ihnen ab heute, wie Ihr Körper tickt und was Sie dafür tun können, damit ihr Herz nicht nur fröhlich, sondern auch gesund bleibt. Und der Service kostet Sie noch nicht mal was!
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Gründlicher, kritischer Journalismus ist eine unverzichtbare Grundlage unserer Demokratie, und Journalist zu sein ist für viele ein Traumberuf – aber auch harte Arbeit. Das “Medium Magazin“ wählt jetzt die besten Journalisten des Jahres 2018, und jeder darf Kandidaten nominieren. Wenn Sie mögen, können Sie hier mitmachen.
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WAS AMÜSIERT MICH?
Schön, wenn man einen freundlichen Taxifahrer hat. Der flexibel ist und sich nicht beschwert, nur weil das Haustier, das man mitgebracht hat, ein bisschen größer ist. Das bekommen wir schon hin. Das Lama aber bitte nicht auf den Vordersitz, danke.
Ich wünsche Ihnen einen wohlsortierten Wochenbeginn.
Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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