Annegret Kramp-Karrenbauer "Die AfD steht für etwas, das mit der CDU unvereinbar ist"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Annegret Kramp-Karrenbauer will CDU-Chefin werden. Im Interview mit t-online.de beschreibt sie ihre Vision für Deutschland. Eine Koalition mit der AfD schließt sie aus.
Zwei Männer und eine Frau bewerben sich bisher offiziell um den CDU-Vorsitz und damit um Angela Merkels Nachfolge. Als Parteichefin, aber womöglich auch als Kanzlerin. Annegret Kramp-Karrenbauer, die bisherige Generalsekretärin und frühere saarländische Ministerpräsidentin, steht Merkel am nächsten.
Was würde sie anders machen, was beibehalten? Wie will sie Wähler zurückgewinnen und welche Wähler? Und wie will sie die Politik ihrer Partei inhaltlich verändern? Das erklärt sie im Exklusiv-Interview mit t-online.de:
Frau Kramp-Karrenbauer, warum braucht die CDU einen Neuanfang?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Dass wir bundesweit bei 24 bis 26 Prozent in Umfragen liegen, ist Grund genug, Dinge zu verändern. Dass Angela Merkel entschieden hat, ihre Ära als Parteivorsitzende zu beenden, schafft Raum für etwas Neues. Personell, aber auch inhaltlich.
Geht es um inhaltliche Anpassungen oder eher um Selbstvergewisserung?
Es geht nicht darum, uns neu zu erfinden. Selbstvergewisserung trifft es ganz gut. Ein Beispiel: Die CDU will eine Soziale Marktwirtschaft mit fairem Wettbewerb und klaren Regeln. Nur werfen die USA gerade international alle Regeln über Bord. Wir befinden uns in einem Systemwettbewerb mit China, aber auch mit Donald Trump. Wir müssen also Soziale Marktwirtschaft unter diesen Bedingungen formulieren.
In dieser Situation bewerben Sie sich um den CDU-Vorsitz. Warum sollten die Parteitagsdelegierten ausgerechnet Sie zur Parteichefin wählen?
Weil ich durch meine bisherigen Ämter, aber auch durch die Zuhörtour der letzten acht Monate die Partei gut kennengelernt habe. Und weil ich über viele Jahre Regierungsverantwortung hatte. Ich weiß, wie man Wahlkämpfe führt. Ich habe bewiesen, dass ich Wahlen gewinnen kann.
Wie gewinnt man denn Wahlen?
Indem man eine Idee, ein Programm entwickelt, von der man so überzeugt ist, dass man an ihr festhält, auch wenn Umfragen schlecht sind. Und indem man die, die einen mittragen, so begeistert, dass sie bis zum Schluss kämpfen.
Und diese Souveränität kann man nicht haben, wenn man einen solchen Wahlkampf zuletzt nicht hat führen müssen?
Meine politische Karriere begann 1998 mit einer Wahlniederlage. Das war bitter, aber macht auch frei. Danach ging es zweimal 2012 und 2017 auch um meine persönliche Zukunft – da habe ich bewiesen, dass ich dem Druck standhalten kann. Und gewinnen. So etwas kann man sich nicht ausmalen, das kann man nur erleben.
Sich nicht verrückt machen zu lassen, wie Sie es beschreiben – das könnte man als Kernkompetenz Angela Merkels beschreiben. Worin unterscheiden Sie beide sich?
Es gab Dinge, über die wir unterschiedlicher Ansicht sind. Aber ich werde nicht versuchen, mich künstlich von ihr abzusetzen, nur weil das vielleicht meine Wahlchancen erhöhen könnte.
Was würden Sie also genauso machen wie Merkel?
Die Grundverortung der CDU stimmt. Ich habe die Diskussion eine Verschiebung nach links oder rechts immer für falsch gehalten. Wir stehen aktuell auch deshalb so schwach da, weil wir uns an dieser Frage aufhalten und aufgerieben haben. Wir waren immer eine Partei, die davon lebt, möglichst vielen Menschen eine Heimat zu bieten.
Auch den Menschen am rechten Rand, die jetzt der AfD zuneigen?
Man muss da differenzieren. Es gibt erstens Menschen, die extrem rechts stehen, die haben nie CDU gewählt und die will ich gar nicht in unseren Reihen haben. Zweitens gibt es die, die dem gesamten parlamentarischen System ablehnend gegenüberstehen und aus Protest AfD wählen. Die sind für alle Parteien schwer zu erreichen. Und drittens gibt es die, die in einem hohen Maße verunsichert sind, Angst vor Kriminalität haben, oder die sich in ihrem Lebensstandard bedroht fühlen. Die sind ansprechbar.
Wie?
Nicht durch einen verschärften Ton. Es hilft nicht, Vokabeln der AfD zu übernehmen. Man muss durch Politik beweisen, dass ihre Ängste unbegründet sind. Das dauert allerdings.
Wie viele sind es denn, die man nicht mehr erreicht?
Ich kann das nicht aufs Prozent angeben. Es lohnt sich immer, um jeden einzelnen zu kämpfen. Sich mit hoher Priorität um die zu kümmern, die sich vom System noch vertreten fühlen, aber aktuell von keiner Partei. Und diese Menschen interessieren sich nicht für unsere Verortung links oder rechts. Die wollen wissen, ob sie unsere Politik weiterbringt.
Kommt man da wirklich mit einem Programm weiter oder geht es nicht auch viel um Gefühle? Selbst in der CDU sagt man gern, die CDU sei – anders als die SPD – keine Programmpartei.
Natürlich ist die CDU eine Programmpartei. Aber es stimmt, dass sich die Ambition der CDU nicht darin erschöpft, einen Beschluss zu fassen. Es gehört zur CDU, gewinnen und regieren zu wollen.
Ihr großes Versprechen auf Veränderung ist, wichtige Entscheidungen künftig vorab in der Partei zu diskutieren. Damit, glauben Sie, erreichen Sie die Seelen der Mitglieder?
Auf meiner Zuhörtour habe ich nur ganz vereinzelt Menschen getroffen, die sagen, sie wollen die Atomenergie wieder. Aber fast alle haben gesagt: Wir hätten uns gewünscht, dass wir in der Partei diskutieren, ob und wie wir aussteigen, bevor wir es tun.
Gerade in einer eher konservativen Partei besteht die Gefahr, dass dann kaum riskante Entscheidungen getroffen werden, oder?
Es mag sein, dass die eine oder andere Entscheidung nicht getroffen worden wäre. Aber CDU-Mitglieder sind ja nicht verbohrt. Und schlimmer ist, wenn der Eindruck entsteht, die Partei könne nur noch abnicken, was ihr von oben aufgenötigt wird.
Es gibt doch aber Situationen, in der man als Regierung schnell handeln muss.
Natürlich, das gehört zur Verantwortung für ein Land. Man kann manchmal nicht sagen, wartet noch drei Monate, dann haben wir einen Parteitagsbeschluss. Als etwa während der Finanzkrise 2008 die Banken vor dem Kollaps standen, war die Zusage, dass alle Spareinlagen sicher sind, ein großes Risiko. Da konnte man nicht abwarten. Aufgabe der Parteiführung ist es aber, ein Gespür für Themen zu entwickeln, die aufkommen, um dann frühzeitig eine Debatte zu starten, damit man eine Position hat, wenn es so weit ist.
Das hätte im Spätsommer 2015 auch nicht geholfen, als plötzlich Tausende Flüchtlinge auf der ungarischen Autobahn Richtung Westen liefen.
Nein, aber der Fehler wurde ja auch nicht in diesem Moment, sondern später gemacht. Auch von mir, ich habe damals ja auch Verantwortung getragen. Wir haben das Tagesgeschäft gut bewältigt. Aber wir haben nicht gut erklärt, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelte, dass sie sich nicht wiederholen soll und wie wir Fortschritte machen. Das ist nach und nach passiert, mit jeder Konferenz und jedem Gesetz ein Stück mehr. In der Sache sind wir deshalb schon weit. Aber viele Menschen haben das Gefühl, wir leben kommunikativ von der Hand in den Mund.
Haben Sie damals, 2015, auch die Macht der Bilder unterschätzt? Zum Beispiel die von Selfies der Kanzlerin mit Flüchtlingen?
Die Macht der Bilder hat eine große Rolle gespielt. Das hat auch mit Propaganda zu tun. In Herkunftsländern nutzen Schlepper, also Mitglieder der Organisierten Kriminalität, solche Bilder, um falsche Erwartungen zu wecken. Aber hätten wir Bilder von Wasserwerfern, die an der deutschen Grenze auf Frauen und Kinder schießen, wirklich ausgehalten?
Ist es auch Propaganda, was AfD, "Pro Chemnitz" und andere im Netz über Flüchtlinge verbreiten?
Da werden Tatsachen verdreht und Teilwahrheiten bewusst zur Erreichung politischer Ziele eingesetzt. Ja, ich empfinde es als Propaganda, die da betrieben wird. Ganz sicher ist es Ausdruck der Politik einer Partei, die ganz deutlich sagt: Wir wollen keine Flüchtlinge hier. Und wir wollen auch keine Muslime hier.
Wären in einer CDU unter Ihrem Vorsitz Koalitionen, Duldungen oder andere Kooperationen mit der AfD denkbar?
Ganz klar nein. Die AfD steht für etwas, das mit der CDU unvereinbar ist. Sie hat keinerlei Distanz zum radikalen rechten Rand. Sie relativiert die deutsche Geschichte. Sie bietet fremdenfeindlichen und antisemitischen Positionen eine Heimat. Deshalb werde ich mich mit aller Kraft gegen jede Zusammenarbeit stemmen.
Noch einmal zurück zu den Selfies der Kanzlerin mit Flüchtlingen: Diese Bilder haben damals auch eine andere Botschaft gesendet: an die vielen freiwilligen Helfer. Müssen Politiker künftig vorsichtiger sein mit freundlichen Symbolen?
Nein, das würde dem christlichen Selbstverständnis der CDU zutiefst widersprechen. Etwas aus Angst vor Verhetzung nicht zu tun, wäre der erste politische Sieg des rechten Randes. So ist es jetzt beim UN-Migrationspakt: Der hilft uns, weil er international hilft, Migration zu steuern und zu ordnen. Wir können nicht aufhören, darüber zu sprechen, weil darin das Wort Migration vorkommt und der rechte Rand Stimmung macht. Übrigens waren die hilfsbereiten Menschen am Münchner Hauptbahnhof ja nicht gestellt. So war die Stimmung damals.
Eine Kritik auch von Wohlgesinnten an Angela Merkel lautete immer, sie habe ihre Politik zu wenig erklärt. Können wir von Ihnen mehr Erklärungen, mehr sinnstiftende Erzählungen, mehr Visionen erwarten?
Ja, weil ich ein anderer Typ bin. Ich kam in den Achtzigern in die CDU, wurde sozialisiert mit den großen Erzählungen von Heiner Geißler und Helmut Kohl. Es war schon etwas Besonderes, wie Kohl immer einen großen Bogen schlug, selbst wenn er über profane europäische Themen sprach. Man muss Themen einordnen und Orientierung geben. Das unterscheidet mich sicher von Angela Merkel – dafür neige ich manchmal zu Weitschweifigkeit.
Dann los: Was ist Ihre große Vision, Ihre sinnstiftende Erzählung für Deutschland?
Meine Vision ist, dass Deutschland und Europa sich 2030 nicht in sich selbst zurückgezogen haben, nicht die Welt anderen überlassen, dass wir den Multilateralismus auch gegen die USA verteidigen. Dass wir nicht nur Güter und Dienstleistungen exportieren, sondern auch Menschenrechte und die Emanzipation von Frauen. Dazu müssen wir Europa zu einer neuen Stärke führen. Den Schengen-Raum und den Euroraum müssen wir vollenden. Eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik muss dazukommen. Ich glaube, dass eine europäische Armee Sinn macht. Auf dem Weg dorthin werden wir den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr ein Stück zurückfahren müssen. Wir müssen einen Weg finden, so mit Afrika Handel zu treiben, dass wir dem Kontinent nicht schaden. Schließlich geht es um inneren, um kulturellen Zusammenhalt: Junge Deutsche und Polen etwa müssen sich als Europäer fühlen, sie müssen Sprachen lernen, um sich zu verstehen. Als wir über eine Dienstpflicht diskutiert haben, gab es aus der Mitgliedschaft die Anregung: gern, aber warum nicht europäisch? All das bestimmt unsere Position in der Welt, was wiederum innenpolitische Konsequenzen hat.
Die Sozialpolitik scheint in Ihrer Aufzählung zu fehlen. Was haben Leute, die verarmen oder sich Pflege nicht leisten können, von einem starken Europa?
Sie haben am Ende viel davon. Wir dürfen und können nicht zwischen nationalen Interessen und Europa und dem Internationalen trennen, um das wir uns erst kümmern, wenn Zuhause alles erledigt ist. Das eine geht nicht ohne das andere.
Außenpolitik ist Sozialpolitik, könnte man sagen?
Einer der Ansätze der CDU, auch von Helmut Kohl, hieß: nationales Interesse wird in der Welt umgesetzt. Wenn Globalisierung ihre Regeln verliert, werden wir als Exportnation Nachteile haben. Wenn wir das Tempo der Digitalisierung nicht mitgehen, werden wir Nachteile haben. Wenn wir Schengen nicht vollenden, wird die Diskussion über Migration uns lähmen und spalten, so dass wir handlungsunfähig werden. Dann können wir die sozialen Fragen überhaupt nicht lösen.
Was muss sich organisatorisch und politisch in Europa verändern, damit ein derart europäischer Ansatz denkbar wird?
Gehen wir der Reihe nach durch. Es gibt Vorschläge Frankreichs, auch Deutschlands, wie der Euroraum weiterzuentwickeln ist. Die gehen noch nicht ganz zusammen, aber wir arbeiten daran, dafür zu sorgen, dass nationale Finanzpolitiken einander nicht widersprechen, dass das Bankensystem stabil wird, dass der Euro auf Dauer Bestand hat.
Was muss sich an Schengen ändern?
Kriminelle überwinden Grenzen problemlos, Sicherheitsbehörden tun sich schon innerhalb Deutschlands schwer. Effektive Kriminalitätsbekämpfung muss in Europa koordiniert werden. Wir brauchen außerdem ein konsistentes System des Schutzes nach außen und ein Asylmanagement. Wenn ein Flüchtling heute in Deutschland kriminell, verurteilt und abgeschoben wird, bekommt er nur ganz selten eine lebenslange Einreisesperre. Das könnte man bei schrecklichen Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung ändern. Man müsste natürlich dafür sorgen, dass die Wiedereinreisesperre im ganzen Schengen-Raum gilt, in ganz Europa.
Sollten schwere Straftäter auch nach Syrien abgeschoben werden?
Ja, wenn die Lage es hergibt. Die ändert sich täglich. Die Syrienkonferenz gibt Anlass zur Hoffnung, dass zumindest Teile Syriens wieder sicherer werden – dann sollten Straftäter auch abgeschoben werden. So ist das mit Afghanistan auch. Aber nicht in alle Gebiete.
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Wir haben vorhin schon über Gefühle gesprochen. Es gibt viele Menschen, die glauben, die Kriminalität in Deutschland nehme zu – obwohl die Statistiken das Gegenteil sagen.
Sicherheitspolitik ist nur gut, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie sicher sind. Das muss man tagtäglich beweisen. Menschen fühlen sich so lange am Bahnhof oder in der Innenstadt unsicher, bis sie immer wieder sehen: Da ist es aufgeräumt. Da ist es hell. Da wird kontrolliert. Da steht Polizei. Es hilft nichts, in schrillen Tönen zu warnen, man muss konsequent handeln.
Vielen Dank für das Gespräch.