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100 Jahre Frauenwahlrecht: "Wacht auf Ihr deutschen Frauen aller Stände"


100 Jahre Frauenwahlrecht
"Wacht auf Ihr deutschen Frauen aller Stände, aller Parteien!"

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 12.11.2018Lesedauer: 4 Min.
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Marie Juchacz 1922 bei einer Demonstration: 1919 sprach die SPD-Politikerin als erste Frau vor der Weimarer Nationalversammlung. (Quelle: Robert Sennecke/ullstein-bild)

Am 12. November 1918 war es so weit: Die Frauen in Deutschland erhielten das Wahlrecht. Der Kampf um die Gleichberechtigung war lang. Und ist es noch.

Eine Revolution ereignet sich am 19. Februar 1919 in Weimar. "Ich erteile das Wort der Abgeordneten Juchacz", so Constantin Fehrenbach, Präsident der Weimarer Nationalversammlung. Gemeint ist Marie Juchacz, 40 Jahre alt, Tochter eines Zimmermanns, Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin. Kaum am Rednerpult angekommen, beginnt Juchacz ihre Rede: "Meine Herren und Damen!" Und muss bereits wieder stoppen. Heiterkeit seitens der übrigen Abgeordneten unterbricht sie, wie das Protokoll der Sitzung festhält.

Denn Juchacz’ Rede ist eine Premiere: Zum ersten Mal spricht eine Frau als Abgeordnete vor einem demokratisch gewählten gesamtdeutschen Parlament. Zusammen mit 36 anderen Geschlechtsgenossinnen war Juchacz zuvor in die Volksvertretung gewählt worden.

"Zu Unrecht vorenthalten"

Nachdem sich die Unruhe im Saal gelegt hat, fährt die Parlamentarierin fort. Manche Abgeordnete und Zuhörer erwarten, dass sie Worte der Dankbarkeit für die SPD äußert, die sich für die Einführung des Frauenwahlrechts eingesetzt hat. Andere befürchten oder erhoffen eine scharfe Abrechnung mit den Gegnern der staatspolitischen Gleichberechtigung der Frauen.

Juchacz hat allerdings anderes im Sinn. "Es ist das erste Mal, dass in Deutschland eine Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf", würdigt sie den historischen Augenblick. Und stellt dann klar, dass "wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was die Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.

Dieses besagte Unrecht war erst knapp drei Monate zuvor beseitigt worden. Am 12. November 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten, der nach dem Sturz der Monarchie und der Ausrufung der Republik am 9. November nun die Regierungsgewalt inne hatte, in wenigen Worten das Frauenwahlrecht im Deutschen Reich etabliert. Im "Aufruf an das deutsche Volk" verkündete der Rat mit dem SPD-Chef Friedrich Ebert an der Spitze, dass Wahlen im Deutschen Reich fortan: "nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen" seien. Damit hatten Frauen das Wahlrecht erhalten, was am 30. November 1918 im Reichswahlgesetz weiter kodifiziert wurde.

"Dem Mann gleich an Rechten"

Damit war eine jahrhundertealte Forderung zahlreicher Frauenrechtlerinnen in Erfüllung gegangen. 1791 hatte Olympe de Gouges in ihrer "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" geschrieben: "Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Mann gleich an Rechten." Die Verwirklichung dieser Worte sollte de Gouges nicht mehr erleben: Sie starb 1793 auf dem Schafott.

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Auch die kommenden Jahrzehnte erbrachten keine Veränderung. Als 1848 in Deutschland die Bürger aufbegehrten, blieben die Frauen außen vor. Sie waren nicht stimmberechtigt zur Wahl der Frankfurter Nationalversammlung, die dem in Einzelstaaten zersplitterten Deutschland eine Verfassung geben sollte. Obwohl die Revolutionärin Louise Otto-Peters bereits festgestellt hatte: "Die Teilnahme der Frau an den Interessen des Staates ist nicht ein Recht, sondern eine Pflicht."

Es sollte allerdings bis 1918 dauern, bis das Frauenwahlrecht Realität wurde. Zuvor hatten verschiedene Organisationen sich dem Ziel verschrieben, die gesellschaftliche und rechtliche Stellung der Frau zu verbessern. So der "Allgemeine deutsche Frauenverein", zu dessen Gründerinnen auch Louise Otto-Peters gehörte. Und dessen Gründungsversammlung 1865 in Leipzig als "Leipziger Frauenschlacht" verhöhnt wurde. Oder der "Deutsche Verband für Frauenstimmrecht", der 1907 auf einem Plakat forderte: "Wacht auf Ihr deutschen Frauen aller Stände, aller Parteien!"

"Grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten"

Am 19. Januar 1919 war es dann so weit. Zum ersten Mal durften Frauen bei einer reichsweiten Abstimmung wählen – und gewählt werden. "Ein feierlicher Augenblick" sei die Wahl für viele Frauen gewesen, hielt die Schriftstellerin Dorothee von Velsen fest. Neben mehr als 1.300 Männern kandidierten rund 300 Frauen für die Nationalversammlung. Allerdings waren lettlich nur 37 erfolgreich, darunter Marie Juchacz.

Dabei waren die Frauen bei der Wahl die einflussreichste Bevölkerungsgruppe. Nach den vielen gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs stellten sie rund 54 Prozent der Wählerschaft. Die erste Gelegenheit zu wählen, ließ sich kaum eine Frau entgehen: Ihre Wahlbeteiligung lag bei nahezu 90 Prozent.


Der Weg zur vollen Gleichberechtigung war für die Frauen ein langer, auch wenn die Weimarer Verfassung von 1919 festlegte: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Und das Grundgesetz nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur zusätzlich festschrieb: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Erst seit 1962 dürfen Frauen in der Bundesrepublik ein eigenes Konto führen, erst seit 1977 ohne Einwilligung ihres Ehemannes frei über ihren Arbeitsplatz entscheiden.

Zum Hingehen: "Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht", Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt am Main vom 30. August 2018 bis 20. Januar 2019.

Der dazugehörige Katalog: "Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht", herausgegeben von Dorothee Linnemann, Frankfurt/Main 2018.

Zum Weiterlesen: Kerstin Wolff: "Unsere Stimme zählt", Überlingen 2018 | Hedwig Richter; Kerstin Wolff (Hrsg.): "Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa", Hamburg 2018 | Antonia Meiners: "Die Stunde der Frauen 1913 -.1919", Berlin 2016.

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