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Tagesanbruch – Flüchtlinge und Asylstreit: Es gibt keinen Plan B


Meinung
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Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 04.07.2018Lesedauer: 6 Min.
Angela Merkel und Horst Seehofer gestern im BundestagVergrößern des Bildes
Angela Merkel und Horst Seehofer gestern im Bundestag. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Man hielt es ja nicht mehr für möglich, aber gestern haben wir einen einigermaßen normalen politischen Tag erlebt. Nach der vorübergehenden Wiedervereinigung von CDU und CSU leckten manche ihre Wunden, andere ließen kein Mikrofon aus, um ihren (angeblichen) Erfolg zu preisen, wieder andere traten noch einmal ein bisschen nach. Alles in allem aber glimpflich. Die Sonne brannte im Berliner Regierungsviertel vom Himmel, Gespräche mit Politikern und anderen Journalisten, ein Termin im Kanzleramt, später eine halbe Maß auf dem Hoffest des Regierenden Bürgermeisters. Unspektakulär. Wohltuend.

Spricht man aber lang genug mit Leuten, die das CDU/CSU-Drama in den vergangenen Tagen hautnah miterlebt (oder angefeuert) haben, stellt man ein paar unbequeme Fragen, drängt sich immer stärker der Eindruck auf: Dieser Konflikt ist spektakulär ungelöst. Was da als rettende Einigung verkauft wurde, ist in Wahrheit ein Potemkin’sches Dorf.

Wie genau sollen die viel zitierten "Transitzentren" an der deutsch-österreichischen Grenze funktionieren? Wie viele Jahre wird es dauern, bis sie eingerichtet sind? Glaubt ernsthaft jemand, dass Flüchtlinge (oder ihre Schlepper) gezielt diese Zentren ansteuern, statt auf die deutsch-tschechische Grenze auszuweichen oder sich durch die Büsche zu schlagen? Was kosten die zusätzlichen Beamten, um wie angekündigt die Schleierfahndung in unwegsamem Gelände massiv auszuweiten? Lohnt sich dieser ganze Aufwand für monatlich weniger als 4.000 Menschen? Meine Kollegen Johannes Bebermeier und Jonas Schaible haben noch mehr offene Fragen gefunden.

Noch einen halben Schritt zurück, noch mehr Fragen: Der Kompromiss von CDU und CSU sieht vor, dass die "Transitzentren" erst dann errichtet werden, wenn Abkommen mit Österreich und Italien geschlossen worden sind. Vor allem die neue rechte Regierung in Rom hat aber überhaupt kein Interesse daran, registrierte Flüchtlinge zurückzunehmen, und ihre Vertreter haben das auch sehr klar gesagt. Was also geschieht, falls hier keine Vereinbarung zustande kommt, ergo auch keine "Transitzentren" gebaut werden können? Wer im Regierungsviertel diese Fragen stellt, hört wortgewandte Ausflüchte.

Es gibt keinen Plan B. Noch nicht mal die konkrete Überlegung, nach Vorbild des Türkei-Deals eine Lösung zu finden (die einen Flüchtlinge gegen die anderen tauschen und zusätzlich jede Menge Geld überweisen). Es gibt nur die Hoffnung, dass alles irgendwie gut gehen möge. Und die riesengroße Erleichterung, dass dieser Wunschtraum im letzten Moment die Union und die Bundesregierung vor der Explosion bewahrt hat. In einem Kinofilm wäre das eine schöne Pointe. In der Regierung des mächtigsten Landes Europas ist es ein Armutszeugnis.

Ach so, und nun wollen Sie vielleicht noch wissen, warum ich oben von der "vorübergehenden Wiedervereinigung von CDU und CSU" geschrieben habe. Ganz einfach: Weil ich ziemlich sicher bin, dass all die offenen Fragen dazu führen werden, dass der Streit zwischen den ehemaligen Schwesterparteien früher oder später wieder aufbrechen wird. Spätestens am 14. Oktober um 18 Uhr, wenn die CSU-Leute im Fernsehen die erste Hochrechnung sehen.

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WAS STEHT AN?

Es ist mir fast unangenehm, aber auch heute muss ich Ihnen noch mal Termine rund um die Migrationspolitik ankündigen. Die SPD trifft sich gleich nach dem Aufstehen um 7.30 Uhr zu einer Sonderfraktionssitzung. Von ihrem Votum hängt ja nun ab, ob Merkel, Seehofer und die anderen Unionisten in den kommenden Tagen etwas ruhiger schlafen können als zuletzt. Um 9 Uhr steigt im Bundestag die Generaldebatte; die Kanzlerin erklärt die Leitlinien ihrer Regierungspolitik. Bei den Themen Asyl und Migration wird es erwartungsgemäß viel um Abschottung und Grenzschutz gehen, aber auch um den Grundsatz, stets in Abstimmung mit den EU-Partnern zu handeln. Und vielleicht sagt Merkel ja auch den Satz, den man gestern im Regierungsviertel hören konnte: "Wir wollen ein offenes Land bleiben."

Hoffentlich sagt die Kanzlerin auch etwas dazu, wie die Bundesregierung verhindern will, dass sich Menschen auf die gefährliche Flucht durch Nordafrika und übers Mittelmeer begeben. Zwar bekommen wir hierzulande weniger davon mit, seit die Italiener den libyschen Milizen und Gangs viel Geld dafür bezahlen, dass sie möglichst viele Schlepperboote zurückhalten (oder versenken). Aber das löst das Problem natürlich nicht nachhaltig, und moralisch vertretbar ist es eigentlich auch nicht. Ich habe versucht, dies in meinen Antworten auf die Fragen von "Tagesanbruch"-Leserinnen und Lesern zu erklären.

Die Nichtregierungsorganisation "United" hat zwischen 1993 und dem Mai dieses Jahres 34.361 Todesfälle gezählt: Menschen, die versuchten, nach Europa zu fliehen, und dabei umkamen. Im Mittelmeer, in Schlepper-Lkw, in libyschen Lagern, die KZs ähneln, weil sie sich aus Verzweiflung das Leben nahmen. Die Organisation geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl noch deutlich höher liegt. "United" wirft den EU-Staaten vor, sie bauten Europa zur Festung aus, ohne sich um die Opfer dieser Politik zu kümmern. So pauschal ist das sicher falsch, auch in Brüssel, Berlin und den anderen Hauptstädten hat man inzwischen erkannt, dass zu einer funktionierenden Migrationspolitik mehr gehören muss als möglichst undurchlässige Grenzen. Auch lassen sich die Informationen zu den Toten nicht unabhängig überprüfen.

Dennoch: Wer auch nur kurz auf diese Liste schaut, mag erkennen, wie wichtig eine nachhaltige europäische Migrationspolitik ist, die aus mehreren Komponenten besteht. Grenzschutz ja, schnelle Asylverfahren ja, Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern ja. Aber eben auch Aufbauarbeit in den Herkunftsländern und ein kluges Einwanderungsrecht. Auch unsere Kolumnistin Ursula Weidenfeld hat diese These kürzlich in einem Text vertreten – und daraufhin viele Fragen, aber auch viele kritische Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern geerntet. Ihre Reaktion finde ich vorbildlich: Sie hat die Fragen und die Kritik aufgegriffen – und beantwortet.

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Ja, okay, na gut, vielleicht gibt es ja doch die eine oder andere klitzekleine Gemeinsamkeit zwischen Bundestrainer und Bundeskanzlerin. Jedenfalls machen beide erst mal weiter. Allerdings kündigt Herr Löw an, die richtigen Schlüsse aus seinem Debakel ziehen zu wollen. Unser Sportchef Florian Wichert hat dazu eine klare Meinung: Die Entscheidung ist richtig – aber damit der angekündigte Neustart glückt, muss Löw sieben schwerwiegende Probleme in den Griff bekommen.

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WAS LESEN?

Stellen Sie sich bitte Folgendes vor: Sie leben jahrelang ihr Leben, und dann surfen Sie eines Tages nichtsahnend im Internet, öffnen eine Seite und dann noch eine und, nachdem Sie misstrauisch geworden sind und ein dumpfes Gefühl des Unwohlseins im Bauch spüren, noch eine weitere. Ja, und dann stellen Sie fest: Irgendwo dort draußen, in den Weiten des Webs, gibt es eine Person, die Ihnen Ihre Identität gestohlen hat. Die sich für Sie ausgegeben und alles, alles, was Sie in sozialen Netzwerken von sich preisgegeben haben, minutiös kopiert hat. Sechs Jahre, fünf Monate und 29 Tage lang. Die Fotos, die Follower, die Freunde. Ein Albtraum. Eine Frau in England hat diesen Albtraum erlebt. "Man hat mir meine Lebensgeschichte gestohlen", sagte sie meinem Kollegen Lars Wienand. Er hat die unglaubliche Geschichte recherchiert.

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An die Rundum-sorglos-Überwachung haben wir uns inzwischen ja einigermaßen gewöhnt, und wenn sie sich ein bisschen anders nennt, möchten wir sie sogar nicht mehr missen. Der digitale Assistent auf dem Handy erinnert uns termingerecht daran, wann wir aufbrechen müssen, der Fotodienst hat die Familienbilder schon mal vorsortiert, und die Einkaufsvorschläge aus dem Shopping-Portal sind auch ganz nützlich. Das klappt so gut, weil die Betreiber so ziemlich alles über uns wissen – klar. Bequemlichkeit hat ihren Preis. Aber sicher gibt es irgendwo eine Grenze, oder? Ja, sagt Brian Brackeen: beim Gesicht und beim Staat. Der US-Unternehmer, der für seine Gesichtserkennungssoftware bekannt ist, verzichtet lieber auf lukrative Aufträge, als sein Produkt von seiner eigenen Regierung nutzen zu lassen. Weil die Technologie sich doch mal irrt und unbescholtene Bürger die Konsequenzen der Fehleinstufung tragen müssten. Weil seine Software in den Händen staatlicher Überwacher zum Missbrauch durch "die moralisch Korrumpierten" einlädt. Und da hat er schon recht: Allgegenwärtige Augen und staatliches Gewaltmonopol, das ist ein gefährlicher Mix. Stattdessen verkauft er lieber an Unternehmen und würzt deren attraktive Datenberge mit ein bisschen Biometrie. Was kann da schon schiefgehen?

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WAS FASZINIERT MICH?

Heute stelle ich Ihnen etwas total Neues vor: Google Maps! Na gut, eher eine neue Art von Google Maps – für das Erdmittelalter nämlich. Das funktioniert so: Sie wählen einen Zeitpunkt in der Erdgeschichte aus, also zum Beispiel "vor 240 Millionen Jahren", und geben eine Adresse ein, also zum Beispiel "Kurfürstendamm 17" oder "Broadway 101" oder einfach Ihre Heimatadresse. Und dann bekommen Sie das Ergebnis angezeigt auf dem Superkontinent Pangea, der damals das Bild der Welt bestimmte. Mit meinem Büro hätte ich Glück gehabt, der Ort lag schon damals einigermaßen zentral. Und als die Dinosaurier kamen, wäre ich auch nicht gefressen worden. Dafür aber im Meer versunken. Hilfe!

Ich wünsche Ihnen einen sicheren Tag im Hier und Jetzt.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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