Streit der Koalition um Konjunkturpaket Jeder wirbt für sich allein
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nur mühsam konnten sich Union und SPD auf das Konjunkturpaket verständigen. Die Einigkeit der Regierungsparteien bröckelt: Der Wahlkampf für die Bundestagswahl hat begonnen.
Finanzminister Olaf Scholz ist ein Mann, der seine Sätze oft holzig formuliert, doch an diesem Mittwochabend im Kanzleramt will er deutlich werden. Deshalb hat sich Scholz ein Wort überlegt, das er besonders griffig findet. Das Wort lautet "Wumms". Scholz sagt also um kurz nach halb Elf: "Heute haben wir ein Bündel an Maßnahmen vereinbart, die das Ziel haben: Mit Wumms aus der Krise kommen." Ein paar Sekunden später betont er nochmal, dass da "Wumms" drin stecke.
Das Bündel mit "Wumms" ist ein 130 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket, auf das sich die Spitzen der großen Koalition am gestrigen Abend geeinigt haben. Bundeskanzlerin Merkel stellte es mit Finanzminister Olaf Scholz, SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder vor.
Mit der großen Einigkeit ist es jetzt vorbei
Es beinhaltet unter anderem eine Senkung der Mehrwertsteuer, einen Kinderbonus und Hilfe für die Kommunen. Die Maßnahmen sollen den Einbruch des Bruttoinlandsprodukts – Ökonomen rechnen mit einem Schwund von 9 Prozent – und den sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahlen abfedern.
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Bei der Präsentation des Pakets am Mittwochabend signalisierten die Spitzenpolitiker der großen Koalition zwar Einigkeit, doch zuvor wurde hart gekämpft. In der ersten Phase der Corona-Pandemie hat es manchmal so gewirkt, als seien SPD und Union geradezu miteinander verschmolzen: Derart einig waren sich die Koalitionäre bei den verabschiedeten Gesetzen. Doch mit der großen Harmonie ist es jetzt vorbei.
Die Verhandlungen zogen sich lange hin, zwischenzeitlich beratschlagten die SPD-Vertreter allein ihre weitere Taktik in einem Besprechungsraum. Denn hinter den jetzt gefundenen Kompromissen im Konjunkturpakets steht ein Wettkampf um Wählerstimmen. Die Vertreter von Union und die SPD haben bereits die nächste Bundestagswahl im Blick und versuchen, sich stärker voneinander abzugrenzen.
Deutschland ist durch die Pandemie immer noch in einer Art Ausnahmezustand und den Koalitionären läuft die Zeit davon, um sich inhaltlich zu positionieren: Im Bundestag gibt es nur noch zwei Sitzungswochen, dann kommt die Sommerpause. Im Herbst muss eventuell das Krisenmanagement für eine zweite Welle der Pandemie betrieben werden, im Dezember folgt dann die Neuwahl an der Spitze der CDU. Und dann beginnt bereits das Jahr der Bundestagswahl.
Die Union bleibt vorsichtig beim Ausgeben des Geldes
Das jetzt verabschiedete Paket und der Kampf um die darin enthaltenen Milliarden ist die Eröffnung des Wahlkampfs: Zum einen positionieren sich die Koalitionäre damit inhaltlich. Zum anderen sollen die Maßnahmen in wenigen Monaten schon Wirkung zeigen und so Union und SPD den nötigen Rückenwind vor der Wahl verschaffen — jeweils mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten.
Die Funktionäre von CDU und CSU würden sich gern die aktuellen Umfragewerte von knapp 40 Prozent erhalten. Viele Christdemokraten erzählen in diesen Tagen stolz, dass Deutschland nur deshalb in der Krise so viele Arbeitnehmer mit Kurzarbeitergeld und Sofortzahlungen unterstützen konnte, weil die Partei über Jahre an der Schwarzen Null festgehalten habe. Die Maxime bei ihnen ist, auch weiterhin vorsichtig beim Ausgeben des Geldes zu sein.
CSU-Chef Markus Söder wollte deshalb eine Obergrenze bei dem Konjunkturpaket von maximal 100 Milliarden Euro festlegen. Am Ende einigte man sich trotzdem auf einen Betrag von 130 Milliarden Euro.
Doch in der Bundestagsfraktion der Union geht mittlerweile die Angst um: Manche Abgeordnete erzählen, dass sie in ihren Wahlkreisen zunehmend gefragt werden, ob Deutschland wirklich aus der Krise komme, wenn die Wirtschaft mit Geld zugeschüttet wird. Die Stimmung sei langsam am kippen, sagen einige. Zu unberechenbar scheint teilweise, wie die Regierung das Geld verteilt.
Bei Parteifreunden löste Laschet Fassungslosigkeit aus
Weil viele CDU-Abgeordnete direkt gewählt werden, haben sie nun Sorge um ihr Mandat, und sind entsprechend skeptisch, was die Pläne der SPD angeht, die immer noch mehr Geld ausgeben will: Vielen Sozialdemokraten reicht das beschlossene Konjunkturpaket nicht, innerhalb der SPD wird bereits über die nächsten Milliarden für Deutschland verhandelt. Auch das soll helfen, in anderthalb Jahren bei den Wählern punkten zu können.
Bei der Union hat nur einer kein Problem damit, viel Geld auszugeben: Armin Laschet. Als Finanzminister Olaf Scholz einen Familienbonus von 300 Euro pro Kind anregte, der jetzt auch beschlossen wurde, schlug der nordrhein-westfälische Ministerpräsident prompt vor, doch stattdessen 600 Euro pro Kind in seinem Bundesland zu bezahlen. Bei seinen Parteifreunden löste Laschet damit Fassungslosigkeit aus. Ein Mitglied der Parteispitze der CDU sagte zu t-online.de: "Wenn Armin Laschet allen Ernstes glaubt, er gewinnt die Wahl um den Vorsitz der CDU — und das hat er ja sicher immer im Hinterkopf — damit, Millionen über sein Bundesland regnen zu lassen, dann hat er nichts verstanden."
Doch neben Laschets Sonderwünschen irritieren vor allem die Ideen der SPD viele in der Union. Thorsten Frei ist einer von ihnen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU sagt: "Manche Vorschläge zum Konjunkturpaket schienen mir schon mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr gemacht. Etwa, wenn die SPD Schleswig-Holstein die Einführung der 30-Stunden-Woche vorschlägt."
"Die Diskussion schärft unsere Profile"
Mittlerweile wird wieder härter zwischen den Koalitionspartnern auch im politischen Alltag verhandelt. Das liegt unter anderem an der Tatsache, dass mehr Sitzungen im echten Leben stattfinden, und die Abgeordneten sich nicht nur von zu Hause aus in Videokonferenzen austauschen.
Die CDU-Spitzenpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann findet die harte Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner gut: "Jetzt kommen die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern besonders zum Ausdruck. Uns wurde ja vorher unterstellt, dass wir uns zu ähnlich seien. So gesehen schärft die aktuelle Diskussion unsere Profile."
Doch der Ton gegenüber der SPD wird rauer. Eine, die sich an den neusten Vorhaben der Sozialdemokraten für den weiteren Umgang mit der Corona-Krise stört, ist Jana Schimke. "Die SPD versucht, die Corona-Krise für alles mögliche zu nutzen: Kürzlich wurde beschlossen, Werkverträge in der Fleischbranche abzuschaffen, als Nächstes wird versucht, mehr und mehr über Verordnungen zu regeln", erklärt die stellvertretende Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU. So würde "das Parlament außen vor zu lassen." Schimke ist empört: "Das schwächt unsere Demokratie und darf nicht zur Regel werden, auch wenn die eigene Agenda einem noch so wichtig erscheint."
"Keine Ahnung von der Mediendemokratie"
In der Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten sind viele ratlos: Bei der CDU ziehen die hohen Beliebtheitswerte von Angela Merkel auch das Ansehen der ganzen Union nach oben. Bei der SPD sind Olaf Scholz und Hubertus Heil zwar auch beliebt, doch die Partei stagniert weiterhin bei 15 Prozent. Viele Sozialdemokraten fragen sich, wie lange das noch so bleiben soll. Und die ersten Stimmen treten deshalb für eine schärfere Abgrenzung ein, nachdem es zu Beginn der Pandemie kaum kritische Äußerungen gab.
Detlef Müller, einer der ostdeutschen SPD-Abgeordneten sagte zu t-online.de: "Die SPD muss jetzt endlich wieder klarer politische Kante zeigen. Nur so können wir uns bei den Umfragen mehr nach oben bewegen." Ein Kollege von ihm aus dem Bundestag erklärt, dass die Union bei vielen Forderungen jetzt schon mitziehen müsse, denn "niemand hat Verständnis, wenn wir uns nicht einigen."
Und die Union zieht oft mit. Auch jetzt, beim gefundenen Kompromiss, konnte die SPD viele Vorschläge gegen den Willen von Angela Merkel und der CDU durchsetzen, unter anderem die Zahlung an Familien von 300 Euro pro Kind, die außer Armin Laschet kaum jemand in der Union vorher so gewollt hat.
Das Dilemma von Olaf Scholz und der SPD
Trotzdem schwant bereits viele Sozialdemokraten, dass die Partei den Erfolg nicht für sich nutzen kann. Einer von ihnen sagt: "Die aktuelle Parteispitze um Esken und Walter-Borjans hat keine Ahnung von einer Mediendemokratie. Erfolge sind schön und gut, aber wenn wir nicht endlich anfangen, sie auch als solche den Menschen zu verkaufen, dann rutschen wir weiter in der Wählergunst ab."
Die SPD steckt in einem Dilemma und niemand steht für dieses Dilemma mehr als Olaf Scholz: Einerseits muss er mitregieren und das Land durch die Krise bringen, gerade als Finanzminister fällt ihm dabei eine wichtige Rolle zu. Doch gleichzeitig möchte er sich so deutlich wie möglich gegenüber der übermächtig wirkenden Kanzlerin absetzen.
Denn Scholz wäre auch gern Kanzlerkandidat der SPD. Zwar hat er letztes Jahr den Kampf um die Parteispitze verloren, doch immer mehr Genossen fordern mit Blick auf die guten Umfragewerte des Hanseaten, dass er die Partei im Jahr 2021 in den Wahlkampf führt.
Detlef Müller sagt dazu: "Wir dürfen nicht wie das Kaninchen vor der Schlange bei den 15 Prozent verharren, natürlich ist es klug, wenn wir jetzt auch gegenüber der Union unsere Verhandlungspunkte deutlich machen." Etliche Kollegen von ihm wollen in der Sommerpause mit eigenen Vorschlägen öffentlich punkten, um so von den "furchtbaren 15 Prozent", wie sie intern genannt werden, wegzukommen.
Der nächste Schritt, den viele Sozialdemokraten nach dem Konjunkturpaket jetzt machen wollen, ist die verbindliche Einführung der Grundrente. In der CDU-Fraktion sorgen sich einige bereits, dass es zu einer enormen Belastung der Koalition kommt, wenn nicht bald etwa die Einigung bei dem Thema erzielt wird. Bei dem Thema lässt sich bereits erahnen, wie es auch nach dem jetzt verabschiedeten Konjunkturpaket weiterhin knirschen wird in der Koalition.
Ein CDU-Abgeordneter sagt: "Ein großer Teil der Fraktion will einfach mal schauen, wann wir die Grundrente umsetzen. Vielleicht lässt sich das auch noch auf den Herbst verschieben oder sogar auf einen noch späteren Zeitpunkt." Die Hamburger SPD-Abgeordnete Dorothee Martin widerspricht scharf: "Ich erwarte von der CDU, dass sie ihre Blockadehaltung begräbt." Martin erklärt, sie sei "ganz optimistisch" dass die Grundrente verabschiedet werde — und zwar vor der Sommerpause.
- Eigene Recherchen