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Reiner Haseloff (CDU): "Müssen die AfD inhaltlich stellen"


Interview
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Reiner Haseloff
"Dieses Land geht in eine verhängnisvolle Richtung"


Aktualisiert am 14.02.2024Lesedauer: 8 Min.
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Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: "Wer immer noch die alten Ostklischees bedient, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt." (Quelle: Florian Gaertner)
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Im September wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg gewählt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) kennt den Kampf gegen die AfD aus seinem eigenen Bundesland. Ein Gespräch über alte Sorgen, neue Konkurrenten und unbekannte Kandidaten.

Die Elbe führt so starkes Hochwasser, dass man meinen könnte, die Staatskanzlei in Magdeburg nahe dem mächtigen Strom bekomme gleich nasse Füße. Der Hausherr macht auch den Eindruck, dass das Wasser hoch steht – politisch. Vor allem die Sorgen um den Standort Deutschland treiben Reiner Haseloff um, machen ihn impulsiv. Und dann sind da noch die Konkurrenten aus der AfD, derer sich seine Ministerpräsidentenkollegen in drei ostdeutschen Bundesländern erwehren müssen. Mehr als genug Stoff für ein ausführliches Gespräch in einem der prächtigen Zimmer des eindrucksvollen Bauwerks.

t-online: Herr Haseloff, können Sie uns Friedrich Merz erklären?

Reiner Haseloff: Was soll ich da erklären?

Erst sagt Herr Merz im Bundestag, der Kanzler solle der Union weitere Avancen zu einem Deutschlandpakt oder Ähnlichem ersparen. Und in der Woche darauf schreibt er Olaf Scholz einen Brief mit Vorschlägen, wie Deutschland wieder wirtschaftlich flottgemacht werden kann.

Das sind doch Spitzfindigkeiten. Dieses Land geht gerade in eine verhängnisvolle Richtung. Es geht wirtschaftlich bergab, und das kann einer Oppositionspartei nicht egal sein. Deshalb war es genau richtig, dass Friedrich Merz und Alexander Dobrindt diesen Brief mit Vorschlägen geschrieben haben. Es kann und darf so nicht weitergehen.

Ist es die Aufgabe der Opposition, die Hand in Richtung Ampel auszustrecken, um quasi mitregieren zu können?

Solche Berliner Spielchen interessieren mich im Moment nicht. Reden Sie hier mal mit Unternehmern. Unsere Wirtschaftskraft geht gerade verloren. Wenn eine Bundesregierung so taumelt wie die Ampel, dann ist es eine staatspolitische Verpflichtung der Opposition zu sagen: Leute, jetzt müssen wir handeln, sonst kriegen wir das Schiff nicht mehr flott.

Woran krankt es denn insbesondere?

Generell gilt: Wir brauchen eine gut gemachte und für die Menschen nachvollziehbare Politik. Wir müssen die illegale Migration in den Griff bekommen. Wir müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass unsere Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt. Wir müssen wieder zu Energiepreisen kommen, die für Bürger und Unternehmen bezahlbar sind. Wir müssen Menschen, die arbeitsfähig sind, auch in Arbeit bringen. Ein Beispiel: Im Kohleausstiegsgesetz ist das Ende der Braunkohlenutzung für 2038 festgeschrieben. Die Bundesregierung will aber einen Ausstieg bereits 2030. Von solider Realpolitik sind wir nicht nur in der Energiepolitik derzeit leider meilenweit entfernt.

In dem Papier steht auch schon eine Reihe von Vorschlägen. Unklar bleibt: Wer soll das alles bezahlen und wovon?

Zunächst einmal hat sich diese Bundesregierung viel um soziale Wohltaten gekümmert. Zum Beispiel geben wir nun knapp 50 Milliarden Euro für ein stark erhöhtes Bürgergeld. Wichtig wäre aber, dass wir auch Bürgergeldempfänger stärker fördern und fordern und in Arbeit bringen, egal welchen Pass sie besitzen.

Das ist es nun aber so und auch von der Union mal mitgetragen worden. Jetzt ist aber jetzt, und da ist mit der Schuldenbremse kein Spielraum mehr für Steuererleichterungen. Also: Weg mit der Schuldenbremse?

Die Schuldenbremse darf nicht zur Disposition gestellt werden. Aber sie ermöglicht, eine Notlage auszurufen, was wir in Sachsen-Anhalt auch schon gemacht haben. Im Bund würde sie sich aus den finanziellen Folgen des Ukraine-Kriegs, den Spätfolgen von Corona und einem wirklich dramatischen Absturz der Wirtschaft erklären. Wenn das keine Notlage ist, die das Land über Jahre und Jahrzehnte schädigt! Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, dann weiß ich auch nicht. Denn das geht sonst einher mit sinkendem Wohlstand und einer Destabilisierung der Demokratie. 31 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Bayern sind derzeit rechts von der CSU verankert. Ein Drittel der Bevölkerung hat die demokratische Mitte verlassen. Das muss doch alle Demokraten wachrütteln.

Was ist zu tun?

Wir müssen die Prioritäten neu ordnen. Und die erste Priorität haben die steuerzahlende, arbeitende Bevölkerung und die hier agierenden Unternehmen. Wenn ich sehe, wie China mit Dumpingpreisen unsere Solarfirmen plattmacht, in Freiberg, in Sachsen, da darf ich dann schon mal fragen, weshalb wir China noch günstige KfW-Kredite geben.

Zurück zur Notlage oder deren Ausrufung. Haben Sie Ihren Vorstoß abgestimmt innerhalb der Union?

Wir sind doch keine Kaderpartei, sondern eine Partei, die in unterschiedlichen Konstellationen Verantwortung für Deutschland übernimmt. Auf der Bundesebene derzeit in der Opposition. Wir sind hier in der Regierungsverantwortung. Schleswig-Holstein wie auch Hessen haben ähnliche Probleme, einen Haushalt aufzustellen. Unser Haushalt bewegt sich zwar in den für uns geltenden Grenzen der Schuldenbremse, allerdings haben wir null Reserve. Und ich weiß, dass das Bruttoinlandsprodukt im letzten Jahr gesunken ist. Wir können die Wirtschaft nicht im Regen stehen lassen. Unionsmeinung heißt: die Schuldenbremse wird nicht angetastet. Aber die Schuldenbremse ist klar definiert. Und die Erklärung der Notlage ausdrücklich ermöglicht.


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Viele der Protagonisten der AfD kommen aus dem Westen, von Björn Höcke bis Alice Weidel.


Reiner Haseloff


Lassen Sie uns über die Stimmungslage im Osten sprechen. Was raten sie denjenigen, die jetzt vor den Wahlen stehen, also namentlich in Thüringen, Brandenburg und Sachsen?

Klar zu benennen, wo die Misere herkommt. Ein Großteil des Zugewinns der AfD in den Umfragen ist der unglücklichen aktuellen Berliner Politik geschuldet. Abgesehen davon: Es wird immer von der Stimmungslage im Osten gesprochen und davon, dass die AfD hier so stark ist. Aber viele der Protagonisten der AfD kommen aus dem Westen, von Björn Höcke bis Alice Weidel.

Alles Wessis bei der AfD: Wieso kommt die Partei dann trotzdem besonders gut in den ostdeutschen Bundesländern an?

Nur im Osten? In Hessen ist die AfD zweitstärkste Kraft im Parlament ebenso wie in Sachsen-Anhalt. Wo ist da der Unterschied? Wer immer noch die alten Ostklischees bedient, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Es ist leider so, dass man die Probleme der Leute nicht angeht (greift nach einem Schreiben seines Sprechers, in dem dessen Stromanbieter die Berliner Politik für eine Preiserhöhung verantwortlich macht). Das hier betrifft die Leute ganz konkret. Da spielt die Musik. Und da gibt es immer noch große Unterschiede zwischen Sachsen-Anhalt und Hessen oder Bayern. Gucken Sie sich die Durchschnittseinkommen an. Die sind im Osten niedriger. Die Menschen in Ostdeutschland haben kaum Vermögen aufbauen können. Bei uns gibt es kaum Erbschaftssteueraufkommen gemessen an Bayern oder Hamburg, weil es hier kaum etwas zu vererben gibt. Deshalb sind die Sorgen vor einem Abstieg größer.

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Manche sagen: Lasst die AfD doch mal regieren, dann entzaubert die sich schon.

Nein, ganz falsch! Die AfD darf überhaupt nicht in die Nähe von Regierungsverantwortung kommen. Schlimm genug, dass die in allen Talkshows sitzen – wo sie übrigens auch nicht entzaubert werden. Weil das in den drei, vier Minuten, die sie da Zeit haben, gar nicht geht. Stattdessen bleiben deren scheinbar einfache Lösungen hängen.

Man sollte die AfD also ignorieren?

Das auch nicht, aber ich bin der Auffassung, dass der Versuch, mit ihr in den Dialog zu treten, bislang gescheitert ist. Wir müssen die AfD inhaltlich stellen, ohne ihr eine Bühne zu bieten. In Schleswig-Holstein ist das Daniel Günther gelungen.

Herr Günther wäre auch offen dafür, ein AfD-Verbot prüfen zu lassen. Und Sie?

Da bin ich anderer Meinung. Wir müssen durch eine vernünftige Politik die Probleme lösen, die der AfD in die Hände spielen. Da müssen wir ansetzen. Diese schaffen wir nicht durch ein Parteiverbot aus der Welt. Abgesehen davon waren die Verbotsverfahren gegen die NPD nun alles andere als ein Ruhmesblatt. Soll sich das wiederholen?

Friedrich Merz sagt, es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD. Wo fängt Zusammenarbeit für Sie an?

Ich kann für Sachsen-Anhalt nur eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen. Für mich werden Mehrheiten in der Mitte gebildet.

Ist es in Ordnung, sich von AfD-Stimmen zu einer Mehrheit verhelfen zu lassen, wie es die CDU in Thüringen getan hat?

Jetzt frage ich mal zurück. Wer trägt denn Regierungsverantwortung in Thüringen?

Das beantwortet nur nicht die Frage.

Eine Gegenfrage kann manchmal auch eine Antwort sein. Bei dem Gesetz, auf das Sie anspielen, ging es um ein vollkommen legitimes Thema: eine Steuersenkung. Es wäre die Aufgabe eines Ministerpräsidenten in Thüringen gewesen, bei diesem Thema auf die CDU zuzugehen. Denn es hilft nicht, wenn eine Minderheitsregierung Politik gegen eine demoskopische und parlamentarische Mehrheit macht.

Hieße das nicht umgekehrt auch, dass Sie Mario Voigt von einer Minderheitsregierung abraten?

Noch mal: Ich mische mich nicht ein. Aber mein Ziel war es immer, in der Mitte Mehrheiten zu finden.


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Ich würde sogar sagen, dass Olaf Scholz sein Leben zu großen Teilen der Politik gewidmet hat. Davor habe ich Respekt.


Reiner Haseloff


Jetzt kommen noch zwei Spieler dazu: die Werteunion und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Welches Potenzial messen Sie diesen Konkurrenten bei?

Hans-Georg Maaßen und seine Partei werden keine Rolle spielen. Frau Wagenknecht schon. Gerade im Osten könnte es eine Neusortierung geben. Wobei ich nicht glaube, dass es große Teile der AfD-Kernwählerschaft betreffen wird, eher die Linke. Frau Wagenknecht dürfte eher für eine frustrierte Nichtwählerschaft interessant werden. Sie fährt einen sozialistischen und einen nationalen Ansatz, ihre Botschaft ist "Germany First". Und für alle, denen es materiell nicht so gut geht und die Angst vor der Zukunft haben, ist das erst einmal attraktiv. Es ist unsere Aufgabe zu zeigen, dass dahinter keine vernünftigen Konzepte stehen.

Was meinen Sie damit genau?

Politik funktioniert immer mehr über starke Front-Figuren. Frau Wagenknecht hat das erkannt und sich zu einem schillernden Faszinosum gemacht. Eine Partei nach sich selbst zu benennen, ist eigentlich ziemlich grotesk. Wenn ich die Reiner-Haseloff-Partei gründen würde, käme – zu Recht – gewiss der Vorwurf des Personenkults. Beim Bündnis Sahra Wagenknecht geht das durch. Die Marke Sahra Wagenknecht ist schon ein ziemliches Medienprodukt.

Herr Haseloff, wir würden gerne noch mal auf Ihre eigene Partei zu sprechen kommen.

Nur zu.

Warum will die Union bis nach den Landtagswahlen warten, um ihren Kanzlerkandidaten zu küren?

Weil es üblich ist, dass man das ein Jahr vorher macht. Und das ist nun einmal kurz nach den Landtagswahlen. So wurde es immer gehandhabt. Ich weiß nicht, warum wir das jetzt plötzlich ändern sollten.

Der SPD hat es bei der vergangenen Bundestagwahl nicht geschadet, sich früher festzulegen.

Das stimmt. Der Schaden für die SPD ist ganz offensichtlich erst später eingetreten. Wie man jetzt sieht.

Haben Sie denn einen Favoriten?

Wir haben zwei Parteivorsitzende, und die werden sich einigen, da bin ich mir ziemlich sicher.

Das ist jetzt wieder keine Antwort auf die Frage.

Stimmt. Aber den Kanzlerkandidaten der CDU legt nun einmal nicht Reiner Haseloff fest, sondern die Partei insgesamt.

Wenn die Parteichefs den Kandidaten bestimmen, welche Rolle spielen dann die Landesvorsitzenden?

Selbstverständlich stimmen sich die Vorsitzenden auch mit ihren Gremien ab.

Ist das nicht reine Formalie? Beim letzten Mal haben sich diverse Landesvorsitzende, darunter Sie selbst, für einen anderen Kandidaten als Armin Laschet ausgesprochen. Trotzdem wurde er von den Gremien bestätigt.

Das stimmt. Was aber nicht heißt, dass es auch künftig so ist.

Herr Haseloff, letzte Frage: Was schätzen Sie an Olaf Scholz?

An Olaf Scholz schätze ich seine Standhaftigkeit. Er hat es ja schon eine Weile in der Politik ausgehalten. Ich würde sogar sagen, dass er sein Leben zu großen Teilen der Politik gewidmet hat. Davor habe ich Respekt. Außerdem konnte ich mich bislang immer auf seine Zusagen verlassen. Das wiederum weiß ich zu schätzen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Reiner Haseloff
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