Dynamit-Schmuggel und Nazi-Schulstunde So stehen andere Politiker zu ihren Jugendsünden
Der Flugblatt-Skandal um Bayerns Vize-Ministerpräsidenten Aiwanger erschüttert die bayerische Politik. Doch wie haben andere Politiker auf skandalträchtige Vorfälle aus ihrer Jugend reagiert?
Inhaltsverzeichnis
- Joschka Fischer entschuldigte sich für Gewalt gegen Polizisten
- Jürgen Trittin gestand "Fehler" im Umgang mit Mescalero-Aufruf
- Winfried Kretschmann gestand "fundamentalen Irrtum"
- Ulla Schmidt gestand linksextreme Vergangenheit
- Heiner Geißler bekannte sich zu Dynamit-Schmuggel
- Uwe Barschel schwieg um die Dönitz-Affäre
Als Schüler soll er mehrfach den Hitlergruß gezeigt, antisemitische Flugblätter bei sich gehabt und rechtsextreme Aussagen in seinen Hefter geschmiert haben: Der Flugblatt-Skandal um Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger bleibt in Bayern weiter ungelöst. Bei einem Volksfest-Auftritt verteidigte er sich mit den Worten: "Jawohl, auch ich habe in meiner Jugend Scheiß' gemacht." Nach einer knappen Entschuldigung versuchte Aiwanger jedoch vor allem, sich als Opfer darzustellen. Medien warf er eine "von langer Hand geplante Schmutzkampagne gegen ihn" vor.
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, wies das zurück. Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten sei es, kritisch über das politische Spitzenpersonal zu berichten, "auch wenn das den Damen und Herren Politikern nicht gefällt". Es gehe die Menschen eine Menge an, ob ein Politiker in seinem Leben vielleicht eine Nähe zum Antisemitismus gehabt hat. Daraus einen Kampagnenvorwurf zu stricken, sei ungerechtfertigt. Aiwanger solle vielmehr aktiv zur Aufklärung der Vorwürfe beitragen.
Fast immer ist der Umgang mit der Krise der Grund [für den Rücktritt].
Olaf Hoffjann, Kommunikationsexperte
Eine Empfehlung, die auch der Kommunikationsexperte Olaf Hoffjann gibt. Laut ihm sei bei einer Entlassung oder einem Rücktritt eines Politikers in der Vergangenheit selten das eigentliche Vergehen die Ursache dafür gewesen. "Fast immer ist der Umgang mit der Krise der Grund dafür", sagte Hoffjan dem "Fränkischen Tag". So räumten einige deutsche Politiker von sich aus Jugendsünden ein, andere entschuldigten sich erst auf Drängen der Öffentlichkeit. Rücktritte waren selten. Ein Überblick:
Joschka Fischer entschuldigte sich für Gewalt gegen Polizisten
Im Jahr 2001 bekannte sich der damalige Außenminister (Grüne) im Frankfurter OPEC-Prozess zu seiner linksradikalen Vergangenheit in den frühen 70er-Jahren. Er gab Gewalttaten gegen Polizisten zu. Als junge Männer seien er und seine Mitstreiter auch von Gewalt fasziniert gewesen, sagte Fischer in der Verhandlung. Erst in einem langsamen Prozess habe er die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik akzeptiert.
Fischer hatte im Prozess um den Terroranschlag auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975 als Zeuge ausgesagt. Er war als junger Mann Mitglied der militanten Gruppe "Revolutionärer Kampf". Erst nach massiver Kritik der Opposition und Polizei-Vertretern entschuldigte er sich 2001 für seine lange zurückliegenden Gewalttaten. Aus der Opposition wurden Rücktrittsforderungen laut. Fischer zog sich nach der Bundestagswahl 2005 und einer schwarz-roten Koalition aus der Politik zurück.
Jürgen Trittin gestand "Fehler" im Umgang mit Mescalero-Aufruf
Auch der Ex-Bundesumweltminister (Grüne) hatte als junger Mann eine linksextreme Phase – er war Mitglied des Kommunistischen Bundes (KB). 2001 gestand er auf Druck Fehler im Umgang mit dem sogenannten "Mescalero"-Brief von 1977 ein. Auch er habe als Student in der Auseinandersetzung um diesen umstrittenen Nachruf auf den von der Roten Armee Fraktion (RAF) ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback "auf eine vielleicht zu trotzköpfige Art" die Meinungsfreiheit verteidigen wollen, sagte er dem "Stern". Das würde man heute "mit Sicherheit" nicht mehr tun.
In dem Brief bekundete der damals anonyme Verfasser seine "klammheimliche Freude" über Bubacks Tod, um anschließend Gewalt als politisches Mittel abzulehnen. Trittin gestand ein, er habe damals nicht sehen wollen, dass unabhängig vom Inhalt "allein die Sprache für die Angehörigen der Opfer unerträglich" gewesen sein musste. "Das war ein schwerer Fehler." Bubacks Sohn hatte Trittins Rücktritt gefordert. Dieser blieb jedoch aus.
Winfried Kretschmann gestand "fundamentalen Irrtum"
Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg (Grüne) war als Student im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) aktiv. Die linksradikale Kleinstpartei, die sich 1985 auflöste, sympathisierte damals mit Regimen wie der Volksrepublik China unter Mao sowie den Diktatoren Idi Amin in Uganda und Pol Pot in Kambodscha.
Kretschmann bezeichnet seine Erfahrungen heute in seinem Lebenslauf als "fundamentalen Irrtum". Dort heißt es: "Das geht mir bis heute nach: Wie kommt es, dass man als gebildeter Mensch auf einmal in so einer Sekte landet? Dass man die Welt nur noch durch einen Tunnelblick sehen kann?"
Ulla Schmidt gestand linksextreme Vergangenheit
Auch die langjährige Bundesgesundheitsministerin und spätere Bundestagsvizepräsidentin (SPD) war in jungen Jahren beim Kommunistischen Bund aktiv, anfangs aus Protest gegen den Vietnamkrieg, wie sie sich 2018 in einem Gespräch mit der "Aachener Zeitung" erinnert. 1977 sagte sie sich los.
Der Terror der RAF und "der ganze Umgang mit dem Thema Gewalt hat mich an den Punkt gebracht, an dem ich gesagt habe: Jetzt kann ich nicht mehr." In Schmidts politischer Karriere wurde ihr ihre linksextreme Vergangenheit manchmal vorgehalten. Schmidt, Jahrgang 1949, trat 2021 nicht mehr zur Bundestagswahl an.
Heiner Geißler bekannte sich zu Dynamit-Schmuggel
Der ehemalige CDU-Generalsekretär (1930-2017) war als Jura-Student Sympathisant der separatistischen Untergrundorganisation Befreiungsausschuss Südtirol, wie er 2005 in einem Interview mit dem Magazin der "Süddeutschen Zeitung" bekannte. Die Organisation habe mit Sprengstoffanschlägen für die politische Unabhängigkeit Südtirols von Italien gekämpft.
"Ich habe um 1960 mehrmals Dynamit durch die Alpen transportiert – allerdings unwissentlich (...) Ich war von Kletterfreunden gebeten worden, einen Rucksack mit Ausrüstung in ein bestimmtes Tal zu bringen", sagte Geißler. Erwischt worden sei er nicht. "Die Südtiroler haben niemals Gewalt gegen Personen ausgeübt. Wenn die mal was gesprengt haben, dann waren es faschistische Mussolini-Denkmäler und dann mal eine kurze Zeit lang Elektromasten. Das war grenzwertig. Heute ist Südtirol das Vorbild europäischer Integration."
Uwe Barschel schwieg um die Dönitz-Affäre
1963 lud der spätere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) auf Anregung seines Geschichtslehrers als Schülersprecher den Großadmiral a.D. und Hitler-Nachfolger, Karl Dönitz, zu einer Fragestunde in sein Gymnasium in Geesthacht ein. Dönitz wurde 1946 als einer der Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs zu zehn Jahren Haft verurteilt, die er bis zum 1. Oktober 1956 vollständig verbüßte. In der Fragestunde Barschels stellte er seine Sicht auf Krieg, Nationalsozialismus und Nürnberger Prozesse dar. Weder Lehrkräfte noch Schülerinnen und Schüler stellten kritische Fragen.
Später lobte ein Lokalredakteur die Begegnung als "Geschichtsunterricht in höchster Vollendung". Doch wenig später schlugen Wellen der Empörung im In- und Ausland hoch. Der Schulleiter war diesem Druck nicht gewachsen und beging Suizid.
Barschel äußerte sich nicht zur "Dönitz-Affäre". Auch schadete sie seiner politischen Karriere in der Jungen Union und später in der CDU nicht. Sie endete 1987, als ihm im Landtagswahlkampf die Bespitzelung des SPD-Kandidaten Björn Engholm vorgeworfen wurde. Barschel bestritt das, trat aber zurück. Er wurde später in einem Genfer Hotel tot aufgefunden. Die Umstände seines Tods sind bis heute ungeklärt.
Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.
- Nachrichtenagentur dpa
- djv.de: Pressemitteilung vom 1. September 2023
- zeit.de: "Dönitz, Barschel und der Direx"
- Eigene Recherche