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Friedrich Merz: Für starke AfD ist die Ampel verantwortlich


CDU-Chef Friedrich Merz warnt
"Das muss uns alarmieren"


Aktualisiert am 23.06.2023Lesedauer: 12 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Friedrich Merz: Der CDU-Parteichef spürt Gegenwind – aus den eigenen Reihen.Vergrößern des Bildes
Gegenwind - aus den eigenen Reihen: CDU-Chef Friedrich Merz. (Quelle: Johannes Simon/getty-images-bilder)

CDU-Chef Friedrich Merz über den Richtungsstreit in der CDU, die Versäumnisse der Regierung – und die Frage, ob man in Deutschland noch alles sagen darf.

Friedrich Merz ist gut gelaunt an diesem Dienstag um kurz nach 9 Uhr. Der CDU-Chef will erst einmal plaudern und stellt – was bei Spitzenpolitikern selten vorkommt – den Journalisten eine Reihe Fragen. Er hakt nach, will es genau wissen.

Vermutlich will Merz damit auch die Botschaft senden, dass alles in bester Ordnung ist. Denn aus Düsseldorf und Kiel gab es in den vergangenen Tagen nicht ganz so freundliche Zwischenrufe Richtung Berlin, man könnte auch sagen: In der CDU tobt ein Machtkampf. In einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" empfahl der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst seiner Partei den "Herzschlag der Mitte". Und der Kieler Regierungschef Daniel Günther rief in der "Süddeutschen Zeitung" dazu auf, den Leuten "keinen Scheiß" zu erzählen.

Wenn man so will, machen die eigenen Leute Merz im Moment mehr Ärger als die Regierung. Denn etwas Besseres als eine schlingernde Koalition kann sich eine Opposition nicht wünschen. Eigentlich.

t-online: Herr Merz, drücken Sie der Ampel heimlich die Daumen, dass sie bis zur nächsten Bundestagswahl durchhält?

Friedrich Merz: Wie kommen Sie denn auf diese kühne Idee?

Weil Sie vielleicht kein richtig großes Interesse am baldigen Ende der Koalition haben.

Noch mal: Wie kommen Sie darauf?

Wenn die Koalition zerbricht, könnte der Bundespräsident den Parteien im Bundestag sagen: Ihr seid gewählt, reißt Euch gefälligst zusammen. Dann gibt es keine Neuwahlen, und Sie müssten als Juniorpartner in eine Regierung mit Olaf Scholz gehen.

Ich bewundere die Fantasie von t-online.

Grüne und FDP haben sich in der Ampel derart verhakt, dass auf Bundesebene eine Jamaika-Koalition ähnlich turbulent wäre – oder nicht?

Wir beschäftigen uns nicht mit "Was wäre wenn"-Fragen.

Wäre die Union inhaltlich und personell auf Neuwahlen vorbereitet?

Absolut.

Mit dieser Antwort haben wir gerechnet.

Wir sind eben sehr verlässlich. Es kann ja auch nur besser werden. Und das trauen wir uns nun allemal zu.

Wer würde denn im Falle von Neuwahlen Kanzlerkandidat der Union?

Das ist eine Entscheidung, die wir treffen werden, wenn sie ansteht.

Können Sie sich vorstellen, dem CSU-Chef den Vortritt zu lassen?

Wir führen keine Personaldiskussionen. Entscheidend ist für uns die inhaltliche Arbeit. Unser Programm zu modernisieren, ist eine gewaltige Kraftanstrengung, aber die CDU ist dabei schon sehr weit vorangekommen.

Was heißt "sehr weit"?

In der Außen- und Sicherheitspolitik sind wir klar aufgestellt, auch wenn es da am wenigsten nachzuholen gab. Auch in der Wirtschafts-, Energie- und Klimapolitik, wo wir Defizite hatten, steht unser Konzept. Wir glauben, dass wir Klimaneutralität nur mit Freiheit, mit Marktwirtschaft und einem neuen Wohlstandsversprechen erreichen können. Und was mir mindestens genauso wichtig ist: Bei einer zentralen innenpolitischen Frage – der Begrenzung der Zuwanderung und der Steuerung in den Arbeitsmarkt – sind wir sogar deutlich weiter als die Koalition. In der Sozialpolitik arbeiten wir noch an neuen Konzepten.

Sie wollen eine zentrale, digitale Einwanderungsagentur gründen, die sich um die Anwerbung von Fachkräften kümmert. Klingt gut. Aber wie soll das in einem Land funktionieren, das bei der Digitalisierung nicht vorankommt?

Was das Digitalisierungstempo der Bundesregierung angeht, haben Sie leider recht. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen eine Einwanderungsagentur, die unabhängig von der sonstigen Verwaltung agiert. Bei den deutschen Auslandsvertretungen liegen schätzungsweise 40.000 unbearbeitete Anträge für eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Nach eigenen Angaben können die Botschaften und Konsulate maximal 25.000 pro Jahr bearbeiten. Deshalb müssen wir raus aus dem analogen und rein ins digitale Verfahren. Nach drei, maximal sechs Monaten könnte so ein Prozess stehen.

Allerdings lehrt die Erfahrung, dass in Deutschland fast alles schrecklich kompliziert ist und entsprechend dauert.

Dann müssen wir es ändern. Wir können so jedenfalls nicht weitermachen.

Die Bundesregierung will ein neues Einwanderungsrecht verabschieden, das sie selbst als eines der liberalsten der Welt bezeichnet. Finden Sie das richtig?

Was heißt eigentlich liberales Einwanderungsrecht? Wir sind seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Und dass wir mehr Einwanderung in den Arbeitsmarkt brauchen, das bestreitet auch niemand.

Aber?

Die Frage ist, wen wir brauchen und wer tatsächlich zu uns kommt. In den ersten vier Monaten des Jahres gab es 110.000 zusätzliche Asylanträge. Die Erfahrung der Vergangenheit lehrt, dass maximal ein Drittel der Asylbewerber in den Arbeitsmarkt integrierbar ist. Das heißt, zu viele Menschen werden dauerhaft zu Leistungsempfängern. Und gleichzeitig bekommen wir die Leute, die wir brauchen, nicht in geeignetem Umfang. Wir müssen Zuwanderung so kanalisieren, dass sie weniger in die Sozialsysteme und mehr in den Arbeitsmarkt geht. Um dieses Ziel zu erreichen, taugen die Vorschläge der Koalition überhaupt nicht. Sie macht viel Lärm und PR, aber in der Substanz kommt nicht viel dabei herum.

Die Bundesregierung will für Zuwanderer ein Punktesystem einführen, bei dem neben der Qualifikation unter anderem die Sprachkenntnisse zählen. Ist das der richtige Weg?

Punktesysteme sind dann richtig, wenn Sie mehr Bewerber als Arbeitsplätze haben. Deshalb macht Kanada das richtig, verbunden mit einer sehr restriktiven Asylpolitik. Bei uns ist es eher umgekehrt, und deshalb ist der Vergleich unbrauchbar.

Deutschland ist offenbar kein attraktives Einwanderungsland. Woran liegt das?

Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Steuern und Sozialabgaben bei uns höher, und unsere Bürokratie verschreckt gute Leute, die wir in Deutschland dringend brauchen könnten.

Vielleicht ist Deutschland einfach kein Sehnsuchtsort.

Deutschland war nie ein klassischer Sehnsuchtsort für Auswanderer, anders als zum Beispiel die USA oder Kanada.

Wenn wir um Fachkräfte werben, sollten wir aber einer sein. Wie kann das gelingen?

Wir müssen dringend unsere Technologiefeindlichkeit überwinden und ein Land der Technologiebegeisterten werden. Unsere Gesellschaft ist sich häufig in dem einig, was sie nicht will – aber wir denken zu wenig darüber nach, wie wir auch einmal etwas Neues ermöglichen wollen. Und wenn es dann die Chance dafür gäbe, dann vermasselt die Regierung sie auch noch.

Sie spielen auf die Heizungsdebatte an?

Das mache ich der Bundesregierung wirklich zum Vorwurf: Sie hat die frontale Konfrontation mit der Bevölkerung gesucht. Die wiederum hat das Gefühl, dass sie zu etwas gezwungen wird, das sie nicht will. Wenn eine Regierung so vorgeht, braucht sie sich über Widerstand nicht zu wundern. Zumal, wenn sie nicht das macht, was geboten ist, also in Zeiten von Unsicherheiten viel zu erklären. Diese Regierung macht lieber das Gegenteil – sie streitet.

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Glauben Sie nicht, dass eine große Mehrheit es für sinnvoll erachtet, langfristig Öl- und Gasheizungen abzuschaffen?

Natürlich. Wir streiten auch nicht über das Ziel, sondern über den Weg, wie man dahinkommt.

Was schlagen Sie vor?

Es gibt längst ein Gebäudeenergiegesetz. Das hat die Große Koalition aus CDU und SPD bereits 2019 beschlossen. Darin steht: Fossile Heizungen haben ein Verfallsdatum von 30 Jahren, neue Ölheizungen dürfen ab 2026 nicht mehr eingebaut werden. Dieses Gesetz müssten wir einfach mit einem vernünftigen CO2-Preis flankieren, damit es sich immer früher lohnt, eine neue Heizung einzubauen; nicht weil der Staat es so will, sondern weil es für jeden Einzelnen ökonomisch einfach vernünftig ist.

Also einem CO2-Preis, der jedes Jahr erhöht wird?

Ja. Und damit würden wir das Signal setzen: Öl- und Gasheizungen werden immer unrentabler. Und aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung könnte man den Ausgleich für sozial schwache Haushalte gut finanzieren.

Planen Menschen so langfristig? Die Nachfrage nach Wärmepumpen ist eingebrochen, nachdem die Regierung sich auf großzügigere Übergangsfristen geeinigt hat.

Die Nachfrage nach kurzfristig verfügbaren Öl- und Gasheizungen ist sprunghaft gestiegen! Wahrscheinlich wird das Jahr 2023 als dasjenige in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen, in dem die meisten Öl- und Gasheizungen eingebaut wurden.

Was auch dafür spricht, dass Menschen oft eher kurzfristig entscheiden.

Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Menschen sehr genau auf die Preise schauen – und ihre Entscheidungen entsprechend ausrichten. Ein Beispiel: Ihre Heizung ist zehn Jahre alt, Sie wissen, dass Sie in zehn Jahren eine neue brauchen. Also rechnen Sie sich aus, ob es angesichts des steigenden CO2-Preises nicht günstiger ist, die Heizung schon in acht oder fünf Jahren auszutauschen. Gegen eine Wärmepumpe oder etwas anderes. Wahrscheinlich gibt es bis dahin noch keine gut funktionierenden Wasserstoffheizungen, aber vermutlich schon viele weitere gute Lösungen für andere Technologien.

Derzeit kostet die Tonne CO2 30 Euro. Wie viel sollen es denn 2030 sein?

Die exakte Höhe ist nicht entscheidend. Experten raten, dass wir mit einem Preis anfangen, eine stetige Erhöhung ankündigen – und dann dabei auch bleiben. Die Ampel hat das Gegenteil gemacht und die Erhöhung des CO2-Preises erst einmal ausgesetzt.

Das ist doch der Punkt: Sobald der Druck steigt, kassiert die Politik Beschlüsse.

Dann muss man einfach mal zu dem stehen, was man entschieden hat.

Wen hat Daniel Günther eigentlich gemeint, als er in einem Interview über die zukünftige Ausrichtung der CDU sagte: "Kurs der Mitte, sprachlich sauber bleiben, keine Debatten über das Gendern und andere Nebensächlichkeiten führen – den Leuten halt keinen Scheiß erzählen."

Keine Ahnung, das müssen Sie ihn fragen.

Er meint vermutlich Sie!

Ich habe mich nicht angesprochen gefühlt.

Wie erklären Sie sich, dass Sie sich immer wieder mit dem Vorwurf des Populismus konfrontiert sehen?

Ach wissen Sie, inzwischen wird doch jeder, der mal ein klares Wort sagt, reflexhaft mit den immer gleichen Vorwürfen überzogen: populistisch, rechts, ausländerfeindlich, homophob, AfD-Sprech. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich diese Vorwürfe in den allermeisten Fällen als unbegründet. Deshalb rate ich allen: Wir sollten in der politischen Diskussion mit solchen Vorwürfen etwas sparsamer umgehen.

Ein Zitat von Ihnen lautet: "Das Land wird von vielen Menschen anders wahrgenommen als im Justemilieu der Regierungsparteien." Übersetzt heißt das: Die da oben haben uns hier unten gar nicht mehr im Blick.

Ich denke in der Tat, dass große Teile dieser Regierung die Stimmung in der Bevölkerung nicht mehr richtig wahrnehmen und den Kontakt zur Bevölkerung weitgehend verloren haben. Ich mache das niemandem zum Vorwurf, jeder muss das für sich entscheiden. Wer seinen Lebensmittelpunkt hauptsächlich in Berlin-Mitte hat, der weiß oft nicht mehr, was die Menschen im Land wirklich umtreibt. Das echte Leben spielt sich im Wahlkreis ab.

Und das machen Sie anders?

Ich bemühe mich, so oft wie möglich in meinem Wahlkreis zu sein, da, wo ich zu Hause bin. Gerade wenn man ein politisches Spitzenamt bekleidet, muss man doch so viel wie möglich dafür tun, um die Stimmung in der Bevölkerung wahrzunehmen. Zuhören, diskutieren, die Menschen ernst nehmen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen, so sehe ich die Aufgabe von uns Politikern.

Vor Kurzem ist eine Demonstration gegen das Heizungsgesetz in Erding eskaliert: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kam fast nicht gegen die Pfiffe an. Hatten Sie Mitleid mit ihm?

Es war sicherlich kein einfacher Termin. Aber klar ist auch: Die Demonstranten in Erding sind doch nicht alle rechtsradikal, nur weil sie ihre Kritik etwas drastischer ausgedrückt haben. Wenn man sie aber reflexhaft als rechtsradikal abstempelt, dann reagieren die Menschen entsprechend. Wer sich permanent in die rechte Ecke gedrängt fühlt, der landet da dann womöglich auch irgendwann. Ich würde mir wirklich wünschen, dass insbesondere die SPD und die Grünen etwas vorsichtiger mit ihren Vorwürfen sind – und nicht sofort immer gleich die ganz große Keule schwingen.

Sie haben die Identitätspolitik, die für rechtspopulistische Parteien sehr wichtig ist, offenbar auch als Thema für die Union ausgemacht.

Widerspruch. Wir nehmen nur auf, was die Regierung anspricht. Die Identitätspolitik ist sicher nicht das Hauptthema der Bevölkerung – und auch nicht der CDU. Wir führen diesen Kulturkampf nicht.

Wer führt denn welchen Kulturkampf?

Wenn die Hälfte der Deutschen in Umfragen sagt, man könne in Deutschland wohl nicht mehr alles sagen, was man denkt, dann muss uns das alarmieren.

Hat diese Hälfte denn recht?

Die Frage lautet nicht, ob sie recht hat oder nicht. Das Problem ist, dass sie das Gefühl hat.

Können Sie das Gefühl nachvollziehen?

Ich persönlich teile dieses Gefühl nicht. Jeder kann bei uns sagen, was er oder sie will. Aber wir sollten es auch nicht ignorieren, wenn 50 Prozent es anders empfinden. Und eine subjektive Empfindung ist für die Politik ein objektiver Tatbestand.

Warum haben Menschen das Gefühl, nicht mehr alles sagen zu dürfen?

Das kann ich, ehrlich gesagt, noch gar nicht abschließend beurteilen. Wahrscheinlich geht es einher mit dieser Aufregung, die mittlerweile über fast jede kritische Äußerung erzeugt wird. Die sozialen Medien haben an dieser Entwicklung sicher ihren Anteil, weil sie das Meinungsklima oft prägen.

Für viel Aufregung in den sozialen Medien sorgte zuletzt der Auftritt der Sportlerin Claudia Pechstein bei einer CDU-Veranstaltung. Können Sie die Kritik nicht nachvollziehen?

Ich akzeptiere natürlich, dass manche Menschen anderer Meinung sind als Claudia Pechstein. Aber die Aufregung über ihren Auftritt kann ich nicht nachvollziehen.

Zum einen hat sie ihren Auftritt in Polizeiuniform absolviert – das hat ja bereits Konsequenzen. Zum anderen hat sie Positionen in der Familien- und Asylpolitik vertreten, die selbst in der CDU auf massive Kritik gestoßen sind.

Das waren Einzelstimmen, und gleichzeitig hat sie auch viel Zustimmung erfahren, nicht zuletzt bei der Polizei selbst. Wir laden Gäste ein, die etwas zu sagen haben und deren Meinung uns interessiert.

Sie machen nicht erst seit ein paar Tagen Politik. Wäre es nicht schlauer gewesen, vorher genauer darauf zu achten, wer da was wie sagt?

Claudia Pechstein hat aus ihrer Erfahrung gesagt, wie wichtig Vereine und der Breitensport sind. Schade, dass wir nun wieder einmal nicht über Inhalte sprechen, sondern über Äußerlichkeiten.

Als Sie 2019 CDU-Chef werden wollten, hatten Sie vermeintlich eine Zauberformel. Mit Ihnen, so das Versprechen, werde die AfD halbiert.

Eine "Zauberformel" war das nie, sondern eine Einschätzung vor vier Jahren. Bei der Bundestagswahl 2021 war die AfD schon wieder deutlich kleiner als auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2018. Wenn die Politik der Bundesregierung die AfD aber jetzt eher wieder stärkt, dann kann die Opposition sie nicht halbieren.

Jetzt machen Sie es sich aber zu einfach.

Klar ist: Entstanden ist die AfD als Gründung gegen die Union. Aber zur Wahrheit gehört auch: 2018 hatte die AfD schon einmal ein Umfragehoch – und die Große Koalition lag im Keller. Jetzt steht die AfD wieder oben – und die Ampelregierung ist im Keller. Es gibt also eine eindeutige Korrelation zwischen Erfolg und Misserfolg einer Regierung und dem Erstarken oder der Schwächung von politischen Rändern. Und der politische Rand ist zurzeit eben überwiegend rechts-nationalistisch.

Wir haben also lediglich die gleiche Situation wie vor fünf Jahren?

Mit umgekehrten Vorzeichen. Und nur fürs Protokoll: Die SPD lag damals bei 14 Prozent, wir heute bei 28.

Und trotzdem: Die starke AfD bleibt ein Problem, das Sie eigentlich lösen wollten.

Ich wiederhole meine Formulierung des Jahres 2019 heute nicht mehr. Meinen Anspruch habe ich damals unter völlig anderen Umständen formuliert – und seit vier Jahren nicht mehr wiederholt. Das ist die Lage heute – und ich habe keine Freude daran.

Was die Regierung tut oder lässt, ist das eine. Wie verhält sich die Union?

Unsere Politik muss klug und konsequent sein und eine klare Alternative zur Bundesregierung aufzeigen. Es ist wichtig, dass wir die besseren Konzepte haben. Wir treten in keinen Überbietungswettbewerb mit anderen, und wir sind auch keine Fundamentalopposition. Wir verfolgen einen klaren Kurs und halten Maß und Mitte.

In den Umfragen scheint es für die Union eine Schallmauer von 30 Prozent zu geben.

Ob es die wirklich gibt, weiß ich nicht. Und der Wert ist doch nicht schlecht, die SPD kann davon jedenfalls nur träumen.

Aber reicht das als Anspruch für die Union, die sich über Jahrzehnte als natürliche Regierungspartei gesehen hat?

Wir liegen jetzt konstant über den Werten der letzten Bundestagswahl. Aber wir müssen uns das Vertrauen, das 2021 nicht zuletzt in den Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU verloren gegangen ist, natürlich auch wieder erarbeiten.

Das Vertrauen der Wähler speist sich auch aus persönlicher Sympathie. Auf diesem Gebiet schneiden Sie regelmäßig schlechter ab als andere Spitzenpolitiker. Wie kommen Sie damit klar?

Als Oppositionsführer muss ich häufig genug gegen das sein, was die Bundesregierung vorschlägt. Schon allein deshalb kann ich nicht Everybody's Darling sein.

Sie könnten Ihren Generalsekretär Mario Czaja stärker einbinden und ihm das ständige Dagegensein überlassen.

Ich habe meiner Partei gesagt: Ich will aus dem Konrad-Adenauer-Haus nicht hören, wogegen wir sind, ich will nur noch hören, wofür wir sind. Wir sind für einen Klimaschutz, der Wohlstand schafft. Wir sind für eine technologieoffene und sozialverträgliche Wärmewende und wir sind für mehr Chancengerechtigkeit für Kinder, gerade für solche, die es schwerer haben.

Manche in der CDU wünschen sich, dass die neue Rollenverteilung so aussieht, dass der Generalsekretär ausgewechselt wird.

Das wird nicht passieren. Er macht sehr gute Arbeit.

Wir können uns also darauf einstellen, dass Mario Czaja sichtbarer wird?

Ich möchte, dass unser Personal die ganze Breite der Partei und der Themen abbildet. Mein Tipp: Hören Sie ihm zu, er hat viel zu sagen.

Wir erleben also in Zukunft auch mal einen versöhnlicheren Friedrich Merz als in der Vergangenheit?

Den erleben Sie auch jetzt schon. Und er ist auch weit weniger konfrontativ, als das häufig dargestellt wird.

Herr Merz, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview am 20. Juni in Berlin
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