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Russland: Ukraine stößt in Belgorod vor – was Kiew damit bezweckt


Ukrainischer Überraschungsangriff in Russland
Russland steht vor einem neuen Problem


28.03.2025Lesedauer: 5 Min.
imago images 0798275046Vergrößern des Bildes
Ein ukrainischer Soldat nimmt in der Region Saporischschja an einer Übung teil (Archivbild): Kiews Truppen sind mit kleinen Einheiten in die russische Grenzregion Belgorod vorgedrungen. (Quelle: IMAGO/Dmytro Smolienko/imago)
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Überraschend sind ukrainische Truppen vergangene Woche in die russische Region Belgorod vorgedrungen. Die Ukrainer könnten mit der Operation gleich drei Ziele verfolgen.

Während die Welt in Hoffnung auf erfolgreiche Waffenstillstandsgespräche in Richtung Moskau und Washington blickt, gelingen Kiews Truppen auf dem Schlachtfeld Überraschungen. In der vergangenen Woche sind kleinere Einheiten der ukrainischen Streitkräfte erneut auf russischen Boden vorgedrungen. Nicht in Kursk, wo seit vergangenem August Gefechte stattfinden und die Ukrainer auf dem Rückzug sind, sondern etwas weiter südlich in Belgorod.

Die ukrainischen Angriffe begannen am selben Tag, als US-Präsident Donald Trump mit Kremlchef Wladimir Putin in einem Telefonat eine Feuerpause ausloten wollte. Seitdem sind zehn Tage vergangen – und die Ukrainer befinden sich trotz anderslautender Meldung aus Russland noch immer auf russischem Boden. Weitgehend unbeachtet von großen Teilen der Weltöffentlichkeit stellen die ukrainischen Truppen Russlands Streitkräfte in Belgorod vor Probleme, mit denen diese offenbar nicht gerechnet hatten.

Das russische Verteidigungsministerium meldete am vorvergangenen Dienstag, dass fünf ukrainische Angriffe zurückgeschlagen worden seien. Etwa 200 Soldaten, fünf Panzer sowie fast 20 gepanzerte Fahrzeuge sollen beteiligt gewesen sein. Grenzdurchbrüche habe man verhindert, hieß es. Russische Militärblogger und Aufnahmen aus dem Gebiet Belgorod legen jedoch andere Tatsachen nahe. Was hat die Ukraine in Belgorod vor? Und können die Vorstöße für Russland zu einem größeren Problem werden?

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Quelle: Glomex

Russland macht Ukrainern Vorwürfe

Das russische Ministerium warf der Ukraine vor, sie habe mit dem Vorstoß ein "negatives" Umfeld für das Telefonat zwischen Putin und Trump geschaffen und die "Friedensinitiative" der USA "diskreditieren" wollen. Es ist eine wenig stichhaltige Argumentation, da Russland selbst seit dem 18. März keine Anstalten gemacht hat, die eigenen Angriffe auf die Ukraine auch nur zu reduzieren. Laut ukrainischen Angaben griff Russlands Luftwaffe seitdem acht Energieanlagen in der Ukraine an. Der russische Beschuss verletzte allein am Donnerstag 21 Menschen in Charkiw und tötete zwei weitere in Cherson. Die Unterstützung einer "Friedensinitiative" sieht anders aus.

Die ukrainische Armee sowie die Regierung in Kiew hüllen sich derweil mit Blick auf die Militäroperation in Belgorod in Schweigen. Offenbar will man vorerst nicht zu viel Aufmerksamkeit auf die Angriffe lenken. Informationen aus der russischen Grenzregion gelangen daher vor allem über Militärblogger in die Welt. Selten lassen sich die Angaben verifizieren – und doch geben sie zumindest Hinweise auf die Situation vor Ort.

Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) schrieb am vergangenen Dienstag, dass ukrainische Vorstöße westlich der Ortschaft Demidowka sowie nordwestlich von Popowka verifiziert seien. In der Region soll auch ein Kommandoposten der Russen zerstört worden sein. Zudem ist von Gefechten rund um den Ort Prilesye die Rede. Die Ortschaften liegen allesamt im Nordwesten der Region Belgorod unweit der Grenze zur Oblast Kursk sowie nahe der Grenze zur Ukraine.

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Ukrainer kämpfen in isoliertem Gebiet

Militärexperten schätzen den Umfang der Operation als gering ein. Die Militäroperation weckt auch ungleich weniger internationales Interesse als der ukrainische Vorstoß nach Kursk im vergangenen August. Wie viele ukrainische Soldaten und Militärfahrzeuge tatsächlich im Einsatz sind, ist jedoch unklar. Offenbar bekommen die Einheiten aber Unterstützung aus der Luft: Videos in sozialen Netzwerken zeigen Abwürfe von Präzisionsbomben durch ukrainische Kampfflugzeuge, die auf Brücken in der Region abzielten und diese wohl auch zerstörten. Ebenso sollen die Ukrainer Angriffe mit US-Mehrfachraketenwerfern des Typs Himars ausgeführt haben.

Bestätigt ist zudem ein harter Schlag gegen die russische Luftwaffe: Mit Raketen haben die Ukrainer gleich vier Kampfhubschrauber zerstört, die ihre Streitkräfte aus Belgorod vertreiben sollten. Dabei handelte es sich um zwei Helikopter des Typs Ka-52 sowie zwei Mi-8-Mehrzweckhubschrauber.

Ebenfalls gibt es Berichte darüber, dass der russische Vier-Sterne-General Alexander Lapin in Belgorod vermisst werde. Er könnte getötet worden sein. Lapin stand wiederholt in der Kritik, falsche Entscheidungen zu treffen. So soll er unter anderem die ukrainischen Vorstöße in Kursk erst möglich gemacht haben. Bestätigt ist sein Tod jedoch nicht.

Trotz anderslautender Meldungen aus Russland, sind die Gegenangriffe der russischen Streitkräfte bisher wenig wirkungsvoll geblieben. Laut den Militärexperten Christian Mölling und András Rácz liegt das auch am schwierigen Gelände in dem Gebiet: "Dieser Teil der Region Belgorod ist aufgrund des komplizierten Geländes und der schlechten Straßenverhältnisse relativ isoliert vom Rest der Oblast", schreiben sie in einem Beitrag für das ZDF. Dies mache es aber nicht nur den Russen schwer, sondern sei ebenso für die Ukraine schwierig, denn ein weiteres Vordringen in die Tiefe sei so komplizierter.

Drei mögliche Ziele der ukrainischen Offensive in Belgorod

Es scheint bisher jedoch so, als würden die Ukrainer dies gar nicht bezwecken wollen. Beobachter gehen bisher von drei möglichen Zielen der Ukrainer bei ihren Angriffen in Belgorod aus. Die Region grenzt an gleich drei ukrainische Oblasten: Sumy, Charkiw und Luhansk. Seit Längerem warnt die Ukraine bereits vor einer möglicherweise bevorstehenden Offensive der Russen in der nordöstlichen Region Sumy. Ihre eigenen Angriffe in Belgorod könnten dazu dienen, bei Sumy versammelte russische Kräfte in diese Region zu locken.

Andererseits gestaltet sich die Situation für die Ukrainer in der russischen Region Kursk derzeit schwierig. Nach zwischenzeitlichen Geländegewinnen von mehr als 1.000 Quadratkilometern, sind sie dort seit Wochen auf dem Rückzug. Russlands Streitkräfte haben seit vergangenem August laut dem ukrainischen Armeechef Oleksandr Syrskyj mehr als 55.000 Mann in Kursk verloren. Nun aber versuchen sie mit aller Kraft, die Ukrainer aus dem Gebiet zu drängen – mit Erfolg. Möglicherweise versuchen die Ukrainer, Belgorod als Ablenkungsmanöver zu nutzen, um ihren in Kursk verbliebenen Einheiten den Abzug zu erleichtern.

Ebenfalls denkbar ist ein drittes Ziel der ukrainischen Armee. Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer sieht ein "Muster" in den Angriffen in Belgorod: "Man braucht dringend Erfolgsmeldungen", sagte der Militärexperte dem "Focus". Reisners Ansicht nach möchte die Ukraine mit der Belgorod-Operation beim US-Präsidenten "punkten", um sich mit Blick auf mögliche Friedensverhandlungen stärker zu positionieren – auch weil der Rückzug aus Kursk "ungewöhnlich rasch" vonstattengegangen sei. Es könnte sich also um eine Operation handeln, um den sogenannten Informationsraum – also auch internationale Medienberichte – zu formen.

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"Politischer Druck auf Moskau"

Die Militärexperten Mölling und Rácz halten besonders die beiden letztgenannten Motive für wahrscheinlich. Auch sie gehen davon aus, dass die Angriffe in Belgorod "Druck" von den ukrainischen Truppen in Kursk nehmen sollen. "Außerdem könnte die Ukraine im Rahmen der laufenden Waffenstillstandsverhandlungen versuchen, durch die Eroberung selbst kleiner Gebiete im russischen Kerngebiet politischen Druck auf Moskau auszuüben – im Falle eines sofortigen Waffenstillstands müsste Russland also auch über sein eigenes Gebiet verhandeln", schreiben sie für das ZDF.

Wie groß die Auswirkungen der Operation auf die Front in der Ukraine sind, lässt sich bisher nicht einschätzen. Bislang halten sich die Geländegewinne der Ukrainer in Grenzen, zudem ist das eroberte Gebiet militärstrategisch von geringerer Bedeutung. Dennoch können vor allem die Schläge gegen die russische Logistik in Form zerstörter Brücken für die Kremltruppen Rückeroberungen in Belgorod und mögliche eigene Vorstöße aus der Region in Richtung Ukraine erschweren.

Verwendete Quellen

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