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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorwand: Windkraft Diese zwei Deutschen umschifften die Pipeline-Sanktionen
Ein kleiner Kai im Hafen von Rostock spielte eine große Rolle bei der Fertigstellung von Nord Stream 2. Zwei Unternehmer machten ein Geschäft, während Sanktionen drohten – und Russland für Krieg rüstete.
Es braucht nur einen kleinen, unscheinbaren Kai, um ganz große Weltpolitik zu machen. Er liegt gegenüber vom Rostocker Überseehafen, wo die großen Kreuzfahrtschiffe vor Anker gehen. Der Lageplan bezeichnet ihn als "Mageb-Kai Süd", was die ebenfalls sperrige Bezeichnung "Maritimes Gewerbegebiet" nicht wirklich vereinfacht. Und es sind natürlich keine großen Frachter oder berühmten Luxusliner, die hier anlegen. Verhältnismäßig kleine Versorgungsschiffe laufen ein und aus.
Es deutet also nichts darauf hin, dass hier Dinge vor sich gehen, deren Auswirkungen in Berlin und Moskau, in Paris und Washington zu spüren sind. Der Schein trügt.
Jene, die über das, was hier wirklich passiert, am besten Auskunft geben können, schweigen bislang. Fragen von t-online haben sie nicht beantwortet, was der generellen Linie im SPD-regierten Mecklenburg-Vorpommern zu entsprechen scheint. Zumindest, wenn sich Journalisten und Opposition nach Nord Stream 2 erkundigen, jener Pipeline also, die im Auftrag des russischen Staatskonzerns Gazprom bald russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland liefern soll.
Landesregierung mauert
Protokolle über Treffen mit den russischen Gashändlern hat die Staatskanzlei nicht angerfertigt, eine für die Umgehung von US-Sanktionen eingerichtete Landesstiftung übt sich in Verschwiegenheit, Ministerien bleiben Antworten schuldig, Beteiligte geben nur spärlich Auskunft über ihre Pläne. Es kann also kaum verwundern, dass die Rostocker Bürgerschaft, die den Pachtvertrag im vergangenen Jahr absegnete, auch im Fall des Kais nicht darüber informiert war, welche Konsequenzen das Geschäft im Hafen haben würde.
Um diese Konsequenzen zu verstehen, ist ein Blick zurück erforderlich, der weit über das Hafenbecken hinausreicht: Seit Jahren treibt der russische Gasriese Gazprom sein ehrgeiziges Projekt durch die Ostsee voran. Dafür hat er sich die Unterstützung europäischer Energieversorger und der deutschen Politik gesichert, während Altkanzler Gerhard Schröder dem Verwaltungsrat der Projektgesellschaft vorsteht. Das Ziel: Noch mehr russisches Gas soll auf direktem Wege nach Deutschland fließen.
Befürworter verweisen auf die höhere Versorgungssicherheit, Gegner wie nahezu alle osteuropäischen EU- und Natopartner befürchten jedoch, Europa sei durch die damit mögliche Umgehung der älteren ukrainischen Pipeline erpressbar. Eine Sorge, die angesichts des russischen Truppenaufmarschs entlang der dortigen Grenze neue Nahrung erhält. Seit Jahren versucht die US-Regierung, die Pipeline zu verhindern und die an ihrer Fertigstellung beteiligten Unternehmen mit Sanktionen unter Druck zu setzen – wodurch sich einige Unternehmen tatsächlich von dem milliardenschweren Vorhaben zurückzogen.
In diese Gemengelage fällt der kleine Kai im Rostocker Hafen, an dem ein bis dato unbekanntes Unternehmen vor rund einem Jahr auf den Plan trat. Vorgeblich, um die vor der Küste gelegenen Windkraftanlagen zu versorgen. Aber wohl auch, um die Arbeiten an der Pipeline durch Service-Leistungen voranzubringen – im Nachhinein offenkundig mit Unterstützung der Stadtverwaltung und vermutlich der Landesregierung.
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Ohne den Kai, so darf zumindest spekuliert werden, wären die letzten Kilometer von Nord Stream 2 nicht verlegt worden. Ohne ihn könnte also auch kein weiteres russisches Gas nach Deutschland fließen. Während Bundesregierung und Kreml lange Zeit betonten, es handele sich dabei um ein "rein privatwirtschaftliches Projekt", ist in diesen Tagen das Gegenteil offensichtlich: Es verschiebt die Balance des europäischen Sicherheitsgefüges. Der Kai im Rostocker Hafen beeinflusst das Leben aller Europäer, also Hunderte Millionen.
Doch was genau spielte sich in Rostock ab? Vieles spricht dafür, dass auch im Falle des Kais politische und geschäftliche Interessen zusammenwirkten, die der Öffentlichkeit bislang weitestgehend verborgen geblieben sind. Der rote Faden der gesamten Nord-Stream-2-Lobby in Mecklenburg-Vorpommern spinnt sich von der lokalen Ebene durch die Ostsee bis nach St. Petersburg und Moskau.
Die "Klimastiftung" und Nord Stream 2
Der Ausgangspunkt des Manövers zur Umschiffung der US-Sanktionen scheint im Dezember 2020 zu liegen. Etwa um diese Zeit entschließt sich die Landesregierung um Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und ihren Energieminister Christian Pegel in Absprache mit Nord Stream 2 zur Gründung der mittlerweile berüchtigten Landesstiftung. Die soll angeblich den Klimaschutz fördern, aber eigentlich von den Sanktionen bedrohte Unternehmen vor Strafmaßnahmen schützen. 20 Millionen Euro schießt der russische Energieriese dafür nach mündlicher Vereinbarung zu.
Dafür soll ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb eingerichtet werden, über dessen Namen, seine Geschäftsführung und seinen genauen Auftrag die eigentlich auskunftspflichtige Stiftung bis heute keine Auskunft gibt. Nur so viel ist bekannt: Die Geschäftsführung wurde von Gazprom bestimmt und der Betrieb soll als ein Art "Warenregal" dienen, an dem sich Nord Stream 2 bedienen kann, ohne dass zuliefernde Unternehmen in direkten geschäftlichen Kontakt treten müssen.
Im gleichen Zeitraum, Ende 2020, tritt die Rostocker Stadtverwaltung in Vertragsverhandlungen bezüglich einer Pacht des kleinen Kais im Hafen ein. Gesprächspartner ist eine GmbH, die sich damals noch in Gründung befindet. Ihr Geschäftszweck laut dem Monate später erfolgten Eintrag ins Handelsregister: die "Erbringung von maritimen Dienstleistungen für Schiffe und Häfen".
"Wir wurden reingelegt"
Was sich hinter dem Zwei-Millionen-Deal verbirgt, ist zwar der Stadtverwaltung bekannt, nicht aber der Bürgerschaft, die dem Vertrag wenige Wochen später zustimmt. "Wir wurden reingelegt", sagt Andrea Krönert von den Grünen. Auch sie stimmte ahnungslos zu. Im Pachtvertrag steht demnach "Versorgung von Offshore-Windkraft- und anderen Anlagen". Der NDR berichtete über den Vorgang.
Denn erst im Nachgang durch Akteneinsicht stellt sich heraus, was die Formulierungen in Handelsregister und Pachtvertrag auch beinhalteten: Dienstleistungen für Nord Stream 2. Das Unternehmen stößt damit damals in eine Marktlücke, denn zu dieser Zeit ziehen sich immer mehr wichtige Unternehmen aus dem Projekt zurück. Zu groß ist die Sorge, dass US-Sanktionen die vielfach international tätigen maritimen Dienstleister treffen.
Da kommt ein Unternehmen gerade recht, das eben diese für die Pipeline notwendigen Services zur Verfügung stellt. Seitdem wird über die Verwicklung der sogenannten Klimastiftung spekuliert: Das ARD-Magazin "Monitor" gibt an, über Informationen zu verfügen, es bestehe zwischen der Stiftung und dem Unternehmen ein Vertrag.
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Für Grünen-Politikerin Krönert gibt es jedenfalls viele Indizien dafür. Auffällig findet sie schon die Höhe der Pacht, die offenbar auch zur Folge hatte, dass in der Bürgerschaft nicht intensiv nachgefragt wurde. "Zwei Millionen für ein Jahr für diesen kleinen Kai – Geld spielte offensichtlich keine Rolle", sagt sie. Sollten die Nord-Stream-Millionen der Stiftung im Hintergrund stehen, wäre das eine plausible Erklärung dafür.
Die beteiligten Unternehmer haben Fragen von t-online dazu nicht beantwortet. Doch die Rokai GmbH, die im März 2021 schließlich am Amtsgericht Rostock ins Handelsregister aufgenommen wird, kommt nicht aus dem Nichts. Federführend involviert sind laut Informationen von t-online zwei Deutsche: Offensichtlich war zumindest einer von ihnen schon länger mit Nord Stream 2 befasst – der andere pflegte über Jahre auch Kontakte zur Landesregierung.
Und so sah die Konstellation Anfang 2021 zunächst aus: Die Hamburger Krebs Gruppe soll laut Berichten des NDR und der "Süddeutschen Zeitung" die russischen Verlegeschiffe "Fortuna" und "Akademik Tscherski" ausgerüstet und den Schiffsverkehr rund um die Baustelle überwacht haben sowie als Vermittler für weitere Firmen aufgetreten sein. Dann zeigten die Sanktionen und die Drohung damit Wirkung: Polnischen Behörden zufolge wurden beteiligte Schiffe der Krebs-Tochter Krebs Offshore Shipping im polnischen Gdynia festgesetzt und durften nicht weiter unter polnischer Flagge fahren. Die Krebs-Gruppe zog sich laut den Berichten aus den Geschäften zurück.
Peter Cipra, der damalige Geschäftsführer der Krebs Offshore Shipping in Gdynia und auch langjähriger Prokurist des Mutterunternehmens, tat allerdings das Gegenteil: Gemeinsam mit einem Partner plante er offenbar schon zuvor die Gründung der Rokai GmbH in Rostock, die mit der Stadtverwaltung in die Pachtverhandlungen eintrat. Als Partner fiel seine Wahl auf einen ebenfalls mit der Krebs-Gruppe verbundenen Unternehmer.
Mitgeschäftsführer der neuen GmbH wurde Christian Cammin, der mit seinem eigenen Unternehmen Julius Marine laut eigenen Angaben deutscher Marktführer im Bereich von Schifffahrtszeichen ist. Mit der Krebs-Gruppe verbindet den Mittelständler seit 2019 eine Partnerschaft im Bereich der maritimen Verkehrstechnik, die per Handschlag zwischen Cipra und Cammin besiegelt wurde. Und neben Cammins Betrieb an der Industriestraße in Rostock zog schließlich die Rokai GmbH ein.
Mit Cammin verfügte das neu gegründete Unternehmen über einen emsigen Netzwerker in der Geschäftsführung. Über Jahre saß er im Vorstand des Maritimen Clusters Norddeutschland (MCN), das als Verein über 300 Unternehmen der maritimen Branche in fünf Bundesländern bündelt und dem laut Eigenangaben "eine wichtige Funktion an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlicher Hand" zukommt. Dort war er Ansprechpartner für die norddeutschen Häfen und zuletzt stellvertretender Vorsitzender, bis er den Posten im Herbst 2021 aufgab.
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Seine bisherigen Geschäftstätigkeiten und Funktionen in dem Verband brachten möglicherweise nützliche Kontakte zur Landesregierung mit sich. Ebenfalls im Vorstand des Maritimen Clusters: wechselnde Vertreter der norddeutschen Wirtschaftsministerien.
Bereits 2015 nahm er noch für seinen damaligen Arbeitgeber als Redner an einer "Zukunftskonferenz" für Windenergie in Rostock teil. Als Redner geladen waren auch der damalige SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering und der damalige Wirtschaftsminister Harry Glawe. Sellering steht heute der sogenannten Klimastiftung des Landes vor.
2018 traf Cammin dann in Hamburg bei einer weiteren Branchenveranstaltung auf alle Wirtschaftsminister der beteiligten Bundesländer – ebenfalls wieder dabei: Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Wirtschaftsminister Harry Glawe, der zu dieser Zeit regelmäßig in der Staatskanzlei an Sitzungen mit Nord-Stream-2-Vertretern teilnahm, um über den Verfahrensstand informiert zu werden.
2021 war das Maritime Cluster Norddeutschland dann erneut Kooperationspartner einer "Zukunftskonferenz" in Rostock. Mit dabei: Der damalige Energieminister Christian Pegel, der mit Schwesig die Klimastiftung aus der Taufe hob.
Ob Kontakte dieser Art bei den Geschäften am Kai eine Rolle spielten, haben weder Cammin noch die Stadt Rostock auf Anfrage von t-online beantwortet. Klar ist laut NDR allerdings, dass die im Land regierende SPD auch in der Rostocker Bürgerschaft besser als die anderen Fraktionen über die Pläne der Verpachtung informiert war.
Vermutlich kein Zufall: Der für den Vertrag zuständige SPD-Finanzsenator Chris Müller-von Wrycz Rekowski pflegt einen engen Draht zur Parteispitze. Auf seinen Plakaten für die Oberbürgermeisterwahl posierte er gemeinsam mit Ministerpräsidentin Schwesig. Wenn wieder einmal Fördergelder des Landes für Infrastrukturprojekte in Rostock landeten, trat er gern mit Energieminister Pegel vor die Presse.
Fragen zur Abstimmung mit Landesregierung oder Klimastiftung bezüglich des Pachtvertrags hat die Stadt Rostock nicht beantwortet. Mit den Gasgeschäften am Kai soll aber nun vorerst Schluss sein: Die Rokai GmbH habe die Option zur Verlängerung des Pachtvertrags nicht gezogen, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Das kommt nicht überraschend: Die Pipeline ist fertiggestellt. Der kleine Kai im Rostocker Hafen hat seine Aufgabe erfüllt.
- Eigene Recherchen