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Schwesigs Regierung in Mecklenburg-Vorpommern: Das Stasi-Problem


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Rot-rot in Mecklenburg-Vorpommern
Schwesigs Regierung hat ein Stasi-Problem


Aktualisiert am 15.11.2021Lesedauer: 7 Min.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD): Sie regiert ab heute mit der Linken. Ihr neuer Koalitionspartner pflegt Kontakte zu Stasi-Vereinen.Vergrößern des Bildes
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD): Sie regiert ab heute mit der Linken. Ihr neuer Koalitionspartner pflegt Kontakte zu Stasi-Vereinen. (Quelle: Florian Gaertner/photothek/imago-images-bilder)

Die Linke regiert ab heute in Mecklenburg-Vorpommern mit. Chef der Landespartei ist der ehemalige Stasimitarbeiter Torsten Koplin. Zwar hat er sich von seiner Vergangenheit distanziert. Doch diskret pflegt er weiter Kontakte ins Milieu der Ehemaligen.

Es ist der 27. Oktober 2018, als die Gäste im kleinen Stadtteilbegegnungszentrum (SBZ) an der Olof-Palme-Straße in Rostock von den roten Polsterstühlen aufstehen. Der Name ist nicht frei von Ironie: Die Abkürzung "SBZ" stand in der Bonner Republik für "Sowjetisch besetzte Zone" und meinte die DDR. Und hier im "SBZ" sind an diesem Samstag viele zusammengekommen, die mit der sowjetischen Besatzung nicht unbedingt etwas Negatives verbinden. Im Stehen schmettern sie die alte Nationalhymne "Auferstanden aus Ruinen" zu Ehren "der DDR-Errungenschaften", wie die Veranstalter später festhalten.

Der Saal ist voll besetzt, 170 Menschen sollen der Einladung gefolgt sein, den 100. Jahrestag der Novemberrevolution zu feiern und gleichzeitig den 200. Geburtstag von Karl Marx. Die Festveranstaltung mit roten Fahnen, roten Blumen und rot gekleideter Gesangsgruppe ist damit so etwas wie das Jahrestreffen der überzeugtesten Kommunisten und Sozialisten der Region. Die meisten von ihnen sind es schon viele Jahrzehnte. Im geeinten Deutschland spielen sie keine Rolle mehr.

Torsten Koplin sitzt in der ersten Reihe

Nichtsdestotrotz haben sie prominenten Besuch erhalten: Als Gäste des Festakts wird der Landesvorsitzende der Linken begrüßt, Torsten Koplin. Ein Foto, das t-online vorliegt, zeigt ihn in der ersten Reihe neben einem marxistischen DDR-Ökonom, um den sich Mitte der Achtzigerjahre eine Geheimdienst-Posse entspann. Beide sind ehemalige Informelle Mitarbeiter des sogenannten Ministeriums für Staatssicherheit, das im Volksmund "Stasi" hieß. Beide Ehrengäste steuern einen Redebeitrag bei. Ob sie auch gemeinsam die Hymne singen?

Der vermeintlich bedeutungsschwere Festakt blieb bis dato mehrere Jahre unbeachtet. Die etwas obskuren Vereine und Veranstaltungen, die die Traditionen der SED, der DDR und ihrer Organisationen weiterführen, altern und schrumpfen. Das öffentliche Staunen ebenso wie die öffentliche Empörung sind abgeflaut. Zu unbedeutend wirken kleine Veranstaltungen wie diese in Rostock, bei denen der Altersdurchschnitt der Teilnehmer weit jenseits der 70 liegen dürfte.

Der Koalitionsvertrag mit der SPD

Nun gibt es allerdings Grund, sie noch einmal näher zu betrachten: Am heutigen Montag ist Torsten Koplin im Begriff, zu einem der wichtigsten Politiker von Mecklenburg-Vorpommern zu werden. Er ist Landeschef der Linken. Und seine Partei hat am Wochenende den Koalitionsvertrag mit der SPD gebilligt, den er federführend mit ausgehandelt hat. Koplin und seine Genossen werden Manuela Schwesig erneut zur Ministerpräsidentin machen. Sie freut sich über einen "starken Vertrag", der das Land voranbringen werde – "der Zukunft zugewandt" sozusagen.

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Ein rot-rotes Bündnis soll also das Land regieren – der ziemlich komplizierten Vergangenheit des Linken-Vorsitzenden Koplin zum Trotz.

Denn der heute 59-Jährige hat sich seit Jahren bemüht, möglichst große Distanz zwischen sich und seine in den Neunzigerjahren bekannt gewordene Arbeit für die Stasi zu bringen. Eine Distanz, an der Recherchen von t-online nun allerdings zweifeln lassen.

"IM Martin" und seine Vereinskontakte

Als junger Mann hatte Koplin sich zunächst zum Stasi-Wachregiment gemeldet und anschließend verpflichtet, als "IM Martin" dem Geheimdienst über seine Genossen bei der FDJ zu berichten. In der Folge sparte er zur Zufriedenheit seiner Führungsoffiziere auch nicht an intimen Schilderungen, indem er unter anderem über außereheliche Affären seiner vermeintlichen Mitstreiter auspackte. Zuletzt war er dafür erneut in die Kritik geraten, nachdem der Historiker Hubertus Knabe die Stasi-Akte frei zugänglich ins Netz stellte.

Koplin selbst hat zugegeben, für die Stasi gearbeitet zu haben. Seinen Angaben zufolge bat er seine damaligen Genossen dafür frühzeitig um Entschuldigung, vor wenigen Tagen drückte er erneut Bedauern aus. Politische Konsequenzen lehnte er hingegen ab. In der öffentlichen Bewertung solle auch sein "Engagement für unser demokratisches Gemeinwesen in über 30 Jahren" berücksichtigt werden, sagte er. In dieser Zeit hatte er sich zum Sozial- und Rentenexperten seiner Landespartei und zu ihrem Vorsitzenden gemausert.

Teile dieses Engagements blieben dabei bislang weitgehend unbekannt – vielleicht auch deshalb, weil sie wie der Termin im Rostocker "SBZ" nicht alle in Koplins offiziellem Terminkalender auftauchen. Sie werfen allerdings ein etwas anderes Licht auf Koplins behauptetes Verhältnis zu seiner Stasi-Vergangenheit. Seine Kontakte ins Milieu ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit lassen nicht zwangsläufig auf Reue oder Scham schließen.

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So wie damals, im Dezember 2011 in Schwerin. Der Festakt in Rostock liegt noch Jahre in der Zukunft, als Koplin eine kleine Versammlung leitet. Acht Personen wollen einen neuen Verein gründen, drei von ihnen sind aktive Linken-Politiker, Koplin als Landtagsabgeordneter der prominenteste unter ihnen. Künftig wollen sie im Ausland das tun, was sie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) offenbar nicht zutrauen: Wahlen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion beobachten. Auf ihr inniges Verhältnis zum russischen Staat legen sie größten Wert. In Nato und Europäischer Union sehen sie die größte Bedrohung für den Frieden in Europa. In kremltreuen Separatistengebieten hingegen legitime Staatengebilde, deren Wahlen durch westliche Beobachter wie sie selbst unterstützt werden müssen.

Im Club mit Topspion "Topas"

Doch Koplin ist laut Vereinsunterlagen, die t-online vorliegen, in der Runde nicht der einzige mit Stasi-Vergangenheit: Zu den Gründungsmitgliedern zählt der ehemalige DDR-Topspion Rainer Rupp alias "Topas". Für seine Geheimdienstarbeit im Nato-Hauptquartier wurde er zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Gemeinsam mit Koplin bestimmt er den künftigen Vorstand des Vereins, der in den Folgejahren nach Recherchen von t-online in den Ruch russischer Spionage gerät. Dass Mitglieder wie Koplin die russisch besetze Krim besuchen und die Annexion verteidigen, verstärkt den Eindruck einer russischen Einflussoperation, die sich auf die AfD ausweitet.

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Auch weitere Personalien des kleinen Vereins sind bemerkenswert: Der Vorstand ist nämlich weitgehend identisch mit einem kurz zuvor gegründeten Verein, der sich – möglicherweise in Anlehnung an eine DDR-Massenorganisation – "Deutsch-Südossetische Freundschaftsgesellschaft" nennt. Gemeinsam ziehen dessen Mitglieder damals regelmäßig vor die georgische Botschaft, um gegen angebliche Menschenrechtsverbrechen zu protestieren. Für sie ist Georgien im russisch-georgischen Krieg der Aggressor, Russland hingegen die Schutzmacht der vermeintlichen Republik Südossetien, die bis heute nicht völkerrechtlich anerkannt ist. Die dortigen Wahlen hat Rainer Rupp alias "Topas" bereits als Wahlbeobachter verfolgt und keine Auffälligkeiten festgestellt.

Verbindung zum Stasi-Verein

Vorsitzender dieses Vorgängervereins von Koplins Club war damals der nun verstorbene Karl-Heinz Wendt, der – jetzt wird es kompliziert – noch eine andere Funktion in einem anderen Verein hatte: Gemeinsam mit einem ehemaligen Oberst des DDR-Auslandsgeheimdienstes HVA sprach er zeitweilig für die sogenannte "Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde" (GBM), die der Linkspartei nahesteht.

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Und hinter diesem wohlklingenden Namen und dem zugehörigen weit verzweigten Vereinsnetzwerk verbirgt sich eine Interessenvertretung ehemaliger Stasimitarbeiter. Vor fast 15 Jahren versuchte die Berliner SPD, sie aus öffentlichen Einrichtungen zu verbannen, weil sich dort alte Kader organisierten. Dabei waren sie auch in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen aufgetaucht, um das Andenken an ihre Leistungen geradezurücken. Für sie war der Mauerbau laut einer 2011 erschienenen Stellungnahme "eine friedenssichernde Maßnahme" und die Mauer selbst ein "antifaschistischer Schutzwall", der "wirtschaftlichen Fortschritt begünstigte".

Ob Koplin mit Wendt bekannt war oder direkten Kontakt zur GBM pflegt, ist unbekannt. Er selbst äußert sich dazu nicht. Auffällig ist jedoch, dass Koplin anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus zeitgleich einen nahezu identischen Standpunkt mit der GBM einnahm: In seinem Positionspapier, das die "junge welt" veröffentlichte, verteidigte er mit Genossen den Mauerbau als "zwingende Notwendigkeit", die den Frieden gesichert habe. Der Artikel ist der Erklärung der GBM nicht nur inhaltlich ähnlich, sondern auch im Aufbau. Es gibt allerdings noch eine weitere Parallele.

Menschenrechtspreis für Mauerschützen-General

Noch als sich Koplins Vereinsfreund und Ex-Topspion Rupp in Haft befand, unterstützte die GBM ihn vor Gericht. Partnervereine – unter ihnen die sogenannte "Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung" (GRH), die als Lobbyorganisation für Stasi-Spione und frühere DDR-Grenztruppen gilt – verliehen ihm später sogar den "Preis für Solidarität und Menschenwürde". Damit befand er sich in illustrer Gesellschaft: Das Vereinsbündnis hatte bereits den ehemaligen DDR-Verteidigungsminister und Armeegeneral Heinz Keßler mit der Auszeichnung geehrt. Keßler wurde in den Mauerschützenprozessen zu mehr als sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Eben inmitten dieses Vereinsgeflechts aus ehemaligen Stasimitarbeitern, SED-Offiziellen und NVA-Offizieren schließt sich der Kreis zum Landesvorsitzenden der Linken. Der arbeitete nicht nur selbst für die Stasi und gründete mit Spion Rupp einen prorussischen Verein, dessen Vorgängerverein eine personelle Schnittstelle zur GBM aufweist – Koplin pflegt auch Kontakte zu den anderen Vereinen der Ehemaligen.

Koplins Kontakte zur Stasi-Lobby

Über die Jahre besuchte er immer wieder Veranstaltungen der sogenannten "Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger der bewaffneten Organe und der Zollverwaltung der DDR" (Isor), der sich hauptsächlich für höhere Renten ehemaliger Stasimitarbeiter einsetzt und dem immer wieder Geschichtsrevisionismus vorgeworfen wird. Belegt sind Termine von 2004 bis 2018. Der Geschäftsführer, ebenfalls ein ehemaliger Offizier der Stasi, setzte Anfang 2018 vor Gericht durch, einen hingerichteten DDR-Widerstandskämpfer als Terroristen und Verbrecher bezeichnen zu dürfen, wie der "Tagesspiegel" berichtete.

Wenige Monate später unterstützte seine Organisation dann das Revolutionsgedenken in Rostock, wo Koplin neben einem ehemaligen Stasi-IM in der ersten Reihe saß und den Errungenschaften der DDR gedachte.

Dort zählte nicht nur "Isor" zu den Unterstützern: Neben dem Ortsverband der Linken durfte auch der Stasi-Lobbyverein "GRH" aufs Plakat, ebenso wie der "Verband zur Pflege der Tradition der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR". Nicht fehlen durfte außerdem der Veranstalter selbst, die Zeitschrift "Rotfuchs", den die "Zeit" einmal als "Leitmedium ehemaliger Stasi-Offiziere" bezeichnete, und der immer wieder in Berichten der Verfassungsschutzämter auftaucht. Dort gilt der "Rotfuchs" als "neo-stalinistische" Publikation, die sich als "revolutionär" begreife und einen "Reformsozialismus" konsequent ablehne.

Koplin besuchte auch immer wieder Termine des zugehörigen Fördervereins. Noch im März 2020 erschien dort auf Seite 2 ein offener Brief, der behauptete, dass die Nato einen Krieg gegen Russland probe. Initiiert hatte das Schreiben der Bundessprecher der vom Verfassungsschutz beobachteten Linken-Parteiströmung "Kommunistische Plattform". Zu den Erstunterzeichnern zählte Koplin.

Wie passt das alles zu Koplins öffentlichem Bedauern seiner Stasi-Tätigkeit? Wie beurteilt er aus heutiger Sicht die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit? Wie die Grenztruppen der DDR? In welchem Verhältnis steht er zu den Vereinen, die sich hauptsächlich damit befassen, das Ansehen der DDR, der Stasi und des Grenzregimes im geeinten Deutschland in besserem Licht dastehen zu lassen? t-online hat dem Linke-Landesvorsitzenden dazu einen ausführlichen Fragenkatalog zukommen lassen, geäußert hat er sich nicht.

Ab heute wird seine Partei das Land Mecklenburg-Vorpommern regieren, die Linken übernehmen das Bildungs- und das Justizministerium.

Update, 16. November 2021: In einer früheren Version des Texts hieß es, auch die Co-Landesvorsitzende Wenke Brüdgam sei als Gast auf der Veranstaltung am 27. Oktober 2018 begrüßt worden. Diese Information bezog sich auf Veranstalterangaben, beruhte allerdings auf einem Missverständnis. Laut Veranstalterangaben sollen Brüdgam und Koplin vielmehr ebenso wie die genannten Vereine eine weitere Veranstaltung am selben Ort am 15. Januar 2018 unterstützt haben. Brüdgam sagte t-online, auch bei dieser Veranstaltung sei sie nicht anwesend gewesen.

Verwendete Quellen
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